Einleitung - Retrodigitalisat (PDF)

Von Thomas Kletečka und Klaus Kocha

Der Konflikt um Schleswig-Holstein - Retrodigitalisat (PDF)

Durch den Tod des dänischen Königs Friedrich VII. am 15. November 1863 erreichte der seit Jahren schwelende deutsch-dänische Konflikt um die staatsrechtliche Stellung der Elbherzogtümer Schleswig-Holstein einen neuen Höhepunkt. Gestützt auf das Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852, in dem die europäischen Mächte die Integrität der dänischen Gesamtmonarchie garantiert hatten, ließ sich Prinz Christian v. Sonderburg-Glücksburg am 16. November 1863 als Christian IX. sowohl zum König von Dänemark als auch zum Herzog von Schleswig-Holstein und Lauenburg ausrufen1. || S. 10 PDF || Zugleich meldete aber auch das Haus Augustenburg durch den Erbprinzen Friedrich VIII. seinen Anspruch auf die Thronfolge in den Herzogtümern an. Die besondere Problematik dieses Erbfolgestreits lag darin, daß die von altersher untrennbar miteinander verbundenen Herzogtümer – „up ewig ungedeelt!“ – einerseits in Personalunion mit Dänemark standen, andererseits mit Holstein und Lauenburg aber zum Deutschen Bund gehörten. Entgegen der ursprünglichen vertraglichen Zusage, den aus seiner Verbindung mit Holstein resultierenden Sonderstatus Schleswigs zu respektieren und weder eine Inkorporation Schleswigs noch irgendwelche Schritte in diese Richtung vorzunehmen, knüpfte der neue dänische König an die Danisierungspolitik seines Vorgängers an, deren Ziel die Einverleibung Schleswigs als dänische Provinz war. Die verfassungsmäßige Grundlage dafür lieferte die auf den Druck der eiderdänischen Nationalisten2 hin erlassene – dritte – dänische Gesamtstaatsverfassung, die die staatsrechtliche Trennung der Herzogtümer besiegelte. Während die Regierungen Österreichs und Preußens ungeachtet der Verfassungsfrage am Londoner Abkommen festhielten und den Thronfolgeanspruch des Glücksburger „Protokollprinzen“ unterstützten, trat die Mehrzahl der deutschen Bundesstaaten – getragen von der öffentlichen Meinung Deutschlands – für den Augustenburger Prätendenten ein. Letzterer galt überdies als betont liberal, was seine Kandidatur geradezu als programmatischen Gegensatz zum alten dualistischen Führungsprinzip erscheinen ließ, zu dem Wien und Berlin angesichts der drohenden Auseinandersetzung Ende des Jahres 1863 ein letztes Mal zurückkehrten3.

Den Anstoß, die schleswig-holsteinische Angelegenheit am 21. November 1863 erstmals im Ministerrat zur Sprache zu bringen, gab offensichtlich eine an Rechberg gerichtete parlamentarische Interpellation, welche Politik die österreichische Regierung hinsichtlich der aktuell gewordenen Erbfolgefrage in den Herzogtümern einzuschlagen gedenke4. Zwei Tage später eröffnete der Kaiser im Ministerrat die entsprechende Grundsatzdebatte, wobei er insbesondere auf die Notwendigkeit einer strikten Trennung der Verfassungsfrage von der Erbfolgefrage hinwies5, was für die österreichische || S. 11 PDF || Politik richtungweisend bleiben sollte. Dies geschah mit gutem Grund, denn hinsichtlich der Sukzessionsfrage in den Herzogtümern war Österreich durch die Bestimmungen des Londoner Vertrages an die Anerkennung des Glücksburgers gebunden, was in Deutschland, wo sich die holsteinische Angelegenheit zum nationalen Anliegen auswuchs, alles andere als populär war. Zudem fühlten sich die deutschen Klein- und Mittelstaaten durch das plötzliche Zusammenwirken Österreichs und Preußens an die Zeiten Metternichscher Kabinettspolitik erinnert, was das Mißtrauen entscheidend vertiefte und den hohen Sympathiewert des Habsburgerreiches in Deutschland mit einem Schlag zunichte zu machen drohte. An eine dauerhafte, über die aktuelle Situation hinausgehende Umorientierung der österreichischen Deutschlandpolitik war jedoch schon angesichts der Zollvereinsproblematik und der Bundesreformpläne nicht zu denken6. Als Ausweg aus diesem Dilemma schien sich ein energisches Vorantreiben der Verfassungsfrage anzubieten, „da man den Strom“, wie der Kaiser meinte, „nicht zurückstauen kann“, weshalb „man demselben mindestens eine unschädliche Richtung zu geben suchen“ müsse7. Rechberg, der sich als persönlicher Garant der Allianz mit Preußen keineswegs der ungeteilten Zustimmung seiner Ressortkollegen erfreute, hätte es indessen vorgezogen, sich auf einen bloßen Protest in der Verfassungsfrage zu beschränken. Mit Rücksicht auf die Stimmung in Deutschland habe er sich allerdings doch entschieden, in Frankfurt auf die Fortsetzung der am 1. Oktober 1863 bereits beschlossenen Bundesexekution gegen Holstein zu dringen8, mit welcher der dänische König als Mitglied des Deutschen Bundes zur Zurücknahme der Gesamtstaatsverfassung und zur Respektierung der Eigenständigkeit und Unteilbarkeit der Herzogtümer gezwungen werden sollte.

Der Bundestag zeigte hingegen wenig Bereitschaft, der rigorosen Trennung der beiden Fragenkomplexe in der von Österreich und Preußen vorgeschlagenen Form zu folgen. Ausschlaggebend dafür war das „subtile Bedenken“, daß eine Bundesexekution gegen das faktisch von Dänemark besetzte Holstein die Anerkennung der Sukzessionsrechte des dänischen Königs involviert hätte, da sich nämlich eine Exekution nach den Bestimmungen der Wiener Schlußakte nur gegen die rechtmäßige Regierung eines Landes richten konnte, die ihre Bundespflichten verletzte. Nach Auffassung der Bundestagsmehrheit handelte es sich im konkreten Fall jedoch um das Vorgehen gegen || S. 12 PDF || einen – ausländischen – Usurpator, wozu es des Instruments der Bundesintervention bedurfte, was die Erbfolgefrage freilich nicht minder – nur eben zugunsten des Augustenburgers – präjudizierte. „Das alte Bundesräderwerk greift eben in dieser Sache auch nicht mehr an“, stellte Rechberg sichtlich konsterniert fest9. Es war tatsächlich ungewöhnlich, die beiden deutschen Großmächte am Bundestag derart majorisiert zu sehen. Sollte Österreich und Preußen dennoch die Durchsetzung der Bundesexekution gelingen, dann galt es zur „Verhütung eines allgemeinen Krieges“10 den bevorstehenden Konflikt möglichst zu begrenzen. Zu diesem Zweck sollte den Signatarstaaten des Londoner Protokolls zugesichert werden, daß ein Einschreiten des Bundes nur die Lösung der Verfassungsfrage zum Ziel hätte, ohne die vertraglich bereits geregelte Erbfolgefrage zu tangieren. Darin lag jedoch ein entscheidender Schönheitsfehler, denn vertraglich gebunden waren bloß die beiden deutschen Großmächte, während weder der Deutsche Bund noch die Mehrzahl der deutschen Klein- und Mittelstaaten dem Londoner Abkommen beigetreten waren11. Das „wohlverstandene Interesse“ Österreichs, Holstein der dänischen Krone zu erhalten, resultierte aus dem realpolitisch zweifellos richtigen Kalkül, daß ein selbständiges – also etwa augustenburgisches – Herzogtum faktisch dem preußischen Machtbereich zufallen würde, was es nicht zuletzt aus bundespolitischen Erwägungen zu vermeiden galt12. Anders präsentierte sich die Situation naturgemäß aus der Sicht Berlins, wo Bismarck, der gleichzeitig in den Verfassungskonflikt verstrickt war, seine Allianzpolitik mit Österreich nur unter größter Anstrengung gegen die augustenburgische Option im Kabinett durchzusetzen vermochte13. Unabhängig von ihren divergierenden Sonderinteressen in der holsteinischen Frage waren aber weder Österreich noch Preußen gewillt, durch einen Bruch des Londoner Vertrags einen europäischen Konflikt heraufzubeschwören.

