MRP-1-5-02-0-18610601-P-0075.xml

|

Nr. 75 Ministerrat, Wien, 1. Juni 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 3. 6.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera 6. 6., Lichtenfels, Szőgyény (ab II abw.); abw. Vay; BdR. Erzherzog Rainer 10. 6.

MRZ. 859 – KZ. 1808 –

Protokoll des zu Wien am 1. Juni 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Bestellung eines Weihbischofs für die Diözese Karlowitz

Der Staatsminister erinnerte, daß sich der Ministerrat am 22. v. M. einstimmig mit seinem au. Antrage vereinigt hatte, daß dem Gesuche des Patriarchen Rajacsich um Ah. Genehmigung der Bestellung des Archimandriten Gruić als Weihbischof der bischöflichen Diözese Karlowitz zu willfahren wäre1. Da jedoch Minister Graf Szécsen im Lauf der Beratung darauf hingedeutet hatte, daß wegen der Abwesenheit des Barons Vay hierüber mit ihm noch eine schriftliche Rücksprache zu pflegen wäre, wendete sich der Staatsminister an den ungarischen Hofkanzler um dessen Wohlmeinung, deren Abgabe jedoch von demselben deswegen abgelehnt wurde, weil hiezu keine Ah. Aufforderung an Baron Vay erflossen sei und die Initiative in dieser Angelegenheit überhaupt zur Kompetenz der ungarischen Hofkanzlei gehöre, seitdem die Woiwodschaft reinkorporiert worden ist2. Der Staatsminister bringe daher den Gegenstand nochmals im Ministerrate zur Sprache und müsse hiebei besonders darauf aufmerksam machen, daß Gruić nicht für das Patriarchat, sondern nur für das Bistum Karlowitz als Weihbischof bestellt werden soll und somit sein Sprengel nicht in das Gebiet des Königreiches Ungarn fallen wird.

Bei dieser gegebenen Aufklärung erteilte der Hofkanzler v. Szőgyény sofort die volle Zustimmung zu dem vom Staatsminister beabsichtigten Antrage, auch im Namen des ungarischen Hofkanzlers Baron Vay, aindem er übrigens bei dieser Gelegenheit mit Berufung auf die von der ungarischen Hofkanzlei an den Staatsminister gerichtete motivierte Note die Gründe umständlicher entwickelte, aus welchen dieselbe die Kompetenz des Staatsministeriums in Kultusund sonstigen Angelegenheiten der auf dem Gebiete des Königreiches Ungarn wohnenden Serben und Anhänger der orientalischen Kirche nicht anerkennen kann und in Anbetracht welcher er — mit Vorbehalt des mit den betreffenden Zentralstellen zu pflegenden Einvernehmens — die Initiative um so mehr der königlich ungarischen Hofkanzlei vindizieren muß, weil dabei der Einfluß der königlich ungarischen Statthalterei nicht übergangen werden kann, deren Vernehmung wohl keiner anderen Zentralstelle zustehen dürftea indem er übrigens bei dieser Gelegenheit mit Berufung auf die von der ungarischen Hofkanzlei an den Staatsminister gerichtete motivierte Note3 die Gründe umständlicher entwickelte, || S. 91 PDF || aus welchen dieselbe die Kompetenz des Staatsministeriums in Kultusund sonstigen Angelegenheiten der auf dem Gebiete des Königreiches Ungarn wohnenden Serben und Anhänger der orientalischen Kirche nicht anerkennen kann und in Anbetracht welcher er — mit Vorbehalt des mit den betreffenden Zentralstellen zu pflegenden Einvernehmens — die Initiative um so mehr der königlich ungarischen Hofkanzlei vindizieren muß, weil dabei der Einfluß der königlich ungarischen Statthalterei nicht übergangen werden kann, deren Vernehmung wohl keiner anderen Zentralstelle zustehen dürfte.

Schließlich erinnerte Minister Graf Szécsen , daß das kroatisch-slawonische Hofdikasterium diesfalls zu begrüßen [sic!] sein dürfte, bund auch der Kriegsminister beanspruchte seine Einvernehmung, da Teile der Militärgrenze zum Bistum Karlowitz gehören. Der Staatsminister wird die entsprechende Mitteilung veranlassenb und auch der Kriegsminister beanspruchte seine Einvernehmung, da Teile der Militärgrenze zum Bistum Karlowitz gehören. Der Staatsminister wird die entsprechende Mitteilung veranlassen, 4.

II. Ungarische Korrespondenz des siebenbürgischen Guberniums mit dem Kommandierenden General

Der Kriegsminister referierte, daß sich das siebenbürgische Gubernium in seinem Notenverkehre mit dem dortigen Landeskommandierenden nunmehr stets der ungarischen Sprache bediene und Graf Mikó über die dagegen erhobenen Einsprüche erklärt habe, daß die siebenbürgische politische Landesstelle durch ein Gesetz von 1847 verpflichtet sei, sich dieser Sprache zu bedienen5. Diesen diensthemmenden Vorgang findet FZM. Graf Degenfeld um so auffallender, als die königlich ungarische Statthalterei keinen Anstand nimmt, sich in ihren Zuschriften an die Militärkommanden und Militärbehörden in Ungarn der deutschen Sprache zu bedienen.

Minister Graf Szécsen äußerte, daß diese Meinung des Grafen Mikó czwar unleugbar auf den Gesetzen des Jahres 1847 beruhe, ihre Anwendung in diesem Falle ihm aber eine übertriebene und ungerechtfertigte Ängstlichkeit scheine. Zur Behebung dieser Schwierigkeit dürfte es genügen, wenn Se. kaiserliche Hoheit der Erzherzog, Präsident des Ministeriums, geruhen wollten, dem Präsidenten Baron Kemény mündlich den Ah. Auftrag zu erteilen, diese Schwierigkeit auszugleichenc . Hofkanzler v. Szőgyény trat dieser Meinung || S. 92 PDF || ebenfalls bei, und die übrigen Konferenzglieder fanden diesfalls nichts zu bemerkend, 6.

