MRP-1-5-02-0-18610603-P-0076.xml

|

Nr. 76 Ministerrat, Wien, 3. Juni 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 3. 6.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Lasser, Szécsen, Wickenburg, Pratobevera 10. 6., Lichtenfels, FML. Schmerling 11. 6. (bei I abw.) ; außerdem anw. Plener; abw. Vay; BdR. Erzherzog Rainer 14. 6.

MRZ. 860 – KZ. 1842 –

Protokoll des zu Wien am 3. Juni 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Verhältnis des Handelsministeriums zu den Handels- und Gewerbekammern in Ungarn

Der Handelsminister referierte über das Verhältnis der Handels- und Gewerbekammern in Ungern im Geschäftsverkehr mit dem Handelsministerium. In dieser Beziehung liegen widersprechende Entschlüsse der ungrischen Hofkanzlei vor, indem sie unterm 15. Februar den Fortbestand der Handelskammern und deren bisherige Wirksamkeit anerkannte, unterm 26. April aber — aus Anlaß der Rechnungslegung der Debrecziner Handelskammer — erklärte, zwar alle Daten der eigentlichen Handelsangelegenheiten dem österreichischen Ministerium mitteilen zu wollen, Angelegenheiten der innern Verwaltung und Organisation der ungrischen Handelskammern aber der gesetzlichen Oberaufsicht der || S. 95 PDF || Statthalterei überlassen zu müssen1. Der Handelsminister fand diese letztere Erklärung nicht nur im Widerspruche stehend mit der früheren vom 15. Februar, sondern auch mit dem Diplom vom 20. Oktober, welches die Handelssachen für Reichsangelegenheiten erklärt2, und mit dem Gesetze vom 26. März 1850 über die Errichtung der Handelskammern3, welches noch in voller Kraft besteht und welches die Handelskammern unmittelbar dem Handelsministerium unterordnet, nicht der Landesstelle. Er glaubte daher, die fernere Erhaltung des unmittelbaren Verkehrs zwischen den ungrischen Handelskammern und seinem Ministerium um so mehr in Anspruch nehmen zu sollen, als der Umweg durch die Statthalterei und ungrische Hofkanzlei überhaupt jede Verhandlung sehr verzögern, den Erfolg sehr oft vereiteln und die Mitteilung der wichtigsten und notwendigsten Auskünfte etc. von dem Belieben und der Einsicht einer fremden Behörde abhängig machen würde.

Minister Graf Szécsen erklärte dagegen die Äußerung der ungrischen Hofkanzlei für ganz korrekt. Zur Zeit des Diploms vom 20. Oktober bestand kein Handelsministerium, und in dem gleichzeitigen Ah. Kabinettsschreiben wurde zwar die Ernennung eines Handelsministers, jedoch ohne administrativen Wirkungskreis in Aussicht gestellt4. Auch sind sowohl im Diplom vom 20. Oktober als im Grundgesetze vom 26. Februar die Handelsangelegenheiten nur bezüglich der Gesetzgebung für aAngelegenheiten erklärt worden, deren Erledigung dem Gesamtreichsrat zustehta, 5. Es kann daher daraus die Folgerung, daß die ungrischen Handelskammern im unmittelbaren Verkehr mit dem seither wiederhergestellten Handelsministerium zu stehen haben, nicht abgeleitet werden. Vielmehr ergibt sich daraus, daß die Verwaltungsangelegenheiten der ungrischen Handelskammern nur durch die für das Land gesetzlich bestehenden Behörden gehen können. Der damit verbundene Umzug [sic!] ist wohl nicht erheblich und mit wesentlichen Schwierigkeiten nicht verbunden.

Der Handelsminister machte zwar dagegen geltend, daß, nachdem Se. Majestät ihm einen administrativen Wirkungskreis zuzuweisen geruht haben6, die diesfällige Bestimmung des Ah. Kabinettsschreibens vom 20. Oktober derogiert und hiermit das Handelsministerium wieder in die volle Wirksamkeit bezüglich der Handelskammern, auch in Ungern, eingesetzt worden sei. Es sei ferner nicht zu bestreiten, daß der Wirkungskreis des Finanzministeriums auch über Ungern, und zwar nach Auflösung des Handelsministeriums, bezüglich der auf es übergegangenen Handelsangelegenheiten unverändert geblieben. Wäre also || S. 96 PDF || dem Handelsminister auch kein administrativer Wirkungskreis zugewiesen worden, so wäre das Verhältnis der Handelskammern geblieben wie früher, sie würden dem Finanzministerium unmittelbar unterstehen. Nachdem nun aber die Ausscheidung dieser Partie aus dem Finanzministerium und deren Übertragung an das Handelsministerium erfolgt ist, so folge daraus, daß das bisherige Verhältnis der unmittelbaren Unterordnung der Handelskammern unter das Finanzministerium auch auf das an dessen Stelle getretene Handelsministerium übergegangen sei. Man müßte denn behaupten wollen, daß auch der Wirkungskreis des Finanzministeriums in Ungern derselben Beschränkung unterliege, welche dermal dem Handelsministerium von der ungrischen Hofkanzlei zugemutet wird.

