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Einleitung - Retrodigitalisat (PDF)

Von Friedrich Engel-Janosi

Wenn nun, sehr im Gegensatz zu den im ersten Band veröffentlichten Protokollen des österreichischen Ministerrates, die Fragen der auswärtigen Politik in den Vordergrund treten – von 34 Sitzungsprotokollen bis zur Ratifikation des Waffenstillstandes mit Preußen sind 28 den Fragen des Krieges gewidmet –, so darf daraus nicht gefolgert werden, daß die Kompetenz oder die Bestimmung des Ministerrates eine Änderung erfahren hätte: nach wie vor behandelt er jene Fragen, die der Wille des Monarchen ihm zuweist. Die Krise, in die Österreich im April 1866 offensichtlich eingetreten ist, spiegelt sich auch in dem Wechsel der Themen; sie werden sich nach deren Abschluß entsprechend ändern.

Die meisten Sitzungen werden in diesem Abschnitt vom Kaiser präsidiert. Auch bei dem wohl geheimsten Gegenstand, der in diesen Wochen zur Beratung kam, dem Abschluß des Geheimvertrags mit Frankreich über die Abtretung Venetiens am 11. Juni, waren alle Minister mit Ausnahme des Kriegsministers zugegen, dessen Abwesenheit aus Gründen seines Ressorts zu erklären sein dürfte; der Monarch betonte zu Beginn der Sitzung lediglich, „daß der heute zur Sprache kommende Beratungsgegenstand das unbedingteste Geheimnis erheische1“. Wohl aber wurden bei zwei anderen Gelegenheiten „engere Konferenzen“ gebildet, die an die Vorgangsweise vom 5. August 1865 2 erinnern: als am 25. April 1866 unter dem Vorsitz Franz Josephs der Wortlaut von zwei an Preußen zu richtenden Depeschen zur Diskussion stand, die die Abrüstung der an der Grenze konzentrierten || S. 8 PDF || Truppen und die Möglichkeit einer Lösung der schleswig-holsteinischen Frage betrafen, waren nur Belcredi, Mensdorff, Larisch, Franck und der ungarische Kanzler anwesend; es fehlten also drei regelmäßige Teilnehmer. Dieser Ministerrat wurde im Protokoll als „vertrauliche Besprechung“ bezeichnet. An der Diskussion vom 14. Mai 1866 wegen einer Geldunterstützung an den König von Neapel „zur Organisierung eines Aufstandes“, wieder unter Vorsitz des Kaisers, nahmen lediglich Belcredi, Mensdorff, Larisch, Franck und vielleicht Wüllerstorf3 teil; wieder fehlten zumindest drei der regelmäßigen Mitglieder. Im Ministerrat vom 8. April fehlten Wüllerstorf und Komers, ohne daß sie als abwesend angeführt worden wären; sie waren scheinbar Mitglieder minderer Ordnung, die zu gewissen, besonders geheimen Beratungen nicht zugezogen wurden. Im Ministerrat vom 25. April, der ausdrücklich als „vertrauliche Besprechung“ bezeichnet war, erfolgte auch die Protokollierung recht summarisch. Anstatt die Diskussion wiederzugeben, heißt es: „Der vertrauliche Meinungsaustausch … konstatiert unter allseitiger Zustimmung, daß …“ Auch während dieses Zeitabschnitts werden andererseits zu einzelnen Punkten der Beratung Mitglieder des Staatsrates, hohe Beamte und Offiziere, für Finanzfragen vor allem Sektionschef v. Becke, beigezogen, und einmal erscheint auch ein Ausländer, der Vertrauensmann des Königs von Neapel.

Man mag sich beim Lesen dieser Einleitung gelegentlich an den Rat erinnern, den der im Herbst 1866 mit schwerem Herzen von seinem Amt scheidende Minister des Äußern seinem Monarchen für die Zukunft erteilte: „Die Ministerräte müßten öfter stattfinden, überhaupt alle Ansichten in denselben so geläutert werden, daß die Regierung nach außen dann als eine einige, starke dasteht4.“

Der Krieg - Retrodigitalisat (PDF)

Am 8. April 1866, am Tage, an dem der erste in diesem Band edierte Ministerrat stattfand, schloß Preußen sein Offensiv- und Defensivbündnis mit Italien ab, wodurch die Aussicht auf eine friedliche Beilegung des Konflikts zwischen Wien und Berlin sich noch weiter verminderte. Es ist nicht der Zweck dieser Einleitung, nochmals den Weg, der nach Königgrätz geführt hat, zu erzählen; Heinrich Friedjung, Alfred Stern, Chester W. Clark und schließlich Heinrich v. Srbik haben dies bereits getan. Unsere Aufgabe ist lediglich, zu überlegen zu versuchen, welche Rolle dem österreichischen Ministerrat in diesem Geschehen, dem Kampf des Nordens gegen den Süden im mitteleuropäischen Raum, zugefallen ist. Infolge der trostlosen Lage der österreichischen Finanzen, die zumindest auf den verlorenen Feldzug von 1859 zurückgeht, war die österreichische Bereitschaft für einen Kriegsfall weit zurückgeblieben, vor allem, wenn man sie mit den preußischen Verhältnissen vergleicht. Belcredi hatte schon in seinem Regierungsprogramm || S. 9 PDF || vom 15. Juni 1865 noch auf weitere Ersparungen in diesem Sektor gedrungen: die Regierung müsse in dieser Beziehung noch über das vom Abgeordnetenhaus Geleistete hinausgehen, und „Abstriche beim Militärbudget“ lautete bereits ein Punkt der Tagesordnung des zweiten Ministerrats des Kabinetts Belcredi5. Man mag die wiederholten Äußerungen des Monarchen, daß er „anfänglich“ nicht an einen Krieg habe glauben können, annehmen; aber konnte man auch noch am 8. April an dieser Hoffnung festhalten?

Seit März gab es gewisse „Rüstungen“ Österreichs. „Sie waren“, schreibt Srbik, „durch die alarmierenden Nachrichten über den preußischen Kronrat vom 28. Februar, dem Kriegsminister, Generalstabschef und Generaladjutanten beigezogen worden waren, und über Verhandlungen Berlins mit Florenz hervorgerufen; sie entsprangen ferner der sächsischen Nachricht, daß Bismarck einen Überfall Sachsens plane, und der Tatsache, daß für den ,Kriegsfall Preußen‘ in Böhmen und Mähren durchaus nicht vorgesorgt und die Armee überhaupt sehr reduziert war. Sie entbehrten jeglicher Angriffsabsicht. Sieben bis acht Wochen erforderte die schwerfällige österreichische Mobilisierung, … während das preußische Mobilisierungssystem glatt und rasch arbeiten konnte6.“ Clarks Urteil über die österreichische Militärkonferenz vom 7. März 1866 lautet: „Though justified on military ground, this was an unwise move politically. It could not be kept secret. The papers exaggerated its importance … Austria had called the first war council7.“ Es sind die Wochen, in denen Bismarck mit all seiner Kraft darum kämpfte, seinen König, Deutschland, Europa davon zu überzeugen, daß Österreich trotz der Friedensversicherungen seiner diplomatischen Noten einen militärischen Angriff auf Preußen plane, wofür die Rüstungen im März den klarsten Beweis lieferten. Srbik spricht „von Bismarcks unablässigem Bemühen, Österreich die Last der Friedensstörung aufzubürden8“. Nicht die geringste Andeutung, daß Österreich im Frühjahr 1866 einen Angriff auf Preußen erwog, kann aber erbracht werden.

Im Ministerrate vom 8. April, dem Komers und Wüllerstorf nicht beigezogen wurden, gaben Mensdorff und Esterházy ihrer Hoffnung Ausdruck, daß noch immer der Friede erhalten werden könne, und um Preußen keinen Vorwand für eine Kriegserklärung zu geben, einigten sich alle Teilnehmer dieses Ministerrates darauf, „daß vorderhand weitere militärische Maßnahmen“ von seiten Österreichs zu unterbleiben hätten9. Dieser Ministerrat hatte ferner die Aufgabe, die preußische Note vom 6. April, in der Berlin im Geiste der Politik Bismarcks gegen die österreichischen Rüstungen in Böhmen Protest erhob, zu beantworten. Über den von Mensdorff verlesenen Entwurf der Antwort fand keine Diskussion statt; charakteristisch die Bemerkung des Kaisers, daß der Ton der preußischen Note || S. 10 PDF || „auffallend grob“ sei, was bei dem österreichischen Antwortsentwurf nicht zuträfe: „Allein wer in seinem Rechte sich befinde, dürfe, ohne sich etwas zu vergeben, auch seinem Gegner gegenüber die Formen des Anstandes beobachten.“ Immerhin wurden hierauf Vorbereitungen für eine zweite Rekrutierung eingeleitet, und unter Beiziehung des Sektionschefs v. Becke begannen Beratungen über – wie das Protokoll sagt – Herbeischaffung der für den Fall des Ausbruchs eines Krieges nötigen Geldmittel10; dies sollte noch zahlreiche Beratungen erfordern.

Als dem Ministerrat vom 17. April das Anbot Preußens vorlag, zum status quo ante zurückzukehren, fühlten die Teilnehmer, daß hiemit die Stunde der Entscheidung über Krieg oder Frieden gekommen sei. So sagte es der Kaiser und so Esterházy und Mensdorff, die beide „eine bestimmte positive Antwort“ auf das Verlangen Berlins für unvermeidlich hielten. Belcredi schloß sich ihnen um so mehr an, als er den jetzigen Zustand in Österreich auf die Dauer für unerträglich hielt. Über die Einwände des Kriegsministers, daß mit einer solchen Erklärung Österreichs nichts erreicht würde, da Preußen bald neue Vorwände finden würde – „in solchen sei bekanntlich Graf Bismarck erfinderisch und reich“ –, entschied der Kaiser, man müsse das preußische Anbot annehmen, aber mit der Modifikation, daß beide Staaten „an dem einen und demselben Tage“ mit der Abrüstung begännen. „Schließlich gab Se. Majestät Ihren Willen dahin kund, daß die hierortige Antwort in einem ruhigen, durchaus offenen Tone abgefaßt und jede komminatorisch zu deutende Wendung vermieden werde.“ Das Anbot Österreichs blieb erfolglos; es war an und für sich nicht aussichtsreich gewesen, da es die schleswig-holsteinische Streitfrage in keiner Weise einer Lösung näher brachte11. Obwohl die Reaktion Berlins zunächst nicht ungünstig schien, ordnete Wien im Ministerrat vom 21. April, von dem Mensdorff und Esterházy, die beiden Sachverständigen für auswärtige Politik, „wegen Unwohlsein“ abwesend waren, auf Grund von Meldungen über alarmierende Rüstungen Italiens an, daß die Süd-Armee an diesem Tage auf Kriegsfuß gesetzt werden solle, eine unschätzbare Hilfe für Bismarcks Politik, vielleicht eine nicht wieder gutzumachende Übereilung von seiten Österreichs in seiner Bedrängnis. Bei Eröffnung dieser Sitzung hatte der Kaiser erklärt, daß, wenn diese alarmierenden Nachrichten sich bestätigen sollten, „die Anordnung weiterer militärischer Maßregeln zu einer unvermeidlichen Notwendigkeit werde12“. Nun konnte Bismarck wiederum Österreich vor Europa und der Welt als Friedensbrecher brandmarken; es war am 21. April mit dem Befehl zur Mobilisierung vorangegangen.

Der Ministerrat am 23. April13 fand den Monarchen und seine Ratgeber in völliger Ratlosigkeit. Eine Note vom 21. April war aus Berlin eingetroffen; sie schien in vagen Ausdrücken auf das Abrüstungsanbot Österreichs einzugehen, doch war || S. 11 PDF || kein genauer Termin für eine analoge preußische Maßnahme festgesetzt14. Der Kaiser gab zu, daß es schwer sei, auf diese scheinbar in friedlichem Tone gehaltene Note eine Antwort zu erteilen; er räumte ein, „daß die ersten ostensiblen militärischen Maßregeln … auf unserer Seite erfolgt seien“, wenn auch ohne jede Absicht einer Aggression. Dann sprach der Minister des Äußern laut Protokoll: „Es sei wirklich schwer zu sagen, was nun zu geschehen habe, man möge sich wenden, an wen man wolle, die gescheitesten Staatsmänner werden mit einer bestimmten klaren Antwort verlegen sein.“ Der Kriegsminister sekundierte: „Unsere Lage sei eine außerordentlich ungünstige.“ Und FML. Henikstein, Chef des österreichischen Generalstabs seit 1864, faßte sein Urteil dahin zusammen: „Preußen wisse, was es wolle, wir aber müssen uns durch andere in unseren Handlungen bestimmen lassen15“; und darauf wiederum Graf Mensdorff, „das sei leider die Lage von Österreich“. Die beiden Militärs warnten davor, durch eine Zurücknahme der ohnehin bescheidenen militärischen Rüstungen Österreich in Nachteil gegenüber Preußen zu versetzen: „… bei einem wahrscheinlich bald kommenden Anlasse neuer Aufrüstung“ werde dieses durch seine Lage und seine Armeeorganisation in einem Vorteil sein, den die Monarchie nicht aufholen könne. Aber Mensdorff und Belcredi wollten vor allem, „wenn auch der gegenwärtige Zustand große Opfer erfordere, solche Rüstungen vermeiden, welche Preußen den Vorwand“ zu einer Kriegserklärung geben könnten, und Belcredi riet, „sowohl die Demobilisierungs- sowie die schleswig-holsteinische Frage“ vor den Bund in Frankfurt zu bringen. Franz Joseph nahm diesen Vorschlag an, und gleichzeitig sollte Preußen eine in „friedlichem Tone gehaltene Antwort“ gegeben werden, die die bereits erteilten Versicherungen erneuerte. Um die öffentliche Meinung nicht weiterhin aufzuregen, beschloß der Ministerrat außerdem, Erzherzog Albrecht, der zum Kommandanten der Süd-Armee im Kriegsfalle bestimmt worden war, vorderhand nicht nach Italien abreisen zu lassen.