Parallel zu den Beratungen über die politische Haltung der österreichischen Regierung in der schleswig-holsteinischen Angelegenheit wurden im Ministerrat am 23. November 1863 erstmals auch die militärischen Vorbereitungen einer – noch ungewissen – Bundesexekution in Holstein erörtert: Nicht hinter Preußen zurückbleiben und es keinesfalls alleine handeln lassen, lautete die vom Kaiser zur Ehrensache erhobene Devise. Diese Forderung stand allerdings nicht unbedingt im Einklang mit den in Österreich traditionellerweise vorhandenen Schranken mangelnder Finanzen und langsamer Mobilmachung. Während Preußen bereits zwei Divisionen und die gesamte Flotte gegen Dänemark in Bereitschaft gesetzt hatte14, mußte Degenfeld gestehen, daß || S. 13 PDF || ihm selbst die Aufstellung einer einzigen Division zum momentanen Zeitpunkt ungelegen komme. Ein weiteres Problem stellte nach den Ausführungen des Kriegsministers die Frage dar, ob aus Ersparnisgründen mit der Aufstellung der Truppenkörper nicht der definitive Exekutionsbeschluß der Bundesversammlung abgewartet werden soll, da eine Kostenvergütung aus der Bundeskasse erst nach Ausmarsch erfolge. Unter diesen Umständen wurde Degenfeld vorderhand nur mit der Vorbereitung der im Bedarfsfall notwendigen Anordnungen und Erlässe beauftragt15. Doch schon eine Woche später teilte Rechberg der Konferenz mit, daß sich der Kaiser dazu entschlossen habe, wenigstens eine Brigade zur „etwaigen Mitwirkung bei der Bundesexekution“ in Bereitschaft setzen zu lassen; den dafür notwendigen Mehraufwand versprach Degenfeld dem Finanzminister bekanntzugeben, damit dieser mit einer entsprechenden Nachtragsforderung vor den Reichsrat treten könne16. Gemäß den Anträgen der Bundesmilitärkommission war jedoch die Aufstellung einer 6000 Mann starken Brigade durch Österreich nur insofern ausreichend, als Dänemark dem Einrücken des deutschen Exekutionskorps in Holstein keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzte. Für den Fall massiver dänischer Gegenwehr müßte das österreichische Kontingent aber um drei Brigaden – damit insgesamt 20.000 Mann – vermehrt werden, wozu die entsprechenden Mobilisierungen durchzuführen wären17. Obwohl Rechberg hinter diesen Anträgen den Einfluß der „kriegerischen Frankfurter Atmosphäre“ zu erkennen glaubte und die entsprechenden Maßnahmen lieber von einer definitiven Entscheidung über die Bundesexekution abhängig gemacht hätte, kam die Regierung am 5. Dezember überein, die militärischen Vorbereitungen unverzüglich in die Wege zu leiten18.

Unterdessen war auch Österreich von der augustenburgischen Bewegung erfaßt worden. Täglich bildeten sich neue Komitees und Unterstützungsvereine für Schleswig-Holstein. Die Presse tat das Ihre, um die Stimmung in der Öffentlichkeit gegen den Regierungskurs anzuheizen19. So konfrontierte etwa Mecséry Ende November seine Regierungskollegen mit einer Petition zur Abhaltung einer Volksversammlung für die Herzogtümer in Wien, was man kurzerhand und ohne Angabe von Gründen polizeilich || S. 14 PDF || verbieten ließ20. Widerstand drohte dem Kabinett nicht zuletzt auch seitens des Parlaments, das laut Verfassung zwar keine Ingerenz auf die Außenpolitik, sehr wohl aber auf die dafür notwendigen Budgetmittel hatte. Für einige Aufregung sorgte in diesem Zusammenhang eine Proklamation, die der Augustenburger wohlweislich direkt an das Präsidium des Abgeordnetenhauses gerichtet hatte, was nicht nur einen äußerst ungewöhnlichen, sondern nach Ansicht des Ministerrates auch ungesetzlichen Vorgang darstellte. Schmerling, der als entschiedener Gegner Preußens dem außenpolitischen Konzept Rechbergs nur halbherzig folgte, benützte die Gelegenheit, um den Außenminister wegen seiner bisherigen Nachgiebigkeit gegenüber dem Abgeordnetenhaus zu attackieren21. Größere Schwierigkeiten noch als die österreichische Regierung mit ihrem Parlament hatte die preußische mit der Zweiten Kammer, die Anfang Dezember sogar eine Resolution zugunsten des Augustenburgers verabschiedete22.

Gewichtiger als diese peinlichen Manifestationen im Inneren waren die Niederlagen, die Österreich und Preußen in Frankfurt einstecken mußten. Der entscheidende Durchbruch auf dem Weg zur Bundesexekution gelang den beiden Großmächten schließlich erst mit dem Bundesbeschluß vom 7. Dezember 1863, der die Regierungen von Österreich, Preußen, Sachsen und Hannover zum unverzüglichen Vollzug der Bundesexekution anwies23. Um dies zu erreichen, hatten Wien und Berlin in einer gemeinsamen Erklärung ausdrücklich festgehalten, eine Fortsetzung der Bundesexekution keinesfalls als Präjudiz für die Erbfolgefrage zu betrachten24. Somit diente die Exekution dem Rechtstitel nach ausschließlich nur dazu, Dänemark zur Aufhebung der Novemberverfassung und zur Respektierung der rechtlichen Stellung der Herzogtümer im dänischen Gesamtstaatsverband zu zwingen. In Wahrheit sah die Angelegenheit, wie sich zeigen sollte, freilich anders aus: Während Preußen auf die Gelegenheit einer faktischen Annexion der Herzogtümer lauerte, wofür es auch eine Ausdehnung des Konflikts in Kauf nahm, gingen die deutschen Mittelstaaten davon aus, daß sich der Augustenburger in den erst einmal von Dänemark befreiten Gebieten recht schnell || S. 15 PDF || werde etablieren können; um die bloße Erfüllung der internationalen Verträge im Interesse des europäischen Gleichgewichts war es dagegen einzig und allein Österreich zu tun, für welches – und auch das sollte sich zeigen – die Herzogtümer allenfalls als Kompensationsobjekt in Frage kamen25.

Nachdem Dänemark der ultimativen Forderung nach Räumung Holsteins und Lauenburgs nicht nachgekommen war, begann das sächsisch-hannoveranische Exekutionskorps am 23. Dezember mit dem Einmarsch in die Herzogtümer, während sich die österreichischen und preußischen Truppen zunächst vereinbarungsgemäß in Reserve hielten. Mit Jahresende war die rasche und widerstandslose Einnahme des ganzen Landes bis zur Eider, die die Grenze zu Schleswig bildete, abgeschlossen. Zur Verwaltung der besetzten Herzogtümer wurden zwei Bundeskommissäre bestellt, die der augustenburgischen Agitation weitgehenden Spielraum gewährten26.

Mit der Besetzung Holsteins und Lauenburgs waren die bundesrechtlichen Möglichkeiten, Dänemark zur Erfüllung der Verträge von 1851/52 zu zwingen, im Grunde ausgeschöpft. Jedes weitere militärische Vorgehen – etwa in Schleswig – stellte im völkerrechtlichen Sinn einen Krieg dar, der automatisch die europäischen Mächte auf den Plan rufen mußte. Trotzdem konnten Österreich und Preußen nicht umhin, in Frankfurt die „Pfandbesetzung“ Schleswigs zu fordern, wenn sie der dänischen Trennungspolitik nicht unfreiwillig Vorschub leisten wollten. Obwohl die deutschen Mittelstaaten diese Forderung in der Bundesversammlung entschieden ablehnten, waren auch sie für eine Okkupation Schleswigs, allerdings mit dem Ziel, es mit Holstein zu einem einheitlichen deutschen Staat unter augustenburgischer Herrschaft zu vereinigen. Während letzteres im krassen Widerspruch zum Londoner Abkommen stand, eröffnete die Ausdehnung des Krieges auf Schleswig unter dem „Rechtstitel“ einer Pfandnahme die Chance auf internationale Zustimmung27.

