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Nr. 365 Ministerrat, Wien, 10. Juli 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 11. 7.), Krauß 15. 7., Bach 15. 7., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 13. 7., Thun, Kulmer 13. 7., Degenfeld; abw. Stadion, Gyulai.

MRZ. 2810 – KZ. 2371 –

Protokoll der am 10. Juli 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Gültigkeit der von Julius Freiherr v. Haynau gewährten Begnadigungen

Der Ministerpräsident brachte nach Eröffnung der Sitzung die wichtige Frage zur Erörterung, ob die Begnadigungen des FZM. Baron Haynau als unwiderruflich angesehen werden müßten oder nicht, d.i. ob Se. Majestät sie als ein fait accompli hinnehmen und gelten lassen müssten oder nicht1.

Der Ministerpräsident bemerkte, daß sich unter den von Haynau Begnadigten mehrere politisch ganz verdorbene und gefährliche Menschen befinden, welche schon vor dem Jahre 1848 schlecht waren, an allen revolutionären Umtrieben und den diesfälligen Komitees teilnahmen und die im Jahre 1848 ihrem gefährlichen und verderblichen Treiben nur die Krone aufsetzten.

Der Minister des Inneren Dr. Bach bemerkte, sich gegen Se. Majestät über diesen Gegenstand bereits mündlich dahin ausgesprochen zu haben, daß das Recht des Baron Haynau zu diesen Begnadigungen als zweifelhaft angesehen werden müsse, daß er (Minister Bach) aber aus wichtigen Gründen der Politik dafür halte, diese Begnadigungen nicht zurückzunehmen. Die Folgen der Zurücknahme, bemerkte derselbe, wären viel nachteiliger, als wenn man einige schlechte Individuen eine unverdiente Gnade fortgenießen lasse; der Eindruck wäre nicht günstig, wenn der Baron Haynau milder als der Kaiser erscheinen würde; Haynau habe außerordentliche Vollmachten gehabt, welche bis zum 6. d.M. nicht zurückgenommen waren und rücksichtlich derer wenigstens der Zweifel angeregt werden könnte, ob er sie überschritten habe. Würde man seine Akte als eigenmächtig annullieren, so müßte er vor ein Kriegsgericht gestellt werden, und die Krone würde in einen höchst unangenehmen öffentlichen Prozeß verwickelt werden. Nach seiner Meinung wäre daher Sr. Majestät anzuraten, es bei dem Geschehenen bewenden zu lassen; nur wären diese Individuen, wie der Ministerpräsident hinzufügte, strenge zu überwachen, dazu der Ausnahmszustand zu benützen und, wenn sie sich eines neuen Vergehens schuldig machen, sogleich wieder einzusperren.|| S. 138 PDF ||

Die Minister Freiherr v. Kulmer, Freiherr v. Bruck und Graf v. Thun bezweifelten, daß die Zurücknahme der hier erwähnten Begnadigungen in Ungarn und sonst einen so üblen Eindruck machen würden, als der Minister Dr. Bach vermutet; wenigstens wären die Schlechtesten und besonders Gefährlichen von der Begnadigung auszunehmen und sie nur jenen zu gewähren, die sie verdienen. Durch die von Haynau ausgesprochene Begnadigung komme die Regierung in eine schiefe Stellung, und den anzustellenden Vergleichen ist nicht zu entgehen, daß viele minder Strafbare und Kompromittierte ein weit härteres Los hatten als jene.

Die Minister Ritter v. Schmerling und Freiherr v. Krauß sprachen die Überzeugung aus, daß Se. Majestät die Urteile samt allem was daraus folgt, annullieren könnten. Dem Baron Haynau war verboten, so vorzugehen, wie er es tat, er hatte also nicht das Recht, die Urteile in Vollzug zu setzten oder Gnade ergehen zu lassen.

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß bemerkte insbesondere, daß durch die Begnadigungen des Haynau die Entschädigung aus dem Vermögen der Begnadigten, wozu dieses Vermögen nach einer Proklamation des Fürsten Windischgrätz in Anspruch genommen werden kann2, nicht als aufgehoben zu betrachten wäre, es sei denn, Baron Haynau hätte ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Das Vermögen dieser Leute könnte, um der Maßregel den fiskalischen Schein zu benehmen, zur Entschädigung anderer Privater verwendet werden, und der Minister Ritter v. Schmerling fügte noch bei, daß den in der Rede stehenden Leuten jedenfalls die bürgerlichen Befugnisse, z.B. für den Landtag oder den Reichstag zu wählen oder gewählt zu werden etc., entzogen werden sollten3.