Die nächste Beratung am 25. April, die das Protokoll als eine „vertrauliche Besprechung“ bezeichnet, rückte die Entscheidung noch näher. Es wurde die Absendung zweier Depeschen nach Berlin beschlossen, die beide die ausweglose Situation, in die Österreich geraten war, ausdrückten. Die erste gab in absichtlich unbestimmt gehaltenen Worten die Bereitschaft zur gegenseitigen Abrüstung bekannt, wovon aber die militärischen Maßnahmen gegen Italien nicht berührt werden sollten, obwohl es klar war, daß Italien nur als Bundesgenosse Preußens Truppenbewegungen gegen Österreich vorgenommen hatte. Die zweite Depesche ließ den Willen erkennen, Belcredis Vorschlag vom 23. April aufzunehmen und die schleswig-holsteinische Frage vor den Bund zu bringen. Was dieser Entschluß bedeutete, sprach Mensdorff deutlich aus, indem er sagte, daß diese Depesche || S. 12 PDF || von Preußen nicht günstig aufgenommen werden dürfte und „daher die Eventualität einer kriegerischen Lösung nicht außer acht gelassen werden darf“; auch der Monarch betonte den Ernst der Situation. Es sei dringend geboten, der „täglich unerträglicher werdenden Situation durch ein entschiedenes, möglicherweise selbst den Krieg nach sich ziehendes diplomatisches Vorgehen ein Ende zu machen“. Man konnte nicht deutlicher aussprechen, daß Bismarck sein Ziel erreicht und Wien vollkommen die Nerven verloren hatte. Das Protokoll aber konstatierte nochmals, daß alle Teilnehmer der Konferenz „ihre völlige Übereinstimmung mit dem Inhalte“ der beiden Depeschen ausgesprochen hatten. Man war sich des Ernstes der gefaßten Beschlüsse bewußt. Der geheimnisvolle Graf Móric aber, den – wie er es ausdrückte – sein Unwohlsein verhindert hatte, zu versuchen, „am Krankenlager eines so interessanten Patienten wie Österreich … [seiner] verdammten unglücklichen Leidenschaft für die gute Sache“ zu dienen, bestätigte am nächsten Tage dem Außenminister, daß dieser „bis zur letzten Stunde tapfer und mit Selbstbeherrschung für den Frieden gekämpft“ hätte16. Er fügte hinzu: „Ich bin beinahe in Versuchung, mein Unwohlsein nicht zu bedauern. Es ist gar peinlich, sich durch die Scheingewalt der Verhältnisse majorisiert zu sehen17.“ Die Schwächen der österreichischen Depeschen: Unterbreitung der schleswig-holsteinischen Frage an den Bund in Frankfurt, keine Zurücknahme der Kriegsvorbereitungen gegen Italien, gaben Bismarck die willkommene Handhabe, den Kriegsentschluß in Berlin und in Florenz weiter vorzubereiten18. Am 1. Mai setzte Franck nun auch den Ministerrat vom Fortgang der österreichischen Rüstungen in Kenntnis: „Se. Majestät haben auch Ah. zu befehlen geruht, daß heute die telegrafischen Anordnungen zur alsogleichen Aufstellung des 1. und 3. Armeekorps …, beide aber mit der Bestimmung der Verwendung für die Nord-Armee erlassen und daß alle Urlauber aus Galizien und Böhmen einberufen werden.“ Sowie der preußische Mobilisierungsbefehl gegeben werde, würde die gesamte österreichische Armee auf Kriegsfuß gesetzt werden. „Dies könne sich aber möglicherweise schon übermorgen ergeben.“ Man wird es dann mit kolossalen Ziffern zu tun haben. Tatsächlich hatte Österreich schon am 27. April mit der Mobilisierung begonnen. Die ersten preußischen Mobilisierungsmaßnahmen erfolgten am 3. Mai19. Für Österreich ergab sich ein ungeheurer Geldbedarf. Sektionschef v. Becke referierte: „Daß die Finanzkassen nicht imstande seien, das so kolossale Mehrerfordernis zu prästieren, sei ebenso klar wie der Umstand, daß es unter den dermaligen Verhältnissen absolut unmöglich sei, irgendeine Kreditoperation vorzunehmen.“ Sein Vorschlag ging dahin, sofort die Banknoten zu 1 und 5 fl. im Gesamtbetrag von 112 Millionen einzuziehen und in Staatsnoten umzuwandeln. Allerdings wäre ein heftiger Widerstand der Nationalbank zu erwarten, die man in einem solchen Fall eben zwingen müsse; das Direktorium wäre aufzulösen und ein Bankkommissariat vom Staate zu bestellen. Über diesen Schritt solle aber eine Beratung unter dem Vorsitz des Monarchen erfolgen.

|| S. 13 PDF || Während die Vertreter des Finanzressorts die dringende Notwendigkeit der Umwandlung der Noten von 1 und 5 fl. in Staatsnoten betonten, war es wiederum Mensdorff, der vor dieser Maßregel warnte: sie würde den übelsten Eindruck im Auslande hervorbringen; es würde heißen, Österreich wolle Krieg à tout prix. Er gab zu bedenken, daß schon jetzt der Vorwurf der ersten Rüstung auf der Monarchie laste und Preußen erst die Einberufung verfügt habe, als hier bereits der Marschbefehl erteilt worden war.

Esterházy sekundierte: unparteiische Nachrichten über die Rüstungen in Italien hätten mit den alarmierenden Zeitungsmeldungen, auf Grund deren die Mobilisierung der Süd-Armee verfügt worden war, nicht übereingestimmt20. Die beantragte Umwandlung der Banknoten in Staatsnoten und die durch sie erlangte nur zeitweise finanzielle Hilfe für die Kriegserfordernisse des Staates bedeuten eigentlich, daß Österreich, um den Bankrott zu vermeiden, nun seinerseits zum Krieg drängen müsse. „Die Tragweite dieses Krieges“, und damit formulierte Esterházy seine Einstellung und seine Befürchtungen, „könne niemand absehen, es werde ein europäischer Krieg werden und Verhältnisse herbeiführen, welche den Bestand des alten Österreich nicht mehr möglich machen und die Gründung eines neuen zur Folge haben dürften.“ Der Staatsminister wiederholte seine schon früher ausgesprochene Überzeugung: eines sei sicher, der gegenwärtige Zustand sei unerträglich und führe zum sicheren Ruin des Staates. Die Ansicht Komers’ ging dahin: falls ein Krieg gegen die Monarchie geplant sei, so könnten ihn auch die friedlichsten Absichten Österreichs nicht verhindern. Seien aber die Maßnahmen der Gegner nur leere Demonstrationen, um Österreich einzuschüchtern, so müßte es beweisen, daß diese Mittel ihren Zweck verfehlt haben.

Der Kaiser bekannte, daß er anfänglich nicht an einen Krieg glaubte; aber nun, „wenn andere ihn wollen, welche Mittel gebe es, ihn zu vermeiden?“. Jetzt aber müsse man den Krieg als unvermeidlich betrachten. Österreichs Aufgabe sei es somit, sich in jeder Beziehung, und so auch finanziell, für ihn möglichst gut vorzubereiten; hiezu sei es notwendig, den Schritt zu tun und alle Noten zu 1 und 5 fl. als Staatsnoten zu erklären. Um weitere Geldmittel zu beschaffen, beantragte Graf Larisch ferner, insgeheim zu versuchen, durch Samuel Haber in Paris 60 Millionen Pfandbriefe zu placieren, was natürlich Illusion blieb.

Die erste Maiwoche fand den österreichischen Ministerrat damit beschäftigt, Verfügungen zu erlassen, durch die das Zivilleben auf den Eintritt eines Kriegszustandes || S. 14 PDF || vorbereitet werden sollte – so z. B. eine Generalinspektion für österreichische Eisenbahnen, Nachtdienst bei den österreichischen Telegrafenstationen an der preußischen Grenze, Vorkehrungen für den Fall einer Okkupation Triests, Böhmens, Mährens und Schlesiens, Aufstellung von Freiwilligenkorps, Garnisonsdienst durch Bürger Wiens, Beschränkungen der Pressefreiheit für den Kriegsfall, Überwachung der Südbahn, Ausfuhrverbote für Getreide und Schlachtvieh nach Italien und Preußen etc.21. Preußen vollendete inzwischen seine Mobilisierung, und zögernd bezogen die deutschen Staaten ihre Stellungen für den Kriegsfall. Von der diplomatischen Mission, der vielleicht nicht jede Erfolgschance abgesprochen werden kann, den Krieg noch abzuwenden, der Mission Anton v. Gablenz’, des nach Preußen Übersiedelten von dem aus Sachsen gebürtigen Brüderpaar, sowie von der Wiener Ablehnung des Kongreßplanes Napoleons findet sich in den Ministerratsprotokollen keinerlei Erwähnung.

Zu dem Ministerrat vom 14. Mai waren nur Belcredi, Mensdorff, Wüllerstorf22, Larisch und Franck zugezogen. Das Protokoll verzeichnet lediglich einen Punkt der Tagesordnung: Unterstützung des Königs von Neapel mit Geld zur Organisierung eines Aufstandes. Irgendwie hatte König Franz von Neapel den Traum doch nicht aufgegeben, auf den Thron seiner Väter zurückzukehren, so wenig heroisch die Anstrengungen der Bourbonen im Jahre 1860 auch gewesen waren, diesen gegen die eindringenden Freischaren Garibaldis zu verteidigen, und obwohl er einst im September 1860 zum österreichischen Gesandten gesagt hatte, er wisse wohl, daß jetzt alles zu Ende sei und daß es niemals wieder ein unabhängiges Königreich Neapel geben werde23. Das fortwuchernde Brigantentum im ehemaligen Königreich24 konnte als Aufmunterung aufgefaßt werden, bei günstiger Gelegenheit einen Versuch zu wagen, und ein Krieg, in den das junge Königreich Italien sich verwickelt sah, konnte ohne weiteres als solche interpretiert werden. So erging der Hilferuf durch den erprobten Vertrauten Major Frantzl an Österreich, König Franz eine Geldunterstützung für diesen Zweck zukommen zu lassen, obwohl es auch in Neapel bekannt war, mit welchen finanziellen Schwierigkeiten die Donaumonarchie kämpfte, und obwohl Wien während der Agonie des Königreichs mehrere solcher Hilferufe abgelehnt hatte. Aber sowohl Offiziere der ehemaligen Bourbonenarmee als auch albanische Bischöfe machten verlockend scheinende Anerbietungen. „Der Plan gehe dahin, den Aufstand zuerst in Sizilien losbrechen zu lassen, ihn von dort nach Kalabrien fortzupflanzen, während er sodann gleichzeitig in den Abruzzen loszubrechen hätte.“ Die österreichischen Minister hatten keine Einwendungen gegen solche Aussichten, wenn nur die notwendigen Vorsichtsmaßregeln eingehalten würden und insbesondere die Durchführung nicht etwa zu einer Verwicklung mit Frankreich führe. Vor allem aber: das Signal sei erst dann zu geben, bis der Krieg zwischen Österreich und dem sogenannten Fremditalien ausgebrochen wäre. Unter solchen Voraussetzungen || S. 15 PDF || erklärten Franz Joseph und seine Ratgeber sich bereit, jetzt, im Frühjahr 1866, dem König von Neapel, dem „povero Francischiello“ eine Million Francs zur Verfügung zu stellen, welcher Betrag laut Ah. Entschließung vom 18. Mai 1866 als Auslagen für die Staatspolizei gebucht wurde.

Im Mai wurde der Ministerrat mit keiner weiteren ausgesprochen diplomatischen Frage befaßt. Die nächste derartige Beratung fand am 11. Juni statt: der Geheimvertrag mit Frankreich über die Abtretung Venetiens stand auf der Tagesordnung, ein Gegenstand, der, wie der Kaiser am Eingang der Sitzung bemerkte, „das unbedingteste Geheimnis erheische“. In der Tat! Es ist der Vertrag, den der nicht zimperliche Beust als das „unglaublichste“ Aktenstück bezeichnete, das ihm unter die Augen gekommen, und der Monarch schloß die Beratung über dieses Abkommen mit dem Satze, daß ihm „besonders schmerzlich“ der Gedanke falle, „daß die Armee in Italien nun für etwas zu kämpfen habe, welches ihr größter Heldenmut nicht mehr zu retten vermöge“. Custoza und Lissa erbrachten den Beweis, daß der Kaiser richtig gesprochen hatte. Mit diesem Vertrage löste Napoleon III. sein 1859 gegebenes und sofort auch gebrochenes Versprechen ein: „Italien frei von den Alpen bis zum Meer“; und wiederum hatte der Kaiser von Österreich die Situation des Momentes richtig erfaßt, wenn er sagte, daß „Napoleon gegenwärtig Herr der Situation sei“. „In der gegenwärtigen kritischen Lage des Reiches“, so begann Franz Joseph die Besprechung, „war es unerläßlich, über die Intentionen des Kabinetts in Paris beim Ausbruche eines Krieges zwischen Österreich, Preußen und Italien ins reine zu kommen. Fürst Metternich [der österreichische Botschafter in Paris] sei deswegen beauftragt worden, mit dem Kaiser Napoleon zu sprechen und demselben gegenüber die Andeutung fallenzulassen, daß bei Beobachtung einer unbedingten Neutralität die Möglichkeit der Abtretung Venedigs nach Eroberung einer angemessenen Kompensation vorhanden sei.“ Die Anregung war also von Österreich ausgegangen. Wie erwähnt, Napoleon verschärfte noch die Bedingung für seine Hilfe: Venetien war auf jeden Fall verloren. Sollte Österreich in Deutschland siegreich sein, so waren ihm im Einvernehmen mit Frankreich Kompensationen in Aussicht gestellt. Dafür versprach der Kaiser der Franzosen – „gegenwärtig Herr der Situation“ – die Neutralität seines Landes. Österreichische Versuche, eine Milderung der Bedingungen zu erlangen, blieben in allem Wesentlichen vergeblich.

Nichts beleuchtet die Situation, in der sich Österreich befand, klarer als die Diskussion, die über dieses Abkommen im Ministerrat, an dem alle Mitglieder der Regierung mit Ausnahme des Kriegsministers teilnahmen, dem Protokoll zufolge geführt wurde. Nachdem die betreffenden Aktenstücke verlesen worden waren, „wurde sodann im vertraulichen Meinungsaustausche die Frage erörtert, ob dieser Konvention die Zustimmung der kaiserlichen Regierung zu erteilen sei. Sämtliche Mitglieder sprachen die Ansicht aus, daß nach der Lage der Dinge nichts anderes als die Annahme übrigbleibe“. Esterházy warf wohl die Frage auf, ob die Pistole, mit der Napoleon gedroht habe, wirklich geladen sei; Mensdorff widersprach: die Lage in Europa sei so, daß es Napoleon freistehe, nach seinem Belieben nach Venetien oder nach dem Rhein zu greifen; es sei nicht denkbar, daß er nicht eines von beiden tun sollte. Was wäre die Stellung Österreichs, falls es || S. 16 PDF || diese Konvention nicht abschließe? Nehme es sie an und „das Glück [sei] unseren Waffen günstig, so stehe für den Verlust von Venedig eine angemessene Kompensation in Aussicht, und Österreich gehe aus dem Kriege ohne Einbuße an materieller Macht und mit großem Gewinn an Einfluß hervor“. Am Schlusse der Besprechung betonte der Kaiser, daß bei der gegenwärtigen Lage das große Opfer unvermeidlich sei. Napoleon habe versichern lassen, daß er bei einem glücklichen Krieg Österreich und seinen Verbündeten „eine mehr als vollständige Kompensation“ gönne und daß nur noch Venedig einer engen Allianz zwischen Wien und Paris im Wege stünde. Von solchen Zukunftsträumen fand Franz Joseph zum Boden der Realität zurück, daß es gegenwärtig „mehr als gewagt wäre, durch ein schroffes Ablehnen seiner [Napoleons] Propositionen [ihn] in das Lager zweier mächtiger, erbitterter Feinde Österreichs zu treiben“.

Bis zum Tage nach Königgrätz ist der Ministerrat mit den eigentlichen Kriegsfragen nicht befaßt worden. Die Beratung am 4. Juli über die Anwerbung von 10.000 Kriegsfreiwilligen in Wien beleuchtet die damalige Lage: eine genügende Menge an Gewehren „von der früheren Bürger- und Nationalgarde“ stehe zu ihrer Bewaffnung zur Verfügung. Belcredi befürwortete die Bewaffnung; man solle „die Leute in dem gegenwärtigen Momente, wo es bei der verzweifelten Stimmung in der Bevölkerung, namentlich in Wien, gefährlich wäre, jetzt schon vom Frieden zu sprechen, und wo die Schmach, sich unter preußisches Joch beugen zu sollen, alle Gemüter auf das tiefste erbittert, nicht hindern, als Freiwillige sich dem Waffendienste zu widmen“. An dieser Darlegung des Staatsministers ist zumindest der Hinweis auf die verzweifelte Stimmung der Bevölkerung bemerkenswert; charakteristisch für die Lage ist auch der Schluß der Ausführung, daß durch diese 10.000 „Kriegsfreiwilligen“ „eine Masse von Proletariern, die bei ihrer Erwerbslosigkeit“ und bei drohender Besetzung von Wien durch die Preußen für Wien sehr gefährlich werden könnte, abgezogen werden würde. Auf Grund dieser Argumentation wurde die Anwerbung der Freiwilligen beschlossen.

Als in dieser Sitzung später die Frage eines Friedensschlusses erwogen wurde, sprach sich Belcredi mit Entschiedenheit dagegen aus, auch auf die Gefahr hin, daß Wien von den Preußen besetzt würde. Wien sei nicht Österreich. Der Kaiser werde den Ungarn weitere Konzessionen machen, und „durch die Kraft der Ungarn [würden] die Preußen aus unseren Ländern hinausgeworfen werden“. Ein Friede aber würde ein ewiger Schandfleck bleiben und wäre „bei der ungeheuren Erbitterung der Bevölkerung gegen Preußen nur geeignet, eine Revolution hervorzurufen“! Das Protokoll beschließt diesen Punkt der Diskussion mit den Worten: „Sämtliche Konferenzmitglieder waren von der Überzeugung durchdrungen, daß man jetzt nicht nachgeben könne, sondern verpflichtet sei, das Äußerste anzuwenden, um einen schimpflichen Frieden abzuwehren.“ An Einmütigkeit hat es ja dem österreichischen Ministerrat von 1866 nicht gefehlt. Es bot sich ihm sofort Gelegenheit, diese Einstellung unter Beweis zu stellen; das Protokoll fährt fort: „Nachdem der Kriegsminister der Möglichkeit einer Besetzung Wiens durch die Preußen gedacht hatte, hielt es der Staatsminister für notwendig, wegen Sicherung der Staatskassen, ämtlichen Depositen und des Metallschatzes der Nationalbank einen Beschluß des Ministerrates hervorzurufen.“

|| S. 17 PDF || Also: die Kassen sollten teils nach Ofen, teils nach Komorn in Sicherheit gebracht werden. Ein Antrag des Handelsministers, daß „ein kleiner Teil“ des Metallschatzes auch nach Graz gebracht werde, erhielt keinerlei Unterstützung. Alles Vorhandene nach Ungarn!

