Nr. 314 Ministerrat, Wien, 5. April 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 6. 4.), Krauß 8. 4., Bach 9. 4., Schmerling (BdE.Bestätigung der Einsicht fehlt), Bruck, Thinnfeld 9. 4., Thun, Kulmer 9. 4., Degenfeld; abw.abwesend Gyulai, Stadion.
MRZ. 1375 – KZ. 1117 –
Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 5. April 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten von Schwarzenberg.
I. Fürstenbergsche und Kleinsche Eisenbahn
Der Handelsminister referierte über die Gesuche des Bevollmächtigten des Fürsten v. Fürstenberg um die Konzession zur Verlängerung und respektive Umstellung seiner Pferdeeisenbahn in eine Lokomotivbahn von den Kohlenlagern bei Buschtehrad bis zur Prager Staatsbahn1, dann der Gebrüder Klein & Kompanie um die Konzession zum Bau einer Eisenbahn durch eben diese Kohlenlager von Kladno bis Kralup zur Einmündung in die Prager Staatsbahn2 mit dem Antrage, den Sektionsrat seines Ministeriums v. Regner an Ort und Stelle abzuordnen, um daselbst mit Zuziehung von Abgeordneten der politischen und Finanzlandesbehörden, der k.k. Montanwerke und der k.k. Fondsgüterdirektion, dann der Bittsteller im kommissionellen Wege alle hier obwaltenden Verhältnisse auf das genaueste zu erheben und den wohlbegründeten Vorschlag zu erstatten, welchem von beiden Projekten der Vorzug zu geben wäre. Sollte aber schon dermalen auf Grundlage der bereits vorliegenden, vom Minister in den Hauptmomenten vorgetragenen Daten eine meritorische Entscheidung beliebt werden, so würde der Minister sich für die Kladno-Kraluper Bahn erklären, welcher auch die technischen Autoritäten den Vorzug geben.
In dieser Beziehung glaubten nun zwar die Minister Graf Thun und Ritter v. Thinnfeld schon gegenwärtig, und zwar der erstere den Fürstenbergschen, letzterer dem Kleinschen Projekte das Wort führen zu können, indessen vereinigte sich der Ministerrat einstimmig mit dem ersten Antrage auf vorläufige kommissionelle Erhebung der Verhältnisse durch den Sektionsrat v. Regner3, welchem dann auch
II. Lobkowitzsche Eisenbahn
nach dem weitern Antrage des Ministers Freiherrn v. Bruck ein gleicher Vorgang rücksichtlich eines Gesuchs des Bevollmächtigten des Fürsten Lobkowitz um eine Konzession zum Bau einer Eisenbahn von Bilin nach Lobositz aufgetragen werden könnte4.
III. Behandlung der Beteiligten am ungarischen Aufstand
Der Minister des Inneren referierte über das Ergebnis der infolge der Besprechung vom 3. d. [M.] gepflogenen Verhandlung über die Behandlung der bei der ungrischen Rebellion Kompromittierten5.
Die erste Frage betrifft die Feststellung des Titels, aus welchem gegen die kriegsrechtlich Verurteilten die Konfiskation der Güter verhängt worden. In dieser Beziehung hätte der Minister des Inneren geglaubt, sich auf die Festhaltung des in den kriegsrechtlichen Erkenntnissen ausgesprochenen „zum Ersatze des durch Rebellion verursachten Schadens“ zu beschränken6. Der Justiz- und der Finanzminister glaubten jedoch, daß auch der in den altungrischen Gesetzen begründete Rechtstitel der Felonie aufrecht zu erhalten wäre, um das Ärar gegenüber den Ansprüchen der ehemaligen Besitzer der Güter sicherzustellen. Nach dem Erachten des Ministers des Inneren handelt es sich aber nicht um solche Ansprüche, diesen gegenüber genügt das rechtskräftige kriegsrechtliche Urteil, welches den Verfall des Gutes ausgesprochen hat und nicht mehr angefochten werden kann. Allein den Ansprüchen dritter Personen gegenüber würde der Titel der Felonie nicht ausreichen, denn dann würden die Rechte, welche die Nachgelassenen etc. de lege haben, geltend gemacht werden können, während wenn sich an dem in den Kriegsrechtsurteilen ausgesprochenen Zwecke des Ersatzes des durch die Rebellion verursachten Schadens gehalten wird, bei der zweifellosen Unzulänglichkeit der eingezogenen Güter zur Tilgung desselben es nur darauf ankommen kann, die auf denselben bereits haftenden Schulden zu liquidieren und zu befriedigen. Indessen hat der Minister des Inneren nicht gemeint, darum den Titel der Felonie ganz aufzugeben, insofern er mit Vorteil geltend gemacht werden kann. Nur glaubt er jedenfalls jenen des Schadensersatzes voranstellen und den weiteren Antrag machen zu sollen, daß zur Liquidierung der von dritten Personen an die Güter der Verurteilten erhobenen Ansprüche für jedes der betreffenden Länder nur ein Gericht, also für Ungarn das Landesgericht in Pest, für Kroatien jenes in Agram, für die Woiwodschaft jenes in Temesvár und für Siebenbürgen jenes in Hermannstadt delegiert werden möge7.