Mittlerweile hatten Österreich und Preußen jedoch einsehen müssen, daß ihrem Durchsetzungsvermögen in Frankfurt Grenzen gesetzt waren, so daß sie – auf Anregung Berlins28 – zu Beginn des Jahres 1864 beschlossen, den widerspenstigen Bund gegebenenfalls auszuschalten und eigenmächtig vorzugehen: Am 10. Jänner befaßte sich der Ministerrat mit dem Entwurf einer entsprechenden Punktation mit Preußen über ein gemeinsames Vorgehen in der schleswig-holsteinischen Angelegenheit29. Die darin vorgeschlagene Pfandbesetzung Schleswigs verfolgte einen doppelten Zweck. || S. 16 PDF || Einerseits diente sie als Druckmittel auf Dänemark zur Aufhebung der Novemberverfassung und andererseits sollte sie einem „inkompetenten“ Bundesbeschluß über das Erbfolgerecht in den Herzogtümern zuvorkommen. Da alle europäischen Großmächte ihre Ablehnung der dänischen Verfassung in Kopenhagen deponiert hatten, war nach Ansicht Rechbergs nicht zu erwarten, „daß eine derselben gegen uns einen Krieg eröffnen wird“, weshalb die Pfandbesetzung Schleswigs „wohl ein Lokalkrieg bleiben und kein europäischer daraus entstehen wird“. Eine ganz andere Reaktion war freilich dann abzusehen, wenn eine Okkupation Schleswigs zur Durchführung eines Bundesbeschlusses über die Erbfolge stattfinden sollte. Angesichts dieser Gefahr und des drohenden Mehrheitsverhältnisses in Frankfurt erklärten Österreich und Preußen, jeden von ihren Anträgen abweichenden Beschluß des Bundestags zur Besetzung Schleswigs als null und nichtig zu betrachten. Um Rechberg auf diesen autoritären Kurs einzuschwören, hatte Bismarck dem österreichischen Außenminister rechtzeitig das Szenario eines vom westlichen Ausland entfachten Revolutionsbrandes vor Augen geführt30. Trotz des latenten Mißtrauens über die Annexionsgelüste des preußischen Bundesgenossen nahm der Ministerrat keinen Anstoß daran, daß Wien und Berlin für den Fall des Ausbruchs von Feindseligkeiten eine (Neu-)Regelung der künftigen Verhältnisse der Herzogtümer – und zwar zu „günstigeren“ Bedingungen, wie Biegeleben betonte – vorbehalten bleiben sollte. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß eine solche Absicht einen Bruch des Londoner Vertrages voraussetzte, war dabei für Österreich auch kaum etwas zu gewinnen. Grundsätzliche Bedenken gegen die „Inpfandnahme eines nichtdeutschen Landes als Fortsetzung der Bundesexekution“ meldete nur Lasser an, der wegen des Fehlens eines Rechtstitels internationale Komplikationen befürchtete, dann aber doch mit seinen Regierungskollegen für die eine Woche darauf unterzeichnete Punktation stimmte31. Österreich hatte sich damit zwar für den Fall eines drohenden preußischen Regierungswechsels abgesichert, preußische Annexionspläne waren auf diese Weise jedoch nicht zu unterbinden.

Die schroffe Haltung Wiens und Berlins vor dem Bundestag ließ die Wellen der nationalen Empörung neuerdings hochgehen. Einmal mehr trachteten die Landesparlamente auf dem Umweg über ihr Budgetbewilligungsrecht einen Einfluß auf die Außenpolitik zu erlangen. So verweigerte die preußische Kammer dem Berliner Kabinett eine Anleihe zur Deckung der Kosten für seine schleswig-holsteinische Politik32. Ähnliches befürchtete die österreichische Regierung, als sie sich im Ministerrat vom 18. Jänner mit einem geplanten Nachtragskredit von 10 Millionen Gulden befaßte33. Während sich Rechberg im Zusammenhang mit einer Interpellation Mühlfelds über die Regierungspolitik in der schleswig-holsteinischen Frage zu keinerlei Auskünften veranlaßt || S. 17 PDF || sah34, mußte er darüber im Finanzausschuß des Abgeordnetenhauses sehr wohl Rede und Antwort stehen35. Unangenehm konnte es werden, wenn das Haus etwa eine Trennung der Budgetposten verlangen sollte, um die Forderung für die – sozusagen legale – Bundesexekution in Holstein zu bewilligen, die Mittel für die eigenmächtige Intervention in Schleswig aber abzulehnen. Vorderhand blieb der Regierung jedoch nichts übrig, als stereotyp auf die Einhaltung des Londoner Vertrages zur Vermeidung eines europäischen Krieges hinzuweisen und die Stimmung im Abgeordnetenhaus abzuwarten36.

Unterdessen hatten Österreich und Preußen ihre Truppen ungeachtet der Proteste seitens des Bundes in Holstein einrücken lassen. Am 1. Februar überschritt die aus je einem österreichischen und einem preußischen Korps bestehende Armee die Eider und besetzte nun auch Schleswig mit Ausnahme der im Verlauf des Krieges berühmt gewordenen Düppeler Schanzen und Alsens. Die provisorische Verwaltung des Großherzogtums teilten sich ein österreichischer und ein preußischer Zivilkommissär, wogegen Holstein natürlich weiter in der – wenn auch schwachen – Hand des Bundes blieb. Abermals hatte sich Dänemark zum taktischen Rückzug entschlossen, doch diesmal antwortete es mit einer Verlagerung des Krieges auf die See, wo es der deutschen Handelsschiffahrt durch Kaperungen empfindliche Verluste bereitete. Zudem hatte Kopenhagen Anfang Februar über alle deutschen, preußischen und österreichischen Schiffe in dänischen Häfen ein Embargo verhängt37. Obwohl von den dänischen Kaperungen zunächst noch keine österreichischen Schiffe betroffen waren, wurde die Regierung Mitte Februar von Triest aus alarmiert, entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Unmittelbare Gefahr drohte der österreichischen Adriaschiffahrt von zwei in Piräus stationierten dänischen Kriegsschiffen, wogegen nach Meinung des Marineministers ein „ziemlich ausreichender Schutz vorhanden“ sei. Anders verhielt es sich dagegen mit einer großen Anzahl österreichischer Schiffe westlich von Gibraltar, denen Burger zunächst nur mit zwei Kriegsschiffen zu Hilfe kommen wollte38. Schließlich entschied sich Österreich dann doch für die Ausrüstung eines ganzen Geschwaders, das Ende März aus Pola auslief und nach langer stürmischer Fahrt erst Anfang Mai in der Nordsee ankam, um dort allerdings eine recht erfolgreiche Bewährungsprobe für die junge k. k. Kriegsmarine abzulegen. Neben dem Schutz der Handelsschiffahrt bestand das Ziel dieser maritimen Expedition vor allem darin, die dänische Blockade der deutschen || S. 18 PDF || Nordseehäfen zu brechen39. Damit entsprach Österreich indirekt auch einer seinerzeit vom Senat der Stadt Hamburg an die Regierung herangetragenen Bitte, zwei Panzerfregatten zum Schutz gegen eine dänische Blockade an der Elbemündung zur Verfügung zu stellen40.

