Nr. 451 Ministerrat, Wien, 2. März 1864 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 3. 3.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein, Franck; abw.abwesend Nádasdy, Forgách; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 13. 3.
MRZ. 1253 – KZ. 707 –
Protokoll [I] des zu Wien am 2. März 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
[I.] Neue militärisch-diplomatische Vereinbarung mit Preußen in der schleswigschen Angelegenheit
Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu eröffnen, die schleswig-holsteinsche Angelegenheit sei dadurch zu einem neuen Abschnitte gelangt, daß der eingeschlagene || S. 271 PDF || diplomatische Weg der Abhaltung von Konferenzen wegen der Hartnäckigkeit Dänemarks zu keinem Resultat führte1. Es ist klar, daß ohne neue militärische Erfolge, welche die dänische Armee empfindlich schwächen, zu keinem befriedigenden Abschluß zu gelangen ist2. Über die demnach zu ergreifenden militärischen Maßregeln haben Se. Majestät mit dem hier anwesenden königlich preußichen General v. Manteuffel verhandeln lassen3 und das Ergebnis war die der Konferenz nunmehr im Entwurf vorzulesende militärisch-diplomatische Punktation.
Der Minister des Äußern gab eine kurze Schilderung der neuen Phase, in welche man durch die vom Marschall Wrangel eigenmächtig vorgenommene Besetzung Koldings geraten ist4. Das österreichische Kabinett sprach sich zu Berlin dahin aus, daß man, um bedenklichen Komplikationen vorzubeugen, den Großmächten sofort beruhigende Erklärungen darüber geben sollte, wie durch den bloß aus strategischen Gründen stattgefundene Einmarsch der Preußen in Jütland der frühere politische Standpunkt Österreichs und Preußens nicht verrückt werden wolle5. Eine solche Erklärung wurde auch vom Berliner Hofe über die von Paris aus gestellte Anfrage gegeben, mit dem Beisatze, Kolding könne, da es nun schon einmal besetzt ist, wegen der von Fredericia aus den Alliierten drohenden Gefahr nicht eher geräumt werden, bevor man nicht Garantien darüber erhielt, daß Schleswig nicht von Jütland aus werde angegriffen werden6. Frankreich lehnte es jedoch ab, in Kopenhagen Schritte zur Erwirkung dieser Garantie zu machen7. Unter diesen Umständen will Preußen nicht nur die Position zu Kolding behaupten, sondern sich noch weiter in Jütland ausbreiten zu dem doppelten Zwecke, einen Ersatz für die von Dänemark zu kapernden Schiffe8 zu gewinnen und die Last der Verpflegung des preußischen Armeekorps durch Requisition in jenem Lande zu || S. 272 PDF || erleichtern. Der Zweck des soeben unterhandelten Übereinkommens der beiden Mächte ist österreichischerseits der, zu verhindern, daß die Invasion Jütlands zu bedenklichen Komplikationen führe, und zu bewirken, daß das Hauptobjekt der Eroberung der Düppeler Schanzen so wie Alsens allen Ernstes angestrebt werde9. Minister Graf Rechberg las hierauf den Entwurf des die vereinbarten Stipulationen enthaltenden Protokolls. Dasselbe enthält zuerst die Erklärung, daß die Düppeler Schanzen das nächste Hauptobjekt der militärischen Operationen bilden. Marschall Wrangel werde ermächtigt, gegen Fredericia so weit vorzurücken als nötig wird, um sich bei den Operationen in Sundewitt gegen Angriffe aus jener jütischen Festung zu schützen. „Festhaltend an dem Prinzip der Lokalisierung des Krieges mit Dänemark werden Österreich und Preußen beim Vorrücken in Jütland den Kabinetten in Paris, London, Stockholm und Petersburg erklären, daß diese Invasion nur aus militärischen Rücksichten und als Repressalie gegen dänische Kaperei10 unternommen werde, und somit die früheren Erklärungen nicht ändert, man daher noch immer bereit sei, einen Waffenstillstand entweder auf der Basis der Räumung von Düppeln und Alsen oder auf jener des militärischen uti possidetis bei gleichzeitiger Aufhebung des Embargos11 und Einstellung der Feindseligkeiten zur See abzuschließen. Nachdem der in der ersten Vereinbarung vom 15. Jänner 1864 vorausgesehene Fall sich verwirklicht hat, somit das frühere Vertragsverhältnis zwischen den beiden Mächten und Dänemark annulliert ist, so werden Österreich und Preußen ihre einverständlich zu stellenden Friedensbedingungen unabhängig von den Stipulationen 1850/51 und mit Berücksichtigung sowohl der Zusammengehörigkeit Schleswigs und Holsteins als auch der anderweitigen Interessen Deutschlands aufstellen12. Vor dem eventuellen Eintritt in Konferenzen werden sich beide Kabinette miteinander verständigen.“
