Einleitung - Retrodigitalisat (PDF)

Von Thomas Kletečka und Anatol Schmied-Kowarzik

Finanzen - Retrodigitalisat (PDF)

Das Ende der revolutionären Bewegung mit der Kapitulation von Világos und dem Fall Venedigs im August 1849 und somit der Abschluß der Auseinandersetzungen mit militärischen Mitteln hatte an der fast schon katastrophalen finanziellen Lage der Habsburgermonarchie nichts geändert. Finanzminister Philipp Freiherr v. Krauß hatte in konsequenter Verfolgung seiner Politik bereits im Spätherbst 1849 seine Pläne „über die Maßregeln zur Herstellung der Ordnung im Geldwesen und im Staatshaushalte“ seinen Ministerkollegen vorgelegt, und nach ausführlichen Beratungen wurden sie dann auch vom Kaiser sanktioniert1. Krauß ging dabei grundsätzlich davon aus, daß durch die Überwindung der Revolution und die Etablierung der neuen, konstitutionellen Ära das Vertrauen in den Staat und in der Folge auch in dessen Finanzverhältnisse bedeutend gestärkt werde. An erster Stelle seines Sanierungsplanes stand die Reduktion der Militärausgaben. Weiters sollte eine ganze Palette an Steuerreformen die Einnahmen des Staates erhöhen, womit zugleich die Vereinheitlichung der Steuerverwaltung im Gesamtreich Hand in Hand gehen sollte. Der dritte Eckpunkt seines Vorhabens war die Entflechtung des, seiner Ansicht nach, – zu – innigen Verhältnisses der Oesterreichischen Nationalbank mit dem Staatsärar.

Im Mittelpunkt der von Krauß geplanten umfassenden Steuerreform stand die Einführung der Einkommensteuer. Diese Steuer, die eine variable Steuerleistung je nach der Höhe des Einkommens des Einzelnen vorsah, also dem Prinzip folgte, daß jeder Staatsbürger|| S. 10 PDF || nach seinen individuellen Möglichkeiten einen Beitrag zur Erhaltung des Staates abführen sollte, entsprach dem Zeitgeist. Sie berücksichtigte gleichermaßen sozialpolitische Aspekte wie auch die neu postulierte Gleich­berechtigung und Mitwirkung der Staatsbürger2. Weitere Reformen betrafen die Besteuerung von Bier und Branntwein; auch hier wurde nach dem Grundsatz der Gleichförmigkeit und reichsweiten Anwendung vorgegangen3. Dasselbe galt auch für die neugefaßten Gesetze über die Besteuerung von Zucker und schließlich über die Taxen und Stempel4.

Zur Stabilisierung der mehr als unübersichtlichen Währungssituation – im Umlauf waren mannigfaltige Arten von Papiergeld wie unterschiedlich verzinste Zentralkassaanweisungen, Anweisungen auf die zukünftigen Einnahmen Ungarns, die sogenannten lombardischen Tresorscheine, wobei die Deckung mehr als fraglich war – legte Krauß zunächst eine große Abschöpfungsanleihe auf, die Anleihe 1849 über zumindest 70 Millionen fl.5. Die Anleihe wurde weitgehend über die öffentliche Subskription eingebracht und konnte so als eine Art „National-Anlehen“ und als Erfolg gewertet werden6. Zur Beseitigung des Wirrwarrs, das durch die Zirkulation der verschiedenen Papiergeldsorten entstanden war, und zur Fundierung dieser Geldart hatte Krauß eine Vereinheitlichung in Form der Herausgabe der sogenannten Reichsschatzscheine vorgesehen, die die anderen Scheine ersetzen und eine einheitliche Verzinsung herbeiführen sollten7. Doch die Entwicklung bei den Steuereinnahmen und den Staatsausgaben, hier muß vornehmlich das Militärbudget genannt werde, ließen diese Absicht als illusorisch erscheinen – nicht nur, daß die verschiedenen Kassa- und sonstigen Anweisungen nicht eingezogen werden konnten, sah sich Krauß auch genötigt, zur Deckung des zu erwartenden Defizits für 1850 ein Volumen von 50 Millionen fl. Reichsschatzscheine zur Aufrechterhaltung der laufenden Zahlungen herauszugeben8. Das Ergebnis war eine weitere Vermehrung der schwebenden Staatsschuld. Lediglich die Einziehung der lombardischen Tresorscheine mittels einer Anleihe wurde dann tatsächlich in Angriff genommen. Diese Maßnahme war aus konjunkturellen und politischen Überlegungen als eine freiwillige Anleihe konzipiert worden. Der Grund für die Durchführung dieses Sanierungsplanes lag wohl in der nachhaltigen Ablehnung der Tresorscheine durch die Lombarden und in der Hoffnung begründet, nach erfolgter Sanierung der lombardischen Währung wieder Hartgeld aus der reichsten Provinz der Monarchie zur Verfügung zu erhalten. Doch die freiwillige Anleihe wurde nur zu etwa einem Zehntel gezeichnet, sodaß im Herbst 1850, nach vergeblichen Verhandlungen mit lombardischen|| S. 11 PDF || Provinz- und Städtevertretungen, die angeboten hatten, den Rest der Anleihesumme aufzubringen, zur Umwandlung in eine Zwangsanleihe geschritten werden mußte9.

Die Absicht Krauß‘, die enge Verflechtung der Oesterreichischen Nationalbank mit den Staatsfinanzen einer Revision zu uneterziehen, d.h. eine Reduzierung der gegenseitigen Abhängigkeit durchzusetzen, hatte im Herbst 1849 zur Einberufung einer Kommission zur Reform der Nationalbank geführt10. Die finanzpolitischen Konjunkturen hatten sich allerdings Anfang 1850 so weit geändert, daß an eine großangelegte Finanz- und Währungssanierung nicht mehr zu denken war. Der Finanzminister sah sich, gegen seine Überzeugung, gezwungen, die innige Verbindung mit der Bank auch weiterhin in Anspruch zu nehmen, ja sie gegen – wohl berechtigte – Angriffe in Schutz zu nehmen11. Die Kommission, nun einmal einberufen, nahm unter diesen veränderten Vorzeichen im März 1850 ihre Arbeit auf. Das Beratungsprogramm, das der Öffentlichkeit bekannt gegeben wurde, umfaßte die Fragen nach den Kernaufgaben der Notenbank im Gesamtreich, ihre Organisationsform, aber auch das Verhältnis von Bankkapital, Hartgeldreserven und Notenumlauf und die Notwendigkeit der Gründung von Gewerbe- und Hypothekenbanken oder die Aufstockung des Bankkapitals12. All diese Themen waren zum Zeitpunkt der Einberufung der Kommission ein fester Bestandteil des Kraußschen Gesamtplanes zur Sanierung der Währung und der Staatsfinanzen. Da sich aber der Finanzminister durch die konkreten Bedingungen des Jahres 1850 gezwungen sah, bei dem drohenden Defizit wiederum die Hilfe der Nationalbank in Anspruch nehmen zu müssen, wurden dann, Mitte 1850, die Reformvorschläge der Kommission mehr oder minder ad acta gelegt13.

Die conditio sine qua non für die Umsetzung des Konsolidierungsplanes des Finanzministers war die Reduktion der Militärausgaben. Nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen in Ungarn schien für Krauß der Augenblick gekommen, seine Absichten in die Tat umzusetzen. Nachdem allerdings sein diesbezüglicher Vorstoß, d.h. seine Bemühungen, direkt mit dem Kriegsministerium ins Einvernehmen zu kommen, gescheitert waren, brachte Krauß die Angelegenheit im Ministerrat zur Sprache14.

|| S. 12 PDF || Er zeigte auf, daß der Militäraufwand ein Volumen von 14 Millionen fl. im Monat erreicht habe, wogegen sich die monatlichen Staatseinnahmen nur auf sieben bis acht Millionen fl. beliefen. Unter dem Druck dieser Fakten versprach der Kriegsminister, Einsparungsvorschläge zu unterbreiten. Diese fielen allerdings so dürftig aus, daß der Ministerrat mehrheitlich beschloß, das zukünftige Jahresmilitärbudget mit 84 Millionen fl. zu begrenzen15. Doch die dann vom Kaiser tatsächlich angeordneten Einsparungs­maßnahmen blieben weit hinter den Erwartungen des Finanzministers zurück16. Krauß ließ nicht locker, aber auch sein nächster Vorstoß, im Jänner 1850, die militärischen Ausgaben zu vermindern scheiterte am Widerstand des Kriegsministeriums17. Nach diesem Mißerfolg nahm der Finanzminister einen neuen Anlauf. Mitte des Jahres 1850 verlangte er im Ministerrat die Einhaltung der beschlossenen Grenze von 84 Millionen fl. Die Hartnäckigkeit, mit der Krauß die Reduzierung der Militärausgaben betrieb, erklärte sich aus dem Umstand, daß, wie er seinen Ministerkollegen darlegte, alle von ihm getroffenen Finanzmaßnahmen zur Konsolidierung der Finanzen und der Währung solange unwirksam blieben, solange „der Aufwand für die Armee nicht in das richtige Verhältnis zu den Einnahmen gebracht wird“. Nachdem Ministerpräsident Felix Fürst zu Schwarzenberg erklärt hatte, daß die gegenwärtige politische Lage in Europa eine Verminderung des Militärs durchaus zulasse, wurde der einstimmige Beschluß gefaßt, solch eine Reduktion auch durchzuführen18. Doch auch diesmal, wie schon im Spätherbst 1849, waren die schließlich vom Kaiser sanktionierten Sparmaßnahmen nur marginal19. Als Krauß Ende September 1850 erneut den auf 110 Millionen fl. präliminierten Armeeaufwand kritisierte, stand er von vornherein auf verlorenem Posten – denn nun war wegen der drohenden militärischen Konfrontation mit Preußen an eine Reduzierung der Militärausgaben sowieso nicht zu denken20.

Somit blieb vom eingangs zitierten Sanierungsplan des Finanzministers nur ein Torso übrig, und weder die beabsichtigte Währungsstabilisierung noch eine nachhaltige Entlastung des Budgets konnte erreicht werden.