Aber es waren neue Geldmittel aufzubringen; von den letzten Maßnahmen waren nur noch 27 Millionen fl. vorhanden. Man wußte sich keinen anderen Rat als – wogegen man sich so lange gesträubt hatte – Staatsnoten auszugeben im Höchstbetrag von 200 Millionen fl. Nach kurzer Debatte erklärte sich der Ministerrat „aus Rücksicht unvermeidlicher Notwendigkeit“ mit dem Antrag einverstanden. Die Nationalbank legte gegen die Eröffnung des Kredits von 200 Millionen am 8. Juli feierliche Rechtsverwahrung ein25.

Als weitere Folge von Königgrätz stand im Ministerrat vom 9. Juli die Abreise des Kaisers und der Spitzen der Behörden nach Ofen auf der Tagesordnung. Die Verhandlungen mit dem preußischen Hauptquartier wegen des Abschlusses eines Waffenstillstandes waren gescheitert, und ebensowenig hatte der Versuch Napoleons III., seine Vermittlung anzubieten, Erfolg26. Man wußte, daß die Preußen gegen Wien marschierten; man wußte nicht, ob es ein Mittel gäbe, sie aufzuhalten. Der Kaiser eröffnete dem Ministerrat, an dem auch der kroatisch-slawonische Hofkanzler und der siebenbürgische Hofkanzler teilnahmen27: „Gegenwärtig seien offenbar nicht genug Truppen in und um Wien, um im Verlaufe der Zeit dem Feinde einen Übergang über die Donau zu wehren, der, wenn er auch bei dem Brückenkopfe in Floridsdorf nicht gelingen sollte, doch anderwärts bewerkstelligt werden könnte.“ Was konnte, was sollte unter diesen Umständen geschehen?

Ein Manifest war in Vorbereitung, das der Bevölkerung die Vermittlung Napoleons und zugleich den festen Entschluß der Regierung mitteilen sollte, keinen Frieden anzunehmen, „welcher die Grundbedingungen der Machtstellung Österreichs erschüttern würde“. Eine Räumung Wiens und die Übersiedlung des Kaisers und der Spitzen der Behörden nach Ofen wurden vorbereitet. Einer Anregung, „bei der herrschenden großen Aufregung den Landsturm aufzurufen und zu bewaffnen“, wurde nicht Folge gegeben, da eine Volksbewaffnung die besitzenden Klassen „der höchsten Gefahr“ aussetzen würde. In einem zweiten Ministerrat vom gleichen Tage wurden weitere Bestimmungen getroffen, die für den Fall der Besetzung Wiens durch die Preußen Vorsorge treffen sollten. Vor allem sollte ein regelmäßiges Weiterfunktionieren der in Wien verbleibenden Abteilungen der Zentralstellen ermöglicht werden, und Vorauszahlungen an Gehältern und Pensionen für mehrere Monate wurden verfügt.

Am 21. Juli, zwei Tage vor Beginn der Verhandlungen in Nikolsburg, konnte der Ministerrat endlich zur Beratung der Friedenspräliminarien zusammentreten, nachdem die österreichischen Hoffnungen auf eine Vermittlung durch Napoleon gründlich enttäuscht worden waren, aber auch nachdem im preußischen Hauptquartier || S. 18 PDF || die vermittelnde Meinung Bismarcks den Sieg davongetragen hatte28. Belcredi berichtete, daß „heute“ die Nachricht eingelangt sei, daß laut der Erklärung des preußischen Gesandten in Paris Preußen die von ihm skizzierten Vorschläge Frankreichs angenommen hätte; er fügte hinzu: das Schicksal von Sachsen sei noch in Schwebe. Für die Verteidigung der Integrität Sachsens trat auch der Kriegsminister ein, während sowohl er wie der Justizminister keinen Wert auf das Verbleiben Österreichs im Deutschen Bund legten. „…für den Deutschen Bund, der sich überlebt habe“, führte Komers aus, „sei kein Mensch begeistert, wie denn auch Österreich weder in den Jahren 1848, 1859 noch jetzt einen Vorteil aus diesem Bundesverhältnisse für sich habe ableiten können.“ Den stärksten Ausdruck dieser Stimmung aber gab der Kaiser in einem noch nicht verwendeten Schreiben an die Kaiserin am 23. Juli, dem Tage, an dem die Verhandlungen in Nikolsburg begannen. Nachdem er Elisabeth die Entsendung der drei österreichischen Bevollmächtigten ins preußische Hauptquartier berichtet und von der Wahrscheinlichkeit gesprochen hatte, „daß ein im Verhältnisse zu unserer jetzigen Lage nicht ungünstiger Friede zustande kommen wird“, setzte er hinzu: „Aus Deutschland treten wir jedenfalls ganz aus, ob es verlangt wird oder nicht, und dieses halte ich nach den Erfahrungen, die wir mit unseren lieben deutschen Bundesgenossen gemacht haben, für ein Glück für Österreich29.“

Die Beratung wurde am 26. Juli in Anwesenheit Erzherzog Albrechts und seines General­stabschefs FML. John fortgesetzt. Der Erzherzog hielt die Fortsetzung des Krieges für möglich, riet aber im Hinblick auf den Zustand der Nord-Armee dringend, für ein paar Wochen Ruhe zu gewinnen. FML. John unterstrich diese Ausführungen: wohl könne man den Krieg fortschleppen, dadurch würde aber der Feind nicht aus Böhmen, Mähren und Schlesien hinausgeworfen. Auf längere Zeit halte er die gegenwärtige Lage für unhaltbar; Österreich müsse mit dem einen oder anderen Feinde, mit Preußen oder Italien, Frieden machen. Mensdorff trat für den Abschluß mit Preußen ein: „Je schneller man mit Preußen abschließe, desto leichter werde man mit Italien zum Ziele kommen.“ Noch mehr drängte Esterházy auf den Abschluß eines Waffenstillstandes mit Preußen; es fehle in der Monarchie und namentlich in Ungarn an Anzeichen eines wahrhaftigen Patriotismus. Gegenwärtig bestehe keine Aussicht auf eine wirksame Unterstützung von irgendeiner Seite. „Es sei zu hoffen, daß man später in Paris zum Verstande komme“, und er fügte hinzu: besonders wenn Österreich einmal im Besitze von Hinterladergewehren sei. Auch der Staats- und der Justizminister traten für den baldigen Waffenstillstand mit Preußen ein; auch sie vermochten in einer Fortsetzung des Krieges keine günstigen Chancen zu erblicken. Mailáth hielt eine partielle Erhebung Ungarns, um den Krieg fortzusetzen, für möglich, aber nicht eine allgemeine30. Mit Rücksicht auf den Vertrag vom 12. Juni setzte der Hofkanzler || S. 19 PDF || fort: Österreich habe durch Abtretung Venetiens versucht, sich von einer Seite Luft zu verschaffen; das Verhalten Napoleons in den letzten Wochen lehre, daß dieser Versuch mißlungen sei. Es bleibe nichts übrig, als dies nun, wenn auch mit schweren Opfern, von der anderen Seite zu versuchen.

Tatsächlich wurden am selben Tag in Nikolsburg die Friedenspräliminarien unterzeichnet, und tags darauf berieten die Minister über die Ratifikation des Waffenstillstands mit Preußen, der am 2. August beginnen und für die Dauer von vier Wochen gelten sollte. Alle Beteiligten sprachen sich für die Ratifikation aus. Esterházy aber fand in der letzten Minute auch Worte zugunsten der deutschen Verbündeten Österreichs, was zumeist übersehen wird. Er hob „das Verletzende“ in Art. V des Präliminarfriedensvertrags31 hervor, wodurch Österreich im vorhinein den von Preußen geplanten neuen Einrichtungen nördlich des Mains zustimmt. Es liege wohl tatsächlich in der Macht Preußens, dort nach seinem Belieben vorzugehen, und Österreich könne nicht daran denken, ihm ein Hindernis in den Weg zu legen; aber es sei ein großer Unterschied zwischen einem Vorgehen, das man nicht hindern könne, und einem, dem man seine Zustimmung erteile. Wenn Österreich auch von seinen deutschen Verbündeten keine wesentliche Hilfe erhalten habe, so seien sie doch seine Verbündeten, „deren Schonung Österreich am Herzen liegen müsse.… Als selbständigen Staaten könne ein Appell an die europäischen Großmächte denselben gegen die preußische Vergewaltigung nicht benommen werden“. Durch Art. V würden aber Österreich gegenüber einem solchen Appell die Hände gebunden werden. Esterházy beantragte daher eine Umstilisierung dieses Artikels. Das Protokoll vermerkt, daß alle Anwesenden das Gewicht der von Esterházy vorgebrachten Gründe anerkannten, aber gleichzeitig hatten sie auch Bedenken, ob in diesem Augenblick noch eine solche Änderung erzielt werden könnte. Der daraufhin dem Ministerrat beigezogene österreichische Unterhändler in Nikolsburg, Graf Károlyi, erklärte, daß sowohl König Wilhelm als Bismarck auf diesem Artikel um so hartnäckiger bestehen würden, als Preußen von Napoleon bereits die Erklärung erhalten habe, daß er gegen eine Annexion von 4 Millionen Seelen in Norddeutschland durch Preußen keine Einwendung erheben werde. Alle Mitglieder stimmten darauf der Ratifikation ohne Einwendung zu. Immerhin ist der Versuch einer Intervention des besiegten Österreich zugunsten seiner deutschen Verbündeten erwähnenswert und auch die Tatsache, daß dieser Versuch von Moriz Esterházy gemacht wurde.

Damit hatte die Tätigkeit des Ministerrats, insoweit sie den Feldzug von 1866 betraf, im wesentlichen ihr Ende gefunden. Bei keinem Anlaß war sie einschneidend gewesen und diente in diesen Fragen wohl hauptsächlich dazu, dem Monarchen die schweren Entscheidungen dieser fünf Monate leichter tragbar zu machen; || S. 20 PDF || die großen Entschlüsse hatte er zu treffen; seine Minister erwiesen sich als verläßliche Organe in der Durchführung, die in den entscheidenden Wochen des April wie gebannt nach Berlin blickten. Der Chef des österreichischen Generalstabs hatte richtig formuliert: „Preußen wisse, was es wolle, wir aber müssen uns durch andere in unseren Handlungen bestimmen lassen32“, und ebenso richtig war der Zusatz des Außenministers gewesen: „Das sei leider die Lage von Österreich33.“

Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Österreich und Preußen mußte in Angriff genommen werden: am 6. August wurde das Übereinkommen beraten, das die Wiederherstellung der Eisenbahn-, Post- und Telegrafenverbindungen zwischen den beiden Staaten bezweckte, „wenn auch [zunächst] unter mannigfachen unliebsamen Beschränkungen“. Der referierende Sektionschef betonte, daß es ein unabweisbares Gebot sei, den „vom Kriege in erschreckender Weise heimgesuchten Provinzen die Kommunikationen mit dem übrigen Reiche so rasch, als es nur irgend möglich ist“, wiederzugeben.

Daran schloß sich die Diskussion über die Frage, welche Wert- und Kunstgegenstände noch vor der Räumung Venedigs von dort weggebracht werden sollten. Die erste Gruppe umfaßte Gegenstände, die in das Ressort des Finanzministers fielen, wie die Barbestände der ärarischen Kassen, die beträchtlichen Vorräte an Salz, „die zur Ersparung der wegen des großen Gewichtes bedeutenderen Transportspesen sogleich unter dem Monopols-, ja selbst unter dem Erzeugungspreise in loco zu verkaufen wären“, aber auch „die in den Jahren 1856 und 1857 mit einem Kostenaufwande von 360.000 fr. aus dem Staatsschatze angeschaffte reiche und kostspielige Einrichtung im kaiserlichen Palaste, soweit sie nicht niet- und nagelfest ist“. Die Konferenz war einstimmig einverstanden, daß diese Gegenstände weggebracht würden. Dann kam die Wegschaffung der „berühmten Bildersammlung der Accademia delle Belle Arti“ zur Sprache. Der Referent führte aus, daß „diese Bilder einen Wert von vielen Millionen fl. repräsentierten, auf welche die Kommune und das Land Venedig aus keinem Titel einen Anspruch haben.… [Sie] wären um so mehr aus Venedig zu entfernen, als die kaiserliche Akademie im Belvedere zu Wien in dieser Richtung am wenigsten vertreten ist“. Ministerialrat v. Neuwall fügte hinzu, Österreich wäre auf einer falschen Bahn, wenn es sich von Gefühlen der Großmut einem Lande gegenüber leiten ließe, das sich stets über jede Loyalität hinweggesetzt habe; man würde dies nur als Furcht auslegen. Belcredi entgegnete, daß diese Bilder stets als ein rein venezianisches Eigentum gegolten hätten. Das Wegführen würde einen Sturm des Unwillens bei der Bevölkerung hervorrufen und könnte die Friedensverhandlungen sehr ungünstig beeinflussen. Der Justizminister aber erklärte Österreich für berechtigt, die Bilder an sich zu nehmen, und ihm schloß sich Ministerialrat v. Gödel an, der schon in einer von Erzherzog Albrecht einberufenen Kommission in diesem Sinne gestimmt hatte. Dabei „sei es ihm nicht entgangen, daß die Venezianer bis zum letzten Gondoliere herab an diesen Kunstschätzen mit Leib und Seele hängen und eher ihre Haut lassen, als diese Bilder wegbringen lassen werden“. In der vom Erzherzog einberufenen || S. 21 PDF || Kommission habe die Bemerkung den Ausschlag gegeben, daß Österreich erklären könne, was es wolle, „es werde doch immer darauf ankommen, was die Welt und die Diplomatie dazu sagen werden. Diese werden aber sagen, die Bilder gehören dem Lande“. Gödel aber zweifelte nicht, daß die Bilder österreichisches Staatseigentum seien; daher solle man sie wegbringen. Dieser Ansicht schloß sich auch Sektionschef v. Kriegs-Au an. Auch eine Reihe von „Requisiten und Materialien aus dem Arsenale“ wurde hinzugefügt, und der Ministerrat vom 6. August beschloß gegen die Ansicht des Staatsministers und ungeachtet eines Berichts des Statthalters von Venedig und des von Esterházy geäußerten Zweifels, ob „alle“ erwähnten Werte aus Venedig weggebracht werden sollten. Dieser Beschluß verhinderte freilich nicht, daß „die Kunstgegenstände und das Aktenmaterial“ schließlich bei Italien verblieben34.

