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Nr. 211 Ministerrat, Wien, 16. November 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Schwarzenberg; anw. Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 18. 11.), Krauß 5.12., Bach 29.11., Gyulai 29.11., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 29.11., Thun, Kulmer 26.11.; abw. Stadion.

MRZ. 4225 – KZ. 3770 –

Protokoll der am 16. November 1849 zu Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Besteuerung der Rübenzuckererzeugung

Der Ministerpräsident übergab dem Finanzminister eine an den Ministerrat gerichtete Eingabe mehrerer Rübenzuckerfabrikanten um Aufschub der beabsichtigten Besteuerung der Rübenzucker­erzeugung1.

II. Zeitungsartikel über die Revision des Zolltarifes

Der Handelsminister las einen zu veröffentlichenden offiziellen Artikel zur Beruhigung der österreichischen Industriellen, wodurch erklärt wird, daß die Revision des Zolltarifs nicht ohne Vernehmung der Beteiligten und erst nach stattgefundener allseitiger Besprechung der Kommissions­anträge vor sich gehen werde.

Der Ministerrat war mit diesem Artikel einverstanden, und es wurde nur ein vom Finanzminister vorgeschlagener Zusatz beliebt, wonach sich die Regierung ausdrücklich vorbehält, noch vor der allgemeinen Tarifsrevision nach Maß des Bedarfes in kommerzieller oder finanzieller Beziehung einzelne Tarifsätze zu modifizieren2.

III. Ungarische Reichskrone

Die von dem Ministerpräsidenten verlesene Proklamation Kossuths aus Widin, worin vorkömmt, daß er die ungarische Reichskrone mit sich führe3, veranlaßte den Minister Freiherrn von Krauß zur Bemerkung, daß man bei diesem öffentlichen Geständnis von der türkischen Regierung die Zurückstellung der Krone als eines gestohlenen Gutes, wo nicht auch die Auslieferung Kossuths als eines gemeinen Verbrechers fordern könne4.

IV. Ankauf des Wiener Kriminalgerichtshauses

Der Justizminister besprach vorläufig den in Verhandlung stehenden Ankauf des neuen Kriminal­gerichtshauses von der Wiener Stadtgemeinde um den Betrag von|| S. 835 PDF || einer Million Gulden, welche Summe indes sich größtenteils durch die Gegenforderung des Ärars an Vorschüssen werde kompensieren lassen5.

V. Amnestie für geringere politische Vergehen

Der Justizminister äußerte, daß seiner Meinung nach dermal der Augenblick gekommen sei, Sr. Majestät einen Ah. Gnadenakt zugunsten eines Teils der auf nicht länger als ein Jahr Kerker oder Festungsarrest verurteilten politischen Verbrecher a.u. vorzuschlagen6.

Der FZM. Baron Haynau habe in Pest vor kurzem eine sehr weit gehende Amnestie erlassen, dergegenüber die fortdauernde Kerkerstrafe mancher anderer minder gravierter politischer Verbrecher als eine für die Beteiligten sehr empfindliche Ungleichheit erscheint7.

Da jedoch Minister Ritter v. Schmerling im Prinzipe gegen die Erteilung von Pauschalamnestien ist, so sei er weit entfernt, für die Freilassung aller 57 politischer Verbrecher und Arrestanten zu stimmen, deren Strafdauer unter einem Jahre bemessen wurde, sondern er würde glauben, daß die Ah. Gnade nur denjenigen unter ihnen zuteil werden dürfte, welche ihrer Gemütsbeschaffenheit und Stimmung nach nicht gefährlich sind und durch ihr Benehmen im Arrest nach dem Zeugnis der Strafanstalten einer Nachsicht würdig erscheinen.

Der Ministerrat trat diesen Ansichten bei, und Minister Bach bemerkte, daß dieser Vorgang dem Geiste der österreichischen strafgerichtlichen Gesetzgebung entspreche, welche die Erstattung von Gnadenanträgen nach ausgestandener halber Strafzeit und gegebenen Beweisen von Besserung gestattet.

Es wird demnach vor allem die Vernehmung der Direktoren der Strafanstalten über die fraglichen Arrestanten eingeleitet werden8.

VI. Purifizierung der ungarischen Beamten

Der Justizminister glaubte die Notwendigkeit herausheben zu sollen, das Purifikationsverfahren hinsichtlich der ungarischen Beamten behufs ihrer Wiederanstellung zu vereinfachen, um schneller zum Ziele zu gelangen, da die Aufgabe bei der großen Zahl dieser Beamten unermeßlich sei9.

Der Minister des Inneren gab einige Aufklärungen über den diesfalls bestehenden Geschäftsgang, der ohnehin die Tendenz hat, die Sache nicht zu weit auszuspinnen. Indessen werde der Minister noch eine Kommission besonders zu dem Zwecke zusammensetzen, um weitere Vereinfachungen im Purifikationsverfahren vorzuschlagen.

Auf eine Purifizierung aller jener öffentlichen Beamten, welche unter der Kossuthschen Regierung gedient haben, könne im Grundsatze nicht verzichtet werden10.

VII. Armeereduktion

Der Kriegsminister las den Entwurf seines über die vorläufige Reduktion des Armeeaufwandes zu erstattenden a.u. Vortrages11, mit dessen Inhalt der Ministerrat einverstanden war und nur eine bestimmtere Formulierung der eigentlichen Anträge beschlossen wurde, wobei sich der Ministerrat vorbehielt, seine weiteren a.u. Anträge wegen der Größe des Armeefriedensetats zu erstatten12.