Das Verhältnis der Kirche(n) bzw. Religionsgemeinschaften zum Staat - Retrodigitalisat (PDF)

„Allen Staatsbürgern ist die volle Glaubens-, sowie die persönliche Freiheit gewährleistet“. So lautete der Paragraph 17 der sogenannten Pillerstorfschen Verfassung vom 15. April 1848; und der Paragraph 27 stellte die Beseitigung der „bestehenden Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner Religionskonfessionen“|| S. 13 PDF || innerhalb des Habsburgerstaates in Aussicht21. Diese Verfassung sollte zwar nie eine Anwendung finden, sie dokumentiert aber das Ende des vormärzlichen Systems, somit auch der bis dahin geltenden Regelung des Verhältnisses der Kirche zum Staat. Das Verhältnis war von den Ideen des Josephinismus geprägt, das auf einer engen Verbindung, eigentlich schon Symbiose der beiden Institutionen basierte und vom erdrückenden Übergewicht des Staates gekennzeichnet war22. Dies traf allerdings nur auf die römisch-katholische und unter bestimmten Bedingungen auch auf die griechisch-unierte Kirche zu. Alle anderen anerkannten Religionsgemeinschaften der Donaumonarchie wurden bloß toleriert, hatten nur den Status der mehr oder minder Geduldeten.

a) Katholische Kirche

Die neu gewonnene Freiheit auch in Religionsangelegenheiten stellte die so Befreiten freilich vor ungewohnte Aufgaben. Nach nahezu 70 Jahren des Josephinismus sahen sich die Vertreter der katholischen Kirche – von dieser soll zunächst die Rede sein – vor die Aufgabe gestellt, ihr Verhältnis zum Staat neu zu definieren. Das erwies sich hauptsächlich aus zwei Gründen als schwierig. Der erste Grund lag in der noch nicht entschiedenen Frage nach dem prinzipiellen Verhältnis der Kirche, oder vielmehr der Religionsgemeinschaften zum Staat. Die Lösung dieser Frage oblag dem konstituierenden Reichstag, der im Rahmen der von ihm zu erarbeitenden Verfassung auch Grundsätze zur Regelung dieses Verhältnisses aufstellen sollte. Zum zweiten fehlte es an einer gemeinsamen klaren Linie der katholischen Kirche. Zwar hatten einzelne Diözesen nach den Märzereignissen des Jahres 1848 Synodalversammlungen abgehalten, auf denen über die dringlichsten Probleme und teilweise auch über Grundsatzfragen Beratungen abgehalten und Petitionen mit Forderungen verfaßt worden waren, doch waren die so erstellten Wunschkataloge uneinheitlich und ohne eine zielgerichtete übergeordnete Struktur. Selbst die Frage, wer nun der Verhandlungs- oder Ansprechpartner der Vertreter der Kirche sein sollte, die Regierung oder das Parlament, blieb unbeantwortet23.

Die Regierungen des Jahres 1848 – als Repräsentanten des Staates – hatten außer der grundsätzlichen Feststellung der Religionsfreiheit keine weiteren Schritte in Richtung|| S. 14 PDF || einer generellen Regelung der kirchlich-staatlichen Angelegenheiten gesetzt. Diese Zurückhaltung war allerdings für alle Seiten unbefriedigend, da bei der beginnenden Neugestaltung der staatlichen, politischen und gesellschaftlichen Ebenen auch eine Neugestaltung der kirchlichen Angelegenheiten dringend notwendig wurde. Evident wurde dieser Entscheidungsmangel etwa bei den Vorarbeiten zur Reorganisierung des Unterrichtswesens, d.h. der Frage nach der Einflußnahme der Kirche auf die Schulen24. Aber auch die Regierung Schwarzenberg verhielt sich in den ersten Monaten zumindest nach außen hin auffallend neutral. Weder in der programmatischen Rede Schwarzenbergs am 27. November 1848 vor dem Kremsierer Parlament25 noch im Thronbesteigungspatent Franz Josephs vom 2. Dezember 1848 26 wurde das kirchenpolitische Thema erwähnt. Schwarzenberg selbst wich „dieser sehr schwierigen Aufgabe“ aus und wollte nur das Prinzip, nach dem sich das Verhältnis der katholischen Kirche zum Staat ausrichten sollte, in der vom konstituierenden Reichstag auszuarbeitenden Verfassung verankert wissen; Detailfragen sollten dann mit dem Vatikan ausgehandelt werden27. Doch ganz ohne Mitwirkung der Betroffenen wollte Ministerpräsident Schwarzenberg die kirchlichen Verhältnisse nicht geregelt wissen; am selben Tag, an dem er im Ministerrat der zitierten „schweren Aufgabe“ vorläufig ausgewichen war, lud er seinen Bruder, den Salzburger Fürsterzbischof Kardinal Friedrich Fürst zu Schwarzenberg, ein, nach Olmütz zu kommen, um die römisch-katholischen Anliegen der Regierung und dem neuen Kaiser darzulegen. Der Kardinal kam dieser Aufforderung nach, und gemeinsam mit dem Wiener Erzbischof Vinzenz Milde und dem ehemaligen Philosophielehrer Franz Josephs Joseph Othmar Ritter v. Rauscher, verteidigte er die privilegierte Stellung seiner Kirche28.

Eine Verteidigung dieser Stellung erschien aus der Sicht der Kirchenvertreter auch höchst erforderlich. Da die Regierung keine Eigeninitiative in der Kirchenfrage setzte, sondern offensichtlich die diesbezüglichen Beratungsergebnisse des Kremsierer Reichstages abwartete, mußte auch die Kirche dieser konstituierenden Volksversammlung größte Aufmerksamkeit schenken. Und was hier als zukünftige Regelung des kirchlich-staatlichen Verhältnisses vorgelegt wurde, hatte die Kirchenmänner „aufgeschreckt“29. Denn der im November 1848 von diesem Gremium ausgearbeitete und der Öffentlichkeit vorgestellte Entwurf der Grundrechte des österreichischen Volkes lief auf eine klare Trennung von Kirche und Staat hinaus30. Die bei aller Bevormundung durch den Josephinismus traditionell bevorzugte Stellung der römisch-katholischen Kirche sollte gänzlich eliminiert, alle anerkannten Religionsgemeinschaften tatsächlich gleichgestellt, die Zivilehe eingeführt und das Unterrichtswesen von jedwedem kirchlichen Einfluß befreit|| S. 15 PDF || werden31. Eine so weitgehende liberale Handhabung der Kirchenfrage lag weder im Interesse der „Staatskirche“ noch in jenem der Regierung. Die Beschlüsse des Reichstages hatten allerdings keine praktische Bedeutung, da die Auflösung der Volksvertretung und die Oktroyierung einer Verfassung bereits Ende Jänner 1849 von der Regierung beschlossen worden war32.

Das kaiserliche Patent vom 4. März 1849, zugleich mit der oktroyierten Verfassung erlassen, regelte die politischen Rechte und war hinsichtlich der Religionsangelegenheiten eher unverbindlich gehalten. Dies Patent galt übrigens nicht für die Länder der ungarischen Krone und nicht für Lombardo-Venetien. Die „volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung des Religionsbekenntnisses“ wurde zugestanden ebenso wie das Recht auf Selbstverwaltung und öffentliche Religionsausübung der anerkannten Religionsgemeinschaften33. Im Vergleich zum Kremsierer Grundrechtsentwurf ließen diese Bestimmungen der Regierung freie Hand bei der künftigen Gestaltung des Verhältnisses der (römisch-katholischen) Kirche zum Staat; denn nun war von einer Gleichbehandlung der gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften keine Rede mehr, was – wie es dann auch geschah – der Bevorzugung einer Gemeinschaft keine rechtlichen Hindernisse in den Weg legte. Als ideologischer Überbau diente dabei die Auffassung, daß Kirche und Staat die zwei wichtigsten ordnenden Kräfte des menschlichen Daseins seien, wobei im österreichischen Kaiserstaat mit Kirche die katholische Kirche gemeint war. Beide Kräfte müßten daher im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen sich gegenseitig ergänzen und miteinander wirken34.

Die eingetretene politische Wende bestärkte die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen katholischer Kirche und Staat. Als die Regierung die Bischöfe aufforderte, Veranstaltungen zur Feier der neuen Verfassung abzuhalten, kamen die Kirchenvertreter dem gerne nach. Dies um so mehr, als sie in den Paragraphen eins und zwei der Grundrechte die Erfüllung ihrer Wünsche sahen, wie sich der Fürsterzbischof von Salzburg in einem Brief vom 24. März 1849 an seinen Amtsbruder in Olmütz ausdrückte35. Der Brief hatte allerdings noch einen anderen Grund als nur die Befriedigung über die neuen Umstände. Zwar hatte die Ausschaltung des Kremsierer Parlaments ein gewichtiges Hindernis auf dem, zumindest aus der Sicht der katholischen Kirche, erfolgversprechenden Weg eines guten Einvernehmens mit dem Staat beseitigt, doch mußte dieses Einvernehmen erst hergestellt werden. Das hieß vor allem, daß die Kirche ihre Forderungen || S. 16 PDF || zunächst einmal einheitlich formulieren mußte. Zu diesem Zweck schlug Kardinal Schwarzenberg in dem erwähnten Brief eine Beratung der Bischöfe vor. Und in einem Nebensatz, aber von größter Wichtigkeit, deutete der Salzburger Kirchenfürst die Bereitschaft des Kaisers zum Abschluß eines Konkordats mit Rom an. Kardinal Schwarzenberg propagierte gemeinsam mit dem neu ernannten Bischof Rauscher die Idee einer Zusammenkunft der katholischen Bischöfe auch gegenüber der Regierung. Franz Graf Stadion, dem als Innenminister die Kultusangelegenheiten oblagen, schien dieser Idee nur mit Vorbehalt zustimmen zu wollen; sein Ministerpräsident war hingegen ohne weiters bereit, sie zu verwirklichen36. Schließlich berief Stadion mit Schreiben vom 31. März 1849 einen Großteil der katholischen Bischöfe des Habsburgerstaates für den dritten Sonntag nach Ostern nach Wien ein, um Detailfragen, die sich aus den gewährten politischen Rechten ergaben, zu beraten. Die Einladung betraf all jene römisch-katholischen und griechisch-katholischen Bischöfe, in deren Ländern diese Rechte Gültigkeit hatten; die Länder der ungarischen Krone und das lombardisch-venezianische Königreich waren also prinzipiell nicht inbegriffen, obwohl in der Folge einige Ausnahmen gemacht wurden37. Die Absicht Stadions, und in der Folge Alexander Bachs, der die Vertretung des erkrankten Innenministers übernommen hatte, war es, nur jene Fragen behandeln zu lassen, die durch die Paragraphen 1, 2 und 4 der gewährten politischen Rechte berührt wurden. Außerdem sollte ein Regierungskommissär zu der Versammlung entsandt werden mit der Aufgabe, auf die Einhaltung der von der Regierung vorgegebenen Ziele zu achten38. Doch die Bischöfe hatten von vornherein nicht die Absicht, sich an etwaige Regierungsvorlagen zu halten, sondern wollten die „Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche“ diskutieren und verteidigen. Auch einen staatlichen „Aufpasser“ in der Rolle eines Regierungs­kommissärs wollten sie bei ihren Beratungen nicht hinnehmen39. Tatsächlich legte die Regierung der Bischofsversammlung dann kein verbindliches Beratungsprogramm vor. Die Kirchenmänner hielten sich in der Folge vielmehr an die in sieben Punkten zusammengefaßten Diskussionsvorschläge des päpstlichen Nuntius Michele Viale-Prelà40. Auch dem Widerstand gegen die Entsendung|| S. 17 PDF || eines Kommissärs gab die Regierung nach, wobei Bach bemerkte, daß ihre Interessen viel wirksamer „durch einige der Regierung ergebene Bischöfe, namentlich . . . Bischof Rauscher, vertreten werden könnten“41.