Trotz einer im Vergleich zu Holstein restriktiven kommissarischen Verwaltung wurde auch Schleswig nach der Vertreibung der Dänen von der augustenburgischen Bewegung erfaßt. Ende Februar traf in Wien eine Deputation aus Schleswig ein, die in einer an den Kaiser gerichteten Adresse die völlige Trennung ihres Landes von Dänemark, die Anerkennung der alten – augustenburgischen – Erbfolge und die Unteilbarkeit der Elbherzogtümer forderte. Obwohl der Delegation ein offizielles Mandat fehlte und sie bloß „als ein Körper von Vertrauensmännern“ empfangen wurde, erkannte die Regierung die propagandistische Bedeutung der im Ministerrat diskutierten Antwort41. Dennoch fiel ihre Formulierung nichtssagend und schwammig aus. Eine klare Absage erhielt die Deputation nur in bezug auf die Sukzessionsfrage. Rechberg räumte allerdings ein, daß „unter den gegenwärtigen Umständen“ nicht mehr der Londoner Vertrag, sondern vielmehr der Wille der europäischen Großmächte zur Erhaltung der Integrität Dänemarks entscheidend sei42. Dies war gewissermaßen auch als Antwort Österreichs auf das langsame Abrücken Preußens vom Londoner Protokoll zu deuten.-Letzteres manifestierte sich vor allem in den Bemühungen Berlins, Wien für eine Ausdehnung des Krieges nach Jütland zu gewinnen, was angesichts des dänischen Brückenkopfes bei Düppeln und des Besitzes der Insel Alsen militärisch zwar erforderlich erschien, sich jedoch eindeutig im Widerspruch zum Jännerabkommen mit Österreich befand43. Nach einigen erfolglosen Anläufen Bismarcks entsandte König Wilhelm I. seinen Generaladjutanten Edwin v. Manteuffel zur Aufnahme entsprechender Verhandlungen nach Wien. Deren Ergebnis lag dem Ministerrat Anfang März in Form einer neuerlichen – zweiten – Punktation über das gemeinsame militärisch-diplomatische Vorgehen mit Preußen vor44: Wien und Berlin kamen darin überein, Jütland in || S. 19 PDF || ihre militärischen Operationen miteinzubeziehen, Düppeln und Alsen aber nach wie vor als Hauptangriffsziel zu betrachten. Um dem Konflikt „den Charakter eines lokalen Krieges zu erhalten“ und einer „Intervention dritter Mächte vorzubeugen“, vereinbarten Österreich und Preußen, den europäischen Kabinetten die Kontinuität ihrer bisherigen Politik zu versichern und sie über den rein militärischen Zweck ihrer Vorgangsweise aufzuklären. Gleichsam unterstrichen wurden ihre „versöhnlichen Absichten“ durch die Erklärung, einem Waffenstillstand und einer Friedenskonferenz gegebenenfalls zustimmen zu wollen. Allerdings erklärten Wien und Berlin jetzt explizit, die Verträge von 1851/52 durch den Kriegsausbruch als gegenstandslos zu betrachten und „sowohl in bezug auf die Zusammengehörigkeit der Herzogtümer Holstein und Schleswig als in bezug auf deren verfassungsmäßige […] Stellung in der dänischen Gesamtmonarchie anderweite, die Rechte und Interessen Deutschlands gewährleistende Grundlagen auf den Konferenzen in Vorschlag zu bringen“45. Dies bedeutete zwar noch ein Festhalten an der dänischen Erbfolge auf der Basis des Londoner Vertrags, eröffnete darüber hinaus aber weitestgehenden Spielraum für eine künftige Friedensregelung. So dachte man in diesem Zusammenhang etwa an eine Eingliederung Schleswigs in den Deutschen Bund oder eine Erklärung Rendsburgs zur Bundesfestung. Indessen wurde der ursprünglich so zentralen Frage nach dem Rechtstitel für das militärische Vorgehen hinsichtlich des Angriffs auf Jütland kaum mehr Beachtung geschenkt, was zeigt, welche Eigendynamik der Krieg unterdessen gewonnen hatte. Unverhohlen war dieses Phänomen bereits zutage getreten, als preußische Truppen schon vor der Vereinbarung mit Österreich in Jütland einmarschiert waren und die Stadt Kolding besetzt hielten46. Obwohl dieser Vorfall für einige Verstimmung zwischen Wien und Berlin gesorgt hatte, zögerte Österreich nicht, dem preußischen Bundesgenossen jetzt – sozusagen im nachhinein – die nötige Rückendeckung zu verschaffen. Angesichts des preußischen Vorhabens, sich weiter in Jütland auszubreiten, bezeichnete es Rechberg als Zweck des vorliegenden Abkommens, zu verhindern, „daß die Invasion Jütlands zu bedenklichen Komplikationen führe, und zu bewirken, daß das Hauptobjekt der Eroberung der Düppeler Schanzen sowie Alsens allen Ernstes angestrebt werde“47.

Tatsächlich ging Preußen nun ernsthaft daran, die Einnahme der Düppeler Schanzen vorzubereiten. Es fühlte sich dabei allerdings weniger dem Abkommen mit Wien verpflichtet, als vielmehr dem Umstand, noch keinen wirklichen militärischen Erfolg errungen zu haben, währenddessen Österreich bereits auf das siegreiche Gefecht bei Oeversee (6. Februar 1864) zurückblicken konnte. Am 18. April traten die preußischen Truppen schließlich nach wochenlanger Belagerung zum Angriff auf das Schanzenwerk an, um es unter großen Verlusten auf beiden Seiten im Sturm zu nehmen und die || S. 20 PDF || Dänen auf die Insel Alsen zurückzudrängen. Zugleich setzte die alliierte Armee ihren Vormarsch in Jütland fort.

Unterdessen hatte nach Österreich und Preußen endlich auch Dänemark den Vorschlag Englands zur Abhaltung einer Friedenskonferenz angenommen48. Aufgewertet durch ihre jüngsten militärischen Erfolge, erklärten Wien und Berlin bei der am 25. April eröffneten Verhandlungsrunde in London, das „Feld der Diskussion“ für vollkommen frei von jeder Beschränkung durch ihre Verträge zu betrachten49. Konkret bedeutete dies zunächst noch ein Festhalten an ihrer alten Forderung nach einer reinen Personalunion der darüber hinaus völlig unabhängigen Herzogtümer mit Dänemark50. Dieser Vorschlag scheiterte ebenso an der starren Haltung Kopenhagens wie die auf Anregung Frankreichs zurückgehenden Versuche einer Gebietsteilung nach ethnischen Gesichtspunkten51. Somit endete die Londoner Konferenz am 25. Juni ergebnislos, sieht man von einem vorübergehenden Waffenstillstand ab. Doch schon tags darauf nahmen Österreich und Preußen die Kampfhandlungen wieder auf, um nun auch Alsen einzunehmen (29. Juni) und die Besetzung Jütlands zu vollenden. Erst jetzt, am 12. Juli, zeigte sich Dänemark zur Kapitulation bereit. Seine zuletzt in London noch zugestandenen Ansprüche auf die Herzogtümer hatte es indessen ebenso gründlich verwirkt wie den Beistand der internationalen Garantiemächte. In den Friedenspräliminarien vom 1. August mußte Dänemark folglich Schleswig-Holstein und Lauenburg an Österreich und Preußen abtreten52. Da der Deutsche Bund in konsequenter Fortsetzung der dualistischen Hegemonialpolitik von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen blieb, konnte er auch die augustenburgische Karte nicht mehr ins Spiel bringen. Dagegen bekannte sich nun Preußen immer offener zu seinen Annexionsplänen, denen Österreich bedauerlicherweise nichts entgegenzusetzen vermochte. Statt dessen trachtete Rechberg, die Herzogtümer als Kompensationsobjekt für eine preußische Unterstützung Österreichs in der italienischen Frage einzusetzen53. Da dieser und ähnliche Versuche im Sommer 1864 nie zur Vertragsreife gelangten, sah sich Österreich durch die || S. 21 PDF || Bestimmungen des Wiener Friedens vom 30. Oktober 1864 mit dem gemeinsamen Erwerb der Herzogtümer konfrontiert, die auf diese Weise bereits den Keim für künftige Auseinandersetzungen zwischen den beiden deutschen Großmächten in sich trugen.

Der Kampf um den Deutschen Zollverein im Schatten des „renversement des alliances“ 1863/64 - Retrodigitalisat (PDF)

Die Wiederaufnahme der österreichisch-preußischen Allianzpolitik aus Anlaß der schleswig-holsteinischen Krise 1863/64 blieb nicht ohne Rückwirkungen auf die Handelspolitik, an deren Front ein regelrechter Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft in Deutschland tobte54. Nachdem sich Preußen 1862 durch den Abschluß eines Handelsvertrages mit Frankreich bedingungslos an das westeuropäische Freihandelssystem angeschlossen hatte, weigerte sich die Mehrzahl der vor allem süd- und mitteldeutschen Zollvereinsstaaten, dem handelspolitischen Diktat Berlins zu folgen. Österreich, dessen Aufnahme in den Deutschen Zollverein seit Jahren von Preußen boykottiert wurde, nützte diesen Konflikt, um sich – gemeinsam mit Bayern – an die Spitze der antipreußischen Schutzzollkoalition zu stellen und eigene Zollunionspläne zu verfolgen55. Trotz gewisser diplomatischer Anfangserfolge zeigten die Ergebnisse der „Münchner Registratur“ vom 12. Oktober 1863 56, daß die Zollvereinsstaaten in letzter Konsequenz nicht gewillt waren, ihre wirtschaftspolitische Sicherheit zugunsten eines Experiments unter der Führung Wiens aufzugeben. Dies umso mehr, als Berlin die Vertrags- und fristgemäße Kündigung der laufenden Zollvereinsverträge mit Ablauf des Jahres 1863 als Druckmittel für ein Einschwenken auf seinen Freihandelskurs verwendete57. Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt auch angesichts des Affronts, den die Rückkehr Wiens zur direkten Verständigungspolitik mit Berlin im Rahmen der schleswig-holsteinischen Angelegenheit gegen die mitteldeutschen Bundesgenossen darstellte, begann sich der Zusammenbruch der antipreußischen Koalition zu Beginn des Jahres 1864 erstmals deutlich abzuzeichnen. Analog zur politisch-militärischen Allianz hatte es Bismarck darüber hinaus verstanden, Rechberg mit dem Angebot gesonderter bilateraler Zollverhandlungen zwischen Österreich und Preußen zu locken.