Noch einmal trat der Ministerrat in einer Angelegenheit, deren Ursache im Feldzug von 1866 lag, zusammen – wie in einem Nachspiel. Am 3. Dezember 1866 hatte er über die Frage zu entscheiden, ob gegen Benedek, Henikstein, Krismanić, die drei Generale, die für die Schlacht von Königgrätz verantwortlich gehalten wurden, die kriegsgerichtliche Untersuchung eingeleitet werden solle35. Ein halbes Jahr war vergangen seit dem Tage, an dem Benedeks Telegramm an den Monarchen mit der Bitte, „Frieden um jeden Preis zu schließen“, vom Generaladjutanten mit dem Ausruf „Schmach!“ empfangen wurde, und er und der Kriegsminister daraufhin „zusammen aus Wut weinten36“. Im Ministerrat hatten inzwischen zwei wichtige Personaländerungen stattgefunden: die Leitung des Außenministeriums war auf Baron Beust37, die des Kriegsministeriums auf FML. John übergegangen. Das Referat wurde vom Kriegsminister erstattet: die vom Kaiser angeordnete Voruntersuchung sei auf die Schwierigkeit gestoßen, daß „Benedek jede Auskunft verweigert und sich nur selbst als den allein Schuldigen an der Katastrophe erkläre“. Es waren daher viele Recherchen notwendig, auf Grund deren der oberste Militärjustizsenat beantragt habe, gegen die drei Generale die kriegsgerichtliche Untersuchung einzuleiten. John habe den Kaiser gebeten, mit Rücksicht auf die Schwierigkeit genügender Einvernahmen – „die halbe Armee werde vernommen werden müssen“ – und weil seiner Ansicht nach das Endergebnis des Kriegsgerichts ein Freispruch sein werde, die weitere Untersuchung einzustellen. Ferner legte John, wiederum über kaiserlichen Befehl, dem Ministerrat den Entwurf eines Artikels für die Wiener Zeitung vor. Belcredi beantragte, daß der Artikel erwähnen sollte, Benedek erschwere den Gang der Untersuchung, indem er die Antwort verweigere38. „Jeder Offizier sei so wie jeder Beamte verpflichtet, die Wahrheit zu sagen, wenn er gefragt wird.“

|| S. 22 PDF || Tatsächlich hatte Benedek nicht die Antwort verweigert, sondern sich als Kommandierenden und daher als allein Verantwortlichen und Schuldigen bezeichnet. Der Staatsminister fügte bei, daß das „Publikum“ ohnehin Benedek keinen Vorwurf mache, „wohl aber seiner Umgebung, die es als Verräter bezeichnet39“. Auch der Finanzminister war für die Fortsetzung der Untersuchung „mit Rücksicht auf das Publikum“, bei dem es einen schlechten Eindruck machen würde, wenn die Untersuchung gegen die österreichischen Generale eingestellt würde, während soeben Admiral Persano, der Kommandierende der italienischen Flotte vor Lissa, in Haft gesetzt worden sei. Und vollends sprach sich entschieden gegen Benedek Baron Beust aus, der vor fünf Wochen das Ministerium des Äußern übernommen hatte: er erklärte, daß überall jeder Untersuchte, der nichts aussagt, verurteilt wird; eine Feststellung, die die Haltung des Feldzeugmeisters ebenfalls nicht korrekt wiedergab.

Daraufhin stellte John die Frage an die Minister, ob sie glaubten, daß die Untersuchung gegen die drei Generale fortgesetzt werden solle, gab aber zu bedenken, daß darunter die ganze Armee leiden werde. Der Kriegsminister, der ungarische und der siebenbürgische Hofkanzler, der selbst General der Kavallerie war, sprachen sich gegen die Fortsetzung der Untersuchung aus; der Justizminister und Kussevich enthielten sich der Stimme; für die Fortsetzung der Untersuchung stimmten Belcredi, Beust, Larisch und Wüllerstorf, somit die relative Majorität. Von den drei anwesenden Offizieren (Wüllerstorf war Vizeadmiral) waren zwei für die Einstellung des Verfahrens eingetreten, von den vier, die für dessen Fortsetzung gestimmt hatten, ist es bei dreien dem Verfasser dieser Einleitung nicht bekannt, daß sie des öftern Pulver gerochen hätten; auch kann man, seiner Ansicht nach, Beust nicht nachsagen, daß er am 3. Dezember 1866 mit den militärischen Verhältnissen der Monarchie besonders vertraut gewesen sei. Der neue Außenminister mochte gedacht haben, daß fünf Wochen klugen Rates 40 Jahre aufopferungsvollen Dienstes aufwogen. Jedenfalls zumindest im Falle des Schweigens Benedeks waren sich die zukünftigen Antagonisten im Ministerrate, Belcredi und Beust, im Urteil einig. Als Motive für die Haltung der „Majorität“ führte das Protokoll an: „… bei einer solchen riesigen Kalamität, welche die Monarchie getroffen hat, [sei die Regierung] es der Bevölkerung und der Armee schuldig, mit aller Schärfe klarstellen zu lassen, ob eine strafbare Schuld jemandem beizumessen sei, weil das Mißtrauen, welches den Glauben an Verrat noch nicht aufgegeben hat, nur neue Nahrung erhalten würde, wenn es bekannt wird, daß der oberste Militärgerichtshof für die Untersuchung dieser Generale den Antrag gestellt, dennoch aber die Untersuchung aufgelassen wird, und weil, wenn selbst die Untersuchung zu keinem Ergebnisse führen sollte, der Eindruck doch ein besserer sein wird als jetzt, wo das Schimpfen auf die Führer der Nord-Armee bei der Bevölkerung und selbst bei der Armee nicht aufhört, endlich aber die Fortsetzung im wahren Interesse des FZM. Benedek liege.“

Das war am 3. Dezember, fünf Monate nach der Schlacht von Königgrätz, die letzte Stellungnahme des Ministerrates zum Feldzug von 1866. Der Kaiser aber || S. 23 PDF || verfügte am nächsten Tage die Einstellung des Verfahrens gegen Benedek, Henikstein und Krismanić. Der den Ministern von John vorgelegte Entwurf eines Artikels für die Wiener Zeitung wurde nicht in der ursprünglichen Fassung, sondern in einem „korrigierten“ Wortlaut am 4. Dezember dort publiziert, gleichzeitig mit der Verlautbarung der Einstellung des Verfahrens gegen die drei Generale. Dieser Artikel gab Anlaß zu einer lang andauernden, leidenschaftlichen Diskussion; er traf Benedek schwer. Man würde heute wünschen, daß darin eine andere Formulierung gefunden worden wäre, wird aber nicht sagen können, daß der heftig getadelte, harte Satz falsch gewesen sei40: „Politische und militärische Verhältnisse, wie sie bekanntermaßen vor und während dieses unglücklichen Krieges eintraten, bedurften zu ihrer Beherrschung eines jener alten genialen Feldherren, deren es zu allen Zeiten so wenige gab und zu denen eben FZM. Benedek … nicht mehr gezählt werden kann.… Es gibt kein Gesetzbuch, das den Mangel größter geistiger Begabung straffällig erklärt.“ Die Fortsetzung, daß „als Sühne die erfolgte Entfernung aus einem unangemessenen Wirkungskreis gelte“, mag man als überflüssig erklären.

Ungarn - Retrodigitalisat (PDF)

Der Historiker, der es unternimmt, sich zu vergegenwärtigen, wie sich der österreichische Ministerrat in der zweiten Hälfte des Ministeriums Belcredi zum ungarischen Problem eingestellt hat, in dem man doch die zentrale Frage der Regierung Franz Josephs sehen darf, wird sich einer sonderbaren Lage bewußt. In welchem Staate Europas besteht ein Analogon zu der Tatsache, daß ein ernstes, auf unbekannten ersten Quellen aufgebautes Geschichtswerk, das Hauptprobleme dieses Staates behandelt, bei seinem Erscheinen nicht nur hier kaum, im Ausland überhaupt nicht beachtet wurde, sondern daß diese Ignorierung während der folgenden fünfzig Jahre außerhalb des engsten Fachkreises ununterbrochen andauert, obwohl es auch heute in keiner Weise überholt ist, ja in vielen Partien die einzige Grundlage für weitere Forschung bildet und nur noch in lächerlich wenig Exemplaren erhältlich ist? Keine der aufeinanderfolgenden Regierungen und der gelehrten Institutionen Österreichs, die sämtlich das österreichische Geschichtsbewußtsein rühmen und fördern zu wollen erklärten und auf dem Gebiete der Geschichte Projekte und Publikationen, deren dauernder Wert öfters fraglich erscheint, großzügig unterstützten, besonders wenn sie im Auslande erscheinen, hat es unternommen, die kaum mehr auftreibbaren zwei Bände von Josef Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem, neu aufzulegen. Wir weisen jedenfalls darauf hin, daß für diesen Abschnitt unserer Einleitung der zweite Band von Redlichs Werk die unumgängliche Grundlage bildet, auch wenn die Wiedergabe mancher Aktenstücke nicht genau ist, was schon Clark und Srbik vermerkt haben. Dies soll aber gewiß nicht bedeuten, daß wir uns mit allen Folgerungen und Urteilen Redlichs identifizieren. Aber wir unterstreichen emphatisch || S. 24 PDF || die Bedeutung seines leider Fragment gebliebenen Werkes und wagen hinzuzufügen, daß in manchen Fällen auch in der Geschichtsschreibung ein Irrtum sich als nützlicher und jedenfalls interessanter erweisen kann als eine platte Wahrheit; es kommt darauf an, in welchem Zusammenhang und mit welcher Begründung die irrige Meinung vorgebracht wird.

Wenn Josef Redlich dem Ministerrat vom 9. April 1866, dem ersten, der sich in diesem Band mit der ungarischen Frage beschäftigt, vorhält, daß das bei dieser Gelegenheit diskutierte Projekt zur Lösung dieses Problems noch vollkommen „von der Reichsideologie des Oktoberdiploms beherrscht und dadurch gewissermaßen zur politischen Unbeweglichkeit im geistigen Sinne verurteilt“ war41, so ist dieser Vorwurf berechtigt, erschöpft aber nicht die Bedeutung des dort vorgelegten Elaborats. Der Ministerrat trat in dem Zeitpunkt zusammen, als der bedrohliche Charakter der deutschen Frage deutlich erkennbar wurde, und auch im Hinblick auf Berlin sprach der Kaiser in seiner Eröffnungsrede davon, daß „für die Regierung der Zeitpunkt gekommen sein dürfte, [in der ungarischen Frage] aus ihrer bisherigen abwartenden Stellung herauszutreten und denjenigen Organen, welche die Ansichten der Regierung im [ungarischen] Landtage zu vertreten berufen sind, ihr Programm über die Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse der zur Krone des Hl. Stefan gehörigen Länder zur Gesamtmonarchie als Richtschnur ihres Verhaltens mitzuteilen“.

Am 22. März war die 67er Kommission des ungarischen Abgeordnetenhauses zusammengetreten, die es als ihre Aufgabe bezeichnete, „nur die Hauptprinzipien und auf Basis derselben den Grundriß eines Vorschlages festzustellen42“. Diese Prinzipien mochten von dem dem Ministerrat vom 9. April vorgelegten Elaborat beträchtlich abweichen, wie es tatsächlich der Fall war; trotzdem, irgendwie gab es nun eine Wien und Budapest gemeinsame Atmosphäre, und erst deren Vorhandensein ermöglichte es der Hofburg und dem Ballhausplatz, jene Politik zu verfolgen, die nach Königgrätz, aber auch nach Custoza und nach Nikolsburg geführt hat, jene Politik, die sowohl Belcredi, aber auch Andrássy, Deák und Beust verkörperten. Dem Vorwurf, daß der Ministerrat vom 9. April „von der Reichsideologie des Oktoberdiploms beherrscht“ war, ist entgegenzuhalten, daß eben jene Eröffnungsrede Franz Josephs die Ablehnung des Oktoberdiploms und der Februarverfassung durch den ungarischen Landtag43 „als eine erwartete, zweifellose Tatsache“ bezeichnen konnte. Ohne auf das erhoffte Ergebnis der Arbeiten der 67er Kommission einzugehen, bezog sich der Monarch ausdrücklich „auf kommissionelle Vorberatungen im Landtage über das künftige staatsrechtliche Verhältnis zur Gesamtmonarchie“. Mit der Einsetzung der 67er Kommission durch den ungarischen Landtag war eine Tatsache gesetzt worden, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen war. Wir besitzen zu wenige Quellen über das || S. 25 PDF || Innenleben des Monarchen, um mit Bestimmtheit sagen zu können, in welchem Zeitpunkte sich die historisch unumgängliche Wandlung vom Schüler Metternichs und Freund Esterházys zum Partner Deáks und dann Andrássys vollzog, wie aus der scheinbar ausweglosen Einsamkeit der leerstehenden Räume der Wiener Hofburg, die Belcredi geschildert hat44, der Entschluß entstand, einen neuen Anfang zu machen. Zwei eben noch in die Periode unseres Bandes fallende Ereignisse, die Berufung Beusts und die Verabschiedung Belcredis, bezeugen, daß die Wandlung vollzogen ist, und es ist nur der korrekte Ausdruck dieser Veränderung, wenn nun der Mann, der vielleicht am persönlichsten auf Franz Joseph eingewirkt hat, Julius Graf Andrássy45, die Leitung des ungarischen Ministeriums übernimmt, so wie er ja die Tendenzen der ungarischen Politik in der nächsten Periode vollkommen verkörpert, während wir zunächst fragen, inwieweit Baron Beust, der zu seinem Gegenspieler in der westlichen Reichshälfte berufen zu sein scheint, die Befähigung zur Lösung der ihm gestellten Aufgaben mitbringt.

Der Ministerrat vom 9. April legt Zeugnis davon ab, daß der Prozeß dieser Wandlung beim Monarchen begonnen hat, auch wenn dessen einzelne Vorstellungen von der Durchführung des Ausgleichs noch weitab von der endgültigen Gestalt, die ihm zuteil werden sollte, liegen. Vielleicht erfaßt die Bemerkung, die Belcredi in Beantwortung einer extravaganten Anregung des Handelsministers betreffend die gemeinsamen Angelegenheiten machte, die Situation richtig: „Um den Ausgleich zu erzielen“, meinte der Staatsminister, „werde man sich manche Konfusion für den Anfang gefallen lassen müssen, welche am Ende denn doch zu der allseitigen Überzeugung führen müsse, daß im allseitigen Interesse gewisse Angelegenheiten nur gemeinsam behandelt werden können.“ Der Versuch, diese „gewissen Angelegenheiten“ präziser zu bestimmen, ergab nach Beratungen von weiteren 20 Monaten den ungarischen Gesetzartikel XII vom Jahre 1867. Deák und die Wiener Regierung wurden sich darin einig, „daß die Pragmatische Sanktion die einzige beiderseits rechtlich anerkannte Brücke zwischen Ungarn und den übrigen Erbländern bilde. Alles kam also darauf an, was Deák und seine Mehrheit als aus der Pragmatischen Sanktion erfließend feststellen würden46“.

Als der Ministerrat am 23. Juni wiederum mit einer Entscheidung über Ungarn befaßt wurde, war bereits am 17. Juni das österreichische und am 18. das preußische Kriegsmanifest veröffentlicht worden, und tags darauf wurde die Schlacht von Custoza geschlagen. Es handelte sich lediglich darum, den Landtag47 zu vertagen.

|| S. 26 PDF || Das von diesem eingesetzte Subkomitee der „Fünfzehn“ war eben daran, seine beiden Gutachten im Druck zu veröffentlichen, von denen das der Majorität weithin die Grundlage für den Artikel XII bilden sollte. Mailáth berichtete, daß ihm bei seinen Besprechungen während seines letzten Aufenthaltes in Budapest nahegelegt worden sei, den Landtag weiter tagen zu lassen. „Er habe den Führern des Landtages zu verstehen gegeben, daß die Regierung auf die Forttagung des Landtages nur dann eingehen könnte, wenn sie positive Garantien bieten würden, daß die fernere Haltung des Landtages während des Krieges den allgemeinen Reichsinteressen förderlich sein werde.“ Solche Garantien konnte jedoch keiner von ihnen geben. Mailáth beantragte daher die Vertagung des Landtages „mit dem formellen Ah. Versprechen, denselben, sobald es die Zeitumstände erlauben werden, wieder … einzuberufen“.

