Nr. 91 Ministerrat, Wien, 9. Juni 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Gyulai, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 10. 6.), Krauß 10. 6., Bach 11. 6., Gyulay 13. 6., Thinnfeld 10. 6., Kulmer 10. 6.; abw.abwesend Stadion, Bruck.
MRZ. 1855 – KZ. 1627 –
- I. Verbandszeugsendung aus Berlin
- II. Wunsch der italienischen Bischöfe, an der Wiener Bischofsversammlung teilzunehmen
- III. Eidesformel für die Minister
- IV. Nachrichten bezüglich Ancona und Florenz
- V. Nachrichten aus Pest und von der unteren Donau
- VI. Erwiderung Karl Friedrich Freiherrn Kübeck v. Kübau auf einen Artikel im „Lloyd“
- VII. Bericht über einen Kampf bei Brondolo
- VIII. Nachrichten über die großherzoglich-badischen Offiziere
- IX. Stellung des Präses des Obermilitärgerichtshofes zum Kriegsminister
- X. Einberufung des Anton Freiherrn v. Puchner; Bestellung eines Ministerialkommissärs für Siebenbürgen
- XI. Wiener Büchsenmacher um Beschäftigung
- XII. Besetzung des Triester Gouverneurspostens durch einen Militär
- XIII. Nachrichten aus Kroatien
- XIV. Entschädigungsvorschüsse für die aufgehobenen Urbarialgiebigkeiten in Galizien
- XV. Finanzmaßnahmen
Protokoll der am 9. Juni 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Auswärtigen und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Verbandszeugsendung aus Berlin
Der Ministerpräsident eröffnete die Sitzung mit der Mitteilung, daß eine Dame aus Berlin eine 35 Pfund schwere Kiste mit Charpien für verwundete k.k. Truppen in Ungarn eingesendet habe, wofür der wohltätigen Geberin im Wege der königlich-preußischen Gesandtschaft der gebührende Dank abzustatten wäre1.
II. Wunsch der italienischen Bischöfe, an der Wiener Bischofsversammlung teilzunehmen
Derselbe Minister teilte weiter mit, daß der Erzbischof von Mailand dem Kardinal Fürsten v. Schwarzenberg geschrieben habe, die italienischen Bischöfe nähmen so viel Interesse an der Versammlung der hiesigen Bischöfe und wünschten daran zu partizipieren2. Hiedurch könnte allerdings eine nähere Verbindung zwischen dem lombardischen und dem deutschen Klerus angebahnt werden, und wenn den Italienern die Überzeugung gegeben würde, daß die hiesigen Bischöfe die Freiheit der Kirche der Reichsverfassung gemäß sichern wollen, so würde dies gewiß von guter Wirkung sein. Der Kardinal meint, dem Erzbischofe von Mailand zu antworten, wenn sich die italienischen Bischöfe ihrerseits versammeln wollen, so würde die Wiener bischöfliche Versammlung ihnen das Resultat ihrer Verhandlungen durch einen Abgeordneten mit Vergnügen mitteilen. Als solchen Abgeordneten bezeichnete der Kardinal Fürsterzbischof den der italienischen Sprache vollkommen mächtigen und mit den italienischen Verhältnissen vertrauten Bischof von Triest.
|| S. 381 PDF || Nach der Ansicht des Ministers Dr. Bach ist gegenwärtig und solange Italien nicht ganz pazifiziert ist, kein schicklicher Anlaß, den Italienern Konzessionen zu machen, welche sie zu provinziellen Zwecken ausbeuten könnten. Hiernach wurde beschlossen, die Sache einstweilen hinauszuschieben, bis das Land ganz beruhigt ist, wo man dann die italienischen Bischöfe hierher berufen könnte3.
III. Eidesformel für die Minister
Da noch nicht alle Minister den Eid abgelegt haben und es eine Anomalie wäre, wenn die verantwortlichen Räte der Krone nicht beeidet wären, so brachte der Ministerpräsident die diesfällige Eidesformel zur Sprache. Sie wäre die in solchen Fällen übliche, und es wäre darin nur noch den neuen Verhältnissen entsprechend der Reichsverfassung eine Erwähnung zu machen4.