Die Bischofskonferenz tagte vom 30. April bis 17. Juni 1849 42. Das Ergebnis ihrer Beratungen faßten die Bischöfe zunächst in den sogenannten Beschlüssen zusammen, die 14 Kapitel mit insgesamt 207 Paragraphen beinhalteten. Sie sollten als allgemeine Richtlinien dazu dienen, intern auf den unteren Ebenen in das kirchliche Leben integriert zu werden43. Dem Ministerium wurde das Beratungsergebnis in acht offiziellen Eingaben mitgeteilt. In der ersten Eingabe vom 30. Mai 1849 waren die einleitenden Erklärungen zusammengefaßt, grundsätzliche Überlegungen, nach denen sich das künftige Verhältnis der katholischen Kirche zum Staat entwickeln sollte. Die zweite Eingabe vom selben Tag behandelte die Ehe, wobei die Forderung erhoben wurde, ihre Gültigkeit neben der staatlichen Sanktionierung auch von der Anerkennung durch die katholische Kirche abhängig zu machen. Die dritte Eingabe, datiert mit 6. Juni 1849, betraf den Religions-, den Schul- und den Studienfonds, und die vierte, vom 13. Juni 1849, das Pfründen- und Gotteshausvermögen. In beiden Fällen gestanden die Bischöfe dem Staat weiterhin die Verwaltung der betreffenden Vermögen zu, verlangten aber gleichzeitig Anerkennung des Besitzrechtes und Mitsprache. Im Unterrichtswesen, das Thema der fünften Eingabe vom 15. Juni 1849, sollte die katholische Kirche bei der Ausbildung ihrer Geistlichen allein entscheiden können und einen bestimmenden Einfluß auf die katholischen Volksschulen ausüben dürfen. Die restlichen drei Eingaben, alle vom 16. Juni 1849, behandelten die kirchliche Verwaltung, die geistlichen Ämter und den Gottesdienst, dann das Klosterwesen und schließlich die geistliche Gerichtsbarkeit44.

Die Bischöfe hatten aus ihrer Mitte ein fünfköpfiges Komitee unter dem Vorsitz des Kardinals Schwarzenberg gewählt, dem es nun oblag, den Kontakt zur Regierung aufrechtzuhalten und die aufgestellten kirchlichen Forderungen zu vertreten45. Die Bischofsversammlung hatte naturgemäß das Interesse der Öffentlichkeit auf sich gezogen. Dennoch wurden die Beratungsergebnisse vorläufig nicht bekanntgegeben, was zum Teil zu heftigen Angriffen von liberaler Seite, aber auch zur Kritik aus dem eigenen Lager führte46.

Nachdem die Wünsche des katholischen Episkopats formuliert worden waren, lag es nun an der Regierung, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Bach, in dessen Kompetenzbereich die Kirchenfrage zunächst fiel, hatte zwar eine rasche Erledigung der bischöflichen Forderungen versprochen, doch die Angelegenheit zog sich in die Länge47. Die|| S. 18 PDF || Übernahme des um die Kultusangelegenheiten erweiterten Unterrichtsministeriums durch Leo Graf v. Thun und Hohenstein im Juli 1849 trug nicht zur Beschleunigung der Sache bei. Der neue Minister verließ sich in der Kirchenfrage zunächst auf das Urteil seines Unterstaatssekretärs Josef Alexander Freiherr v. Helfert, der das Ministerium de facto bis dahin geführt hatte. Helfert, obwohl überzeugter Katholik, Gegner des Josephinismus und den Anliegen der Bischöfe gegenüber durchaus positiv eingestellt, fand – ganz in der josephinischen Tradition –, daß in bestimmten Dingen die Oberaufsicht des Staates gegenüber der Kirche beibehalten werden sollte. Auch der zweite Referent, der mit der Prüfung der bischöflichen Eingaben betraut worden war und der der katholischen Kirche noch näher stand als Helfert, Ignaz Beidtel, fand die Forderungen der Bischöfe zu weitgehend48. Es scheint aber, daß auch von kirchlicher Seite diese Angelegenheit zunächst nicht mit sehr großem Nachdruck betrieben worden ist. Anfang Dezember 1849 allerdings, nachdem noch immer keine Reaktion des Ministeriums erfolgt war, zog das Bischofskomitee eine direkte Eingabe an den Herrscher in Erwägung. Dazu kam es dann aber nicht. Zunächst versicherte Thun in einer mehrstündigen Unterredung mit Rauscher, die kirchlichen Wünsche alsbald zu behandeln. Und Kardinal Schwarzenberg, mittlerweile zum Erzbischof von Prag ernannt, machte die Annahme dieser Berufung von der Erledigung der Wünsche der Bischofskonferenz abhängig49.

Unter diesen Umständen brachte Thun am 15. Jänner 1850 die Eingaben der Bischofskonferenz endlich im Ministerrat zur Sprache50. Der für den Kultus zuständige Minister vertrat die Meinung, daß den in den Eingaben der Bischöfe geäußerten Wünschen, da ohnehin durch die Verfassung garantiert und ganz im Sinne der Regierung, größtenteils entsprochen werden sollte; etwaige strittige Punkte sollten fallweise ausverhandelt werden. Doch auf Verlangen Schwarzenbergs und Bachs wurde dannThun beauftragt, die bischöflichen Desideria nach Kategorien zusammenzufassen und erneut im Ministerrat vorzutragen. Thun kam dieser Aufforderung nach. In der Folge wurde die Frage über die der katholischen Kirche zu machenden Zugeständnisse in mehreren ausgedehnten Sitzungen des Ministerrates bis Anfang März beraten, ohne daß ein greifbares Ergebnis erzielt wurde51. Auch eine Konferenz am 9. März 1850, an der außer Thun als Gastgeber noch seine Ministerkollegen Bach und Anton Ritter v. Schmerling sowie die Mitglieder des Bischofskomitees teilnahmen, brachte keinen Durchbruch. Im Gegenteil, Kardinal Schwarzenberg sah sich nach diesem Gespräch veranlaßt, in einer in scharfem Ton gehaltenen Note an den Kultus- und Unterrichtsminister vom 11. März 1850 zu erklären, unter diesen – unbefriedigenden – Umständen, sich außerstande zu sehen, seiner Ernennung zum Prager Erzbischof Folge zu leisten52. Das Bischofskomitee, unter Rauschers Federführung, drohte am 13. März 1850 in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten,|| S. 19 PDF || die Erfolglosigkeit der Verhandlungen mit der Regierung publik zu machen53. Und Thun, der eingesehen hatte, daß er allein die Bedenken der anderen Minister nicht ausräumen konnte, entwickelte starke Eigeninitiative: er ging zum Kaiser und bot für den Fall der Nichtannahme seiner – im kirchlichen Sinne entworfenen – Vorschläge seine Demission an54. Franz Joseph zog die Konsequenzen. Am 14. März 1850 fand unter seinem Vorsitz ein Ministerrat statt, in dem die Erledigung der bischöflichen Eingaben erneut verhandelt wurde. Wie zu erwarten, konnte auch diesmal keine Einigung unter den Ministern erzielt werden, sodaß der Monarch ein Machtwort sprechen mußte. Auf „seine Anregung“ wurde beschlossen, „daß der Kultusminister einen Entwurf derjenigen Zugeständnisse verfasse, welche geeignet wären, den billigen Erwartungen des Episkopats über den Verkehr mit Rom und ihren Gemeinden, über die geistliche Gerichtsbarkeit und über das Studienwesen zu entsprechen“55. Bereits eine Woche später legte Thun diesen Entwurf seinen Kollegen vor. In zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen wurde er beraten und mit ein paar unwesentlichen Änderungen angenommen56. Nur in der eher zweitrangigen Frage nach der Publikationsform leistete der Ministerrat noch hinhaltenden Widerstand; anstatt als kaiserliches Patent, wie von Thun gewünscht, wurde beschlossen, die Form der kaiserlichen Verordnung zu wählen57. Der Kultusminister erstattete daraufhin zwei Vorträge an Franz Joseph: den ersten, datiert mit 7. April 1850, über die Regelung der kirchlichen Angelegenheiten, und den zweiten, vom 13. April 1850, über die Beziehung der katholischen Kirche zum öffentlichen Unterricht. Die beigefügten Verordnungen wurden mit der Unterschrift des Kaisers vom 18. bzw. 23. April 1850 sanktioniert58. Damit war im wesentlichen der katholischen Kirche – den Bischöfen, dem Klerus und den Laien – die freie Kommunikation mit dem Papst gestattet, die geistliche Gerichtsbarkeit über Geistliche erweitert und die Lehrbefugnis in Religionssachen an die bischöfliche Bewilligung geknüpft worden. Diese Bestimmungen galten für jene Länder der Monarchie, in denen auch das Patent über die politischen Rechte vom 4. März 1849 in Kraft war.

Als direkte Folge des durch diese beiden Verordnungen eingeschlagenen, nun offiziellen Kurses in der Kirchenpolitik wurden weitere – diesmal nur ministerielle – Verordnungen erlassen. Zunächst die vom 22. Juni 1850 über die Regelung der Sonn- und katholischen Festtage an Orten mit überwiegend katholischer Bevölkerung59, die vom 28. Juni 1850 über die Stellung der katholischen Religionslehrer an mittleren Schulen60, die vom 30. Juni 1850 über katholische theologische Diözesan- und Klosterlehranstalten und Fakultäten61 und schließlich jene vom 15. Juli 1850 über Straf- und|| S. 20 PDF || Disziplinaramtshandlungen gegen katholische Geistliche und über den Wirkungskreis der Regierungsbehörden hinsichtlich des katholischen Gottesdienstes und der Pfarrkonkursprüfungen62.

Mit diesen sogenannten Aprilverordnungen war ein Teil der in den bischöflichen Eingaben von 1849 aufgestellten Forderungen weitgehend erfüllt worden – zur Zufriedenheit sowohl des österreichischen römisch-katholischen Klerus‘ als auch des Vatikans63. Alle weiteren noch offenen Fragen, wie beispielsweise jene der Ehe, sollten in direkten Verhandlungen mit dem Vatikan – durch Ausarbeitung und Abschluß eines Konkordats – geklärt werden.

b) Evangelische Kirchen

Für die Protestanten des Habsburgerstaates bedeutete der Anbruch der neuen konstitutionellen Ära mit dem Versprechen der bürgerlichen Freiheiten die Hoffnung auf die langerstrebte Gleichstellung mit der katholischen Kirche. Die Voraussetzungen für diese Emanzipation waren freilich recht kompliziert. Nicht nur waren die Protestanten in zwei großen Kirchen, der reformierten und der lutherischen, organisiert – dazu kamen noch die hauptsächlich in Siebenbürgen beheimateten Unitarier –, sondern es war auch das Ausmaß der Freiheit, das diese „tolerierten“ Glaubensgemeinschaften genossen, je nach Landeszugehörigkeit, durch die jeweilige historische Entwicklung bedingt, unterschiedlich geregelt64. In der Folge soll hauptsächlich auf die Entwicklung der protestantischen Frage im später sogenannten cisleithanischen Teil der Monarchie eingegangen werden, da mit der Anerkennung der weitgehenden Selbständigkeit Ungarns im Revolutionsjahr 1848 sich zunächst auch die Kultusfragen der Länder der Stephanskrone der Kompetenz des österreichischen Ministerrates entzogen65.