|| S. 22 PDF || Welcher Wert dem großzügigen Verhandlungsangebot Berlins tatsächlich beizumessen war, das sollte Österreich schon bald nach dem Beginn der Prager Zollkonferenz Mitte März 1864 erfahren, als sich der österreichische Zollexperte, Carl Freiherr v. Hock, einem zweitrangigen preußischen Ministerialbeamten anstelle des in Wirtschaftsfragen versierten Rudolph v. Delbrück als Verhandlungspartner gegenübergestellt sah58. Von dieser bewußten Abwertung der Prager Beratungsrunde war indessen in Wien noch nichts bekannt, als sich der Ministerrat aus gegebenem Anlaß am 18. März einmal mehr mit der deutschen Zolleinigung befaßte59. Um eine optimistische Erwartungshaltung erst gar nicht aufkommen zu lassen, stellte der Leiter des Handelsministeriums und Verfechter eines gemäßigten Schutzzollsystems, Freiherr v. Kalchberg60, einleitend fest, daß „bei diesem prallen Gegensatze der beiderseitigen Anschauungen eine Annäherung nicht zu erwarten ist“, weshalb nach wie vor eine Zolleinigung mit dem außerpreußischen Deutschland angestrebt werden müsse; dazu sei es jedoch im Interesse konkreter Vorschläge notwendig, die hohen österreichischen Zollsätze zu senken, um eine weitgehende Anpassung an das Freihandelssystem zu erreichen. Tatsächlich waren letzten Endes sämtliche Bemühungen Wiens um eine Zolleinigung bisher an diesem Punkt gescheitert. Daran hatte auch der neue österreichische Zolltarifentwurf nichts geändert, der erst wenige Monate zuvor im Ministerrat besprochen worden war61. Etwas mehr Zuversicht vermittelte dagegen naturgemäß Rechberg, der im preußischen Verhandlungsangebot „immerhin eine gewisse Bereitwilligkeit“ zu erkennen glaubte, die Österreich nicht unberücksichtigt lassen konnte. Mehr als die Einigung auf eine gemeinsame Verhandlungsbasis erwartete allerdings auch er zunächst nicht. Zweifellos unterschätzt wurde von Rechberg die psychologische Wirkung der Prager Konferenz auf die mit Österreich verbündeten Klein- und Mittelstaaten, woran die „beruhigenden Erklärungen“ Wiens, daß diese Zusammenkunft bloß „ein ganz unpräjudizierlicher Versuch“ einer Annäherung sei, kaum etwas änderten62.

Als schlichtweg peinlich für Österreich sollte sich im Laufe der Beratungen in Prag die Verhandlungsführung Hocks erweisen, der ganz offensichtlich die Absicht verfolgte, die von seiner Regierung angestrebte Zolleinigung zu hintertreiben. Dies bot den Preußen freilich einen tiefen Einblick in die handelspolitische Zerrissenheit der Wiener Führung. Abgesehen davon kam in Prag auch hinsichtlich der unterschiedlichen Tarifpolitik kein Kompromiß zustande, so daß die erste Verhandlungsrunde erwartungsgemäß || S. 23 PDF || scheiterte63. Bismarcks Plan hingegen, Österreich aus der süd- und mitteldeutschen Sonderbundkoalition herauszubrechen und es in erfolglosen Separatverhandlungen zu isolieren, trug schon bald Früchte, indem sich eine ganze Reihe deutscher Staaten im Sommer 1864 dem handelspolitischen Diktat Berlins unterwarf64.

Belagerungszustand in Galizien - Retrodigitalisat (PDF)

Die Probleme, die sich aus dem polnischen Aufstand für Österreich ergaben, beschäftigten nach wie vor den Ministerrat. Und es waren auch die zwei alten Themenkreise, die zur Sprache kamen: welche Auswirkungen hat der Aufstand auf die äußeren Beziehungen und wie wirkt er sich im Inneren, hauptsächlich in Galizien aus65.

Die österreichische Außenpolitik ist schon an anderer Stelle dargelegt worden. Das vorsichtige Lavieren der Donaumonarchie hatte zumindest insoweit Erfolg, als der von Wien gefürchtete Ausbruch eines großen Krieges bis dahin nicht stattgefunden hatte. Dennoch bestand diese Gefahr weiter und zwang Österreich zur Aufstockung der – relativ geringen – Truppenkörper in Galizien66. Die außenpolitische Situation begann sich aber gegen Ende 1863 zu ändern. Nachdem auch der letzte Versuch Napoleons III., die polnische Frage auf gesamteuropäischer Ebene – denn das war das eigentliche Ziel seines Kongreßplanes – zu lösen, in sich zusammengebrochen war67 und der Aufstand in Kongreß-Polen selbst mehr und mehr erlahmte, wurde die Möglichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung unter den Großmächten zusehends unwahrscheinlicher. Dafür tauchte ein neues Problem auf: Schleswig-Holstein68. Das immer engere Zusammengehen mit Preußen in dieser Frage hatte auch weitreichende Konsequenzen für die Polenpolitik der Habsburgermonarchie. Nach der Schlappe des Frankfurter Fürstentages69 konnte Österreich durch die verbesserte Beziehung zur anderen || S. 24 PDF || Großmacht des Deutschen Bundes, die obendrein noch mit Rußland verbündet war, seine Machtstellung in Deutschland zumindest stabilisieren und sich so dem politischen Einfluß der Westmächte, vor allem Frankreichs, in der polnischen Angelegenheit weitgehend entziehen.

Waren die österreichischen Behörden schon früher mit Problemen konfrontiert, die sich aus dem Zuzug von polnischen Flüchtlingen nach Galizien ergaben, so wurde die Situation durch den voraussehbaren Zusammenbruch des Aufstandes zusehends brisanter. Je erfolgreicher Rußland die Rebellion in Kongreß-Polen unterdrückte, desto mehr wichen die Insurgenten nach Galizien aus. Und, was wichtiger als das Flüchtlingsproblem war, auch die politischen Aktivitäten in Krakau und Galizien gewannen für die Polen immer mehr an Bedeutung. Gerüchte über einen bevorstehenden Aufstand in diesem Teil des Habsburgerstaates tauchten auf70. Die Berichte, die aus Galizien eingingen, dokumentierten deutlich das sich verschärfende politische Klima; das ging von Drohungen gegenüber offiziellen Stellen bis zum politischen Mord71. Anfang November brachte Schmerling diese Angelegenheit vor dem Ministerrat zur Sprache72. Tatsächlich wurde nicht mehr darüber diskutiert, ob, sondern wie weit die notwendig erscheinenden Sondermaßnahmen zu gehen hätten. Zwei stichhaltige Argumente gegen die sofortige Durchführung der außerordentlichen Maßregeln wurden während der diesbezüglichen Beratungen vorgebracht. Der Finanzminister äußerte die Befürchtung, daß eine verschärfte Gangart der österreichischen Behörden in Galizien, die als Zeichen der Abkoppelung der österreichischen Polenpolitik von jener der Westmächte gedeutet werden könnte, die von ihm geplante große Anleiheoperation in Paris und London nachhaltig stören würde. Darum bat Plener um eine Verschiebung der „koerzitiven Schritte“73. Der Staatsratspräsident wiederum hatte Bedenken verfassungsrechtlicher Art. Die besonderen Maßnahmen, so Lichtenfels, würden im Reichsrat nicht durchzubringen sein; und der § 13 könne während der Zeit, in der das Parlament versammelt ist, nicht in Anwendung gebracht werden. Einfacher und zielführender wäre es, gleich den Belagerungszustand auszurufen74. Damit ergaben sich für den Ministerrat zwei prinzipielle Möglichkeiten, in Galizien einzugreifen – den Belagerungszustand zu verordnen oder mit der Durchführung weniger drastischer Maßnahmen bis nach der Auflösung des Reichsrates zu warten. Der Statthalter von Galizien, Graf Mensdorff, drängte aber vehement auf Sondervollmachten75. Eine gewisse Verwirrung entstand im Ministerrat, da man nicht genau wußte, welche Fassung der wiederholt modifizierten || S. 25 PDF || Ausnahmsregeln Mensdorff eigentlich im Auge hatte76. Dadurch und durch administrative Vorbereitungen sowohl auf dem zivilen als auch militärischen Sektor wurde die Durchführung der Aktion verzögert. Erst nach Schluß der Reichsratssitzung, als die Situation in Krakau und Galizien schließlich unhaltbar erschien, wurde der Belagerungszustand über diese Gebiete verhängt77.