II. Schreiben Julius Freiherr v. Haynaus aus Anlaß seiner Dienstenthebung

Der Ministerpräsident teilte hierauf ein Schreiben des FZM. Baron Haynau mit, welches derselbe nach dem Empfange seiner Dienstesenthebung vom 6. d.M. an ihn gerichtete habe4. Baron Haynau sagt darin, daß ihn dieser Erlaß glücklich gemacht habe, indem er sich nach einer 50-jährigen Dienstleistung schon nach Ruhe sehnte, darum auch habe bitten wollen und deshalb schon eine Wohnung in Gratz gemietet habe. Er trete nun mit dem glücklichen Gefühle in die Ruhe, alles geleistet zu haben, was in seinen Kräften stand; nur hätte er gewünscht, wenn seine Bitte um Versetzung in den Ruhestand abgewartet worden wäre; auch bemerkt er, daß es bei der Armee keinen guten Eindruck machen werde, daß ihr Befehlshaber ohne sein Ansuchen in den Ruhestand versetzt wurde usw5.

III. Bericht Julius Freiherr v. Haynaus über die Verurteilung ungarischer Hochverräter

Weiters teilte der Ministerpräsident einen Bericht des Baron Haynau vom 5. d.M. mit, worin derselbe die stattgehabte Verurteilung der Hochverräter, darunter 25 Landtagsdeputierte,|| S. 139 PDF || mit dem Beifügen anzeigt, daß die Urteile kundgemacht und in Vollzug gesetzt werden6. Hierbei und bei der Begnadigung habe er nur von seinem Befugnisse Gebrauch gemacht und dem Beispiele des Ministerrates gefolgt, der den Bischof Bémer und die ohne Charakter quittierten österreichischen Offiziere der Insurgenten gleichfalls begnadigt (rectuis ihnen die Gnade von Sr. Majestät erwirkt) habe, welche als Chefs der Insurgenten und der Kirche gegenüber der Deputierten viel strafbarer waren als diese. Schließlich wurde von Baron Haynau auf eine umfassende Amnestie hingedeutet, um zwischen allen das rechte Ebenmaß herzustellen7.

Diese Mitteilungen wurden zur Kenntnis genommen mit der Bemerkung, daß keine allgemeine Amnestie zu erteilen und keine Kategorien zu machen wären, sondern sich lediglich auf isolierte, nach Umständen zu erteilende Gnadenakte zu beschränken wäre, wie sie denn auch schon wochenlang wirklich stattfinden und nach der getroffenen Einleitung nun auch durch das Kriegsministerium zur öffentlichen Kenntnis gebracht werden8.

IV. Gemäldeankauf des Kaisers von Rußland aus der Galerie Barbarigo

Ferner referierte der Ministerpräsident, der Kaiser von Rußland habe aus der Galerie Barbarigo mehrere Bilder käuflich an sich gebracht, unter denen sich einige befinden, deren Ausfuhr nach den bestehenden Vorschriften verboten ist. Der russische Gesandte Graf Medem bitte nun um die Bewilligung zur Ausfuhr dieser Bilder nach Rußland.

Gegen die Gewährung dieser Bitte wurde kein Anstand erhoben9.

V. Suspendierung der Expeditionen über die Ah. bewilligten Auszeichnungen

Der Minister Dr. Bach brachte zur Kenntnis des Ministerrates, daß dieser Tage viele Ordens- und andere Auszeichnungen von Sr. Majestät bewilligt10 an ihn gelangt seien, daß er aber mit der Expedition derselben zurückhalten müsse, bis die erforderlichen Dekorationen an ihn übergeben sein werden11.

VI. Todesurteil gegen Georg Virág-Szegedi und Paul Szabó

Dem bei Sr. Majestät zu unterstützenden Antrage des Obersten Gerichtshofes, gegen den Raubmörder Georg Virág-Szegedi diesen Gerichtshof das Amt handeln, d.i. die Todesstrafe an ihm vollziehen zu lassen, dagegen dem Paul Szabó, welcher sich bloß an dem Raube beteiligte, die Todesstrafe nachzusehen und dem Obersten Gerichtshofe zu überlassen, dafür eine angemessene zeitliche Strafe zu bestimmen, wurde über den diesfälligen Vortrag des Justizministers von Seite des Ministerrates beigestimmt12.

VII. Organisation des Obersten Gerichts- und Kassationshofes

Hierauf wurde die in der Ministerratssitzung vom 8. d.M.13 begonnene Beratung über den von dem Justizminister Ritter v. Schmerling vorgelegten Gesetzentwurf bezüglich der Organisation des Obersten Gerichts- und Kassationshofes in Wien vom § 4 bis zu Ende fortgesetzt.

Hierüber ergaben sich nur folgende wenige Bemerkungen: Hinsichtlich der in der geänderten Textierung des § 28 vorkommenden Bestimmung: „Wenn die Verhandlung in einer anderen als der deutschen Sprache geführt worden ist, habe der Oberste Gerichtshof seine Entscheidung darüber samt den Gründen nicht bloß in der deutschen, sondern auch in der Sprache, in welcher die Verhandlung in erster Instanz geführt wurde, hinauszugeben“, wurde über Anregung des Ministers Grafen v. Thun als zweckmäßig und notwendig erkannt, zu bestimmen, was in dem § 28 nicht geschehe, welches Erkenntnis als das Original oder authentische Erkenntnis anzusehen sei, und diesfalls auszusprechen, daß es jenes der Sprache nach sei, in welcher die Verhandlung oder Prozeß in erster Instanz geführt wurde, der deutsche Text, wenn er nicht schon der Originaltext ist, wäre aber jederzeit gleichfalls hinauszugeben.