IV. Nachrichten bezüglich Ancona und Florenz
Schließlich teilte der Ministerpräsident die Nachricht mit, daß der französische Konsul Lesseps zwei französische Schiffe auf eigene Verantwortung nach Ancona abgehen machen wollte, um die Franzosen daselbst zu vertreten, daß aber General d’Aspre, davon in Kenntnis gesetzt, sogleich die nötigen Anstalten getroffen habe, daß es nicht geschehe. Wiederholte Nachrichten von Florenz melden, daß man sich dort mit uns zu versöhnen anfange. Die Disziplin unseres Militärs sei gut, und es werde überall Ruhe und Ordnung aufrechterhalten5.
V. Nachrichten aus Pest und von der unteren Donau
Der Minister Baron Kulmer machte die Mitteilung, daß nach ihm zugekommenen brieflichen Nachrichten Kossuth in Pest eingezogen ist, und daß polnische und ungarische Husaren seinen Wagen in gleicher Anzahl begleitet haben. Der Jubel und die Eljens sollen bedeutend gewesen sein. Ferner, daß die Magyaren diese Tage bei Karlowitz von Kobilie aus ein Dampfschiff beschossen und ein Rad desselben verletzt haben. Bei dieser Gelegenheit seien 6000 Zentner Mehl, welche sich auf Schleppschiffen befanden, in Grund geschossen worden6.
VI. Erwiderung Karl Friedrich Freiherrn Kübeck v. Kübau auf einen Artikel im „Lloyd“
Mit Beziehung auf den im Ministerratsprotokolle vom 8. d.M.7 besprochenen Aufsatz des Baron Kübeck als Erwiderung auf einen Artikel im Lloyd vom 4. d.M., betitelt „Der Staat, die Bank und das Volk“, bemerkte der Finanzminister Freiherr v. Krauß , daß das in diesem Aufsatze als abgeschlossen angegebene russische Anlehen von 6 Millionen Rubeln zwar im März 1848 eingeleitet wurde8, aber der inzwischen eingetretenen politischen Umwälzung wegen nicht zum Abschlusse gekommen ist, weshalb man auch Sr. Majestät den Antrag stellte, es von diesem Darlehen abkommen zu lassen.
|| S. 382 PDF || Hiernach enthalte der Aufsatz eine den Akten nicht ganz entsprechende Darstellung, und da das Geschäft als ganz geheim behandelt wurde, die Veröffentlichung desselben den russischen Kaiser auch verletzen könnte, so wurde beschlossen, den Artikel nicht in die Wiener Zeitung, wodurch er einen offiziellen Wert erhielte, aufnehmen zu lassen. Will Baron Kübeck den gedachten Artikel des Lloyd berichtigen, so mag er es persönlich und mit seiner Unterschrift tun. Der Ministerpräsident wird hiernach dem Baron Kübeck auf sein Schreiben die entsprechende Antwort erteilen9.
VII. Bericht über einen Kampf bei Brondolo
Der Kriegsminister Graf Gyulai las einen Bericht des österreichischen Vizeadmirals Dahlerup über einen Kampf unserer Marine bei Brondolo vor10. Da am 4. d.M. ein Angriff gegen Venedig beabsichtigt wurde, so wollte Dahlerup ihn von der Seeseite unterstützen und Landungstruppen in Bereitschaft halten. Der Kampf blieb ohne wesentlichen Erfolg. Die schweren Geschütze des Feindes haben unsere Schiffe überschossen, das Schiff des Dahlerup erhielt einige Schüsse ins Takelwerk. Dahlerup drückt seine Zufriedenheit mit dem Verhalten der Mannschaft und der Offiziere bei diesem Kampfe aus, den er um 3 Uhr hat einstellen und die Schiffe zurückgehen lassen.
VIII. Nachrichten über die großherzoglich-badischen Offiziere
Hinsichtlich der Badischen Offiziere bemerkte der Kriegsminister die ungünstige Notiz erhalten zu haben, daß, wenn die Offiziere daselbst ihre Pflicht getan hätten, es nicht so weit gekommen wäre11. Der militärische Geist war von den Truppen, mit Ausnahme der Artillerie und der Dragoner, ganz gewichen.