Lombardo-Venetien - Retrodigitalisat (PDF)

Der polnische Aufstand und die kriegerische Auseinandersetzung um Schleswig-Holstein78 ließen die venezianische, oder im weitesten Sinne die italienische Frage um die Jahreswende 1863/64 scheinbar an Aktualität verlieren. Aber nur scheinbar. Die Basis der österreichischen Außenpolitik war noch immer durch die beiden Schwerpunkte bestimmt: Italien und Deutschland. Denn der Verlust der italienischen Provinzen im Jahre 1859 wurden von den Österreichern nicht als endgültig angesehen79. Andererseits war das entstandene Königreich Italien bestrebt, die – noch – „unerlösten“ italienischen Gebiete dem neuen Staat einzuverleiben. Während sich aber die Donaumonarchie unter dem Druck der konkreten politischen Verhältnisse im Augenblick darauf beschränkte, den Status quo zu erhalten, entwickelte das junge Königreich diesbezüglich weitere Aktivitäten. So wurde der Plan geboren, Venetien den Österreichern abzukaufen oder es gegen andere Gebiete – die Überlegung ging in Richtung Balkan – einzutauschen80. Die Idee des Verkaufs wurde in Wien entrüstet als unehrenhaft abgewiesen81. Was den Vorschlag der Kompensation auf dem Balkan betraf, ergab sich eine komplizierte Situation: ein österreichischer Gebietszuwachs konnte hier nur auf Kosten der Türkei gehen, was zur Destabilisierung der gesamten Region führen mußte. Auch wäre sicher ein Interessenkonflikt mit Rußland entstanden, das einen österreichischen Machtzuwachs in Südosteuropa nicht stillschweigend hingenommen hätte. Dazu kam noch, daß für das reiche Venetien hier kaum ein adäquates Tauschobjekt zu finden war. Adäquat wäre eine andere deutsche Provinz gewesen, Schlesien z. B., doch ohne kriegerische Auseinandersetzung mit Preußen konnte ein solches „Tauschprojekt“ nicht realisiert werden. Überdies war Venetien von erheblichem strategischen und politischen Wert für die Habsburgermonarchie – sein Besitz sicherte den Zugang zur Adria und verhinderte eine weitere Konsolidierung Italiens. Neben der offiziellen italienischen || S. 26 PDF || Politik wirkte noch die revolutionäre Bewegung und strebte eine gewaltsame Lösung dieser Frage an. Mazzinis Ende 1860 herausgegebene Parole: Krieg um Venetien, Einfall von Freischaren, Entfachung von Aufständen im Inneren Österreichs und Revolutionierung Ungarns82, wurde in Wien durchaus ernst genommen. Daran änderte auch der Umstand nichts, daß der Regierung in Turin an abenteuerlichen revolutionären Unternehmungen nach der Vereinigung Italiens und noch viel weniger nach Anerkennung durch Preußen und Rußland im Jahre 1862 überhaupt nicht gelegen war und sie diese auch nach Kräften unterband83.

Der Ausbruch des polnischen Aufstandes schuf eine neue Situation. Von offizieller italienischer Seite versuchte man im Zuge des europäischen Kongreßplanes Napoleons, auch die venezianische Frage zu aktualisieren. Zugleich liefen Verhandlungen zwischen den polnischen Aufständischen und der revolutionären Aktionspartei, die von der Regierung Minghetti zumindest nicht behindert wurden. Doch sowohl die Endziele als auch die Ansicht über die Art der Zusammenarbeit differierten zu sehr, und 1863 konnte keine Einigung erzielt werden84. Als Österreich sich durch die Zuspitzung der schleswig-holsteinischen Frage von den Westmächten entfernte – und somit auch deren Einflußmöglichkeit auf die Habsburgermonarchie geringer wurde –, änderte sich für Italien wiederum die Lage. Die Hoffnung auf eine friedliche Gewinnung Venetiens schwand, und die nicht sehr friedlichen Ideen der Aktionspartei gewannen an Dynamik. Die italienische Regierung geriet in Zugzwang. In seiner Neujahrsansprache, in der er sagte, daß das Jahr 1863 keine günstige Gelegenheit zur Erlösung ganz Italiens geboten hätte, für das Jahr 1864 aber nicht näher bezeichnete europäische Verwicklungen ankündigte, welche die erwünschte Gelegenheit bieten könnten, versuchte Viktor Emanuel offenbar, der veränderten Situation Rechnung zu tragen85.

Das war der Zeitpunkt, zu dem die latente Kriegsgefahr im Südwesten der Monarchie aus Wiener Sicht konkretere Formen annahm. Die doppelte politische und militärische Belastung Österreichs – in Galizien und in Schleswig-Holstein – und das Anwachsen der revolutionären Stimmung in Italien bestimmten maßgebende Stellen, Vorkehrungen für den Fall der Fälle zu ergreifen. Vor allem Benedek, dem die gegen Italien aufgestellte 2. Armee unterstand, drängte auf Verstärkung des in den letzten Jahren stark reduzierten Heeres und auf Instandsetzung der Befestigungsanlagen86. In einer Reihe von Militärkonferenzen ab Mitte Jänner 1864 wurden alle diesbezüglichen Details besprochen; die Notwendigkeit dazu wurde von niemandem mehr, auch nicht || S. 27 PDF || vom Kaiser, in Frage gestellt87. Als diese Angelegenheit im Ministerrat zur Beratung vorgelegt wurde, schien sie also prinzipiell schon entschieden zu sein. Benedek erhielt auch anstandslos außergewöhnliche Vollmachten für den Fall der Ausrufung des Belagerungszustandes88. Doch bei der Diskussion über die geplanten Truppenverstärkungen legten sich einige Minister quer89. Plener, der durch den vermehrten Militäraufwand ohnehin schon genug Sorgen hatte, wies auf die Schwierigkeit bei der Geldbeschaffung und auf den voraussehbaren Widerstand des Reichsrates hin90. Und Schmerling äußerte Zweifel an der Notwendigkeit des Unternehmens überhaupt. Der Kaiser sistierte die geplante und Benedek mündlich zugesicherte Truppenaufstockung. Doch Benedek, erneut um Auskunft gebeten, ließ nicht nach und setzte seine Wünsche schließlich doch mehr oder minder durch91.

Konservative Widerstände bei der praktischen Durchführung des Protestantenpatentes - Retrodigitalisat (PDF)

Eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Forderungen des Liberalismus – der Ruf nach größerer religiöser Freiheit – hatte im sogenannten Protestantenpatent vom 8. April 1861 ihren Niederschlag gefunden92. War diese Angelegenheit prinzipiell zwar entschieden, so ergaben sich bei der praktischen Umsetzung erhebliche Schwierigkeiten; der stärkste Widerstand ging vom „glaubenseinheitlichen“ Tirol aus. Der Ministerrat hatte sich bereits wiederholt mit Anträgen des Tiroler Landtages, die letztendlich auf die Abolition des Protestantenpatentes in Tirol hinausliefen, beschäftigt und im Sinne der größeren religiösen Toleranz ein Abgehen vom gültigen Reichsgesetz für unzulässig erklärt93.

Während seiner zweiten Session hatte der Landtag in Innsbruck in dieser Frage mehrheitlich weitere Initiativen gesetzt und zwar auf zwei verschiedenen Ebenen. Zunächst erfolgte der Frontalangriff gegen das Protestantenpatent, der vorderhand allerdings nichts einbrachte – die Regierung hüllte sich in Schweigen und verschleppte die || S. 28 PDF || Sache94. Zugleich entbrannte der Kampf um die neue Gemeindeordnung, namentlich um den § 7. Hier ging es um die Begriffe Gemeindemitglieder und Gemeindegenossen. Den ersteren kam das aktive und passive Wahlrecht zu, die letzteren durften nur Steuern zahlen. Entgegen dem Regierungsentwurf hatte der Tiroler Landtag – mit relativ knapper Mehrheit – beschlossen, den Gemeinden die Entscheidung über die Zuordnung zuzugestehen95. Dahinter verbarg sich der Versuch, den Protestanten das Wahlrecht vorzuenthalten. Darüber hinaus wurde hier ebenfalls ein prinzipielles – ideologisches – Problem berührt. Während die Regierungsvorlage auch darauf ausgerichtet war, die persönliche Freiheit des einzelnen (im frühkapitalistischen, liberalen Sinn) durchzusetzen, zielte die Gesetzesmodifikation des Landtages auf die zumindest rudimentäre Erhaltung der alten ständischen Ordnung hin. Der Tiroler Änderungsantrag wurde schließlich abgewiesen96.