Bei dem Personal- und Besoldungsstande des Obersten Gerichts und Kassationshofes ist man übereingekommen, dem Ersten Präsidenten desselben aschon mit Rücksicht auf die bedeutenden Bezüge, die nun Graf Taaffe bezieht, und da der Erste Präsident den Rang der Minister erhalten hat,a eine Funktionszulage statt mit 2000 f. mit 4000 f. zu bewilligen, dagegen aber die Funktionszulagen der zwei Senatspräsidenten (von 1000 f. für jeden) und der sechs Räte (von 500 f. für jeden) zu streichen, was einen minderen Aufwand von 5000 f. und mit Rücksicht auf die dem bersten Präsidentenb zugelegten 2000 f. von 3000 f. darstellen würde. Den ältesten Räten und den Senatspräsidenten könnten für diesen Entgang nach Umständen Personalzulagen bewilliget werden.

Hinsichtlich der in dem Schema vorkommenden mehreren Gattungen von Sekretären (1 Präsidial­sekretär mit 1800 f., 18 Ratssekretär, 6 mit 1500 f., 6 mit 1200 f. und 6 mit 1000 f. Gehalt, 1 Obersekretär mit 1800 f. zur Leitung des Einreichungsprotokolls und Expedits, dann abermals 3 Sekretäre mit 1200 f. Gehalt und den entsprechenden Quartiergeldern) bemerkte der Finanzminister Freiherr v. Krauß mit Rücksicht auf die hier erwähnten Gehaltsstufen der Sekretäre, welche von jenen der Sekretäre der Ministerien bedeutend abweichen, daß es vielleicht nicht unzweckmäßig wäre, der Gleichförmigkeit wegen einige Gattungen dieser Sekretäre andere Benennungen, z.B. die eines Direktors der Hilfsämter, eines Vorstandes der Hilfsämter, Direktionsadjunkten u. dgl. zu geben. Dagegen wurde von dem Justizminister bemerkt, daß diese Leute viel auf den Titel eines Sekretärs halten, daß die Stellung der Obersten Justizstelle eine andere als jene der Ministerien seie und daß es daher bei der Benennung „Sekretär“ bewenden dürfte, wogegen von anderen Seiten nichts erinnert wurde.

Schließlich wurden noch die schon in der Ministerratssitzung vom 8. d.M. besprochenen ersten drei Paragraphen einer nochmaligen Erörterung unterzogen, worauf sich die|| S. 141 PDF || Stimmenmehrheit (die Minister Dr. Bach, die Freiherrn Kulmer, Bruck und Krauß, dann der Ministerpräsident) mit Beziehung auf die in dem Protokolle vom 8. d.M. geäußerten Ansichten mit dem Antrage des Ministers Dr. Bach dahin einverstanden erklärte, daß von der Frage des Sitzes des Obersten Gerichtshofes und des abgesonderten Bestandes des lombardisch-venezianischen Senates dieses Gerichtshofes gegenwärtig ganz Umgang genommen und mit Hinweglassung des § 3 des vorliegenden Gesetzentwurfes der 1. Paragraph desselben in folgender Art textiert werde: „Für den Umfang des ganzen österreichischen Kaiserstaates wird ein Oberster Gerichtshof, welcher zugleich Kassationshof ist, errichtet.“

Der Justizminister , dann die Minister der Landeskultur und des Kultus beharrten bei ihrer früher ausgesprochenen Ansicht, welche auch der Kriegsministerstellvertreter FML. Graf v. Degenfeld unter der Voraussetzung teilte, daß zur Wahrung der Einheit der Monarchie die Vereinigung des lombardisch-venezianischen Senates der Obersten Justizstelle mit diesem Gerichtshofe cfür notwendig erachtet würdec . Sollten aber auch für andere Kronländer Ausnahmen in dieser Beziehung eintreten, dann würde er der Ansicht des Ministers Dr. Bach beitreten. Die Notwendigkeit, dem lombardisch-venezianischen Königreiche allein eine Sonderstellung in der gedachten Richtung einzuräumen, sei ihm nicht dnur nicht einleuchtend, sondern im Gegenteile sei er von der Ansicht durchdrungen, daß eine solche Konzession von den Italienern ebensowenig als jene nach den früheren Regierungsprinzipien einberäumte eine Wirkung ad captandam benevolentiam äußern würded .

Die Art der Verfassung des diesfälligen au. Vortrages und der Motivierung des vorstehenden Beschlusses eüber die vorläufigee Belassung des Senates in Verona wurde vom Justizminister vorbehalten, welche Fassung er nächstens in dem Ministerrate vorbringen werde14.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 17. Juli 1850.