Die ungarische Frage, über die der Ministerrat dann abschließend am 26. August beriet, war schon früher in einem weiteren Zusammenhang behandelt worden. Als am 19. Mai die Vorbereitung zu einer zweiten Rekrutierung besprochen werden sollte, hatte der ungarische Hofkanzler Bedenken gegen diese Maßnahme erhoben. Mailáth meinte, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt der ungarische Landtag Einspruch einlegen werde. Wenn in etwa zwei bis drei Wochen, wie man annahm, der Landtagsausschuß bezüglich der gemeinsamen Angelegenheiten ein günstiges Gutachten lieferte, so würden auch in Ungarn keine Schwierigkeiten gegen die Rekrutierung gemacht werden; im entgegengesetzten Falle bliebe nichts übrig, als den Landtag zu vertagen oder aufzulösen. Die Konferenz berücksichtigte diese Einwände und schränkte die geplanten Maßnahmen auf die dem Kriegsschauplatz benachbarten Länder ein48. Nochmals, in der Sitzung vom 7. Juni, kam die Frage der zweiten Rekrutierung zur Sprache und wurde vom Kaiser und vom Kriegsminister als dringend urgiert, und wiederum verlangte der ungarische Hofkanzler einen weiteren Aufschub für Ungarn, da das Abgeordnetenhaus sich über die Frage der gemeinsamen Angelegenheiten noch immer nicht ausgesprochen hatte, ein solcher Ausspruch aber binnen ganz kurzer Frist zu erwarten sei. Derzeit wäre eine Protestaktion der Opposition möglich, die bedenkliche Folgen in der Armee haben könnte. Den Bedenken Mailáths wurde auch dieses Mal Rechnung getragen. Diese Frage stand nun am 26. August wieder auf der Tagesordnung. Die Statthalterei in Ofen hatte, um den „Zudrang“ von Kriegsfreiwilligen zu vermehren, diesen allerlei Begünstigungen gewährt, die vom Kriegsminister mit der Begründung beanständet wurden, daß sie nur Stellungspflichtigen Vorteile gewährten und zum Nachteile der Armee gereichten. Als Auskunftsmittel wurde beschlossen, darauf hinzuwirken, daß möglichst viele dieser Freiwilligen sich auf ihre volle Dienstzeit anwerben ließen und diejenigen, die dies ablehnten, sofort entlassen und auch in Ungarn die normalen Verhältnisse wiederhergestellt würden.

Der Ministerrat, mit diesem Einzelfall befaßt, wurde aber in keiner Weise von den entscheidenden Besprechungen informiert, die eben in diesen Wochen in der Sache des Ausgleichs, ja man kann sagen über das Schicksal der Gesamtmonarchie || S. 27 PDF || abgehalten wurden. Wir wiederholen die Sätze, mit denen Josef Redlich die Leistung beschrieben hat, die Deák in der auf Königgrätz folgenden Zeit zufiel: „In der ganzen furchtbaren Spannung dieser Tage waren aller Augen auf Franz Deák gerichtet. Dieser große und wahrhaft verehrungswürdige Mann blieb auch in den schwersten Augenblicken, in denen die auf ihm lastende Verantwortung bis zur Unerträglichkeit anwuchs, unerschütterlich die Verkörperung des Rechtes seines Landes und des Ausgleichswillens der großen Mehrheit der ganzen Nation.… Was Deák wollte, war einfach das, was er dem Kaiser im Angesichte des gegen Wien drängenden Feindes gesagt hatte und nichts anderes. Er wollte das Garn weiterspinnen, das er zuletzt im 15er Komitee des 67er Ausschusses noch knapp vor dem Beginn des Krieges zustande gebracht hatte49.“

Aber nun trat immer deutlicher an Deáks Seite Julius Andrássy, dem zeitweise in den Verhandlungen mit dem Monarchen auch die führende Rolle zufiel und der die Formulierung fand, in der der Ausgleich tatsächlich ins Leben trat: „Der Dualismus müsse auf die Deutschen und Ungarn, den beiden Säulen der Monarchie, aufgebaut werden. Sie sind die Elemente, die vor allem befriedigt werden müßten.“ Wenn dieser Grundsatz sich als Leitmotiv der Politik der Monarchie bis zum Zweibund mit dem Deutschen Reich von 1879 immer mehr, wenn auch nicht ohne Widerstände und Unterbrechungen durchsetzte, so stand er in den Monaten von 1866, da er formuliert wurde, im geraden Gegensatz zu dem politischen Programm, ja man möchte sagen zu dem politischen Glaubensbekenntnis jener Männer, die die politische Führung im Kabinett des Grafen Belcredi bildeten und die bis dahin als die eigentlichen Vertrauensmänner des Monarchen galten: Belcredi, Esterházy und Mailáth.

Wie verhielt sich der Ministerrat zu dieser entscheidenden Wendung der Politik der Monarchie? Zunächst war er ausgeschlossen. Erst am 17. Oktober 1866 trat er zur Besprechung einer Frage zusammen, die zumindest auch Ungarn betraf: es handelte sich um die Einberufung aller Landtage der Monarchie, damit auch desjenigen Ungarns. Während die übrigen Landtage auf den 19. November einberufen wurden, vermied man es, für Ungarn ein fixes Datum zu nennen, unter Hinweis auf die in der Hauptstadt grassierende Cholera, obwohl man keinen Anstand genommen hatte, den niederösterreichischen Landtag an dem genannten Datum sich in Wien versammeln zu lassen, wo die aus den preußischen Truppenlagern eingeschleppte Krankheit zumindest im gleichen Ausmaß verbreitet war wie in der ungarischen Hauptstadt. Am 28. Oktober fand dann der Ministerrat statt, der die offizielle Krise des Ministeriums Belcredi einleitete; die Tagesordnung nannte nur einen Punkt: „Eventuelle Ernennung Beusts zum österreichischen Minister des Äußern.“ Die Diskussion wurde am nächsten Tag fortgesetzt, wobei das Protokoll vermerkt: „außerdem anwesend Beust“. Das Ernennungsdekret Beusts ist vom 30. Oktober 1866 datiert und wurde in der Wiener Zeitung am 4. November publiziert. Beide Ministerkonferenzen fanden zur Zeit einer Reise des Kaisers nach Böhmen statt und wurden in Prag abgehalten. In diesen beiden Sitzungen war der Ministerrat berufen – oder er hatte zumindest Gelegenheit –, || S. 28 PDF || seine Stellung zu einem Wendepunkt der Politik der Monarchie klarzumachen, obwohl es gewiß kein gutes Omen war, daß an ihnen die beiden bisherigen offiziellen Vertreter der auswärtigen Politik, Mensdorff und Esterházy, nicht teilnahmen, ohne daß ihre Abwesenheit im Protokoll angeführt worden wäre50. Wir kennen heute die beiden Denkschriften, die eine vom 21. September, die andere vom 26. Oktober 1866 datiert, in denen der aus seinem Amt scheidende Minister des Äußern dem Monarchen seine schweren Bedenken gegen die sich anbahnende Wendung ausdrückt51: „Eure Majestät sind auf dem Punkte, einen wichtigen Schritt zu tun …“, so beginnt die erste Denkschrift Mensdorffs, die leidenschaftlich von einer Berufung Beusts nach Österreich abrät.

Auch im Ministerrate vom 28. Oktober kam das Problematische der bevorstehenden Berufung Beusts zum Ausdruck. Sie wurde von keinem der Teilnehmer befürwortet, geschweige denn begrüßt. Den Mittelpunkt der Beratung bildete die Rede Belcredis, in der er die Informationen über die inneren Verhältnisse der Monarchie mitteilte, die er dem präsumtiven neuen Außenminister gegeben hatte und die darin gipfelten, „daß unter den dermaligen politischen Verhältnissen der österreichische Minister des Äußern sich eine große politische Reserve auferlegen und das Betreiben ultradeutscher Politik sorgfältig vermeiden müsse“. Er wußte zu berichten, daß Baron Beust diesen Ansichten vollkommen beigestimmt habe. Für sie beide bildete die ungarische Frage damals das Zentralproblem. Der Staatsminister verwies auf das Programm des 15er Komitees. „Bei den Ungarn“, fuhr er fort, „richte man erfahrungsmäßig mit Gewalt nichts aus. Es müsse ein zweckmäßiger Anknüpfungspunkt gesucht und das Weitere der Zeit überlassen werden.“ Und Belcredi betonte dann, was ihm wesentlich war: „Nur dann, wenn die Vertreter der beiderseitigen Ländergruppen einmal an einem Orte zusammenkommen werden, könne an die Möglichkeit eines Ausgleiches gedacht werden. Das Projekt Deáks bezüglich der Delegationen wäre ein Anfang …“ Hierauf zählte er drei Punkte des 15er Komitees „von kardinaler Bedeutung“ auf, bei denen ein Nachgeben der Regierung unter keiner Bedingung stattfinden könnte: die Einheit der Armee, die Einheitlichkeit der Staatsschuld, die Einheitlichkeit des Zollwesens. Es sind die Punkte, die nach harten Verhandlungen als „gemeinsame“ geregelt wurden und so bis 1918 blieben. „Alle übrigen Punkte seien nicht so vitaler Natur, daß der Ausgleich deshalb zum Scheitern gebracht werden müßte. Dann kam Belcredi nochmals auf die Forderung nach einer Gleichberechtigung der westlichen Reichshälfte zu sprechen: wenn Ungarn einst ein eigenes Ministerium erhält, „dann wird die Ministerverantwortlichkeit auch für die Minister der Länder diesseits der Leitha zum Prinzipe erhoben werden müssen“.

Dem Ministerrate am Tage darauf, dem Belcredi präsidierte und dem Baron Beust beiwohnte, oblag zunächst die Diskussion über die am 28. Oktober gemachte Anregung, ein Regierungs­programm abzufassen und zu veröffentlichen. Der Staatsminister bekannte zu Beginn, daß er „kein Freund der Publizierung von || S. 29 PDF || Regierungsprogrammen [sei], wodurch die Regierung veränderten Verhältnissen gegenüber gebundene Hände hat. Die Verlautbarung jenes Teiles [des Programms], welcher die ungarischen Verhältnisse bespricht, sei unter allen Umständen notwendig“. Der Ministerrat beschloß, in die Veröffentlichung bezüglich Ungarns nur den allgemeinen Teil aufzunehmen. Zur Beruhigung der Länder diesseits der Leitha würde genügen, deutlich auszusprechen, daß die Regierung bestrebt sei, „den Verfassungsbau zu fördern“; es müßten aber auch die finanziellen und militärischen Fragen erwähnt werden, wobei man sich in bezug auf die ersten reserviert verhalten und sich beschränken solle zu erklären, „die Regierung erkenne die Notwendigkeit an, in finanzieller Beziehung das Gleichgewicht der Staatseinnahmen und Staatsausgaben nahezubringen“.

Über Aufforderung des ungarischen Hofkanzlers skizzierte nun Beust seine Beurteilung der internationalen Beziehungen der Monarchie und betonte besonders die deutsche Frage. „In Österreichs Interesse sei es gelegen, daß die Politik der Regierung durch ihre ganze Haltung, namentlich gegen die deutsche Bevölkerung, beitrage, daß der Süden Deutschlands nicht in dem Norddeutschen Bund aufgehe.… Preußen gegenüber müsse Österreich eine solche Haltung einnehmen, daß es durch die Verhältnisse nicht dazu gedrängt werde, mit Preußen anzubinden, weil sonst der Drang der süddeutschen Staaten, mit dem Norddeutschen Bund vereinigt zu werden, nur vermehrt werden würde. Die Beziehungen zu Frankreich seien ohne Verbindlichkeit, Österreich stehe mit Frankreich auf gutem Fuße, und er schmeichle sich, daß seine Persönlichkeit beitragen wird, die Beziehungen noch freundlicher zu gestalten.“ Schließlich verstand sich Baron Beust auf eine besorgte Frage des ungarischen Hofkanzlers zu der Erklärung, daß, wenn nicht unvorhergesehene Ereignisse eintreten sollten, wie etwa der Tod Kaiser Napoleons, „der Friede auf wenigstens ein Jahr hinaus als gesichert gelten könne“. Mit dieser Erklärung konnte der Eintritt des ehemals sächsischen Ministerpräsidenten in den Ministerrat des Kaisers von Österreich als tatsächlich vollzogen angesehen werden. Wenn man die Gedanken und Pläne Beusts im Sommer 1870 zu verstehen sucht, wird man seine Erklärungen im Ministerrate vom Oktober 1866 nicht völlig außer acht lassen dürfen.

Die Geschichte des Reskripts vom 17. November 1866, mit dem der ungarische Landtag auf den 19. Dezember einberufen wurde, bleibt weithin unvollständig, da das Protokoll einer Ministerkonferenz in Prag, auf das der Ministerrat vom 15. November sich beruft, verlorengegangen zu sein scheint52; in ihm waren die dem Reskript zugrunde liegenden Ideen besprochen worden. Das Gutachten des 15er Ausschusses wird am 15. November als Grundlage der weiteren Diskussion vom Monarchen angenommen; als dessen „Ausgangspunkt und Endziel“ wird die Anerkennung ausgesprochen, und den „landtäglich versammelten Ständen und Vertretern“ wird versichert, daß die Gedanken des Elaborats anerkannt werden „als geeignete Anknüpfungspunkte für das Zustandekommen des verfassungsmäßigen Ausgleiches“. „Wir wünschen“, heißt es im Reskript, „durch das Resultat der auf dieser Grundlage fortschreitenden landtäglichen Verhandlungen || S. 30 PDF || ehestens in der Lage zu sein, die Schwierigkeiten in bezug auf jene Garantien des gesamtstaatlichen Verbandes, welche Wir als unmittelbaren Ausfluß der Pragmatischen Sanktion vor jeder Gefährdung bewahren müssen, als grundsätzlich behoben ansehen zu können.“ Das Echo von Gedanken Belcredis wird vernehmbar, wenn „das gesicherte Inslebentreten des konstitutionellen Organismus Unseres Gesamtreiches“ die Erfüllung des innigsten Wunsches des Monarchen genannt wird. Das Reskript faßt zusammen: „Das Land steht nunmehr an der Schwelle der Erfüllung seiner Wünsche.“ Es hatte die Punkte aufgezählt, in denen das Gutachten des 15er Ausschusses Einwendungen in Wien begegnete, aber ein weiteres Jahr Verhandlungen bewies, daß sie aus der Welt geschafft werden konnten und tatsächlich aus der Welt geschafft wurden – vor allem dadurch, daß Wien nachgab; ausgedrückt in der Sprache des Reskripts: der Zukunft „eine Grundlage zu geben, welche geeignet ist, die ehrwürdigen Traditionen der Vergangenheit mit den Anforderungen der Gegenwart in Einklang zu bringen und hiedurch deren erneuertes Aufblühen dauernd zu sichern“. Aber auch dort, wo das Reskript Einwendungen gegen das Gutachten des 15er Komitees formulierte – was an wichtigen Stellen geschah –, war die Fassung derart, daß der Wunsch nach Verständigung deutlich war.

Aber die ungarische Nation und Deák an ihrer Spitze waren von dem Reskripte und dessen wiederum Aufschub suchender Taktik keineswegs befriedigt. Die gesamte öffentliche Meinung in Ungarn verlangte endlich Taten zu sehen, vor allem die faktische Herstellung der Verfassung und die Ernennung eines verantwortlichen Ministeriums53. In Deáks letzter um diese Zeit verfaßter Adresse heißt es: „Viel, sehr viel ist es, was ungesäumt und rasch getan werden muß und zu dessen Aufschub vielleicht keine Zeit mehr ist54.“

Nach einem kurzen günstigen Aufflackern der öffentlichen Meinung in Ungarn schien eine erneute Krise nicht zu vermeiden, als knapp vor Jahresende, am 19. Dezember, das erneuerte Wehrgesetz im Ministerrat zur Beratung stand. Es ist sehr begreiflich, daß Franz Joseph und seine militärischen Ratgeber nach Königgrätz darauf drängten, auf Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht ein Wehrgesetz nach preußischem Vorbild einzuführen. Ein solcher Entwurf war inzwischen vom Kriegsministerium ausgearbeitet worden. Sollte er, konnte er im Oktroyierungswege erlassen werden, obwohl die Rekrutenbewilligung zu den ältesten, sorgsam gehüteten Rechten des ungarischen Landtags zählte?

