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Nr. 179 Ministerrat, Wien, 4. Oktober 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 5. 10.), Krauß 12. 10., Bach 15. 10., Gyulai 20. 10., Schmerling 18. 10., Bruck, Thinnfeld 13. 10., Thun, Kulmer 15. 10.; abw. Stadion.

MRZ. 3543 – KZ. 3442 –

Protokoll der am 4. Oktober 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses, Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Politische Organisierung Ungarns

Der Hauptgegenstand der Beratung war die von dem Minister des Inneren Dr. Bach vorgetragene politische Organisierung Ungarns oder die ungarische Frage1. In der Reichsverfassung für Österreich wurde rücksichtlich Ungarns auf besondere Statuten hingewiesen, und hinsichtlich der Woiwodschaft Serbien wurden besondere Verfügungen vorbehalten2. Nach der Reichsverfassung sollte die Trennung eines Territoriums von einem Kronlande vor dem Reichstage nicht statthaben3. Nachdem jedoch die Abhaltung von Landtagen, aus welchen der Reichstag hervorgehen soll, selbst in den nichtungarischen Provinzen, noch mehr aber in diesen mit besonderen Schwierigkeiten verbunden wäre und die Woiwodschaft im Prinzipe anerkannt ist, es auch absolut notwendig ist, um in Ansehung der Organisierung Ungarns vorschreiten zu können, diesfalls eine Bestimmung zu treffen, so einigte sich der Ministerrat nach dem Antrage des Ministers Dr. Bach in dem Beschlusse, die Woiwodschaft von Ungarn zu trennen, beziehungsweise den darauf gerichteten Antrag an Seine Majestät zu erstatten.

Bei dem für dieses Land zu bestimmenden Gebiete wäre nicht bloß auf das Nationale, sondern auch auf andere Umstände Rücksicht zu nehmen. Das Land wäre in drei Verwaltungsbezirke, den serbischen, deutschen und romanischen, einzuteilen, hätte nicht über die Marosch zu gehen und den Namen „Gouvernement Banat“ zu führen, worin die Zivil- und Militärverwaltung unter der Regierung in Zentro stünde. Es wäre reichsunmittelbar, womit auch der Charakter eines Kronlandes ausgesprochen sein würde. In militärischer Beziehung unterstünde es dem Zentrum in Pest und Ofen, in Zivilangelegenheiten hinge es aber direkt von Wien ab. Der zu bestellende Zivil- und Militärgouverneur müßte gute administrative Kenntnisse besitzen, und es wäre ihm ein Zivilkommissär beizugeben, der das deutsche Element kennt.

|| S. 733 PDF || Nach der Ansicht des Ministers Grafen Thun hätte über den Gegenstand der Frage der nächste Reichstag definitiv zu bestimmen, weil über die Grenzen der Kronländer nur der Reichstag eine Verfügung treffen kann. Hinsichtlich der Begrenzung des Gouvernements Banat hat der Ministerrat für angemessen erkannt, vor einem definitiven Beschlusse noch den Patriarchen Rajačić zu hören4.

Hierauf überging der Minister Dr. Bach zur Darlegung der Grundsätze der Verwaltung und Einteilung Ungarns. Nach seiner Ansicht ist eine vollkommene Zentralisierung der Verwaltung in Ungarn in einem Körper nicht ausführbar. Solange das Land militärisch besetzt ist und unter militärischer Gewalt steht, hätte der Oberkommandant FZM. Baron Haynau die Administration zu führen und ihm ein Organisierungskommissär an der Seite zu stehen. Das Land, welches schon jetzt die Einteilung in vier Distrikte hatte, wäre auch künftig in vier oder fünf größere Verwaltungsbezirke und mit Einschluß des Gouvernements Banat in sechs Bezirke einzuteilen, ain welchen seinerzeit die Verwaltung in allen Zweigen von den betreffenden Ministerien zu resortieren hättena . Diesen Verwaltungsbezirken würden dann mehrere kleinere Distrikte untergeordnet und auf diese Weise Einheit in der gegliederten Verwaltung erzielt. Ein Statthalter als politische Person im Lande dürfte vielleicht erst mit der Zeit eingeführt werden. Für das ganze Land wäre nur ein militärisches Zentrum (in Pest und Ofen) zu bestellen. Der Chef der Armee mit dem Zivilkommissär leiten die Verwaltung der Distrikte und erhalten ihre Weisungen vom Zentrum in Wien. Sie stellen Beamte auf, setzen Gerichte ein und leiten alles ein, was zur Organisierung des Landes notwendig erscheint, so wie es auch in anderen Provinzen der Fall war. Einzelne Verwaltungsbezirke bekommen ihre Chefs, so wie die untergeordneten Distrikte ihre Beamten. Ist das festgestellt, dann ist die innere Einrichtung des Landes Sache der Chefs, und den verschiedenen Branchen kann ihr Organismus gegeben werden.