Gegen letztere Bemerkung machte Minister Graf Szécsen geltend, daß das Finanzministerium seine eigenen, ihm unmittelbar unterstehenden Landesbehörden habe, das Handelsministerium aber nicht, da es zur Zeit der Wiedereinsetzung der verfassungsmäßigen Behörden in Ungern noch nicht bestand, und auch der Finanzminister sowie der Staatsminister waren der Meinung, daß vom Standpunkte des Diploms vom 20. Oktober und des Grundgesetzes vom 26. Februar die Ansicht der ungrischen Hofkanzlei über das Verhältnis der Handelskammern zum Handelsministerium nicht wohl angefochten werden könne. Nach dem Erachten des Staatsministers besteht auch kein überwiegendes Staatsinteresse, die ungrischen Handelskammern in unmittelbare Verbindung mit dem Handelsministerium zu setzen. Wollen sie dieselbe selbst erhalten, so mögen sie es tun. In Angelegenheiten aber, welche, wie z. B. die Einbringung der Beiträge etc., die Mitwirkung der administrativen Landesbehörden erfordern, werden sie sich an diese zu wenden haben.

In ähnlicher Weise sprach sich der Polizeiminister aus, wornach auch die übrigen Stimmen unter den obwaltenden Verhältnissen der Ansicht des Grafen Szécsen und des Staatsministers beitraten — Minister Ritter v. Lasser und der Staatsratspräsident jedoch mit ausdrücklicher Wahrung des Prinzips, daß der administrative Wirkungskreis des Handelsministeriums, nachdem er von Sr. Majestät wiederhergestellt worden und dieses bezüglich der Handelssachen an die Stelle des Finanzministeriums getreten ist, auch für Ungern zu gelten habeb .

II. Interpellationen: Protestantenagitation in Tirol; Vermögen der Krakauer Universität; Unterrichtsrat; Verkauf der böhmischen Krongüter

Der Staatsminister hat drei Interpellationen erhalten7: 1. in betreff der Agitationen in Tirol gegen das Protestantengesetz8, 2. über das Vermögen der Krakauer Universität9, 3. darüber, ob die Regierung bei Organisierung des Unterrichtsrates cden Beschlußc des galizischen Landtags, die Unterrichtsfrage || S. 97 PDF || ausschließlich von der Krakauer Universität regeln zu lassen und die polnische und ruthenische Sprache als ausschließliche Unterrichtssprache einzuführen, was mit der gesetzlichen Bestimmung im Widerspruch stehe, berücksichtige10. Ad 1. und 2. hat der Staatsminister die zur Beantwortung nötigen Daten noch nicht beisammen. Er wird daher einstweilen dilatorisch antworten, daß er auf diese Anfragen in einer der nächsten Sitzungen, nach früherer Besprechung derselben im Ministerrate, Auskunft erteilen werde. Ad 3. ist bereits gesagt worden, daß die Verhandlung über die Organisierung des Unterrichtsrates noch im Zuge, also die Erteilung einer Auskunft darüber zur Zeit unzulässig sei11. Der Staatsminister gedenkt daher, diese neuerliche Interpellation auf seine bereits früher erteilte Antwort zu weisen und dies, über Antrag des Ministers v. Lasser , gleichzeitig mit der dilatorischen Verkündigung ad 1. und 2. zu tun12.