FML. John, der Sieger von Custoza, inzwischen Kriegsminister geworden, sprach sich entschieden gegen jede weitere Verzögerung aus: das Gesetz solle sobald als irgend möglich in Kraft treten. Auch von der Bevölkerung werde eine durchgreifende Reform der Heeresorganisation erwartet. Ihm trat der Staatsminister aus politischen Gründen entgegen. Solange Aussicht auf einen Ausgleich mit Ungarn vorhanden, sei es die höchste Pflicht der Regierung, keine Maßregel zu treffen, welche den Ausgleich unmöglich machen könnte, und die Oktroyierung eines Gesetzes, das die allgemeine Wehrpflicht einführe, wird „höchstwahrscheinlich || S. 31 PDF || zum Abbruch der Unterhandlungen führen“. Belcredi schlug vor, daß die Regierung schon jetzt ihre Absicht ausspreche, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, aber zugleich auch ihren Willen kundgebe, sich hierüber mit der künftigen Reichsvertretung ins Einvernehmen zu setzen. Mailáth sekundierte dem Staatsminister: um keinen Preis dürfe die Regierung den Vorwurf auf sich laden, daß die Schuld am Scheitern der Ausgleichsverhandlungen auf sie falle. Der Kriegsminister wies nochmals auf die Dringlichkeit des Gesetzes hin und bezweifelte, ob gegenwärtig überhaupt noch Aussicht auf eine Verständigung mit Ungarn vorhanden sei. Der ungarische Kanzler gab die Schwierigkeit der Lage zu, aber bezeichnete es als Aufgabe der Regierung, „mit der größten Langmut“ vorzugehen. Auch der Finanzminister und der kroatische Kanzler unterstützten diese Auffassung, während der Handelsminister für die Ansicht des Kriegsministers eintrat.

Als letzter sprach der neue Minister des Äußern und betonte seine prinzipielle Sympathie für die Argumente des Kriegsministers, aber – fuhr er fort – es „lasse sich nicht verkennen, daß die ungarische Frage gegenwärtig in den Augen Europas die Hauptfrage sei, welche die innere Politik Österreichs zu lösen habe. Deswegen müßte er auch von seinem Standpunkte jedes Vorgehen der Regierung mißraten, welches die Schuld des Scheiterns der Unterhandlung in den Augen der Welt auf die Regierung wälzen könnte“. In dieser Zwangslage hatte Beust einen Vermittlungsvorschlag bereit: mit Ausnahme der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die der Beratung im verfassungsmäßigen Wege vorzubehalten wäre, sollten unter dem Hinweis „auf den Drang der Umstände“ alle anderen Bestimmungen des geplanten Wehrgesetzes jetzt mittels einer kaiserlichen Verordnung eingeführt werden. Der Monarch stimmte diesem Vorschlag Beusts, der tatsächlich weithin auf einer Anregung Belcredis beruhte, zu.

In der Frage des Wehrgesetzes hatten Belcredi und Beust übereingestimmt; der Form nach mochte der Außenminister als Sieger erscheinen; der Sache nach war es der Staatsminister. Doch die zweimalige Korrektur betreffend den Ausdruck „die künftige Reichsvertretung“ von der Hand Beusts im Protokoll der Sitzung vom 19. Dezember deutet die Verschiedenheit ihrer Ansichten in einer wesentlichen Frage des Ausgleichs an. Beust hat diese Worte zweimal aus dem Protokoll gestrichen; bei der ersten Streichung setzte er hinzu: „… diese Änderung erscheint wegen Ungarns notwendig“, und an ihre Stelle schrieb er die unpräzise und unverfängliche Wendung „im verfassungsmäßigen Wege“. Man könnte sagen, daß der Kampf zwischen Belcredi und Beust in und mit dieser Korrektur eines Ministerratsprotokolls an die Oberfläche tritt.

Wie Josef Redlich richtig gesehen hat, stehen sich in Belcredi und Beust zwei diametral entgegengesetzte Charaktere gegenüber55, hinter und über denen die urkräftige Magnatengestalt Julius Andrássys zum entscheidenden Richter im Kampf um den ungarischen Ausgleich emporwächst, während der Monarch, der schon vor, aber noch mehr nach Königgrätz den Entschluß gefaßt hat, den Ungarn weit (wir wissen nicht, wie weit) entgegenzukommen, im Hintergrunde || S. 32 PDF || seiner einsamen, weiten Räume der Wiener Hofburg bleibt: Franz Joseph kann und muß zunächst warten.

Die ersten beiden Monate nach Beusts Eintritt in das Wiener Kabinett schienen er und Belcredi in Übereinstimmung vorzugehen. Aber „die glatten Verkehrsformen Beusts auch im geschäftlichen Verkehr, seine Geschicklichkeit, bald durch Verschweigen, bald durch halbe Andeutungen seine eigentlichen Absichten zu verhüllen [die französischen Diplomaten werden es 1870 zu ihrem Schaden erfahren], stachen zu grell ab von der durchaus aufrichtigen, etwas schwerflüssigen, dabei aber zäh an dem gesprochenen Worte und an seinen Zusagen festhaltenden Art und Weise des Staatsministers, die Geschäfte zu führen. Stets sorgenvoll, ganz erfüllt von den Schwierigkeiten und Gefahren, in denen sich die Monarchie nach dem so unglücklichen Kriege von 1866 befand [besonders seit diesem Zeitpunkt, aber nach dem Urteile Belcredis nicht erst seit damals – wir haben es in seinem Regierungsprogramm vom Juni 1865 gesehen56], mußte ihm die Beust eigentümliche leichtherzige Weise der Behandlung der großen Probleme, vor denen die Regierung stand, höchst unsympathisch sein. Beust war … durchaus ein Diplomat ,der alten Schule‘, die ihre Erfolge mehr durch augenblickliche ,Impromptus‘, durch geschickte Erfassung der sich darbietenden Gelegenheiten, durch Hervorrufen falscher oder teilweise illusionärer Erwartungen auf der anderen Seite herbeizuführen bestrebt ist57“. So war er 1866, so werden wir ihn 1870 wiederfinden.

Das Schicksal aber verfügte, daß dem österreichischen Rivalenpaar Belcredi–Beust auf ungarischer Seite ein analoges, bei aller Charakterverschiedenheit persönlich verbundenes und in jedem Fall den Österreichern staatsmännisch sehr überlegenes Führerpaar gegenüberstand: Franz v. Deák und Julius Graf Andrássy. Wenn dem religiös ehrlich gebundenen Belcredi das unerschütterliche legistische Gewissen der Nation in Deák irgendwie kongenial war, die beide – wie mit Recht gesagt wurde – ihre Staatskunst mit großem sittlichem Ernst betrieben, so mochte Beust gelegentlich dem Zynismus des ungarischen Magnaten den Zynismus des gebildeten sächsischen Oberbeamten entgegensetzen; beiden österreichischen Staatsmännern aber war die Gabe verwehrt, einen Stil von irgend ähnlicher Gestaltungskraft zu schreiben wie Bismarck.

Aber während zwischen dem Vertreter der ungarischen Gentry und dem Sprecher des liberal gesinnten, reichbegüterten Hochadels der Nation politisch eine fast nahtlose Einheit bestand, klafften auf der österreichischen Seite politisch und sozial die Gegensätze zwischen dem nicht übermäßig begüterten, zähen, adeligen Grundbesitzer aus Mähren und dem klugen, landlosen früheren Minister eines deutschen Mittelstaates: das österreichische Reichsproblem war für den einen, die deutsche Frage war für den anderen bis dahin das Zentrum des Denkens und Tuns gewesen; in Belcredi überwog das Pflichtgefühl, in Beust der Ehrgeiz, dem eine nicht zu übersehende Portion Eitelkeit beigegeben war. Wenn Bismarcks Zerrbilder, mit denen er die österreichischen Staatsmänner, denen er begegnete – || S. 33 PDF || Friedrich Thun, Prokesch-Osten, Hübner –, bedacht hat, in den Ausbrüchen über Beust ihre letzte Steigerung erreicht haben, so mag der große Hasser sich von dem Gefühl haben leiten lassen, daß dieser, der sich so gern im Vergleich mit ihm sah, seines Stahls am ehesten wert sein mochte.

Der Fortgang in den Verhandlungen im ungarischen Landtag veranlaßte den Staatsminister, in der Sitzung vom 23. Dezember zu erklären, daß die Regierung sich jetzt in die politische Aktion einschalten müsse58; der nächste Schritt sei die Einberufung der Vertreter der „diesseitigen Länder“, womit er das im Septembermanifest feierlich gegebene Versprechen einzulösen gedachte: die Verhandlungsresultate mit Ungarn „vor Meiner Entschließung den legalen Vertretern der anderen Königreiche und Länder vorzulegen, um ihren gleichgewichtigen Ausspruch zu vernehmen und zu würdigen59“; ein Kernsatz des politischen Programms Belcredis, das er verkündet hatte als „kaiserliches Wort“, das an die „treuen Völker“ des Reiches „vertrauensvoll gerichtet ist“. Allzu optimistisch beurteilte der Staatsminister die Chancen des Zustandekommens eines Ausgleichs um diese Zeit nicht: Bei der Zerfahrenheit der cisleithanischen Verfassungsverhältnisse infolge der Sistierung des Februarpatentes sei zugegeben, daß ein unbestrittener legaler Standpunkt nicht bestehe; weder der weitere noch der engere Reichsrat könne einberufen werden60. Belcredi griff daher – was er schon in seinem Regierungsprogramm getan hatte – auf das Oktoberdiplom von 186061 zurück und folgerte aus dessen Art. II, daß die Landtage das Recht hätten, ihre Vertreter „zur Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten zu entsenden“. Sie sollten „eine außerordentliche Reichsratsversammlung“ bilden, um die Verfassungsfrage zu ihrem Abschluß zu bringen. „Die Beratung der Verfassungsfrage [würde] den alleinigen Gegenstand der Tätigkeit dieser außerordentlichen Reichsratsversammlung zu bilden haben.“ Gehe der außerordentliche Reichsrat, wenn auch mit annehmbaren Modifikationen, auf die Intentionen der Regierung ein, „dann werde der ungarische Landtag aufzufordern sein, die Propositionen [der cisleithanischen Länder] in Erwägung zu ziehen und zur Vereinbarung vielleicht eine Deputation an den außerordentlichen Reichsrat abzusenden“, dessen „gleichgewichtiger Ausspruch“ somit gewahrt würde.

Alle Minister mit Ausnahme des Justizministers stimmten Belcredi zu, daß die Einberufung des Reichsrates jetzt unvermeidlich sei; auch der Minister des Äußern meldete keinen Einspruch an; das nach dem Vorschlag des Staatsministers verfaßte Einberufungspatent zum außerordentlichen Reichsrat vom 2. Jänner 1867 trägt auch die Unterschrift des Barons Beust.

Von dieser Einmütigkeit weist der Ministerrat vom 1. Februar 1867, der nächste, der sich mit der Verfassungsfrage beschäftigte, wenig Spuren auf. In scharfsinnigen, nicht eben kurzen Darlegungen hat Josef Redlich nachzuweisen unternommen, daß Baron Beust vor der Notwendigkeit stand, sich mit Deák und vor || S. 34 PDF || allem mit Graf Andrássy auch um einen hohen Preis zu verständigen62. Während der Staatsminister konsequent – wenn man will: starr – an dem im Septembermanifest gegebenen Versprechen: „den gleichgewichtigen Ausspruch“ der Länder der westlichen Reichshälfte einzuholen, festhielt, wobei er gewillt war, die Ansprüche der slawischen Nationalitäten Österreichs sorgfältig zu berücksichtigen, wenn auch nicht ihrem Diktat sich zu beugen, sah Beust keine Schwierigkeit, sich mit dem ungarischen Magnaten dahin zu verständigen, daß der dualistische Ausgleich auf dem Dualismus der Deutschen Österreichs und der Magyaren aufzubauen war. Die Deutschen Österreichs erschienen ihm wie selbstverständlich – sehr im Gegensatz zu Belcredi – in den deutschen Liberalen nicht nur repräsentiert, sondern personifiziert. Ob das von Belcredi Julius Andrássy zugeschriebene Wort: „Die Slawen sind nicht regierungsfähig, sie müssen beherrscht werden63“, authentisch ist oder nicht, es gibt die Anschauung der beiden Verhandlungspartner ziemlich getreu wieder. Selbst Redlich, dem man eine weitaus positive Einstellung zu Beust nicht absprechen kann, schreibt: „Beust, dem gewiß gründliche Kenntnis der politischen Natur Österreichs vollkommen fehlte, mußte in Wien bald herausgefunden haben, daß seine zweifellose Geringschätzung des österreichischen Slawentums – vom ungarischen dürfte er wohl kaum etwas gewußt haben – die communis opinio der gebildeten Deutschen, vor allem der liberal gesinnten, denen er in Österreich begegnete, bildete. Wie sollte Baron Beust in dem Bestreben, baldigst zur Verständigung mit Ungarn zu gelangen, zur Erkenntnis der Oberflächlichkeit seines Urteils über die inneren Verhältnisse Österreichs kommen, wenn er fand, daß sein Urteil mit dem der angesehensten deutschen Politiker Österreichs, der bewährtesten und kenntnisreichsten Beamten in der Staatsverwaltung … vollkommen übereinstimmte, und dies zumal, da er nun sah, daß unter Andrássys Einfluß die Deáksche Partei danach strebte, die Vormachtstellung des österreichischen Deutschtums zum festen Grundstein der Brücke zu machen, welche der Ausgleich zur dauernden freundschaftlichen Verbindung zwischen beiden Teilen des Reiches herstellen sollte64.“ Graf Andrássy urteilte von seinem Standpunkte aus wahrscheinlich richtig; wie weit aber hat Beust geblickt? Seine Rechtfertigung mag in dem Wort seines großen Feindes Bismarck liegen, dem der Ausspruch zugeschrieben wird, daß er glaube, genug getan zu haben, wenn er das Deutsche Reich für die Dauer von fünfzig Jahren gebaut habe.

Die Konferenzen vom 9. und 10. Jänner hatten die Aussichten auf einen Ausgleich mit Ungarn wesentlich vergrößert; wir wissen, wie skeptisch der Staatsminister noch im Ministerrat vom 19. Dezember ein solches Ereignis beurteilt hatte. Offen blieb die Frage: Wie würden die Länder „Cisleithaniens“ in ihrem „gleichgewichtigen Ausspruch“ diese Vereinbarung sich zu eigen machen? Waren hiefür die Aussichten in dem außerordentlichen Reichsrat günstig, der mittels des von Belcredi und Beust gezeichneten Patentes vom 2. Jänner einberufen war? Redlich zählt die Einwände auf, die dagegen sprachen, und viele sind begründet.

|| S. 35 PDF || Andererseits aber lautet der letzte Absatz des Schlußparagraphen (§ 69) des ungarischen Gesetzartikels XII entsprechend dem Elaborat der 15er Kommission: „Jene Anordnungen dieses Gesetzartikels jedoch, die sich auf den Modus der Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten beziehen, werden tatsächlich erst dann in Wirklichkeit treten, wenn deren Inhalte die zur ungarischen Krone nicht gehörigen Länder Seiner Majestät auch ihrerseits auf konstitutionellem Wege beigetreten sind65.“ Auch vom ungarischen Standpunkt aus also war es die Aufgabe der österreichischen Staatsmänner, diese Tatsache zu schaffen, diese „an die Gesamtheit der nicht ungarischen Königreiche und Länder gerichtete Vertragsofferte anzunehmen66“. Kein Zweifel, daß der Monarch der Lösung dieser Aufgabe mit begreiflicher Ungeduld entgegensah; kein Zweifel auch, daß bei dem vor drei Monaten nach Österreich zugewanderten Minister des Äußern auch dieses Motiv sehr wirksam war: die Fronde der österreichischen alteingesessenen Adelsgeschlechter sprach vernehmlich.

Als ausgemacht mag gelten, daß in dem durch Patent vom 2. Jänner einberufenen außerordentlichen Reichsrat von föderalistischer Seite, von den slawischen und alpenländischen Abgeordneten, gegen das ungarische Elaborat beträchtlicher Widerstand zu erwarten war. Beust wußte Rat. In seinem dem Kaiser vorgelegten Memoire vom 25. Jänner 1867 67 schrieb er: „Man sei offen genug, das einzugestehen, was bereits offenes Geheimnis ist, daß nämlich der Ausgleich mit Ungarn abgemacht wurde und die Regierung nicht mehr in der Lage sich befindet, eine freie Zustimmung der anderen Reichshälfte einzuholen. Es ist dies ein Schlag, welchen aber der, welcher ihn empfängt, bereits nicht mehr fühlt und der vergessen wird [das wußte Baron Beust68], wenn die Regierung, was sie nun ohne sich zu kompromittieren tun kann, mit der Erklärung hervortritt, daß der Gegenstand der Beratung des außerordentlichen Reichsrates sich erledigt habe69, daß sie die Landtage auffordern werde, für den ordentlichen Reichsrat zu wählen, daß sie in diesem die nötigen Erläuterungen über die Notwendigkeit des Abschlusses mit Ungarn … vorlegen werde.“ Das war es, was der neue Minister des Äußern den Bewohnern der westlichen Reichshälfte als Ersatz für ihren „gleichgewichtigen Ausspruch“ anbot in Sachen des wichtigsten Gesetzes, das ihre und die ihnen nachfolgende Generation zu beschließen hatte.