Im Verlauf der über den Inhalt des Protokollentwurfes gepflogenen längeren Beratung geruhten Se. Majestät der Kaiser Ah. zu bemerken, daß die Invasion Jütlands vom rein militärischen Standpunkte aus dermal nicht hinlänglich motiviert sei, Allerhöchstdieselben aber die Zustimmung dazu aus dem Grunde nicht verweigern zu sollen erachten, weil es bloß durch das Eingehen auf diese preußische Lieblingsidee möglich ward zu erwirken, daß die Einnahme der Düppeler Schanzen13 als Hauptobjekt in den Vordergrund gestellt werde, während die Preußen bisher noch nicht daran wollten. Auf das vom Staatsminister erhobene Bedenken, ob die Grenzlinie der Operationen in Jütland nicht zu enge gezogen sei und man sich dadurch für die künftigen Eventualitäten zu sehr binde, erwiderte der Minister des Äußern , daß diese Vereinbarung nur pro domo der beiden Mächte gelte und zur weiteren Verlautbarung ebensowenig bestimmt sei als jene vom 15. Jänner, so daß man sich dritten gegenüber dadurch gar nicht gebunden halten werde. Eine gewisse Beschränkung || S. 273 PDF || der militärischen Operationen Preußens in Jütland erscheine aber nicht überflüssig, nachdem es gerade die zu weit ausgedehnte preußische Invasion im Feldzuge 1848/4914 war, welche schädlich wirkte. Minister Ritter v. Lasser warf die Frage auf, ob es angezeigt sei, die Vereinbarungen von 1850/51 jetzt für annulliert zu erklären, da doch deren azwangsweise Durchführung als der Titel bezeichnet worden ist, welcher für den Deutschen Bund bei der Exekution in Holstein und für Österreich und Preußen bei der Inpfandnahme Schleswigs maßgebend seia . Der Minister des Äußern erwiderte, diese Vereinbarungen würden von den beiden Mächten nur in dem Sinne als annulliert erklärt, daß sie sich zu viel weitergehenden Ansprüchen ermächtigt halten. Auf die vom Minister Ritter v. Hein gemachte Bemerkung, es dürfte gut sein, sich mit Preußen jetzt darüber zu einigen, worauf diese weitergehenden Ansprüche zu richten seien, geruhten Se. k. k. apost. Majestät zu erwidern, das Minimum dieser Ansprüche wäre die Verschmelzung der Herzogtümer und die Erklärung Rendsburgs zur Bundesfestung15. Indes sei es heute noch nicht an der Zeit, darüber eine Vereinbarung mit Preußen zu versuchen, die leicht zu unangenehmen und jedenfalls unzeitigen Kontroversen führen würde. Der Finanzminister erklärte, nach seiner Meinung liege eine Inkonsequenz darin, daß man dem preußischen Armeekorps den Weg nach Jütland eröffnet und dadurch Gelegenheit zur Zerstreuung seiner Macht gibt, während doch die Absicht darauf gerichtet ist, alle Kräfte Preußens zur Führung eines anerkannt nötigen Hauptschlages bei Düppel zu konzentrieren. Dieses veranlaßte den Kriegsminister zu erinnern, die Konzession wegen Jütlands werde ja nur gemacht, um den Preußen den Vorwand zu nehmen, durch den sie sich bis jetzt vor dem aktiven Operieren bei Düppeln zu verwahren suchten. Der Finanzminister fand ferner, daß der Schlußsatz des Protokolles mit Hinblick auf die noch möglichen Eventualitäten zu sehr bindend laute. Endlich müßte er sich überhaupt gegen ein ferneres Vorrücken der Alliierten in Jütland vom finanziellen Standpunkte aus erklären, da der Eindruck davon in England16 ein ungünstiger sein werde. Der Minister des Äußern entgegnete hierauf: Erstens der Schlußsatz enthalte nichts mehr Bindendes als die früheren Vereinbarungen mit Preußen. Dem ungünstigen Eindruck des Vorrückens in Jütland aber, sowohl in England als anderwärts, werde durch die gleichzeitigen Erklärungen der zwei Mächte bei den nächstbeteiligten Höfen der Stachel abgebrochen werden.
Von anderer Seite wurde gegen den verlesenen Entwurf keine Erinnerung erhoben17.
|| S. 274 PDF || Wien, am 3. März 1864. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 12. März 1864. Empfangen 13. März 1864. Erzherzog Rainer.