Bereits kurz nach dem Versprechen einer Verfassung, die den geforderten bürgerlichen Rechten Rechnung tragen sollte, begannen die Protestanten ihre Emanzipationswünsche zu äußern. Die Vorreiterrolle übernahm der reformierte Superintendent von Mähren, Samuel Nagy, mit seinem Majestätsgesuch samt einem umfangreichen Memorandum vom 4. April 1848, das die Gleichstellung aller Konfessionen zum Ziel hatte66. Unmittelbar darauf folgten die beiden Wiener evangelischen Gemeinden. In ihrem|| S. 21 PDF || Majestätsgesuch vom 8. April 1848 67 formulierten sie unter Hinweis darauf, daß die im Westfälischen Frieden festgelegte Gleichstellung aller christlichen Religionen in der Habsburgermonarchie noch immer nicht verwirklicht worden war, die Hauptpunkte für die Verhinderung dieser Gleichstellung. Das war zunächst die Tatsache, daß ihre Konfession nur eine geduldete, ihre Religionsausübung nur als eine private erlaubt war, weiters der Ausschluß von öffentlichen Ämtern auf Grund ihres Glaubens, die Bezahlung der Gebühren für katholische Geistliche und – was im besonderen Maße betont wurde – die Ehegesetze, die eine weitgehende Bevormundung durch die katholische Kirche mit sich brachten. Ein weiteres Majestätsgesuch um Besserstellung der Evangelischen, vom 11. April 1848 und durch die schlesischen Gemeinden eingereicht, schloß sich an68. Einige Tage später datiert ein Forderungsprogramm des reformierten Pastors Friedrich Wilhelm Kossuth, das er als Vertreter der tschechischen Protestanten dem Nationalkomitee unterbreitete; dieses Programm konnte nicht anders als radikal genannt werden69. Die darin erhobene Forderung nach Vereinigung der beiden protestantischen Konfession in Böhmen zu einer „föderierten evangelischen Kirche“, wobei ausdrücklich auf das geschichtliche Erbe – die Brüderunität und die „böhmische Konfession“ – Bezug genommen wurde, zeigte zudem den nationalpolitischen Aspekt der Religionsfrage auf70. Eine weitere Eingabe, eigentlich eine dann veröffentliche Zuschrift an das Wiener Konsistorium vom 22. April 1848, mit Wünschen nach Rechtsgleichheit und einer für beide evangelischen Konfessionen geltenden Synodalverfassung stammte von den Triestiner Evangelischen71. Die böhmische reformierte Superintendentur bat in ihrem Majestätsgesuch vom 1. Mai 1848 um die Beseitigung aller Beschränkungen, die ihre Kirche bisher hinnehmen mußte72; dem schlossen sich einige Wochen später auch die evangelischen Gemeinden Mährens an73.

Parallel zu den Aktivitäten der offiziellen protestantischen Kirchenstellen versuchten die Akatholiken, wie die Evangelischen in der Amtssprache genannt wurden, auch auf dem politischen Feld Einfluß zur Durchsetzung ihrer Ziele zu erlangen74. Bei all diesen Bemühungen wurde allerdings, analog zur Anfangssituation der katholischen Kirche, der Mangel an Koordination, an verbindlichen, klar formulierten Forderungen erkennbar. Ende Juni 1848 tauchte dann erstmals der Gedanke auf, eine Versammlung zur Beratung der dringlichsten Fragen abzuhalten. Die Initiative ging von Mähren, von Nagy, aus und|| S. 22 PDF || wurde in Triest, vom dortigen Pfarrer Gustav Wilhelm Steinacker, bereitwillig aufgenommen75. Innerhalb relativ kurzer Zeit gelang es den beiden, eine Konferenz für den 3. August 1848 nach Wien einzuberufen, wobei die zu diskutierenden Themen bereits im Vorfeld zu Differenzen führten und die Auswahl der Teilnehmer für einige Verwirrung sorgte und wohl nicht vollständig repräsentativ genannt werden kann76. Schließlich nahmen an der Versammlung, die bis zum 11. August 1848 in den Räumen der evangelisch-theologischen Lehranstalt stattfand, insgesamt 18 Personen teil77. Diskutiert wurden die „äußern Rechtsverhältnisse“ der evangelischen Kirche, das heißt der Wunsch nach Aufhebung der diskriminierenden Bestimmungen des Josephinismus, und die Frage der inneren Verhältnisse, vor allem eine Synodalverfassung und die Union beider Konfessionen. Während über die Kirchenverfassung zumindest eine prinzipielle Einigung erzielt werden konnte, blieben die Unionsbestrebungen ohne Erfolg. Das Ergebnis der Beratungen manifestierte sich in zwei Eingaben an das Ministerium und in einem „Entwurf der provisorischen Ministerial-Bestimmungen bezüglich der evangelischen Kirchen-Angelegenheiten bis zur definitiven Regelung derselben von Seiten des gesetzgebenden Körpers“, die am 10. August 1848 dem damaligen Innenminister Anton Freiherr v. Doblhoff-Dier durch eine Abordnung der Versammlung überbracht wurde, und in einer weiteren Eingabe an den Reichstag, deren Übermittlung der Pastor und gewählte Reichstags­abgeordnete Karl Samuel Schneider übernahm78. Für die unmittelbare Zukunft sollten nur die in sieben Paragraphen verfaßten provisorischen Bestimmungen wichtig werden79.

Das Ministerium Wessenberg war offensichtlich bereit, den Protestanten zumindest teilweise entgegenzukommen. So beantwortete Bach, damals Justizminister, eine an ihn ergangene Anfrage des Innenministeriums vom 30. August 1848 über die Legalität dieser Wünsche durchaus positiv80. In der Folge erstattete Doblhoff einen mit 30. September 1848 datierten Vortrag an den Kaiser, in dem er die „Aufhebung der kirchlichen Beschränkungen der Akatholiken“ empfahl81. Doch der Zeitpunkt erwies sich als äußerst ungünstig. In Folge der Wiener Oktoberrevolution floh der Kaiser mit seinem Hof nach Olmütz, und der Vortrag blieb unerledigt liegen.

Mit der Bildung der neuen Regierung Schwarzenberg im November 1848, der mit Karl Ludwig Ritter v. Bruck auch ein Protestant angehörte, übernahm Franz Graf Stadion als Innenminister die Angelegenheiten des Kultus. Von evangelischer Seite wurde er wiederholt offiziell und durch persönliche Kontakte auf die unerledigt gebliebene Frage des sogenannten Provisoriums aufmerksam gemacht. Stadion brachte die Frage im Ministerrat|| S. 23 PDF || vom 24. Dezember 1848 seinen Kollegen zur Kenntnis und kündigte, mit einigen Vorbehalten, die positive Erledigung an82. Am 12. Jänner 1849 präzisierte er seinen diesbezüglichen Vorschlag. Jene Wünsche der Protestanten, die mit „den Rechten und Satzungen der katholischen Kirche“ in Zusammenhang stünden, sollten im Moment ausgespart, alle anderen erfüllt werden. Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden, und auch der in diesem Sinne abgefaßte Vortrag erhielt die kaiserliche Zustimmung83. Mit Erlaß des Innenministers vom 30. Jänner 1849 wurden dann „einige provisorische Verfügungen in bezug auf die Verhältnisse der Akatholiken“ erlassen84. Der Ausdruck „akatholisch“ wurde durch „evangelisch“ ersetzt; der Übertritt von einem christlichen Bekenntnis zu einem anderen wurde freigestellt; die evangelische Matrikelführung wurde jener der Katholiken gleichgestellt; die Abgaben der Evangelischen an die katholische Geistlichkeit und die katholischen Lehrer wurden aufgehoben und die Eheschließung zwischen Katholiken und Nichtkatholiken wurde neu geregelt. Unberücksichtigt blieben unter anderem die zwei strittigsten und deshalb wohl wichtigsten protestantischen Anliegen: die Regelung der religiösen Kindererziehung bei konfessionellen Mischehen und die Mischehen überhaupt85. Entsprechend zwiespältig war die Aufnahme dieser neuen Bestimmungen bei den Evangelischen. Solange aber die Hoffnung bestand, daß der nun in Kremsier angesiedelte Reichstag in der von ihm zu erarbeitenden Verfassung die Wünsche der Protestanten mehr berücksichtigen werde, konnte der ministerielle Erlaß als ein erster Schritt zur vollständigen Emanzipation angesehen werden. Tatsächlich war der schon zitierte Entwurf der Grundrechte des österreichischen Volkes, der im Oktober 1848 der Öffentlichkeit vorgestellt worden war, durchaus im Sinne der Evangelischen, erfüllte weitgehend ihre Forderungen nach der Emanzipation von der katholischen Kirche und dem Ende des Josephinismus86. Im Abgeordneten Pastor Schneider fand sich überdies ein Vertreter, der den Anliegen der Protestanten einen „beredten Ausdruck verlieh“87.

Die Auflösung des Kremsierer Reichstages und die Oktroyierung einer Verfassung machten diesen Bemühungen ein Ende. Die Bestimmungen über die Kirchenangelegenheiten des gleichzeitig erlassenen Patentes über die politischen Rechte bedeuteten freilich für die Evangelischen, verglichen mit dem Erlaß vom 30. Jänner 1849, einen nicht unbeträchtlichen Fortschritt88. Die in diesem Patent enthaltenen Bestimmungen waren allerdings nur der Rahmen für die Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat;|| S. 24 PDF || dieses sollte – analog zur katholischen Kirche – von einer Versammlung kompetenter und repräsentativer Vertreter der Protestanten beraten und formuliert werden. Es war nur eine Frage der Zeit, wann diese Versammlung abgehalten werden würde.

Die sogenannte Vorsynode wurde schließlich von Bach mit Schreiben vom 27. Juni 1849 an die beiden Konsistorien A.C. und H.C. in Wien einberufen89. Die Absicht des Innenministers war eindeutig – die Klärung des Verhältnisses von Staat und evangelischen Kirchen unter den neuen Bedingungen. Mit dieser Frage war allerdings auch unmittelbar die Neuordnung der inneren kirchlichen Verhältnisse verbunden, also die Revision der evangelischen Kirchenverfassungen. Die diesbezüglichen gemeinsamen Beratungen der lutherischen und reformierten Superintendenten und ihrer Vertreter fanden in Wien vom 29. Juli bis 14. August 1849 statt. Die Beratungsergebnisse wurden in einem „Gutachten über die Regelung des Verhältnisses der evangelischen Kirche zum Staat“ zusammengefaßt, datiert mit 18. August 1849, und am nächsten Tag dem neuernannten Minister des Kultus und Unterrichtes Thun überreicht90. Darin wurde, um nur die wichtigsten Anliegen zu nennen, die Forderung nach Gleichberechtigung der Evangelischen mit der katholischen Kirche, der Lösung der Frage der gemischten Ehen und der religiösen Erziehung der daraus hervorgegangenen Kinder und der staatlichen Unterstützung des evangelischen Kultus- und Bildungswesens erhoben. Dem schloß sich ein in 31 Paragraphen gegliederter Gesetzentwurf, der das im Gutachten prinzipiell Formulierte legalisieren sollte91. Dazu kam noch ein Wahlgesetzentwurf für eine Synode, die, so zumindest die Absicht der Versammlung, eine Kirchenverfassung auf presbyterial-synodaler Grundlage ausarbeiten sollte92.