Ungefähr die gleichen Gedankengänge hat Beust Belcredi am 26. Jänner mitgeteilt; das Memorandum an den Kaiser war vom vorangegangenen Tag datiert, und er hatte dafür auch die mündliche Zustimmung des Monarchen eingeholt70. Wir wollen nicht das Gewicht der Gründe verkennen, die für eine rasche Perfektionierung des Ausgleichs auf der Basis einer magyarisch-deutschen Verständigung sprachen, und die Geschicklichkeit, mit der Baron Beust die gebotenen || S. 36 PDF || Chancen nützte, verdient die Anerkennung nicht nur eines wohlwollenden Beobachters. Aber auf der anderen Schale der Waage lastet nicht nur das nicht eingelöste feierliche kaiserliche Versprechen vom September 1865 in Nachfolge ähnlicher Zusagen des Oktober 1860 und des Februar 1861; es beginnt jene Verstimmung der slawischen Nationen der Monarchie, die bis zum Herbst 1918 nicht mehr aus der Welt geschafft werden konnte; die Folge ist die betrübliche Tatsache, daß der westlichen Reichshälfte die mit Deák und Andrássy vereinbarte Fassung nicht als eine „Vertragsofferte“, sondern als ein Diktat präsentiert wurde und daß bis in den Herbst 1918 zwischen den Ausgleichsgesetzen diesseits und jenseits der Leitha einige nicht unbeträchtliche Unstimmigkeiten klafften, die nicht zum Vorteil der – wie man jetzt sich auszudrücken beliebte – „im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“ lauteten. Und schon bei der Durchpeitschung der für diese bestimmten Gesetze sollte der von den Ufern der Elbe herbeigeholte Staatsmann einen Managertypus zur Schau stellen, wie man ihn in den Räumen, in denen einst Clemens Metternich, Felix Schwarzenberg, ja auch Rechberg und Belcredi gewaltet hatten – nicht immer zum Vorteil der Monarchie –, noch nicht beobachten konnte. All dies widerspricht nicht der Tatsache, daß Baron Beust mit dem von ihm und Graf Andrássy inaugurierten Bündnis richtig erkannte, wo die politisch reifsten und am stärksten entwickelten Nationalitäten im Bereich der Donaumonarchie zu finden waren, jene, wie er sagte, „die am meisten Lebenskraft besitzen71“. Eine andere Frage ist es, ob 100 Jahre später ein Beobachter im Interesse der Aufrechterhaltung eines politischen Verbandes der um die mittlere Donau gelagerten Länder sich nicht versucht fühlen könnte, eine Parallele zwischen dem österreichischen Befehlshaber bei Königgrätz und dem österreichischen Sieger im ungarischen Ausgleich zu ziehen, nur daß im zweiten Falle die Folgen der Entscheidung weit später zutage traten als auf dem Schlachtfelde Böhmens.

In einer Atmosphäre, verwirrt von sich widersprechenden Gerüchten, trat am 1. Februar 1867 der österreichische Ministerrat unter dem Vorsitz des Kaisers zusammen. Laut Beusts Zeugnis dauerte die Konferenz vier Stunden. Der zweite Punkt der Tagesordnung – sie bestand aus vier Punkten – lautete: Einzuschlagendes Verfahren in der inneren Politik. Belcredi wußte, wie sehr sich in den letzten Tagen die Waagschale der Gunst Franz Josephs zugunsten Beusts gesenkt hatte. Über Aufforderung des Monarchen sprach der Außenminister als erster. In der Verfassungsfrage sei jetzt für die Regierung der entscheidende Punkt erreicht, an dem das Betreten der richtigen Bahn die entscheidendsten Folgen in der inneren und der äußeren Politik haben werde. Ein außerordentlicher Reichsrat sei einberufen; aber die Dinge stünden so, daß er in der Einberufung dieser Körperschaft kein geeignetes Mittel zur Lösung der Verfassungsfrage erblicken könne. Wenig kümmerte es Beust jetzt, daß er vor vier Wochen an dieser Einberufung mitgewirkt hatte und daß das Patent, auf Grund dessen sich dieser Reichsrat versammeln sollte, seine Unterschrift trug. Das Wahlresultat in den meisten Ländern, fuhr der Außenminister fort, sei bereits bekannt, und es sei danach nicht zu erwarten, || S. 37 PDF || daß eine [entsprechende] Vertretung der deutschen Bevölkerung im außerordentlichen Reichsrat vorhanden sein werde. Dies sei die Folge des Umstandes, daß zahlreiche Länder sich an den Wahlen nicht beteiligten; aber man habe keine Garantie, ob sich, wenn man jetzt direkte Wahlen ausschreibe, nicht „eine gleiche Renitenz“ geltend machen werde. Und nun folgerte Beust mit kühnem Schwung: „Wenn aber ein so gewichtiger Faktor des Reiches wie die deutsche Bevölkerung es ablehne, in diesem Reichsrate zu erscheinen und ihre Stimme durch ihre legalen Vertreter geltend zu machen, so müsse man mit oder ohne Willen eingestehen, daß der Zweck der Einberufung dieser Versammlung verfehlt und ein Mißgriff in der Wahl der eingeschlagenen Bahn geschehen sei.“ Noch kühner fuhr er fort: „Wenn der ungarische Landtag das Elaborat der 67er Subkommission mit den hier verabredeten Modifikationen annehme, so sei der Ausgleich eine nicht zu ändernde Tatsache und müsse der Annahme durch den Landtag unmittelbar die Ernennung des ungarischen Ministeriums folgen. Diesen Sachverhalt dürfe die Regierung der Versammlung nicht verhehlen, vielmehr sei es ihre Pflicht, ihn offen darzulegen. Wie könne dann aber noch eine Beratung über eine abgeschlossene Tatsache stattfinden?“ Baron Beust sprach deutlich; er vergaß nur mitzuteilen, wer ihn legitimiert hatte, in dieser Weise abzuschließen. Dabei sei zugegeben, daß es schwer ist zu sagen, in welcher anderen Weise er zu dem dringend gewünschten Abschluß kommen konnte. Er hatte vor der überlegenen Staatskunst von Deák und Andrássy kapituliert und „vergessen“, daß ihm der Monarch und der noch im Amt befindliche Staatsminister die Bedingung auferlegt hatten, „den gleichgewichtigen Ausspruch“ der legalen Vertreter der westlichen Reichshälfte einzuholen. Die Einlösung dieses Versprechens bildete für den Minister des Äußern der Habsburgermonarchie „le cadet de ses soucis“. Beust schlug vor: Rückkehr zu dem ordentlichen Reichsrate der Februarverfassung Schmerlings (die zu verlassen der Monarch im Sommer 1865 dringend bestrebt gewesen war72); die Landtage wären aufzufordern, Abgeordnete in ihn zu wählen; dann wären ihnen die Ausgleichsverhandlungen vorzulegen, „jedoch mit dem Bemerken“ – so heißt es wörtlich –, „daß der Ausgleich mit Ungarn als eine abgeschlossene Tatsache zu betrachten sei, welche es mit sich bringe, daß in der bestehenden Reichsverfassung die notwendigen Änderungen unmittelbar vorgenommen werden“. Das war das, was Baron Beust den „geraden, offenen, legalen Weg“ nannte, das, was er unter dem „Vernehmen des gleichgewichtigen Ausspruches“ der westlichen Reichshälfte verstand – oder verstanden wissen wollte. Aber wir betonen nochmals, daß die Lage, in der Beust in die österreichische Regierung eintrat und, anders als Belcredi, in sie eintreten wollte, eine ungeheuer schwierige war und daß es nicht nur der bekannten Ungeduld des Monarchen bedurfte, um auf einen Abschluß zu drängen. Der Außenminister beschloß seine Rede im Ministerrat mit dem Hinweis, daß es einer österreichischen Regierung stets unmöglich sein werde, die Aspirationen aller Nationen zu befriedigen. Daher sei es ihre Aufgabe, „sich auf diejenigen zu stützen, die am meisten Lebenskraft besitzen, sich geistig näherstehen …, nämlich das deutsche und das ungarische Element“.

|| S. 38 PDF || Nun nahm der Staatsminister das Wort: In allen Teilen müsse er seinem Vorredner widersprechen. Er zählte die drei Verpflichtungen auf, die die ungarischen Vertreter bei den Verhandlungen Österreich gegenüber übernommen hatten: im Heerwesen, in der Übernahme eines Teils der Staatsschuld und hinsichtlich der direkten Steuern. Auf beiden Seiten der Leitha hätte also die Regierung die Verpflichtung, für die Annahme des Ausgleichselaborates „und zugleich auch der damit in Verbindung stehenden Verabredungen zu wirken“. Der Zustand sei also in Wahrheit der gleiche wie zufolge des Septemberpatentes: auf die Zustimmung der Vertretungen beider Reichshälften komme es an, „denn durch die Regierung allein lasse ein solcher [,Zustand, der kein Schein, sondern eine Wahrheit sei‘] wahrlich sich nicht schaffen“. Also verlangte Belcredi die Vorlage des Ausgleichswerkes an die beiden Vertretungskörper, und wenn diese sich nicht einigen sollten, den Endentscheid durch den Monarchen. „Die Vorlage des Ausgleichselaborates an eine Reichsvertretung als eine abgeschlossene Tatsache sei im Grunde nichts anderes als eine Oktroyierung für die eine, größere Hälfte des Reiches, gegen welche er sich mit der größten Entschiedenheit aussprechen müsse.“ Man könnte nicht sagen, daß die Formulierung Belcredis unrichtig war, aber welche Zukunft eröffnete sie für die Beendigung des Ausgleichswerkes und welche Rolle bestimmte sie dem Monarchen, der soeben das Reich in die zweite katastrophennahe militärische Niederlage geführt hatte? Mit Recht wies Belcredi dann darauf hin, daß auch der von Beust vorgeschlagene „engere Reichsrat“ über eine an ihn geleitete Verfassungsfrage beraten und beschließen könne. Die Regierung besitze keine legale Befugnis, dies zu verhindern, und wenn das Beispiel der deutschen „Renitenz“ so großen Eindruck auf die Minister mache, so könnte der Fall eintreten, daß die slawischen Länder den gleichen Weg einschlügen. „Böhmen und Galizien senden in den engeren Reichsrat, der [zufolge der Februarverfassung] aus 203 Mitgliedern bestehe, 92 Deputierte; wenn die dortigen Landtage sich der Wahl in den engeren Reichsrat enthalten und ein dritter Landtag sich ihnen anschließe, so sei das Zustandekommen desselben [des von Beust vorgeschlagenen engeren Reichsrates] mehr als in Zweifel gestellt.… Er bevorworte keineswegs eine Bevorzugung der slawischen Elemente, allein eine Außerachtsetzung dieses zahlreichsten Bevölkerungsteiles der Monarchie könnte die größten Gefahren bereiten …“ In der sich anschließenden Diskussion sprach sich keiner der Konferenzteilnehmer für den Staatsminister aus; Komers, Wüllerstorf und besonders der Kriegsminister vertraten den Standpunkt Beusts73. Mit Freude, erklärte FML. John, begrüße er „die Wendung in der inneren Politik.… Ein ganzes Jahr habe man mit der Sistierungspolitik und ohne Nutzen operiert; es sei höchste Zeit, es davon abkommen zu lassen“.

Der ungarische Kanzler blieb reserviert: „Die Ansicht des Grafen Belcredi halte er für die korrektere, er lasse es aber ganz in Frage gestellt, ob der entgegengesetzte Weg nicht als opportuner angesehen werden könne …“ Sehr bezeichnend fuhr der Vertreter der Altkonservativen fort: er „teile … vollkommen die Ansicht, || S. 39 PDF || daß im gegenwärtigen Augenblicke nur durch einen engen Anschluß des deutschen und des ungarischen Elementes eine Beherrschung der so vielfachen widerhaarigen Volkselemente der Monarchie möglich sei“. Auf die Anfrage Wüllerstorfs, „ob Ungarn eine Amendierung des Ausgleichselaborates durch den verfassungsmäßigen [!] Reichsrat zugeben würde“, erfolgte die charakteristische Antwort Mailáths: „Soweit sie [die Ausgleichsverhandlungen] sich auf die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Zustände Ungarns, auf Umwandlung der bestehenden kollegialen Regierung in eine persönliche und verantwortliche beziehen, werde Ungarn eine Änderung des Ausgleiches nicht zugeben.“ Wenn dagegen dem cisleithanischen Reichsrat das Ausgleichselaborat vorgelegt werde und von diesem Änderungen „in dem, was als beiden Reichshälften gemeinsame Angelegenheiten anerkannt wird, vorgeschlagen werden, sei nicht abzusehen, wie von Seite Ungarns gegen neue Verhandlungen ein Widerstand erhoben werden sollte“. Diese wichtige Erklärung des Sprechers der Altkonservativen, die in die Gedankenrichtung Belcredis führt, wurde unseres Wissens bisher in der Literatur nicht beachtet74.

Am Schlusse dieser – wie das Protokoll vermerkt – „bewegten Diskussion“ nahm der Monarch das Wort, sachlich, einfach und das Wesentliche erfassend: „Jeder der beiden angeratenen Wege sei mit großen, Schwierigkeiten verbunden, und es sei vollkommen richtig, daß auf legalem Boden aus den Verfassungswirren nicht hinauszukommen sei.“ Ohne sich derzeit schon endgültig zu entschließen, bemerkte er analog zu Mailáth, „daß der vom Grafen Belcredi angeratene Weg der korrektere sei, während vielleicht der andere, von Baron Beust angeratene, als der kürzere eher zum Ziele führen dürfte“. Daran schloß der Kaiser noch zwei Fragen an die Minister: erstens, ob das Zustandekommen des engeren Reichsrats, den Beust angeraten hatte, als gesichert gelten könne, eventuell, was zu geschehen habe, wenn er nicht zustande komme; zweitens, man könne, wenn man das Ausgleichselaborat dem engeren Reichsrate vorlege, diesen nicht hindern, es zu beraten und selbst Beschlüsse darüber zu fassen. Was hätte zu geschehen, wenn mißliebige Beschlüsse gefaßt würden?

Beust erwiderte: Falls wirklich einzelne Länder den Reichsrat nicht beschicken sollten, so biete die „Reichsverfassung“ (das Februarpatent) das legale Mittel, direkte Wahlen vornehmen zu lassen.

Anspielend auf die nun mögliche „Renitenz“ von Böhmen und Galizien, fuhr er fort, daß „eine solche Renitenz in einem entfernten Kronlande übrigens viel weniger gefährlich sei als diejenige, die jetzt in der unmittelbaren Nähe des Ah. Hofes und des Sitzes der Regierung gegen den außerordentlichen Reichsrat sich kundgebe“. Die Antwort des Außenministers auf die zweite Frage des Kaisers war vom Rechtsstandpunkt aus wenig befriedigend: Die Regierung könne das Ausgleichselaborat dem Reichsrat nur als ein „fait accompli zur Kenntnis bringen“; sie habe „jedem Versuche einer Abänderung … entgegenzutreten“. Würden dennoch mißliebige Beschlüsse gefaßt, „dann bleibe nichts anderes übrig, als zur Auflösung der Versammlung zu schreiten“. Unausgesprochen war dabei die Versicherung, daß || S. 40 PDF || eine Regierung Beust es eben verstehen würde, die Wahlen und die Abstimmungen so zu manipulieren, daß das gewünschte Resultat erreicht würde.