VIII. Donaudampfschiffahrt

Der Handelsminister referierte über das Gesuch des Maschinenfabrikanten Fletcher um Bewilligung, mit seinem Dampfboot mit rotierendem Zylinder die Donau befahren zu dürfen und um ein fünfzehnjähriges Privilegium für die von ihm erfundene Konstruktion des Schiffes und der Maschine13.

Dieses Gesuch stützt sich auf die in den Regierungszirkularien vom 7. Julius 1813 und 22. Dezember 1817 allen Erfindern und Verbesserern von Dampfbooten erteilte Zusicherung von Privilegien zur Befahrung der österreichischen Haupt- und Nebenflüsse. Mittlerweilen ist aber im Jahre 1847 der Ersten Österreichischen Donaudampf­schiffahrts­gesellschaft (mit Rücksicht auf die großen Opfer, welche ihr die Linie der unteren Donau kostet) durch ein ausschließendes Privilegium der Schutz gegen Konkurrenz bis zum Jahre 1880 förmlich zugesichert worden14.

Nachdem aber dieses Privilegium nicht öffentlich kundgemacht worden sei, und man darauf bedacht sein müsse, die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft gegen fremde Konkurrenz zu schützen, um nicht dieses großartige und nützliche Institut großen Verlusten, das Ärar aber Entschädigungsansprüchen auszusetzen, so wurde von dem Ministerrate der einzuhaltende Gang in dieser Angelegenheit reiflich erwogen.

Der eine Weg wäre, dem Fletcher das Schiffahrtsprivilegium zu erteilen, welches ihm, wie der Handelsminister versichert, die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft sofort abkaufen würde, gleichzeitig aber das Gesetz vom Jahre 1817, welches unter den dermaligen Verhältnissen nur Nachteil bringen und selbst wegen der daraus resultierenden unbeschränkten Konkurrenz für die Dampfschiffe auf den österreichischen Binnengewässern in militärischer und politischer Hinsicht bedenkliche Folgen haben kann, aufzuheben. Für diese Modalität stimmte der Finanzminister Baron Krauß.

Der zweite Weg wäre die amtliche Publizierung des der Donaudampf­schiffahrts­gesellschaft erteilten ausschließenden Privilegiums, wodurch das Gesetz vom Jahre 1817 für die Donau und ihre Nebenflüsse faktisch aufgehoben wird. Dieser Modalität gaben die Minister Ritter v. Schmerling und Graf Thun den Vorzug.

|| S. 837 PDF || Der dritte Weg endlich wäre die einfache Abweisung der Bitte Fletchers mit ausdrücklicher Berufung auf das Privilegium der Donaudampf­schiffahrts­gesellschaft, wodurch zugleich implizit eine neue Anerkennung und indirekte Publizierung des Privilegiums herbeigeführt wird. Denn die nachträgliche öffentliche Publikation des fraglichen Privilegiums von amtswegen sei eine delikate Sache, indem die ursprüngliche Gültigkeit desselben für den Umfang des Königreichs Ungarn sehr bestreitbar ist.

Für diese dritte Modalität erklärten sich schließlich die Minister Ritter v. Bruck, Dr. Bach und von Thinnfeld, welchen sich auch die übrigen Minister anschlossen, und wird daher der Gegenstand in diesem Sinne erledigt werden15.

IX. Pension für die Gattin des entlassenen Professors Leopold Graf

Der Unterrichtsminister brachte den bereits in der Sitzung vom 25. September l.J. besprochenen Fall wegen Entlassung des Demagogen Graf von seiner Professur am Tierorganischen Institute neuerdings zur Sprache16, weil dem Minister angezeigt schiene, für die schuldlose Gattin dieses Mannes von der Ah. Gnade eine Unterstützung im Betrage der Witwenpension zu erwirken17. Graf habe durch 37 Jahre im Lehramte sehr gut gedient, und seine Gattin würde daher ohne den politischen Verirrungen desselben auf eine Pension eventuell Anspruch haben. Nun aber sei sie gleich ihrem Gemahl dem Elende preisgegeben. Der Fall schiene Rücksicht zu verdienen.

Mit diesem Gnadenantrage vereinigte sich der Justizminister. Die übrigen Minister glaubten jedoch, einem solchen Antrage dermal nicht beitreten zu können, indem, abgesehen davon, daß derselbe mit dem Prinzipe einer Witwenpension, welche durch die Entlassung eines Beamten stets verwirkt wird, nicht vereinbarlich ist, dieser Fall ein fatales praecedens bilden, und die abschreckende Wirkung der Strafen gegen politische Vergehen schwächen würde18.

X. Ärardarlehen für Ungarn und Siebenbürgen

Da der Mangel an gültigen Geldzeichen in vielen Teilen von Ungarn und Siebenbürgen noch sehr drückend ist und den Verkehr wie auch die Abstattung der Steuern hindert, so besprach der Finanzminister eine Modalität, diesem Mangel durch Ärarialdarlehen unter Haftung der Gemeinden bis zu dem Gesamtbetrag von fünf Millionen Gulden abzuhelfen19. Da jedoch die billige und entsprechende Verteilung dieser Darlehen viele Schwierigkeiten bietet, so wurde wegen vorgerückter Abendstunde beschlossen, diesen Gegenstand wie auch die vom Ministerpräsidenten berührte Einlösung der Kossuthnoten um 1/10 ihres Wertes in einer der nächsten Sitzungen neuerdings reiflich in Beratung zu ziehen20.

Ah.E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 10. Dezember 1849.