Aber nicht nur in Tirol, wenn dort auch am klarsten, wurde deutlich, auf welche Widerstände die Durchsetzung der liberalen, aufgeklärten Ideen in der Gesellschaft stießen. Das zeigte sich bei der Besetzung der Dekansstelle der Prager philosophischen Fakultät97. Das dortige Professorenkollegium hatte dafür den Protestanten Dr. Friedrich Stein nominiert, was auf heftigen Widerstand – unter Hinweis auf den katholischen Charakter der Universität – der theologischen Fakultät, des Kardinalerzbischofs von Prag und des gesamten Prager Episkopats stieß. Die rechtliche Lage ließ die Berufung eines Protestanten auf diesen Posten durchaus zu, auch gab es bereits Präzedenzfälle98; der überwiegende Teil des Ministerrates – nur die beiden konservativen Mitglieder dieses Gremiums, Rechberg und Esterházy, stimmten dagegen – empfahl auch die Bestätigung dieser Wahl. Trotzdem verweigerte Franz Joseph seine Zustimmung99.

Zum Schluß sei noch auf einen weiteren Aspekt der Protestantenfrage hingewiesen. Die Liberalen waren (außen)politisch weitgehend nach Deutschland orientiert. Die Gesetzeslage des Deutschen Bundes in religiösen Angelegenheiten, allein durch seine konfessionelle Teilung, war aber durchaus als tolerant zu bezeichnen100. Schon um die Bindung an den Deutschen Bund zu stärken, mußten die Liberalen trachten, ähnliche || S. 29 PDF || Verhältnisse auch in Österreich zu schaffen. Daß dabei die Rechbergsche Italienpolitik, die gegen die Einigung des südlichen Nachbarn gerichtet war und deshalb im Papst einen Verbündeten fand, in Frage gestellt wurde, wog für sie nicht so sehr. Somit gewann die innerösterreichische Protestantenfrage auch eine wichtige außenpolitische Dimension.

Die Nichteinberufung des kroatischen Landtages 1864 - Retrodigitalisat (PDF)

Nachdem der kroatische Landtag von 1861, ohne die von der Regierung gewünschten Ergebnisse zu zeitigen, aufgelöst worden war101, erschien seine neuerliche Einberufung nicht opportun und stand auch längere Zeit nicht zur Debatte. Doch die Probleme, die während seiner Tagungsdauer evident geworden waren, blieben weiterhin ungelöst. Es ging zuerst und vor allem um die Verfassungsfrage auf der Basis des Februarpatentes. Konkret handelte es sich um die Beschickung des Reichsrates, also um die Anerkennung der gemeinsamen Angelegenheiten des Gesamtreiches; dies war von der Mehrheit des Landtages von 1861102 abgelehnt worden. Den Kroaten ging es in erster Linie um die Wahrung der Selbständigkeit und Einheit ihrer Länder. Als Teilgebiet der ungarischen Krone standen sie dabei vor einer diffizilen Aufgabe. Sie mußten sich gegen die völlige Vereinnahmung seitens der Ungarn wehren; andererseits konnte der im Februarpatent implizite Zentralismus auch nicht nach ihrem politischen Geschmack sein. Die Frage der Einheit wies zwei wunde Punkte auf. Dalmatien hatte 1861 keine Vertreter in den kroatischen Landtag entstand. Doch schien die Vereinigung Dalmatiens mit Kroatien durchaus möglich. Viel problematischer war die Angelegenheit der Militärgrenze. Die Kroaten verlangten ihre zivile Eingliederung in das Dreieinige Königreich. Dem hatte sich 1861 der Kaiser widersetzt, und auch 1863/64 war keine einvernehmliche Lösung dieser Frage in Sicht.

Nach dem gescheiterten Landtag von 1861, der hauptsächlich von zwei politischen Gruppen, den proungarischen Unionisten und der National-Liberalen Partei (auch Stroßmayerpartei genannt), bestimmt gewesen war, entstand eine dritte politische Kraft, die sich ab 1864 Selbständige Nationalpartei nennen sollte. Sie unterstützte die Bemühungen des Realpolitikers Mažuranić, sich mit der Regierung zu verständigen, um so eine einseitige, über die Köpfe und gegen die Interessen der Kroaten gerichtete Einigung der Krone mit den Ungarn zu verhindern. Die Umgestaltung des provisorischen Hofdikasteriums zur kroatisch-slawonischen Hofkanzlei103 und die Errichtung einer Septemviraltafel als einer eigenen obersten Justizinstanz für Kroatien104 schienen dieser Politik recht zu geben.

Die Verständigung mit Wien sollte auf der Basis der – zumindest vorläufigen – Annahme des Februarpatentes vor sich gehen. Mažuranić war also bestrebt, die Opposition im eigenen Lande umzustimmen, und, wenn dies nicht ging, auszuschalten. Der || S. 30 PDF || politische Druck auf seine entschiedensten Gegner begann bereits 1862 und erreichte Ende 1863, Anfang 1864 seinen Höhepunkt105. Der kroatisch-slawonische Hofkanzler versuchte auch, über die Obergespäne Einfluß auf die politische Willensbildung zu gewinnen106. Es war kein Zufall, daß Mažuranić erst gegen Ende 1863 seine Pläne mit verstärktem Nachdruck voranzutreiben begann und konkrete politische Schritte setzte. Die Situation im Gesamtreich hatte sich wesentlich verändert. Schmerlings politisches Kalkül in seinem Kampf gegen die ungarische Opposition schien aufzugehen – die Beschickung des Reichsrates durch den siebenbürgischen Landtag107 hatte den Ungarn zweifellos einen schweren Schlag versetzt und ihrer Politik des Widerstandes gegen das Februarpatent ziemlich erschüttert. So war es naheliegend, den Coup nun mit dem kroatischen Landtag zu wiederholen. Überdies dürfte Mažuranić bezüglich Dalmatiens einige Zusagen von der Zentralregierung erhalten haben108. Der Hofkanzler berief also die Obergespäne Ende 1863 zu einer Besprechung nach Wien ein, um sie auf seine Linie einzuschwören, und forderte sie auf, eine in seinem Sinne tätige Partei zu organisieren109. Das war der eigentliche Beginn seiner Aktion zur Einberufung des kroatischen Landtages im Jahre 1864.

Kurz darauf, Anfang 1864, erschien auf Mažuranić’ Initiative und unter seiner Mitwirkung eine programmatische Schrift, in der die wichtigsten Punkte seiner politischen Forderungen aufgelistet waren110. Diese enthielten zunächst die alten Wünsche nach Provinzialisierung der Militärgrenze und Eingliederung Dalmatiens. Neu war das Begehren, daß die kroatische Landesverfassung nur vom dortigen Landtag, nicht aber vom Reichsrat beraten werde und daß das Land ein eigenes Landesbudget für Justiz-, politische Verwaltung und Unterricht erhalte. Diese Schrift präsentierte Mažuranić dem Ministerrat – allerdings unter dem Prätext, sie sei von den Obergespänen verfaßt worden – und verteidigte auch das darin enthaltene politische Programm. Bis auf die Frage der Militärgrenze, in der vor allem der Kaiser eine ablehnende Haltung einnahm111, schienen alle anderen aufgeworfenen Forderungen einvernehmlich lösbar zu sein. Das Um und Auf der gesamten Aktion stellte für die Regierung die Beschickung des Reichsrates dar, also die Anerkennung der geltenden Verfassung. Die Regierung || S. 31 PDF || erklärte sich bereit, nachdem Mažuranić unter Hinweis auf die herrschende Stimmung im Lande sich eher skeptisch über eine direkte Beschickung des Reichsrates durch den kroatischen Landtag äußerte, auch andere Formen der Zusammenarbeit zu akzeptieren112. Einen Monat nach diesem Ministerrat legte der kroatische Hofkanzler diesem Gremium einen Programmentwurf vor, die Punktationen über die Einberufung und Zusammensetzung des kroatischen Landtages, welche vom Ministerrat als annehmbare Richtlinien pro domo akzeptiert wurden113. Man war sich ebenfalls einig, daß der kroatische Landtag vor dem Zusammentritt des ungarischen und vor Beginn der nächsten Reichsratssession abgehalten werden müßte. Der erste Punkt war kein Problem – niemand glaubte an die Durchführung eines ungarischen Landtages noch im selben Jahr. Um aber dem für den Herbst einzuberufenden Reichsrat in puncto Dalmatien klare Ergebnisse vorlegen zu können, hätte der kroatische Landtag spätestens am 1. August zusammentreten müssen. Wäre dies nicht möglich, müßte er bis zum Frühsommer 1865 verschoben werden. Ein – im Sinne der Regierung – günstiger Wahlausgang hing aber von der im Lande vorherrschenden Stimmung ab. Und über diese war sich Schmerling, der in dieser Angelegenheit wohl das letzte Wort hatte, nicht ganz im klaren. Notfalls, so mahnte er, müsse man den rechten Moment abwarten114. Der war, retrospektiv betrachtet, 1864 aber offenbar noch nicht gekommen.