Was die Aufnahme dieser Offiziere in österreichische Dienste anbelangt, so ist sie nach der Ansicht des Ministerrates in Masse nicht zu gewähren und bei einzelnen mit Rücksicht auf ihre Eigenschaften und ihr Verhalten vorzugehen.
IX. Stellung des Präses des Obermilitärgerichtshofes zum Kriegsminister
In Absicht auf die von dem Kriegsminister zur Sprache gebrachte Stellung des Präses des obersten Militärgerichtshofes bemerkte der Justizminister Dr. Bach , daß seine Stellung zum Kriegsminister keine andere sei als die Stellung des obersten Justizpräsidenten zum Justizminister12. Beide Gerichtshöfe entschieden in Rechtsangelegenheiten in oberster Instanz ganz unabhängig. Die Gnadensachen gehen durch beide Ministerien an Se. Majestät. Bei der definitiven Organisierung der Justizbehörden wird es wohl notwendig sein, beide obersten Gerichtshöfe zu vereinigen, gegenwärtig lasse sich aber daran nichts ändern13. Der Chef des obersten Militärgerichtshofes dürfte ein|| S. 383 PDF || älterer verdienter General sein, welchen der Kriegsminister statt des abtretenden Zanini in Antrag bringen werde14.
X. Einberufung des Anton Freiherrn v. Puchner; Bestellung eines Ministerialkommissärs für Siebenbürgen
Ferner bemerkte der Kriegsminister , daß FZM. Puchner, welcher sein Kommando an Graf Clam übergeben und dessen Anwesenheit in Siebenbürgen nur beirrend wirken würde, nun von dort hierher abzurufen wäre15. Bei diesem Anlasse erinnerte der Ministerpräsident , daß es nun, da die Russen in Siebenbürgen bereits eingerückt sind, an der Zeit sei, für die Organisierung Siebenbürgens zu sorgen und für diese Provinz, wie für Ungarn den Baron Geringer, einen bevollmächtigten Kommissär für die Zivilverwaltung zu bestellen16.
XI. Wiener Büchsenmacher um Beschäftigung
Der Minister Dr. Bach hat ein Gesuch der Büchsenmacher von Wien, welche durch den Belagerungszustand fast um ihren ganzen Erwerb gekommen sind und nun um eine Beschäftigung bitten, dem Kriegsminister zur zweckdienlichen Berücksichtigung abgetreten.
XII. Besetzung des Triester Gouverneurspostens durch einen Militär
Derselbe Minister erachtet mit Beziehung auf das in dem Ministerratsprotokolle vom 8. d.M.17 Angeführte, daß die Besetzung des Postens in Triest durch einen Militär zu geschehen hätte, wozu nach der Ansicht des Ministerrates der General Wimpffen zu bestimmen wäre18.
XIII. Nachrichten aus Kroatien
Derselbe Minister bemerkte weiter, daß der Bischof von Agram Haulik19 bei ihm gewesen und vorgestellt habe, daß in Kroatien sich eine Art Republik gebildet habe, die Presse sei ungezügelt und gehe auf die Zugrunderichtung des Landes und der Militärgrenze los. Der Bischof bemerkte, daß der Ban die Reichsverfassung dort hätte publizieren lassen können, und daß es besser gewesen wäre, das hiesige Preßgesetz dort einzuführen, statt ein eigenes verfassen zu lassen20. Der Minister wird über alle diese Punkte den Ban vernehmen.
XIV. Entschädigungsvorschüsse für die aufgehobenen Urbarialgiebigkeiten in Galizien
Der Minister Dr. Bach brachte hierauf in Vertretung des Ministers des Inneren die zu gewährenden Vorschüsse für die aufgehobenen Urbarialgiebigkeiten in Galizien an die Berechtigten zur Sprache. Es liegen darüber Anträge des Gouverneurs Gołuchowski vor. Der Ministerialrat Emminger, welchem diese Anträge zur Prüfung mitgeteilt wurden, hat sich damit einverstanden erklärt und denselben gemäß ein Kreisschreiben|| S. 384 PDF || verfaßt, welches vorgelesen wurde21. Von der Begünstigung eines Vorschusses sollen jene Grundbesitzer ausgenommen werden, welche die Robot (aus politischer Demonstration) ihren Untertanen geschenkt haben. Ferner soll man sich bei der Nachweisung behufs des zu erhaltenden Vorschusses strenge an die Ziffer der Urbarialsteuer halten und in eine Detailuntersuchung der allenfälligen Prägravationen nicht eingehen, weil sonst das Ende dieser Verhandlung nicht abzusehen wäre.