III. Maßregeln gegen die antiprotestantische Agitation in Vorarlberg und in Tirol

Der Staatsminister referierte über eine durch den Reichsratsabgeordneten Wohlwend aus Vorarlberg überreichte Petition, daß der dortigen, durch einen sichern [sic!] Dr. Oelze geleiteten und von den Geistlichen selbst auf der Kanzel leidenschaftlich geförderten Agitation gegen die Protestanten ein Ziel gesetzt werden wolle7. Ritter v. Schmerling erörterte die Verschiedenheit der Sachlage in Tirol und Vorarlberg in bezug auf die Protestantenfrage. Während in Tirol beinah gar keine Protestanten wohnen, ist in Vorarlberg schon lange eine Anzahl protestantischer Familien ansässig, darunter auch wohlhabende Industrielle, welche zum Aufschwung des Landes wesentlich beigetragen haben und Tausenden Verdienst geben. In Tirol hat sich der Landtag über die Frage entschieden ausgesprochen8, in Vorarlberg hat sich jedoch keine legale Stimme bisher erhoben. Der Staatsminister erachtet, die Regierung könne nicht zugeben, daß durch maßlose Agitationen und einen mit dem Petitionsrecht getriebenen Mißbrauch der konfessionelle Friede gestört und die materielle Existenz der Protestanten in Vorarlberg faktisch in Frage gestellt, ja vielleicht unmöglich gemacht werde, selbst bevor der Landtag sich nur darüber ausgesprochen hat. Der Staatsminister glaubt daher, daß folgende Verfügungen zu treffen wären: 1. Den politischen Behörden in Vorarlberg wäre gegenwärtig zu halten, daß das Ah. Patent vom 8. April in legaler Wirksamkeit besteht, daß das Ankämpfen dagegen nicht geduldet werden kann und daß Übertretungen der §§ 302 und 303 des Strafgesetzes nach der Strenge des Gesetzes zu bestrafen sind9. 2. Dem Fürstbischofe von || S. 93 PDF || Brixen wäre zu eröffnen, daß das bestehende Gesetz vom 8. April durch die vorarlbergischen Behörden gehandhabt werden muß und er daher den ihm unterstehenden Klerus anweisen solle, sich der Agitationen gegen dieses Gesetz zu enthalten10. 3. Wegen Anweisung der Justizbehörden in demselben Sinne würde eine Mitteilung an Minister Baron Pratobevera gerichtet werden11.

Sämtliche Stimmführer waren mit diesen Anträgen einverstanden, und Präsident Baron Lichtenfels machte insbesondere auf die entsprechende Anweisung der Staatsanwaltschaften aufmerksam12.

IV. Maßregeln gegen die antiprotestantische Agitation in Vorarlberg und in Tirol

Der Staatsminister hält eine ähnliche Verfügung auch in Tirol für die Zwischenzeit bis zur meritorischen Erledigung der Wünsche des Landes in bezug auf die Protestantenfrage für nötig. Die Handhabung des Patents vom 8. April in diesem Lande sei auch bereits der Gegenstand einer Interpellation geworden13.

Nachdem die Minister sich über diesen Gegenstand in verschiedenem Sinne ausgesprochen hatten, wurde beschlossen, die Beratung der ganzen Frage bis zu dem Zeitpunkte aufzuschieben, wo über die am 15. Mai unter dem Ah. Vorsitze beratene Erledigung des Einschreitens der Stände Tirols wegen Erlassung eines die Ansässigkeit der Protestanten regelnden Landesgesetzes die Ah. Entschließung erfolgt sein wird14.

V. Interpellation aus Anlaß des Gesetzentwurfs über die Diäten der Abgeordneten

Der Staatsminister besprach die Beantwortung der von Rieger und Genossen im Abgeordnetenhause des Reichsrates am 29. Mai eingebrachten Interpellation15, ob die am 28. d. M. abgegebene Erklärung des Finanzministers des Inhalts, daß die Frage über die Diäten der Abgeordneten nicht eine innere Angelegenheit des Hauses, sondern ein Gesetzentwurf sei, im Einvernehmen mit dem Gesamtministerium abgegeben worden sei und — wenn dies der Fall wäre — warum die Mitteilung nicht vor, sondern erst nach der Abstimmung erfolgt sei16. Daß der Finanzminister die erwähnte Erklärung im Namen der Regierung abgegeben habe, ergebe sich aus dem Wortlaut der Erklärung, welche im stenographischen Berichte folgendermaßen beginnt: „Die Regierung erlaubt sich, das Hohe Haus aufmerksam zu machen etc.“ Diese Erklärung habe füglich nicht eher abgegeben werden können, als bis sich das Haus über seine fvon der Ansicht der Regierung abweichendef von der Ansicht der Regierung || S. 94 PDF || abweichende Auffassung des Gegenstandes ausgesprochen hatte. Der Staatsminister erklärte sich bereit, diese an das Gesamtministerium gerichtete Interpellation in dem angedeuteten Sinne zu beantworten. Da jedoch der Finanzminister es vorzog, diese doch eigentlich ihm geltende Interpellation selbst zu beantworten, wurde es diesem Minister einstimmig anheimgegeben17.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, den 8. Juni 1861. Empfangen 10. Juni 1861. Erzherzog Rainer.