Belangend die in Pest schon über Anordnung des FM. Fürsten Windischgrätz zusammengesetzte Kommission zur Ermittlung der den Privaten durch die Rebellion zugefügten|| S. 280 PDF || Beschädigungen ihres Eigentums8, so kann nach dem Erachten des Ministers des Inneren von einer allgemeinen Anerkennung des Rechts auf Vergütung für solche Schäden wohl keine Rede sein, sondern es dürfte genügen, wenn einzelnen, welche unter besonders rücksichtswürdigen Umständen Beschädigungen erlitten haben, von Fall zu Fall aus Gnade eine Vergütung gewährt wird. In vornehinein Kategorien solcher zur Vergütung Berufener aufzustellen, wie der Finanzminister meinte, schien dem Minister des Inneren nicht angemessen, weil dies gerade eine Aufforderung zur Eingabe der erlittenen Schäden sein würde. Ohnehin werden jene, die durch Requisitionen oder aim Wege der Expropriation zum Behufea militärischer Operationen ihr Eigentum verloren haben, ihr Recht im gehörigen Wege geltend zu machen wissen. Außer diesen würde eine Klassifizierung der eigentlichen Kriegsbeschädigungen nur zu bedenklichen Folgerungen führen. In dieser Rücksicht gedenkt daher der Minister vorläufig eine Aufklärung über die bisherige Gestion der gedachten Kommission abzuverlangen und nach dem Resultate derselben die weitern Maßnahmen zu beantragen.
In Ansehung der Behandlung der bereits abgeurteilten Teilnehmer an der ungrischen Rebellion kommt zu bemerken, daß die Verurteilung derselben je nach dem Zeitpunkte derselben verschieden, insbesondere aber jene vor dem 1. Juli und den die Klassifizierung der Kompromittierten anordnenden Ah. Verfügungen viel strenger als in der Folge ausgefallen ist9. Es erscheint daher angemessen, ja der Gerechtigkeit entsprechend, daß eine gleichförmige Behandlung eintrete und daß zu diesem Ende nach Vorlegung detaillierter Ausweise über die Abgeurteilten durch eine Kommission ermittelt werde, ob und was zur Erleichterung der früher etwa zu streng Beurteilten geschehen könne oder solle.
Was endlich die Behandlung der noch Abzuurteildenden betrifft10, so dürfte unter Festhaltung des Grundsatzes, daß den im Auslande verweilenden Teilnehmern an der Revolution mit Ausnahme der durch die Kapitulationen gesicherten Zugeständnisse keine Gnadenakte mehr zustatten zu kommen haben, die Beschleunigung des Kontumazialverfahrens angeordnet, von den noch in Untersuchung befindlichen aber namentliche Verzeichnisse und deren Kategorisierung nach Landtagsdeputierten, Regierungskommissären und sonst durch besondere Tätigkeit Hervorragendenb abgefordert werden, um nach deren genauer Sichtung Sr. Majestät die geeigneten Anträge, sei es zur Deportierung der schwerer Gravierten nach Algier oder ihrer Transportierung nach Amerika11, erstatten zu können12.
IV. Gemeindeordnung von Prag
Der Minister des Inneren referierte über die Gemeindeordnung für Prag.|| S. 281 PDF ||
Abweichende Bestimmungen derselben sind, daß die Gemeinde des Wissehrad selbständig bleiben, die Judenstadt dagegen sich der Gemeinde Prag gegen eine zwischen den beiden Teilen zu vereinbarende Einkaufssumme einverleiben und den Namen „Josephstadt“ annehmen wird. Die Gemeindevertretung wird aus den drei Wahlkörpern gebildet, von denen der erste die Steuerzahlenden über 100 fr., der zweite die Steuerzahlenden von 20 bis 100 fr. und der dritte diejenigen umfaßt, welche eine Steuer von 8 bis 20 fr. entrichten. Vermöge der eigentümlichen Verhältnisse des in Prag Häuser besitzenden, aber nicht dort wohnenden Adels ist die Verfügung getroffen, daß Fremde, die ein Realeigentum haben und 50 fr. Steuer zahlen, wahlfähig sein sollen. Der Gemeinderat teilt sich in einen großen und kleinen Rat, und der Vorstand, welcher der Bestätigung Sr. Majestät unterliegt und auf drei Jahre gewählt wird, hat, falls er zum dritten Male gewählt wird, lebenslänglich im Amte zu bleiben. Bezüglich der Veräußerung des unbeweglichen Gemeindevermögens ist nach dem eigenen Wunsche der Vertrauensmänner und Repräsentanten die besondere Beschränkung festgesetzt worden, daß, wenn der Wert des zu veräußernden Immobilienguts 2.000 fr. übersteigt, die Genehmigung des Landtages zur Veräußerung eingeholt werden muß.
Da der Ministerrat gegen diese Anträge nichts zu erinnern fand, so wird der Minister des Inneren hiernach den Vortrag an Se. Majestät erstatten13.
V. Erlässe des Unterrichtsministers an den Generalgouverneur des lombardisch-venezianischen Königreichs
Der Unterrichtsminister fragte an, auf welchem Wege seine bezüglich des Unterrichtswesens in Mailand an den Generalgouverneur erlassenen Zuschriften, die bisher nach den von Mailand erhaltenen Auskünften erfolglos geblieben sind, zur Geltung zu bringen wären14.
Da, wie der Minister Bach bemerkte, demnächst ein Antrag zu genauerer Festsetzung des Wirkungskreises des Generalgouverneurs in politisch-administrativen Angelegenheiten erstattet werden wird, so behielt sich der Unterrichtsminister mit Genehmigung des Ministerrats vor, inzwischen die Erlässe in den sein Ministerium betreffenden Angelegenheiten unmittelbar an den betreffenden Statthalter abzufertigen15.
Wien, am 6. April 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 11. April 1850.