Der Finanzminister Freiherr v. Krauß fand in Ansehung der letzteren Bestimmung nur zu bemerken, daß er sich gegen eine Vorschußleistung verwahren müßte, wenn diese nicht gebührt. Bei einer Gemeinde kann z.B. die Robot eines Bauers mit 150 Tagen eingeschrieben sein, während er nur 52 Tage zu leisten verpflichtet ist; soll nun der Vorschuß auf die 150 Tage bewilliget werden? Nach seiner Ansicht wäre nur für das, was dem Kreisamte als wirkliche Schuldigkeit bekannt ist, ein Vorschuß zu leisten. Um jedoch die Sache nicht aufzuhalten, ist der Finanzminister nicht entgegen, daß, wo die Berechnung einen großen Zeitaufwand erfordert, die erste Rate als Vorschuß gegen seinerzeitige Abrechnung gewährt werde, mit welcher Modalität sich der Minister Dr. Bach einverstanden erklärte. Hiernach wird, dem Beschlusse des Ministerrates zufolge, der so modifizierte Entwurf dem Finanzminister mitgeteilt werden22.
XV. Finanzmaßnahmen
Schließlich brachte der Finanzminister Freiherr v. Krauß noch eine Finanzmaßregel zur Sprache. Er bemerkte, daß die österreichischen Banknoten aus dem Auslande, aus Italien und Ungarn zurückgedrängt werden, wodurch sie einen nachteiligen Kurs erhalten. Der Staat habe bei 40 Millionen jährlich an seine Gläubiger zu zahlen23. Diese verlieren nun nach dem Kurse und können sich über diese Benachteiligung mit Recht beschweren. Eine Abhilfe wäre dadurch möglich, daß wir die Zinsen entweder in Konventionsmünze zahlen oder die Kursdifferenz durch Daraufzahlung ausgleichen.Von beiden Alternativen könne aber gegenwärtig keine Rede sein. Wir haben zweierlei Staatsobligationen, die einen, deren Zinsen im Inlande, die andern, deren Zinsen im Auslande gezahlt werden. Die letzteren verlieren nichts, denn sie erhalten ihre Zinsen in Konventionsmünze, während die inländischen Verlust erleiden. Diesem ließ sich nach der Ansicht des Finanzministers durch folgende Finanzmaßregel abhelfen, wenn man nämlich ausspräche, daß die Kupons zum Ankaufe von Metalliques verwendet werden können, deren Zinsen im Auslande gezahlt werden. Diese Maßregel wäre für die Finanzen|| S. 385 PDF || in der Beziehung wichtig, daß sie für jene 20 Millionen beiläufig, die jährlich an das Ausland gezahlt werden, nicht zu sorgen hätten, daß sie auf den Wechselkurs einen wohltätigen Einfluß übte und daß die Metalliques dadurch im Werte steigen, auch würde das nächste Anleihen dadurch besser vorbereitet. Übrigens wäre niemand zu einem solche Ankaufe zu zwingen, sondern jedem seine volle Freiheit zu belassen. Der Minister Dr. Bach äußerte die Besorgnis, daß diese Maßregel nur den Reichen und Spekulanten zugute käme, indem jene, welche Kupons nicht in dem Betrage von 50 f. besitzen (ein Betrag, für den man eine Obligation kaufen könnte), sie an Wechsler verkaufen müßten. Ferner würde dadurch nach seiner Ansicht eine Skala kreiert, indem Zinsen in verschiedener Art gezahlt würden, dort in Konventionsmünze, hier Banknoten.
Dieser wichtige Gegenstand wird übrigens nach dem Beschlusse des Ministerrates einer nochmaligen Erwägung vorbehalten.
Der Finanzminister glaubte nur noch bemerken zu sollen, daß hierüber mit den Kapitalisten nicht zu sprechen wäre, weil diese gleich auf die beabsichtigte Maßregel spekulieren würden24.
Wien, den 10. Juni 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 17. Juni 1849.