Obwohl Thun die Beratungsergebnisse der Vorsynode wohlwollend aufnahm, machte er zugleich klar, daß ihre Erledigung nicht so schnell zu erwarten wäre93. Das hatte zumindest zwei gute Gründe. Zunächst war die Stellungnahme der Konsistorien abzuwarten, die bei den Beratungen nicht vertreten waren. Zum zweiten berührten die Forderungen der Protestanten unmittelbar die Stellung der katholischen Kirche. Und in dieser Angelegenheit hatte Thun – auch schon zu diesem Zeitpunkt – klare Präferenzen94. Der Kultus- und Unterrichtsminister übergab am 31. August 1849 die Eingaben der Versammlung den Konsistorien A.C. und H.C. zur Begutachtung. Der – römisch-katholische – Präses der beiden Konsistorien reagierte rasch. Bereits am 6. September 1849 übersandte er seine Stellungnahme an das Ministerium; sie ließ kaum ein gutes Haar an den Vorschlägen der Superintendenten95. Zwei Monate später kam das Gutachten|| S. 25 PDF || der Konsistorien. Ausführlicher und nicht so schroff ablehnend, verwarf es nichtsdestoweniger den Grundgedanken der vorsynodalen Eingaben, nämlich einer Kirchenverfassung auf presbyterial-synodaler Basis; die Stellungnahme propagierte die Beibehaltung des Konsistorial­systems bis zur Neuordnung der protestantischen Kirchenverhältnisse in Ungarn96.

Die Erwähnung Ungarns ist insofern interessant, als die bisher gemachten Vorschläge zur Neugestaltung der evangelischen Verhältnisse diesen Teil des Habsburgerstaates nicht berücksichtigt hatten. Ein Grund dafür war zweifellos die militärische Auseinandersetzung, die eine Teilnahme der ungarischen Vertreter an den Beratungen weitgehend verhindert hatte. Der Hinweis auf Ungarn ist weiters deswegen interessant, weil nun, nach der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes, offenbar eine Gesamtlösung der Protestantenfrage in der Donaumonarchie angestrebt wurde. Tatsächlich hatte es schon solche Bestrebungen gegeben. Das Konzept einer administrativ und kirchenrechtlich vereinigten evangelischen Kirche im gesamten Bereich des Kaisertums Österreich wurde vor allem von Ján Kollár und Karl Kuzmány vertreten97. Ihre Vorstellungen gingen in Richtung einer konsistorial und episkopal geprägten Kirchenordnung und hatten wohl einen inspirierenden Einfluß auf die Verordnung vom 10. Februar 1850, mit der Julius Freiherr von Haynau, selbst ein Protestant, die Verhältnisse der Evangelischen in Ungarn neu regelte98. Auch Thun neigte offenbar immer mehr den Ideen der beiden slowakischen Geistlichen zu. In seinem Auftrag wurde schließlich, größtenteils unter Kuzmánys Federführung, ein kirchlicher Organisationsplan der evangelischen Kirche für den Gesamtstaat ausgearbeitet, gedruckt und teilweise zur Diskussion gestellt99. Die Sache war schon recht weit gediehen, sodaß der Kultusminister im Juni 1850 diese neue evangelische Kirchenverfassung seinen Ministerkollegen zur Kenntnis brachte und vorschlug, sie „mittels eines nicht offiziellen Zeitungsblattes in angemessener Weise veröffentlichen zu lasen, um so der öffentlichen Meinung Gelegenheit zu geben, sich darüber auszusprechen“100. Dazu kam es aber nicht. Der Kuzmánysche Kirchenverfassungsentwurf war bereits Anfang 1850 zur Kenntnis der ungarischen evangelischen Geistlichkeit gelangt101. Die Ablehnung dieses Entwurfes und das Unbehagen über die Haynausche || S. 26 PDF || Februarverordnung veranlaßte einen Teil dieser Geistlichkeit, sich Anfang Juni 1850 an die Witwe des Palatins Erzherzog Joseph, Erzherzogin Maria Dorothea, Protestantin und tatkräftige Förderin des Protestantismus in Ungarn, um Unterstützung gegen diese Verordnung zu wenden102. Maria Dorothea intervenierte sowohl beim Kaiser als auch bei Thun. In der Folge wurde der zur Oktroyierung vorgesehene Kirchenverfassungsentwurf zurückgezogen103. Obwohl weitere Verhandlungen zwischen Regierung und evangelischer Kirche gepflogen wurden, sollten „nur zehn Jahre“, wie Loesche sarkastisch bemerkte104, bis zur Lösung der anstehenden Fragen vergehen.

c) Die griechisch-orthodoxe Kirche

Den bei weitem größten Anteil der griechisch-orthodoxen Kirche in der Habsburgermonarchie stellten zwei Ethnien: die Rumänen und, mit einigem Abstand, die Serben. Für das Verhältnis der Orthodoxie zum Staat ist dies insofern von Bedeutung, als die Kirche hier, im Gegensatz zu den römischen Katholiken und den Evangelischen, eine wichtige Rolle bei der Ausbildung des national-politischen Bewußtsein spielen, sozusagen den Kristallisationspunkt auch für die Durchsetzung nicht kirchlicher Anliegen bilden sollte. Obwohl zahlenmäßig kleiner, kam dem serbischen Teil sowohl auf der politischen als auch auf der kirchlichen Ebene ein größeres Gewicht zu. Beim Übertritt aus dem Osmanischen Reich auf habsburgisches Gebiet Ende des 17. Jahrhunderts war den Serben eine Reihe von Privilegien zugesichert worden, unter anderem auch die Freiheit der Religion. Zwar sind Teile dieser Privilegien in der Folge beschnitten worden, dennoch konnten die Serben – und mit ihnen unmittelbar verbunden die serbisch-orthodoxe Kirche – bei ihren Forderungen auf althergebrachte Sonderrechte verweisen. Obwohl den Metropoliten von Karlowitz, die immer von einem Serben gestellt wurden, nicht alle griechisch-orthodoxen Bistümer unterstanden, entwickelten sie sich faktisch zu Sprechern der Griechisch-Orthodoxen der Donaumonarchie105.

Die Serben hatten auch schnell auf die Märzereignisse des Jahres 1848 reagiert. Nachdem noch im selben Monat einige Versammlungen abgehalten und nationalpolitische Forderungen formuliert worden waren, versuchte eine Delegation Anfang April in Preßburg, wo der ungarische Landtag stattfand, – allerdings vergeblich – diese Forderungen durchzusetzen. Dieser Mißerfolg führte zu weiteren politischen Manifestation und|| S. 27 PDF || schließlich zur Einberufung einer serbischen Nationalversammlung nach Karlowitz für den 13. Mai 1848. Diese Versammlung, die bis zum 15. Mai 1848 tagte und sich zum serbischen Nationalkongreß konstituierte, war vom Karlowitzer Erzbischof und Metropolit Joseph Rajačić einberufen worden, der auch den Vorsitz führte. Die Beschlüsse der zweitägigen Beratungen wurden in zehn Punkten zusammengefaßt und sollten durch eine Deputation dem Kaiser überbracht werden106. Neben der wichtigsten politischen Forderung – der Schaffung einer serbischen Woiwodschaft – beinhalteten die zehn Punkte eine Reihe nationalreligiöser Forderungen: die Bestätigung der Wahl Rajačićs zum Patriarchen, Gleichberechtigung der Orthodoxie mit den anderen Kirchen, eigene Kirchensprache und Schulverwaltung und Neubesetzung der erledigten Bistümer innerhalb der kanonischen Zeit. Der Ansprechpartner war allerdings nicht der Kaiser oder die österreichische Regierung, sondern die ungarische Regierung. Die weitere Entwicklung, die schließlich zum bewaffneten Konflikt zwischen Serben und Ungarn führte, verhinderte freilich jeden fruchtbaren Dialog über eine Neuregelung der kirchlichen Verhältnisse innerhalb der Länder der Stephanskrone107. Die Parteinahme der Serben gegen die Ungarn veranlaßte sie dann auch, die Erfüllung ihrer Anliegen in Wien beziehungsweise in Innsbruck, dem vorübergehenden Sitz des Monarchen, zu suchen. Doch während des Sommers 1848 und bis in den Herbst wurden ihre Bitten von österreichischer Seite an die ungarische zur Erledigung verwiesen. Erst die politische Wende, zunächst gekennzeichnet durch den Herbstfeldzug Banus Joseph Freiherr v. Jellačić de Bužims gegen die Ungarn, dann die Niederschlagung der Wiener Oktoberrevolution und die Berufung der Regierung Schwarzenberg ließ die Serben wieder hoffen. Ihre Anfang Dezember 1848 eingebrachte Majestätsadresse um Gewährung der wichtigsten nationalpolitischen Forderungen fand schließlich bei der neu berufenen Regierung und dem neuen Monarchen Gehör: mit kaiserlichem Patent vom 15. Dezember 1848 wurden das Patriarchat und die Woiwodschaft der serbischen Nation errichtet108.

Die oktroyierte Märzverfassung garantierte den Serben innerhalb der Woiwodschaft solche Einrichtungen, „welche sich zur Wahrung ihrer Kirchengemeinschaft . . . auf ältere Freiheitsbriefe und kaiserliche Erklärungen neuester Zeit stützen“109. Dies und die Teilzugeständnisse vom 15. Dezember 1848 hatten freilich die Frage einer Neuregelung der griechisch-orthodoxen Kirchenverhältnisse nicht gelöst. Um in dieser Angelegenheit weiterzukommen, hatte die Wiener Regierung Rajačić, nachdem er vom Posten eines kaiserlichen Kommissärs für die von den Serben bewohnten Komitate enthoben worden war, nach Wien bestellt, um die Kirchenfrage zu beraten110. Der Patriarch stimmte dann mit Bach überein, analog zu den Katholiken und den Evangelischen eine Versammlung|| S. 28 PDF || der griechisch-orthodoxen Bischöfe zur Beratung der anstehenden Fragen einzuberufen; so konnte der Innenminister, nach vorheriger Absprache mit Thun, Anfang Oktober 1849 seinen Ministerkollegen vorschlagen, alle neun griechisch-nichtunierten Bischöfe zu diesem Zweck nach Wien zu bestellen. Der Ministerrat und der Kaiser stimmten diesem Vorhaben prinzipiell zu111. Es sollte allerdings ein ganzes Jahr bis zur Verwirklichung dieses Planes vergehen.

Anders als die Serben konnten sich die Rumänen auf keine historischen Zugeständnisse in religiöser Beziehung berufen. In Siebenbürgen hatten sie durch die Union eines Teils des höheren Klerus mit der römisch-katholischen Kirche Anfang des 18. Jahrhunderts ihre einzige Metropolie verloren. Die griechisch-orthodoxe Kirche, obwohl ihre Anhänger, die Rumänen, die Mehrzahl der Bevölkerung bildeten, war in diesem Kronland zudem, im Gegensatz zu den anerkannten Religionsgemeinschaften der Reformierten, Lutheraner und Katholiken, nur eine geduldete. Auch in der neu errichteten „serbischen Woiwodschaft“ stellten die Rumänen den Großteil der Griechisch-Orthodoxen, und auch hier hatten sie weder auf die politischen noch auf die kirchlichen Angelegenheiten einen nennenswerten Einfluß112. Die Bestrebungen des rumänischen Teils der Orthodoxie hatten demnach zwei Ziele – die Anerkennung als gleichberechtigte Religions­gemeinschaft und die Emanzipation von der serbischen Vorherrschaft113.