Die Finanzlage Österreichs - Retrodigitalisat (PDF)

Die finanzielle Situation der Donaumonarchie schien sich am Anfang des Jahres 1863 entschieden gebessert zu haben: Der Abschluß der Bankakte – ein Pfeiler der Plenerschen Finanzpolitik – war mit geringfügigen Abstrichen schließlich vom Reichsrat gutgeheißen worden115, und das Budgetdefizit für 1862 hatte erfreulicherweise nicht das eingeplante Ausmaß erreicht116. Die Kreditwürdigkeit Österreichs wuchs, und als sichtbares Zeichen des verstärkten Vertrauens in den Staat gelang es, die dritte Emission der Lotterieanleihe von 1860, immerhin 40 Millionen Gulden, im Mai 1863 zu einem Kurs über pari zu plazieren117.

Doch die Hoffnung auf eine bessere finanzielle Zukunft begann sich allmählich zu trüben. Zunächst wurden weite Teile Ungarns von einer anhaltenden Dürre heimgesucht, die zu einem bedrohlichen Ernteausfall führte. In der Folge mußten für die notleidende Bevölkerung nicht unbeträchtliche Darlehensmittel zur Verfügung gestellt || S. 32 PDF || werden118. Überdies hatte der Ernteausfall natürlich auch eine spürbare Verminderung der Steuerleistung verursacht.

Zu der natürlichen Katastrophe kam noch die Politik; in diesem Fall die Ereignisse außerhalb der Monarchie, auf die Österreich aber unmittelbar reagierte. Der bereits anfangs des Jahres in Russisch-Polen ausgebrochene Aufstand hatte neben dem größeren administrativen Aufwand und der Vermehrung der Gendarmerie in Galizien schließlich auch eine Verstärkung der Militärtruppen in diesem Kronland notwendig gemacht119. Während aber der diesbezügliche finanzielle Mehraufwand 1863 aus anderwärtigen Einsparungen im Militärbudget gedeckt werden konnte, mußte für 1864 ein außerordentlicher Kredit aufgenommen werden120. Eine weitere Belastung erfuhr das Budget durch die Bewilligung außerordentlicher Mittel zur Sicherung der Grenze gegenüber Italien – wiederum wurden Truppen verstärkt, und hinzu kam noch, daß hier die vorhandenen Festungen teils in Stand gesetzt, teils ausgebaut werden sollten121. Als letztes und wohl wichtigstes politisches Ereignis, das große Auswirkungen auf die österreichischen Staatsfinanzen haben sollte, war der Ausbruch der schleswig-holsteinischen Krise122. Unmittelbar und für jedermann erkennbar bestand die Auswirkung in der Aufstellung von Truppen für die Bundesexekution und in dem damit verbundenen Aufwand. Mittelbar, aber zumindest genauso nachteilig, wirkte sich die steigende politische Spannung und in deren Folge die Kriegsangst auf die Liquidität Österreichs aus. Da der Rest der Lotterieanleihe 1860 im Inland begeben wurde (Rothschild), plante der Finanzminister, seine nächste größere Kreditoperation im Ausland zu tätigen123. Doch der Reichsrat legte sich quer und verzögerte das entsprechende Gesetz zur Annahme einer Anleihe von 69 Millionen Gulden bis zum 17. November 1863. Aber bereits am 5. November 1863 hatte Napoleon III. eine Thronrede gehalten, in der er sich für die polnische und die italienische Sache stark machte124. In beide Problemkreise war Österreich direkt verstrickt und die nun durchaus real erscheinende Möglichkeit eines Krieges ließ die Donaumonarchie als ein wenig versprechendes Anlageobjekt erscheinen. Aber Plener hatte noch einmal Glück. Über die neugegründete Anglo-Österreichische Bank konnte er in London einen Vorschuß von drei Millionen Pfund Sterling (30 Millionen Gulden in Gold) auf 6 Monate und „zum jeweiligen Zinsfuße der englischen Bank“ bekommen125. Aber schon zu Anfang 1864 war dieses Geld aufgebraucht. Inzwischen || S. 33 PDF || war aber die schleswig-holsteinische Angelegenheit in eine kritische Phase getreten und machte es Plener unmöglich, die von ihm beabsichtigte Inanspruchnahme ausländischer Geldmärkte in die Tat umzusetzen. Der Finanzminister erkannte klar die Wechselwirkung zwischen der österreichischen Haltung gegenüber Dänemark und der Bereitschaft von Ausländern, vor allem der Engländer, zu Investitionen in der Donaumonarchie. Doch seine im Ministerrat vorgebrachten Urgenzen, außenpolitisch solche Akzente zu setzen, daß seine Kreditoperationen wenigstens etwas mehr Hoffnung auf Erfolg hätten, konnten angesichts der konkreten Entwicklung in und um Dänemark schwer befriedigt werden126. So entschloß sich der Finanzminister noch einmal, den Inlandsmarkt in Anspruch zu nehmen und eine Lotterieanleihe über 40 Millionen Gulden aufzunehmen. Tatsächlich zeichnete ein österreichisches Bankenkonsortium diese Anleihe zu dem guten Emissionskurs von 96%127.

Schließlich konnte Plener aber die größte Kreditoperation – die Anleihe über 70 Millionen Gulden – nicht mehr aufschieben. Der Stichtag der Rückzahlung des 30-Millionen-Darlehens rückte näher. Obwohl der schleswig-holsteinische Krieg, mit all seinen finanzpolitischen Auswirkungen, noch nicht beendet war, entschloß sich der Finanzminister, diese Anleihe, für die er sich vom Ministerrat Einkommenssteuerfreiheit zusichern ließ, im Offertwege – und ohne vorher den Ministerrat zu konsultieren – auf den Markt zu bringen. Das Ganze erwies sich als ein Fiasko: nur 23,5 Millionen fl. der Gesamtsumme konnten zu einem Kurs von 77,1 angebracht werden128. Überdies brachte diese Vorgangsweise Plener eine herbe Rüge von Seite Schmerlings ein. Der Staatsminister kritisierte scharf, daß der Modus der doch beachtlichen Kreditaufnahme nicht vorher dem Ministerkollegium zur Beratung vorgelegt worden war129. Somit brachte die mit der außenpolitischen Haltung Österreichs eng verbundene finanzielle Misere der Monarchie Plener zweifach in Verlegenheit. Erstens erlitten seine Sanierungspläne der finanziellen Lage einen empfindlichen Rückschlag, und zweitens wurde seine Stellung im Ministerium sichtbar erschüttert.

Ministerwechsel im Kriegsministerium - Retrodigitalisat (PDF)

Die Veränderung an der Spitze des Kriegsministeriums kam nicht so unerwartet, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Fast könnte man sagen, daß bereits in der Ernennung Degenfelds zum Minister auch dessen Rücktritt vorprogrammiert war. Denn Degenfeld, ein loyaler Soldat und Untertan seines Kaisers, nahm die 1860 erfolgte Berufung zum Kriegsminister nur widerwillig, nach langem Zögern und unter Aufbietung || S. 34 PDF || aller Überredungskünste der daran Interessierten an130. Seine Hauptaufgabe sah er in der Organisierung des neu ins Leben gerufenen Kriegsministeriums, was ihm dank seines organisatorischen Talentes und seines politischen Geschicks – trotz einiger Schwierigkeiten, wie z. B. den Reibereien mit der Generaladjutantur des Kaisers – schließlich im großen und ganzen gelang131. Degenfeld hatte wiederholt Rücktrittsabsichten geäußert; nun, nachdem er seine Pflicht getan hatte, machte er Ernst. Bereits Ende 1863 teilte er dem Generaladjutanten des Kaisers, Crenneville, seine diesbezügliche Entscheidung mit. Der Kriegsminister hatte dafür mehrere Gründe: zum einen war die ihm gestellte Aufgabe zufriedenstellend gelöst worden; der stille Machtkampf mit Crenneville und sein sich verschlechternder Gesundheitszustand haben zu diesem Entschluß sicherlich auch beigetragen. Der Kaiser entsprach dem Wunsch seines treuen Dieners und entließ ihn mit Handschreiben vom 19. Februar 1864 aus seinem Amt. Zugleich wurde FML. Ritter v. Franck auf diesen Posten gesetzt132.