Der Minister Dr. Bach bemerkte weiter, daß dem dem Oberkommandanten beigegebenen Zivilkom­missär zur Erhöhung seines Ansehens und Erleichterung seiner Wirksamkeit eine höhere Stellung, etwa die eines Sektionsschefs oder Unterstaatssekretärs, zu geben ratsam wäre.

Die soeben erwähnte Einrichtung hätte einstweilen nur als eine provisorische zu gelten. Nachdem die erste Organisierung durch den Oberkommandanten und den ihm beigegebenen Zivilkommissär bewerkstelligt worden, fällt dann das militärische Zentrum weg, und Baron Haynau bleibt am Ende nur Kommandant der ungarischen Armee. Da der Ministerrat sich mit diesen Anträgen einverstanden erklärte, so wird der Minister Dr. Bach in diesem Sinne nun den a.u.Vortrag entwerfen, denselben aber noch einmal dem Ministerrate vorbringen, um allenfällige Bemerkungen noch aufnehmen zu können5.

II. Verhältnisse der griechisch nichtunierten Kirche

Ferner brachte der Minister Dr. Bach die Reglung der Verhältnisse der griechischen nichtunierten Kirche zur Sprache, weshalb der Patriarch Rajačić hierher berufen|| S. 734 PDF || worden sei, und in welcher Beziehung für die Südslawen etwas geschehen müsse6. Der Patriarch erklärte sich für diese Reglung, und es sind auch Präzedenzien anderer Kirchen, welche dafür sprechen, nämlich die hier stattgehabte Versammlung der katholischen Bischöfe und der Vertreter der protestantischen Kirche7. Der Referent habe hierüber mit dem Minister des Kultus gesprochen, welcher sich damit einverstanden erklärte.

Nach dem Antrage des Ministers Dr. Bach wären die Bischöfe der griechischen nichtunierten Kirche (deren es neun gibt) hierher zu berufen, um die Angelegenheiten ihrer Kirche zu besprechen und zu regeln, ohne dieser Versammlung die Benennung „Synode“ beizulegen. Das Patriarchat hätte zu verbleiben, und die Romanen, die n[ichtunierte] Griechen sind, hätten einen Metropoliten, jedoch in der Unterordnung unter den Patriarchen, zu erhalten. Ein Vorteil dieser Versammlung wäre auch der, daß die Bischöfe der griechisch nichtunierten Kirche sich mit der Regierung und ihren Grundsätzen näher vertraut machen würden.

Der Ministerrat fand gegen die Einberufung dieser Bischöfe nichts zu erinnern8.

III. Politische Administration in Ungarn

Über die hier vorliegenden Grundzüge der provisorischen Organisierung der politischen Administration in Ungarn9 fand nur der Minister des Handels, der Gewerbe und der öffentlichen Bauten, Ritter von Bruck , in Zusammenhaltung der §§ 9, 21 und 28 dieser Grundzüge zu bemerken, daß nach § 9 die politischen Verwaltungsbehörden den Organen, welche für die in den Wirkungskreis anderer Ministerien gehörigen Administrationsgeschäfte bestellt werden, in vorkommenden Fällen die angemessene Unterstützung zu gewähren haben, daß also diese Organe zusammenwirken sollen, was recht sei; daß nach § 21, in welchem vorkomme, die politische Administration, getrennt und unabhängig von der Rechtspflege, gehöre zuoberst in den Wirkungskreis des Ministeriums des Inneren, nähere Bestimmungen über die Geschäftsverbindung und das Zusammenwirken der politischen und der übrigen Organe der Exekutivgewalt, in den zum Wirkungskreise der anderen Ministerien gehörigen Zweigen des öffentlichen Dienstes, in besonderen Vorschriften und Instruktionen enthalten seien, und daß nach § 28 (2. Absatz) die Beförderung des öffentlichen Unterrichtes, die Hebung der Urproduktion, der Industrie und des Handels, das öffentliche Bauwesen etc. etc. als zur Wirksamkeit der politischen Verwaltung gehörig erklärt werde.

|| S. 735 PDF || Da hiernach angenommen werden müßte, daß die übrigen Ministerien auf die ihren Wirkungskreis betreffenden Gegenstände keinen Einfluß zu üben haben, so hat der Minister Ritter von Bruck, zur Wahrung dieses Einflusses bei dem § 28 eine Textmodifizierung in Antrag gebracht, womit sich der Ministerrat und auch der Minister Dr. Bach einverstanden erklärten10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 11. November 1849.