Schon während der ersten, stürmischen Phase des Revolutionsjahres 1848, in der die Vertreter der Rumänen ihr politisches Programm ausformulierten, war der nationalkirchliche Aspekt ein integrierender Bestandteil der darin aufgestellten Forderungen. So tauchte in den Beschlüssen der rumänischen Nationalversammlung, die vom 15. bis 17. Mai 1848 in Blasendorf abgehalten worden war, an prominenter Stelle der Wunsch nach Wiederherstellung einer rumänischen Metropolie auf114. Doch ihre Wünsche wurden weder vom Monarchen, der die Erledigung dem ungarischen Ministerium überließ115, noch von der ungarischen Seite positiv aufgenommen. Auch nach dem Ausbruch des bewaffneten Konfliktes mit den Ungarn, in dem sich der weitaus größte Teil der Rumänen gegen die ungarische Regierung gestellt hatte, unternahmen rumänische Delegierte mit Andreas Schaguna, dem griechisch-orthodoxen Bischof von Siebenbürgen, wiederholt Versuche, die neue Regierung und den neuen König (Kaiser) für ihre Anliegen zu gewinnen. Ihre nationalen und kirchlichen Anliegen wurden allerdings von der österreichischen Seite nicht berücksichtigt116. Nach dieser Reihe politischer Mißerfolge gelang es dann aber Schaguna im März 1850 die Erlaubnis zur Abhaltung einer|| S. 29 PDF || siebenbürgischen Diözesansynode zu erwirken117. Diese Erlaubnis war freilich weniger Ausdruck einer wohlwollenden Politik gegenüber der rumänischen Orthodoxie als eine taktische Maßnahme; die Stärkung des rumänischen Elementes sollte als Gegengewicht zu den Deutschen und Ungarn in Siebenbürgen dienen. Die Bewilligung zur Abhaltung dieser Synode war auch an die strikte Auflage gebunden, keine politischen Themen zu behandeln, und sie war unter die Aufsicht eines Regierungskommissärs gestellt worden. Trotz dieser Restriktionen verabschiedete die Synode eine Petition an den Kaiser, in dem die Errichtung einer rumänischen griechisch-orthodoxen Metropolie vehement gefordert wurde118. Diese Forderung, ein zentrales Anliegen der Rumänen bei ihren Bestrebungen nach Emanzipation von der serbischen Hegemonie, hatte zunächst durchaus Chancen auf Verwirklichung. Denn Bach hatte bei der schon erwähnten Besprechung der Einberufung griechisch-orthodoxer Bischöfe nach Wien Anfang Oktober 1849 die Errichtung einer Metropolie der nicht unierten Rumänen, „jedoch in der Unterordnung unter den Patriarchen“, als eines der Ziele dieser Versammlung genannt119.

Die Versammlung wurde schließlich, trotz des hinhaltenden Widerstandes des Patriarchen Rajačić, am 15. Oktober 1850 in der Haupt- und Residenzstadt eröffnet120. Die Absicht der Regierung war es, von den einberufenen Bischöfen konkrete Verbesserungsvorschläge zur Organisation, zur finanziellen Absicherung und zum Ausbildungs- und Unterrichtswesen innerhalb der griechisch-orthodoxen Kirche zu erhalten121. Schaguna unterließ es freilich nicht, die Frage einer unabhängigen Metropolie für alle orthodoxen Rumänen zur Sprache zu bringen. Sein ehemaliger Mentor und nunmehriger Gegner Rajačić wußte diese Angelegenheit zu verzögern; auch sonst zogen sich die Beratungen in die Länge, ohne konkrete Ergebnisse zu zeitigen. Am 2. Juli 1851 verließ der Patriarch ohne Vorankündigung Wien, und die Bischofsversammlung löste sich sang und klanglos auf122.

d) Die Juden

Die rechtlichen Verhältnisse der habsburgischen Untertanen mosaischen Bekenntnisses waren bis zur Revolution des Jahres 1848 durch viele einzelne, je nach Kronland unterschiedliche Verordnungen und Gesetze geregelt. Seit dem 18. Jahrhundert, also seit Maria Theresia und Joseph II., geschah diese Regelung durch verschiedene Judenordnungen und Judenpatente. Dabei ergab sich der teilweise kuriose Zustand, daß die|| S. 30 PDF || Juden hinsichtlich ihrer politischen und gesellschaftlichen Stellung gegenüber den Katholiken vielfach mehr diskriminiert wurden als Protestanten und Griechisch-Orthodoxe, hinsichtlich der Freiheit bei der eigentlichen Religionsausübung aber mehr Freiheiten genossen als die Letztgenannten123.

Die radikalen Veränderungen des Jahres 1848 blieben selbstverständlich nicht ohne Auswirkung auf die rechtliche Stellung der Juden, beziehungsweise auf das Verhältnis ihrer Religion zum Staat. Bereits mit kaiserlichem Patent vom 12. April 1848 wurde den Juden Böhmens die völlige Freiheit bei der Ausübung ihres Glaubens bewilligt. Die kurz darauf erlassene Pillerstorfsche Verfassung garantierte den Juden durch die Bestimmungen der Paragraphen 17, 24, 25, 27 und 31 die Glaubens- und Gewissensfreiheit, den freien Zutritt zu allen Erwerbszweigen und Ämtern und zum Grundbesitz, die Gleichheit vor dem Gesetz und der Steuerpflicht, das Ende jeder religiösen Diskriminierung und die freie Ausübung des Gottesdienstes124. Da diese Verfassung de facto nie in Kraft trat, können diese auch die Juden betreffenden Bestimmungen allerdings nur als eine Art Absichtserklärung betrachtete werden.

Konkrete Erleichterungen brachte u.a. das kaiserliche Patent vom 20. Oktober 1848 über die Aufhebung der Judensteuer125. Dieses Patent hatte eine längere Vorgeschichte. Sofort nach der Publizierung der Pillerstorfschen Verfassung verlangten die galizischen Juden die Einstellung der Einhebung der nur sie berührenden Steuern. Der Ministerrat, durch mehrere diesbezügliche Anfragen des galizischen Statthalters auf dieses Problem aufmerksam gemacht, entschied nach anfänglich ablehnender Haltung schließlich, daß die im zweiten Halbjahr weiter einzuhebende Judensteuer für den jüdischen Schulfonds in Galizien gewidmet werden sollte, im übrigen hätte diese Frage der konstituierende Reichstag zu entscheiden126. Der Reichstag beschloß nach ausführlicher Debatte Anfang Oktober 1848, die Judensteuer aufzuheben127. Weitere Schritte auf dem Weg der Judenemanzipation waren der Erlaß des Innenministeriums vom 4. Dezember 1848 über die Aufhebung der Schleiertaxe in Niederösterreich, der Erlaß des provisorischen Ministers des Unterrichts vom 19. Dezember 1848, womit die Verordnung, daß Judenkinder zum Besuch eines Gymnasiums einer schriftlichen Erlaubnis der Landesstelle bedurften, aufgehoben wurde und der Erlaß des Kriegsministeriums vom 23. März 1849, der die Bestimmung, daß jüdische Soldaten für eine erteilte Heiratsbewilligung eine Taxe entrichten mußten, für verfallen erklärte128.

|| S. 31 PDF || In der prinzipiellen Frage der Gleichstellung der Juden setzte die Regierung Schwarzenberg zunächst die Linie ihrer Vorgängerin fort. Als Mitte Dezember 1848 im Ministerrat das Ansuchen eines Juden um die Zulassung zum Gerichtsdienst zur Sprache kam, schlossen sich die Minister der Meinung Bachs, damals noch Justizminister, an, das Gesuch abzulehnen und somit der Emanzipation der Juden nicht vorzugreifen129. Die Entscheidung darüber sollte, so die Absicht der Regierung zum damaligen Zeitpunkt, vom Kremsierer Reichstag gefällt werden. Die Vorstände der wichtigsten Judengemeinden intervenierten auch bei den Reichstagsabgeordneten, um eine in ihrem Sinne günstige Lösung zu erreichen130. Dazu hatten sie auch allen Grund, denn die liberale Stimmung des Parlaments, wie sie durch die Aufhebung der Judensteuer signalisiert worden war, begann sich in Kremsier in eine konservative, den Juden weniger günstige Richtung zu entwickeln. Das zeigte sich bei verschiedenen Debatten, in deren Verlauf antisemitische Stimmen laut wurden. Bevor freilich die Frage der jüdischen Emanzipation vom Reichstag tatsächlich diskutiert werden konnte, wurde der Reichstag aufgelöst und die Verfassung vom 4. März 1849 oktroyiert131.

Die im Patent vom selben Tag über die politischen Rechte ausgesprochene prinzipielle Glaubensfreiheit mit allen daraus resultierenden Folgen kam selbstverständlich auch den Juden zugute. Bei den Besprechungen der beiden diesbezüglichen Entwürfe im Ministerrat war auch die Frage der jüdischen Gleichstellung einige Male explizit zur Sprache gekommen. Es gab einige Bedenken seitens der konservativen Mitglieder der Regierung, des Ministers für Landeskultur und Bergwesen Ferdinand Thinn Ritter v. Thinnfeld und des Ministers ohne Portefeuille Franz Baron Kulmer, auch Karl Friedrich Freiherr Kübeck v. Kübaus, der zu den Beratungen beigezogen worden war, doch die Mehrheit des Kabinetts sah die Notwendigkeit der prinzipiellen Anerkennung der Emanzipation ein. Die Details, die faktische Umsetzung des Prinzips sollte allerdings einem noch zu erlassenden „Judengesetz“ vorbehalten werden132. Der mit dieser Aufgabe betraute Justizminister Schmerling empfahl in seinem Gutachten, das er erst im November 1849 präsentierte, ein verbindliches Reichbürgerschaftsgesetz, das die Rechte und Pflichten aller Staatsbürger, also auch der Juden, regeln sollte. Er sprach sich auch für die Beseitigung weiterer, die Juden diskriminierender Gesetze und Bestimmung aus133. Doch Bach, dem als Innenminister die weitere Durchführung oblag, ergriff keine Initiative in dieser Richtung.