Eine Bemerkung des Finanzministers , daß bei Beantwortung von Interpellationen die Absichten der Regierung über die angeregten Verhandlungsgegenstände bekanntgegeben werden dürften, rief die Gegenbemerkung des Polizeiministers hervor, daß das Ministerium bei Interpellationen überhaupt nur mit Tatsachen antworten, seine Intentionen aber nicht offenbaren solle, weil dies zur Ministerverantwortlichkeit führen würde. Dies gab aber dem Finanzminister Anlaß zu der Erwiderung, daß er selbst demnächst, und zwar, wie er wünschte, schon nächsten Mittwoch (5. d. M.), in die Lage kommen werde, dem Abgeordnetenhause die Intentionen der Regierung in betreff ihres Verhältnisses zur Nationalbank mitzuteilen, um die in der Sitzung vom 13. Mai gemachten Interpellationen wegen des Verkaufs der böhmischen Krongüter beantworten zu können13. Er beabsichtige nämlich (wenn der Landtagsschluß über die Zustimmung der vormaligen böhmischen Stände zum Verkauf der Güter vorfindig ist), mit Berufung auf denselben zu antworten, daß der Güterverkauf unter den damaligen Verfassungsverhältnissen zulässig war und daß das hierwegen von der Staatsverwaltung mit der Bank geschlossene Übereinkommen14 als rechtsbeständig zwar aufrechterhalten bleibe, jedoch die Möglichkeit einer Abänderung desselben beziehungsweise des Abschlusses eines neuen Übereinkommens nicht ausgeschlossen sei, welches sodann dem Reichsrate zur verfassungsmäßigen Mitwirkung werde vorgelegt werden. Der Staatsratspräsident widerriet dabei die Berufung auf die Zustimmung der alten böhmischen Stände, weil dann dieselbe auch bezüglich der in anderen Ländern veräußerten Staatsgüter gefordert werden würde, indem es die Absicht zu sein scheint, alle derlei dVerfügungen auch für künftige Fälle für unzulässigd Verfügungen || S. 98 PDF || auch für künftige Fälle für unzulässig zu erklären. Auch Minister Graf Szécsen fände es genügend, wenn sich die Antwort des Finanzministers darauf beschränkte, daß die Regierung die mit Gesellschaften rechtsgiltig abgeschlossenen Verträge für bindend anerkennen müsse. Der Staatsminister bestritt auch die Notwendigkeit, die gedachte Interpellation schon in der nächsten Sitzung zu beantworten, weil, je bereitwilliger und schneller das Ministerium sich in der Beantwortung von Interpellationen zeigt, desto mehr dem Gelüste darnach Nahrung gegeben wird. Werden sie doch kaum in einer anderen als in der Absicht gestellt, um dem Ministerium Verlegenheiten zu bereiten! Er und mit ihm die Mehrheit des Ministerrates wären daher für Verschiebung jener Beantwortung.

Nachdem aber dem Finanzminister sehr darum zu tun ist, die schon seit 13. Mai ausständige Antwort darauf zu geben, so gedenkt er, dieselbe schriftlich abzufassen, unter den Mitgliedern des Ministerrates zirkulieren zu lassen und, wenn sie anstandlos befunden wird, am 5. d. M. im Abgeordnetenhause vorzubringen15.

III. Agitationen gegen das Protestantenpatent in Tirol und in Vorarlberg

Mit Beziehung auf den Ministerratsakt16 vom 15. Mai l. J., [MR]Z. 849, las Minister Freiherr v. Pratobevera eine Eingabe des Hofrates Haßlwanter über die Aufregung in Tirol gegen das Protestantengesetz und über den Wunsch der dortigen Bevölkerung um baldige günstige Erledigung des hierwegen auf dem Landtage gefaßten Beschlusses17 sowie einen Bericht des Staatsanwalts in Vorarlberg in betreff des Einschreitens der Gerichte gegen die dortigen Agitationen18 vor mit dem Bemerken, daß, nachdem am 15. Mai beschlossen worden, vorderhand über die Protestantenangelegenheit in Tirol nichts zu verfügen, dem Hofrat Haßlwanter in diesem Sinne zu antworten, bezüglich Vorarlbergs aber die Weisung zu erteilen sei, daß die Gerichte einzuschreiten haben, wenn die Tatsache, daß die Ah. Person Sr. Majestät beleidigende Plakate gefunden worden, konstatiert ist.

Hiergegen wurde nichts erinnert19.

IV. Übersetzung der im Abgeordnetenhaus eingebrachten Anträge und Regierungsvorlagen für den Abgeordneten Stephan Ljubiša

Das Präsidium des Abgeordnetenhauses hat die Bitte des dalmatinischen Abgeordneten Ljubiša, welcher nicht Deutsch kann, um Übersetzung der Regierungsvorlagen und aller im Hause gestellten Anträge in die serbische oder doch in die italienische Sprache an das Justizministerium mit dem Ersuchen geleitet, diese Übersetzungen, da dem Hause die Mittel dazu nicht zu Gebote stehen, durch das Redaktionsbüro des Reichsgesetzblattes besorgen zu lassen. Minister || S. 99 PDF || Freiherr v. Pratobevera bemerkte, daß, abgesehen von dem Mangel an eigentlichen italienischen Translatoren (es müßten Konzipisten diese sie ihrem eigentlichen Dienstesberufe entziehenden Arbeiten versehen), auch noch die Besorgnis vor weiteren Konsequenzen für andere des Deutschen unkundige Abgeordnete der Gewährung jenes Ansuchens widerraten dürfte. Allein der Staatsminister glaubte, es sei diesem Begehren nicht entgegenzutreten, vielmehr demselben in der Art zu entsprechen, daß dem Hause selbst das Redaktionsbüro des Justizministeriums, so weit dessen Kräfte reichen, zu dem gewünschten Zwecke zur Verfügung gestellt werde, womit sich auch die Mehrheit des Ministerrates vereinigte — Graf Szécsen übrigens noch mit der Bemerkung, daß eseiner Ansicht nach den Rednern der Gebrauch aller Landessprachen freistehen müsse, hiergegen aber eine Übersetzung [der Reden] nirgend einzutreten habee, 20.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 13. Juni 1861. Empfangen 14. Juni 1861. Erzherzog Rainer.