Dieses Zögern der Regierung Schwarzenberg war kennzeichnend für ihre ambivalente Haltung bei der definitiven Lösung der jüdischen Emanzipationsfrage. Einerseits gab es eine Fülle von Schritten, die das Los der Juden gegenüber den im Vormärz herrschenden Zuständen verbesserten. So wurde das schon erwähnte Ansuchen eines Juden um Zulassung|| S. 32 PDF || zum Justizdienst schließlich doch positiv entschieden, wobei es zweier Gesetzesänderungen bedurfte, daß nämlich Juden an den Universitäten zur Prüfung über das Kirchenrecht und zu Richteramtsprüfungen zugelassen werden mußten134. Auch in der Angelegenheit der Kontributionszahlungen der ungarischen Juden stellte sich die Wiener Regierung gegen diese von Haynau ergriffene Strafmaßnahme. Alfred Fürst v. Windischgrätz hatte bereits Anfang 1849 den Juden in Ungarn in ihrer Gesamtheit, da er ihre Unterstützung für die „Rebellen“ als gesichert annahm, angedroht, sie für diese Unterstützung zahlen zu lassen135. Haynau, von derselben Prämisse ausgehend, setzte die Drohung in die Tat um. Das Kabinett Schwarzenberg erachtete diese kumulative Maßnahme als der Verfassung und den geltenden Rechtsnormen widersprechend und forderte den Feldzeugmeister wiederholt auf, die Kontributionszahlungen einstellen zu lassen. Haynau weigerte sich beharrlich; erst seine Entlassung beendete diese Strafmaßnahme – die bereits eingegangenen Gelder wurden für einen neu geschaffenen jüdischen Schulfonds für Ungarn verwendet136. Andererseits konnte sich die Regierung nicht dazu durchringen, die von ihr erlassenen Gleichheitsgrundsätze, wie sie im Verfassungswerk oder in der neuen Gemeindeordnung formuliert worden waren, auch in Beziehung auf die Juden vollständig umzusetzen. Als etwa die Juden Krakaus von dem verfassungsmäßig garantierten Recht auf freie Niederlassung und Gewerbeausübung Gebrauch machen wollten, weswegen es mit den Krakauer Stadtbehörden zum Streit gekommen war, wies Bach die Behörden an, diesem Wunsch zu entsprechen, allerdings bis auf Widerruf137. Und als es in Mähren unter der christlichen Bevölkerung zum ernsthaften Widerstand gegen jene Bestimmungen des neuen Gemeindegesetzes kam, die die Verschmelzung der eigenständigen jüdischen Gemeinden mit jenen der Christen verlangten, erklärte sich Bach dafür, in besonderen Fällen – und gegen das Gesetz – die Trennung aufrechtzuerhalten138.

Der offensichtliche Mangel an einer konsequenten Behandlung der jüdischen Frage und auch das Bestreben der Regierung, die Kultusangelegenheiten reichsweit einheitlich zu regeln, machten eine prinzipielle Entscheidung hinsichtlich des Verhältnisses der Juden zum Staat notwendig. Den Anlaß zur Lösung der anstehenden Fragen bot ein Problem, das sich ausgerechnet aus einem wichtigen Schritt zur Judenemanzipation ergeben hatte – nämlich die Aufhebung der Judensteuern. Denn mit dem Wegfall dieser Steuern wurden auch jene Zuschläge nicht mehr eingehoben, die zur Erhaltung des jüdischen Kultus-, Gemeinde- und Schulbetriebes unbedingt notwendig waren. Nachdem|| S. 33 PDF || einige jüdische Gemeindevorstände und Rabbiner in Böhmen und Mähren dieses Problem bereits diskutiert hatten, wandten sie sich Anfang 1850 an die Regierung um Hilfe. Thun erließ daraufhin die Verfügung, die Zuschläge, als Basis diente das Jahr 1848, weiter einzuheben und den Juden auszufolgen. Der Kultusminister ergriff gleichzeitig die Gelegenheit und wies die Statthalter von Böhmen und Mähren an, informelle Gespräche mit den Vertretern der Juden über die Bildung von jüdischen Kultusgemeinden zu führen. Der galizische Statthalter, zu einer Stellungnahme aufgefordert, wollte erst die Ergebnisse dieser Gespräche abwarten139. Als Folge dieser Vorberatungen wurde dann im Herbst 1850 eine israelitische Notablenversammlung nach Prag einberufen, um eine jüdische Kultusgemeindeordnung zu beraten, die den neuen rechtlichen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten entsprach. Sie tagte vom 25. November 1850 bis zum 7. Februar 1851; das Ergebnis war ein umfassender Entwurf solch einer Ordnung, die dem Statthalter von Böhmen übergeben wurde140. In der Folge wurden aber seitens der Regierung keine konkreten Schritte gesetzt. Und mit der Aufhebung der Verfassung Ende desselben Jahres entfiel die gesetzliche Basis für die israelitischen Forderungen.

Die Länder der Stephanskrone - Retrodigitalisat (PDF)

Eine besondere Bedeutung in der österreichischen Politik kam den Ländern Ungarn, Kroatien-Slawonien, Siebenbürgen sowie dem neugeschaffenen Verwaltungsgebiet „Woiwodschaft Serbien und Temescher Banat“ zu. Die Regierung mußte die durch den Krieg geschlagenen materiellen und moralischen Wunden schließen, um wieder – aus Sicht der Regierung – zu „normalen“ politischen Verhältnissen zu finden, und sehr weitgehende und einschneidende Verwaltungs- und Steuerreformen durchziehen, um Ungarn mit den anderen Ländern der ungarischen Krone in eine einheitliche österreichische Monarchie zu integrieren141. Das Vorgehen Haynaus im und nach dem Krieg in Ungarn mit seiner Härte und Willkür konnte daher nicht im Interesse der Regierung liegen. Hierbei ging es nicht um die Frage eines Strafgerichtes an sich, die Regierung kritisierte prinzipiell nur die allzu große Härte und Willkür Haynaus, denn sie vertiefte die Kluft zwischen den liberalen Ungarn und der Regierung zusätzlich142.

Ziel der Reformen war es, einerseits eine moderne Verwaltung in Ungarn zu etablieren, andererseits aber auch Ungarn administrativ in den Verband der Habsburgermonarchie einzubeziehen und damit die bestehenden Sonderrechte aufzuheben. Dies bedeutete aber keineswegs nur die Aufhebung der ungarischen Verfassung vom 11. April 1848, sondern auch den endgültigen Schlußstrich unter die alte ständische Verfassung vor|| S. 34 PDF || 1848143. Damit brachte sich die Regierung jedoch in Widerspruch nicht nur zu den in der Revolution besiegten liberalen Kräften Ungarns, sondern auch zu den konservativen und eigentlich pro-habsburgischen Magnaten des Landes, die sich von der Aufhebung der Aprilverfassung eben eine Reaktivierung der alten ständischen Verfassung Ungarns erhofft hatten. So stieß die Regierung mit ihrem Wunsch nach Aufhebung der ungarischen Sonderrechte in Ungarn auf breiteste Ablehnung144.

Die Regierung sah in der administrativen Vereinheitlichung und Modernisierung der gesamten Monarchie eine politische Notwendigkeit für ihre Zukunft und konnte daher in Ungarn politisch nicht vom eingeschlagenen Weg abweichen. Um die Kluft zwischen Ungarn und der Regierung zu verringern, mußten andere Kompensationen gefunden werden.

Das harte Strafgericht, das Haynau während und nach der Niederschlagung des ungarischen Freiheitskrieges hielt, stand zunehmend im Gegensatz zu den Interessen der Regierung, denn es führte den geschlagenen Ungarn ihre Niederlage und ihr Ausgeliefertsein deutlich vor Augen. Statt den Weg zu einer Verständigung zwischen Ungarn und der vereinheitlichten Monarchie zu ebnen, wurden die Differenzen durch Haynau nur noch vertieft. Während des Krieges und in der ersten Zeit nach dem Sieg war es der Regierung nur sehr beschränkt möglich, in Haynaus Vorgehensweise einzugreifen. Haynau war als Kommandant der Armee in Ungarn zugleich mit der Verwaltung des Landes beauftragt und unangefochten der Herr im Lande145. Zwar existierte neben der Militär- auch eine Zivilverwaltung, die direkt Bach unterstellt war, doch war ihre Aufgabe primär, die endgültige Verwaltungsreform vorzubereiten146.

Je weiter daher die Verwaltungsreformen in den anderen Gebieten der Monarchie voranschritten und je dringlicher es wurde, Ungarn sowie die anderen ehemaligen Gebiete der Stephanskrone in diese Reformen einzubeziehen, desto wichtiger wurde es, die politische Situation in Ungarn zu normalisieren und einen Schlußstrich unter die Revolution und unter den Belagerungszustand zu ziehen147.

Die Regierung – und hier besonders Bach – forderte daher von Haynau seit der Jahreswende 1849/50 zunehmend, verhängte Strafen abzuschwächen oder zurückzunehmen. So verlangte Bach zunächst die Aussetzung der Strafkontribution, die die ungarischen Juden zu entrichten hatten148, die Entlassung der zwangsabgestellten ehemaligen Honvédoffiziere und Nationalgarden zum k.k. Militär als einfache Soldaten149, die Beendigung der sogenannten „Purifikationsverfahren“, denen alle Beamten unterzogen werden|| S. 35 PDF || sollten, die 1849 für die in österreichischen Augen revolutionäre ungarische Regierung tätig waren150 und generell die Begnadigung schon Verurteilter, so auch der Bischöfe Ladislaus Freiherr Bémer v. Bezdéd und Kiss-Báka, Joseph Rudnyánszky und Joseph Lonovics v. Kriwina, die, statt mehrjähriger Kerkerstrafen, in Klöstern außerhalb Ungarns unterge­bracht werden sollten151. Doch Haynau ignorierte die Anordnungen Bachs. Die Judenkontribution trieb er trotz wiederholter Aufforderungen Bachs und Schwarzenbergs ein152. Die letzten ehemaligen Honvédoffiziere wurden erst Mitte Juni 1850 entlassen153. Trotz des Protests aus allen Ministerien wies er die Kriegsgerichte an, weiter die Beamten zu untersuchen und sie gegebenenfalls auch aus ihrem Dienst zu entlassen, obwohl dies eigentlich nur eine Angelegenheit des zuständigen Ministers hätte sein dürfen154. Auch für Begnadigungen zeigte Haynau kein Verständnis.

Schnell entbrannte zwischen Haynau und Bach bzw. der Regierung ein Machtkampf, da sich Haynau nicht dem Innenminister unterstellt sah. Er mißachtete aber nicht nur Bachs Forderungen, sondern ließ sie sogar großteils unbeantwortet; so sah sich Bach genötigt, Schwarzenberg einzuschalten, und dieser wandte sich schließlich an Franz Joseph155. Erst die Entlassung Haynaus am 6. 7. 1850 beendete diesen Konflikt zugunsten der Regierung.

Die ungarischen Flüchtlinge in der Türkei - Retrodigitalisat (PDF)

Nach der Niederlage gegen die österreichischen und russischen Truppen im Sommer 1849 flüchteten viele Ungarn über die südliche Grenze in die Türkei, unter ihnen auch Ludwig Kossuth selbst. Die Sieger traten mit dem osmanischen Reich in Verhandlung und verlangten die Auslieferung zumindest der „gefährlichsten Revolutionäre“156. In diesen Verhandlungen mit der Türkei wurde die Schwäche und der Prestigeverlust deutlich, den Österreich durch die Auseinandersetzungen um Ungarn erlitten hatte. Die Türkei wollte zwar diese Flüchtlinge internieren, jedoch nicht ausliefern157. Als sich Anfang Jänner 1850 Rußland und die Türkei bezüglich der in die Türkei geflohenen russischen Untertanen geeinigt hatten, mußte Schwarzenberg im Ministerrat vom 14. Jänner 1850 konstatieren: „Da Österreich alleine [d.h. ohne Rußland] nicht wohl länger ohne diplomatische Verbindung mit der Türkei bleiben kann, . . . so bleibe wohl nichts übrig, als zu trachten, die Relationen mit der Türkei wieder anzuknüpfen.“158 In diesen Verhandlungen ging es dann um die Frage, wie lange sich die Türkei verpflichten müsse, die ungarischen Flüchtlinge interniert zu halten. Schwarzenberg und dem österreichischen|| S. 36 PDF || Internuntius in Konstantinopel Bartolomäus Graf Stürmer gelang es nicht, den österreichischen Standpunkt durchzusetzen. Grundsätzlich wurde festgehalten, daß die Türkei verpflichtet sei, die Flüchtlinge zu internieren, bis sich die Zustände in Ungarn normalisiert hätten, mindestens aber ein Jahr. Sowohl der österreichische Wunsch nach einer dreijährigen Internierung als auch das Verlangen, daß Österreich die Normalisierung in Ungarn festzustellen habe, wurde von der Türkei abgelehnt. Letztlich beinhaltete das Abkommen Österreichs mit der Türkei keine Mindestdauer der Internierung, und somit stand es der Türkei gänzlich offen, diesen Termin selbst zu bestimmen. Mit der Konvention vom 6. April 1850 wurden die diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen. Diese Konvention muß als diplomatische Niederlage Österreichs gegenüber der Pforte betrachtet werden, da die Türkei ihren schon im August 1849 eingenommenen Standpunkt voll und ganz hatte durchsetzen können159.

Deutsche Frage: Deutscher Bund kontra Deutsche Union - Retrodigitalisat (PDF)

Auch in der deutschen Frage lag Anfang des Jahres 1850 die Schwäche der Habsburgermonarchie noch offen zutage. Österreich war es in der Konvention vom 30. September 1849 gelungen, sich mit Preußen, allerdings nur für wenige Monate bis 1. Mai 1850, auf eine interimistische deutsche Zentralgewalt zu einigen, bestehend aus zwei preußischen und zwei österreichischen Vertretern. Am 20. Dezember 1849 trat der deutsche Reichsverweser Erzherzog Johann zurück und übertrug seine Aufgaben dieser neuen Zentralgewalt160. Inhaltlich hatte sich damit der preußische Standpunkt einer preußisch-österreichischen Parität in Deutschland durchgesetzt161. Darüberhinaus wurde das von Preußen mit Sachsen und Hannover am 26. Mai 1849 geschlossene Dreikönigsbündnis nicht in Frage gestellt. Ziel dieses Bündnisses war die Gründung eines Deutschen Reiches, bzw. der Deutschen Union162 auf kleindeutscher Basis, das in einem weiteren Bund Gesamtösterreich integrieren sollte163.

Das Dreikönigsbündnis gefährdete nicht nur die dominante Stellung Österreichs in Deutschland, sondern letztlich die Existenz Österreichs in Deutschland überhaupt. Daher konnte die Regierung Schwarzenberg diesem Dreikönigsbund nicht länger tatenlos zusehen, besonders als am 19. Oktober und dann endgültig am 26. November 1849 Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung für Jänner 1850 ausgeschrieben wurden. Noch war aber Österreich durch die Folgen der Kämpfe in Ungarn und Italien zu sehr geschwächt, um Preußen offen entgegenzutreten.

Einer der beschrittenen Wege war die Denkschrift Brucks vom 26. Oktober 1849. Mit dieser Denkschrift stellte der österreichische Handelsminister in der Wiener Zeitung einen Vorschlag zur Schaffung eines Zollverbandes aller deutschen Zollgebiete|| S. 37 PDF || einschließlich Gesamtösterreichs zur allgemeinen Diskussion. Die Idee dahinter war, den anderen deutschen Staaten einen wirtschafts­politischen Anreiz zu bieten, kleindeutsche Pläne ohne Österreich fallenzulassen und Österreich nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich in Deutschland zu etablieren, auch wenn dies bedeutet hätte, besonders die österreichische Textilindustrie der gesamtdeutschen Konkurrenz auszusetzen164. Doch dies waren nur indirekte und mittelfristige Aktionen gegen die Deutsche Union.

Schwarzenberg beschränkte sich, abgesehen von seinen zwei Protestnoten gegen die Deutsche Union vom November 1849, politisch zunächst nur darauf, die deutschen Mittelstaaten zu Initiativen gegen die Union zu bewegen. Den ersten Schritt gegen das Dreikönigsbündnis unternahmen Sachsen und Hannover, indem sie am 20. Oktober 1849 wegen der ausgeschriebenen Wahlen aus dem Verwaltungsrat der Union austraten. Sie hatten ihre Zustimmung zum Dreikönigsbund nämlich nur vorbehaltlich des Beitrittes aller deutschen Staaten außer Österreich zur Union gegeben165.

Im Dezember 1849 wandte sich dann der bayrische Ministerpräsident Ludwig von der Pfordten mit einem Gegenkonzept zum Dreikönigsplan an die Königreiche Sachsen, Württemberg und Hannover. An den Verhandlungen dieser Königreiche beteiligte sich auch intensiv der österreichische Gesandte am bayrischen Hof, Friedrich Graf v. Thun und Hohenstein166. Offiziell blieb er freilich im Hintergrund. Ergebnis der Verhandlungen war das am 27. Februar 1850 unterzeichnete sogenannte Vierkönigsbündnis. Obwohl Hannover kurz vor Abschluß der Verhandlungen ausschied – am 21. Februar 1850 trat es endgültig aus der Deutschen Union und am 25. Februar aus den Verhandlungen über das Verfassungsprojekt von der Pfortens aus – und das Bündnis nicht unterzeichnete, dies somit nur von drei Königreichen Bayern, Sachsen und Württemberg geschlossen wurde, erhielt das Bündnis den Namen „Vierkönigsbund“167. Dieser Reorganisationsvorschlag für Deutschland wurde der preußischen und der österreichischen Regierung mit dem Vorschlag übergeben, in allgemeine Diskussionen einzutreten. Während in Berlin der gesamte Vorschlag rundweg abgelehnt wurde, trat Österreich am 13. März 1850 dem Bündnis bei.168

Sowohl der Austritt Sachsens und Hannovers aus dem Verwaltungsrat des Dreikönigsbündnisses, als auch der Abschluß des Vierkönigsbündnisses scheinen Preußen unter Zugzwang gesetzt zu haben, trotz der Wahlen zum Unionsparlament, dessen Zusammentritt und der Verabschiedung einer definitiven Verfassung. Denn Preußen begann sich ab Ende Februar 1850 verstärkt um eine Einigung mit Österreich in der Deutschen Frage zu bemühen, wie aus den Ministerratsprotokollen vom 28. Februar und 8. März 1850 hervorgeht. Preußen versuchte die Bedeutung des Dreikönigsbundes herabzuspielen und hoffte Österreich dafür zu gewinnen, nach Änderungen im Bündnis diesem|| S. 38 PDF || grundsätzlich zuzustimmen169. Doch Österreich lehnte ab. Es entstand eine Pattsituation. Das Vierkönigsbündnis war durch die Ablehnung Preußens kein Verhandlungsgegenstand mehr. Andererseits entwich dem Dreikönigsbund durch die Verweigerung Österreichs und durch das Fernbleiben Sachsens und Hannovers zunehmend das Leben170. Zusätzlich ging die Zeit des provisorischen österreichisch-preußischen Zentralorgans mit 1. Mai 1850 zu Ende, und einer einfachen Verlängerung des alten preußisch-österreichischen dualistischen Systems waren die deutschen Mittelstaaten nicht mehr gewillt weiter zuzustimmen. Anfang April 1850 unternahm Preußen daher einen diplomatischen Vorstoß, eine Einigung zu erzielen. Durch eine Verdopplung der Mitglieder des Zentralorgans auf acht sollten neben Preußen und Österreich nun auch andere deutsche Staaten vertreten sein, jedoch weiterhin im dualistischen Sinne: Österreich und die Mittelstaaten sowie Preußen und die Unionsstaaten sollten jeweils vier Stimmen haben. Österreichische Gegenvorschläge sahen keine selbständige Vertretung der Deutschen Union vor, hingegen aber ein deutliches Stimmenübergewicht bei Österreich und den Mittelstaaten. Auf diese Weise konnte keine Einigung zwischen Preußen und Österreich erzielt werden171. Ende April 1850 versuchten daher Österreich und Preußen fast gleichzeitig, die Pattstellung zu durchbrechen und die Gegenseite unter Zugzwang zu setzen: Preußen durch die Einberufung des Fürstentags der Deutschen Union für den 8. Mai 1850 nach Berlin, und Österreich als Präsidialhof des Deutschen Bundes durch die Einberufung der Bundesversammlung für den 10. Mai 1850 nach Frankfurt am Main. Damit begann eine Eskalation des Konflikts, der erst Ende 1850 mit der Olmützer Punktation und dem Beginn der Dresdner Konferenz beigelegt werden konnte.

Zum Kommentar - Retrodigitalisat (PDF)

Ein großer Teil der zur Erstellung des wissenschaftlichen Kommentars verwendeten Archivalien für den vorliegenden Band befindet sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv. An erster Stelle sind hier die Bestände der Kabinettskanzlei zu nennen, ergänzt durch die Current- und Separatbilletenprotokolle. Das Politische Archiv und die Administrative Registratur lieferten die Belege für die Außenpolitik des Habsburger­staates. Das Informationsbüro (A-Akten) tat dasselbe bei einigen Fragen der Innenpolitik. Aus dem kleinen und leider lückenhaften Bestand des Zivil- und Militärgouvernements Wien konnten einige wertvolle Hinweise gewonnen werden. Schließlich wurden auch die Akten des Obersthofmeisteramtes und des Oberstkämmereramtes für den Kommentar herangezogen.

Weiters wurden die Bestände der Ministerien des Inneren, der Justiz, des Handels und des Kultus und Unterrichtes sowie der Nachlaß Bach und das Verkehrsarchiv für den Kommentar herangezogen, die sich alle im Allgemeinen Verwaltungsarchiv befinden. Als störend erwies sich, daß in den Beständen des Finanzarchivs, hier Finanzministerium,|| S. 39 PDF || Präsidialreihe für das Jahr 1850, einige Lücken auftraten. Erfreulich hingegen war der Umstand, daß sich in diesem Archiv wesentliche Teilbestände des dann aufgelösten Ministeriums für Landeskultur und Bergwesen fanden. Das Kriegsarchiv – Präsidial- und Allgemein Reihe, Militärkanzlei Seiner Majestät, Alte Feldakten, Nachlaß Haynau – stellte weiteres Quellenmaterial für die Kommentierung bei.

Zur Vervollständigung des Kommentars, insoweit er Fragen der ungarischen und italienischen Kronländer betraf, wurden die Bestände des Magyar Orzágos Levéltár (Ungarisches Staatsarchiv), des Magyar Hadtörténete Levéltár (Ungarisches Kriegsarchiv), beide in Budapest, und des Archivo di Stato, Luogotenenza, in Venedig eingesehen.

Für die Schreibung von Personen- und Ortsnamen gilt, was darüber an anderer Stelle bereits gesagt wurde172.