Belcredi verstand, daß entgegen der Versicherung des Monarchen im Ministerrate die Entscheidung bereits gefallen war, und getreu seinem Programm vom Juni 1865 reichte er noch am selben Tage sein Abschiedsgesuch ein75. Am 7. Februar erfolgte seine Enthebung und die Ernennung Baron Beusts zum Ministerpräsidenten. Damit fiel der Staatsmann, der Cisleithaniens „gleichgewichtiges“ Recht in den Ausgleichsverhandlungen vertrat; die überlegene Staatskunst Deáks und Andrássys triumphierte, und Beust glaubte das Spiel gewonnen zu haben76. Wie sein Antipode und Vertreter der anderen Hauptströmung in der österreichischen Innenpolitik, wie Schmerling, der Vertreter des deutschbetonten Zentralismus, war nun auch der Vertreter des Föderalismus in Österreich, war auch Belcredi, gescheitert.

Galizien - Retrodigitalisat (PDF)

Gewiß übertrifft der Ausgleich mit Ungarn alle anderen politischen Fragen der Regierungszeit Franz Josephs an Bedeutung; aber die Schicksalsjahre 1866 und 1867 zeigen zumindest ein anderes Problem an, dem die Möglichkeit einer ähnlichen, einer „parallelen“ Entfaltung innezuwohnen schien: das galizische Problem, das sich anmeldet, aber zunächst noch nicht Gestalt gewinnt, wofür teilweise das Bündnis, das Beust und Andrássy geschlossen hatten, verantwortlich ist. Dem Ministerrat dieser Jahre bot es sich zunächst als eine Personalfrage dar.

Die Statthalterschaft der beiden Generale Alexander Mensdorff und Franz Paumgartten in diesem Kronlande ging 1866 zu Ende. Paumgarttens Gesundheit versagte infolge eines schweren Herzleidens im Sommer 1866 völlig. „Er gehe zwar ins Büro, von einer Amtierung seinerseits könne keine Rede mehr sein.… in dieser ernsten Zeit sei jedoch ein tatkräftiger Mann auf diesem wichtigen Posten notwendig77.“ Der Staatsminister führte sodann aus, weshalb die Wahl für den Statthalterposten in Galizien solche Schwierigkeiten biete: „Hiefür sei ein Mann notwendig, der das allgemeine Vertrauen im Lande besitze, der mit der Kenntnis der Administration auch jene der Landesverhältnisse verbinde und dem auch die Fähigkeit innewohne, die Regierung im Landtage zu vertreten.“ Überdies müsse sich der Statthalter in Galizien auch mit der Bürokratie gut stellen. Er habe, fuhr Belcredi fort, unter allen Personen, die für diesen Posten in Betracht kämen, „eine reifliche Sichtung“ vorgenommen, aber niemand geeigneteren gefunden als den Grafen Agenor Gołuchowski, wobei er sich bewußt sei, daß dessen Ernennung eine lebhafte Opposition hervorrufen werde. Gołuchowski war am 20. Oktober 1860 || S. 41 PDF || im Zuge der Oktobergesetzgebung zum Staatsminister ernannt worden78; sein Name ist mit den Grundsätzen, die in dem Patent dieses Datums ausgesprochen sind, auf das engste verknüpft; er, Angehöriger einer der ältesten und einflußreichsten Adelsfamilien Galiziens, galt geradezu als Verkörperung jener ständischen Prinzipien, die in der Schrift des Anton Grafen Szécsen79 Ausdruck gefunden haben mit ihrer Lehre von den „historisch-politischen“ Individualitäten der Kronländer, der „Königreiche und Länder“ der Monarchie. Belcredi machte sich keiner Übertreibung schuldig, wenn er seinen Ministerkollegen anvertraute, daß Gołuchowski keineswegs eine beliebte Persönlichkeit sei. „Er habe unter Gołuchowski gedient“, fuhr er fort, „als letzterer Staatsminister war80, und wisse, daß derselbe gegen seine Beamten ein Tyrann sei.“ Dem Kaiser und der Monarchie gegenüber aber sei er stets höchst loyal gewesen. „Sein Bruder habe sich ungemein kompromittierta, dennoch habe er nicht im entferntesten einen Schritt tun wollen, um eine günstigere Behandlung desselben zu erzielen.“ Agenor Gołuchowski sei der einzige, dessen Name im Lande einen guten Klang habe; bei den Ruthenen freilich sei er höchst unbeliebt, habe sie aber vor kurzem durch einen geschickten Schachzug bezüglich der Sprachenfrage im Landtag beschwichtigt. Als Rivale Gołuchowskis käme nur Adam Graf Potocki in Frage, der aber „gar nichts“ von Administration verstehe und daher als Statthalter unbrauchbar sei. Belcredi wiederholte, daß er niemanden als Gołuchowski dem Kaiser für diesen Posten empfehlen könne.

Kriegsminister und Handelsminister wollten dem Vorschlag nicht geradezu entgegentreten, sie betonten aber, daß diese Wahl sehr heftiger Opposition begegnen werde; der Justizminister bestätigte, daß in Galizien kein Name angesehener sei als der Gołuchowskis. Graf Mensdorff räumte in einer nachträglichen schriftlichen Äußerung ein, daß auch ihm eine geeignetere Persönlichkeit für den Statthalterposten in Galizien nicht bekannt sei, verwies aber auf die erbitterte Gegnerschaft der Ruthenen und der Juden gegen diesen, somit gerade jenes Bevölkerungsteiles, „der der Regierung am getreuesten anhänge“. Er könne auch nicht verschweigen, daß Gołuchowski gegen seine Beamten sehr hart sei und von ihnen „den unbedingtesten Servilismus“ verlange. „Er habe die Schwäche, nur Leute, die vor ihm kriechen, zu protegieren; eine unabhängige Äußerung von Seite eines Beamten vertrage er nicht.“ Gleichzeitig aber warnte Mensdorff vor einer Ernennung Adam Potockis, der politisch völlig unzuverlässig sei. Esterházy, ebenfalls erst nachträglich informiert, schließt sich dem Urteil Mensdorffs an, warnt „nachdrücklichst“ vor Potocki und erklärt sich „subsidiarisch“ mit der Ernennung Gołuchowskis einverstanden, „ohne übrigens die großen Schattenseiten dieser Wahl zu verkennen“. Graf Agenor Gołuchowski wurde am 29. September 1866 zum Statthalter von Galizien ernannt81.

|| S. 42 PDF || Was diese Ernennung bedeutete, wurde klar, als Baron Beust in der Ministerratssitzung vom 6. Februar 1867, also am Tag vor dem offiziellen Rücktritt Belcredis82, ein Promemoria Gołuchowskis vorlegte, das eine künftige Sonderstellung Galiziens ins Auge faßte. Es war der Ausdruck der slawischen „Parallelbewegung“, wie sie in Galizien den Ausgleich mit Ungarn begleitete: es sei „gegenwärtig der geeignete Moment gekommen, den Wünschen des Landes Rechnung zu tragen“ sowohl durch eine Erweiterung der Befugnisse des Landtages als auch durch die Gewährung einer Sonderstellung Galiziens in der Verwaltung. In der ersten Beziehung sollten besonders Gemeinde-, Kirchen- und Schulangelegenheiten der Kompetenz des Landtages zugesprochen werden; in der zweiten sollte Galizien eine eigene Zentralstelle erhalten, die für politische Administration, Kultus und Unterricht, Justiz und Finanz kompetent wäre; endlich sollte ein eigener Oberster Gerichtshof für dieses Land zuständig sein.

Baron Beust leitete die Diskussion ein; über die Berechtigung der Forderungen verlor er kein Wort; gegenwärtig sei es sehr wichtig, die Polen zum Eintritt in den engeren Reichsrat, wie er ihn befürwortet hatte, zu bringen; also solle man ihnen einige Konzessionen gewähren. Bei dem Einfluß, den Gołuchowski gegenwärtig auf seine Landsleute ausübe, wäre es verfehlt, dessen Propositionen ganz abzulehnen. Man solle sich mit ihm in Unterhandlungen über die Erweiterung der Kompetenz des Landtages einlassen, zumal man eine solche Erweiterung auch anderen Landtagen, besonders dem böhmischen, in Aussicht stellen könne. Der Justiz-, der Handels- und vor allem der Kriegsminister sprachen sich weit negativer aus. Komers wies auf das „immerdar der Ah. Dynastie treuergebene Volk der Ruthenen“ hin; Gołuchowskis Konzessionen würden in Galizien die Vorherrschaft der Polen begründen, die „sonst so treue ruthenische Bevölkerung“ der österreichischen Monarchie entfremden und sie Rußland in die Arme treiben. Mit eventuellen, vorsichtig abgegrenzten Konzessionen zur Erweiterung der Landesautonomie wolle er sich einverstanden erklären. Nach der Ansicht von Wüllerstorf konnten die Einheit und die Macht Österreichs auch im Falle des Dualismus noch aufrechterhalten werden; bei einem Föderalismus, wie ihn Gołuchowski vorschlage, wäre dies unmöglich. Das Protokoll vermerkt ferner: „Freiherr v. John drückte sich kurz dahin aus, ein solches Vorgehen, wie es Graf Gołuchowski verlange, könnte er nur als den Anfang vom Ende ansehen.“ Der ungarische Hofkanzler erklärte am Schluß der Diskussion, die Argumente, die Beust bei Eröffnung des Ministerrates vorgebracht hatte, seien zutreffend: es sei notwendig, die Polen in den engeren Reichsrat zu bringen; aber ohne bestimmte Zusicherungen an Gołuchowski werde dieser seinen Einfluß auf seine Landsleute nicht geltend machen.

Der Kaiser faßte zusammen: Gołuchowskis Antrag auf Errichtung einer eigenen galizischen Hofkanzlei könne nicht angenommen werden; hingegen könne eine vorsichtig abgegrenzte Erweiterung der Kompetenzen des Landtages gewährt werden.

Finanzen - Retrodigitalisat (PDF)

In seinem Regierungsprogramm vom Juni 1865 hatte Belcredi geschrieben: In Fragen der Staatsfinanzen „auf eine Erleichterung der Bevölkerung hinzuarbeiten, ist eine der ersten, ganz unabweisbaren Pflichten der Regierung, und so schwierig auch die Aufgabe der Regierung ist, ihre Lösung muß in Angriff genommen werden, und dies zwar ohne Zögern, wenn eine hereinbrechende finanzielle Krisis nicht alle politischen Kombinationen in der drohendsten Weise in Frage stellen soll83“. Zehn Monate später stand der Krieg vor der Tür mit schier unübersehbaren finanziellen Belastungen.

Schon bei der Ministerratssitzung vom 8. April 1866, der ersten, die sich mit der Frage der finanziellen Kostendeckung im Kriegsfalle zu befassen hatte – „Herbeischaffung der für den Fall des Ausbruches eines Krieges nötigen Geldmittel“, hieß Punkt VI der Tagesordnung –, griff man nach einem außerordentlichen, eigentlich verzweifelten Mittel. Das Protokoll berichtet darüber in bezeichnenden Worten: „Nachdem Herr Sektionschef v. Becke in das Sitzungszimmer einberufen worden, sprach sich derselbe über den in Frage liegenden Gegenstand im wesentlichen folgendermaßen aus: Die leichteste Art, Geldmittel von einem Belange, wie er für den Anfang des Krieges wenigstens erforderlich ist, herbeizuschaffen, liege in der Einziehung der Banknoten zu 1 Gl. und 5 Gl. zuhanden des Staates.“ 112 Millionen Banknoten auf diese Beträge seien im Umlauf; laut Bankstatut habe die Nationalbank „nur das Recht zur Emission von Banknoten zu 10 fl. und höher“; wenn also die im Umlauf befindlichen Noten zu 1 fl. und 5 fl. eingezogen und im gleichen Betrag Staatsnoten ausgegeben würden, so stehe dieser Betrag dem Fiskus zur Verfügung. Um die Berechtigung zu diesem Bravourstück ging dann die Diskussion; Einstimmigkeit darüber wurde zwar nicht erzielt, aber schließlich sprach sich die Konferenz einstimmig für die Annahme des Vorschlags des Retters in der Not, des Sektionschefs v. Becke, aus, der hierauf sofort mit einem neuen Vorschlag hervortrat: ein Pfandleihgeschäft mit der Boden-Credit-Anstalt auf Staatsgüter im Betrage von 50 bis 60 Millionen, das der Ministerrat, falls die Forste in den Grenzbezirken ausgeschlossen würden, positiv erledigte. Aber gegen die Berechtigung auf Umwandlung der Noten von 1 fl. und 5 fl. in Staatsnoten wurden noch in der Sitzung vom 14. April schwere Bedenken erhoben; selbst Sektionschef Becke erklärte nun, daß diese Maßregel „immerhin eine Art Gewaltmaßregel sei, die nur im Gebote der Staatsnotwendigkeit erfolge“, und schärfer noch sprach sich der zugezogene Sektionsrat Blaschier vom Staatsministerium aus.

Um das Gesetz zur Umwandlung der Noten nicht – oder noch nicht – herausgeben zu müssen, genehmigte der Ministerrat am 19. April die Verpfändung der Staatsgüter an die Boden-Credit-Anstalt84, aus der der Finanzverwaltung sofort 12 Millionen Gulden zufließen sollten. Im Ministerrat vom 22. April wurde bekannt, daß infolge von Gerüchten über die Ausgabe von Staatsnoten die Nationalbank einen Protest an die Finanzverwaltung eingebracht hatte. Sektionschef || S. 44 PDF || Becke bestätigte die Richtigkeit der Nachricht und fügte hinzu, der Ministerrat habe sich geeinigt, daß eine Verletzung der Bankakte nicht stattgefunden hätte; übrigens würde „das Gebot der absoluten Staatsnot­wendigkeit ein Hinwegsetzen über ein allfälliges derartiges Bedenken jedenfalls rechtfertigen“.

Zu Beginn des Ministerrates vom 1. Mai stand die Erklärung des Kriegsministers, daß man es nunmehr, da damit zu rechnen sei, daß die gesamte österreichische Armee auf Kriegsfuß gesetzt werde, „mit kolossalen Ziffern zu tun haben werde“. Für den Monat Mai würde sich dann ein Defizit von 9,500.000 fl. ergeben, wobei angenommen sei, daß die Eingänge aus den Länderkassen so einfließen, wie erwartet wird, „was aber großen Zweifeln unterliegt“. Wenn nicht abgerüstet werde, hielt Baron Becke es aber für unumgänglich, das Gesetz zur Umwandlung der Banknoten von 1 fl. und 5 fl. zu publizieren und „mit der Nationalbank in kategorischer Weise vorzugehen“. Belcredi äußerte Bedenken, Becke pflichtete unbedenklich bei, gleichfalls der sonst eher renitente Justizminister. Der Staatsminister unterbrach die Konferenz, um sich zum Kaiser zu begeben und ihn zu ersuchen, den Vorsitz bei der Fortsetzung der Besprechung zu übernehmen, da er sich scheute, den Ministerrat allein die Verantwortung für diese Entscheidung tragen zu lassen.

In Anwesenheit des Monarchen wiederholte Becke die früher angeführten Ziffern und erklärte, daß ohne die Umwandlung der Banknoten man nicht einmal in der Lage wäre, die Maicoupons auszuzahlen, „eine Kalamität, die um jeden Preis vermieden werden müsse“. Ebenso erklärte der Finanzminister die Umwandlung für unvermeidlich. Mensdorff und Esterházy betonten den ungeheuren Eindruck, den ein solcher Entschluß im Ausland machen werde; Belcredi wiederholte, daß der gegenwärtige Zustand absolut unerträglich sei, er führe zum sicheren Ruin der Monarchie. Der Kaiser erklärte, der Krieg wäre jetzt unvermeidlich; in jeder Beziehung müsse man sich gut auf ihn vorbereiten: das Gesetz über die Umwandlung der Noten von 1 fl. und 5 fl. wurde hierauf beschlossen und am 5. Mai publiziert. Gerüchte, daß eine solche Maßnahme geplant sei, hatten die Nationalbank bereits am 19. April 1866 zu einer Rechtsverwahrung veranlaßt, die aber von der Regierung nicht beantwortet wurde85.

Bei der Besprechung des nächsten Punktes, der Placierung der 60 Millionen Gulden Pfandbriefe, verlangte der Monarch, daß diese „Kreditoperation“ geheimgehalten werde.

Zu einer schärferen Diskussion gab der Bericht der „Kommission zur Kontrolle der Staatsschuld“ im Ministerrate vom 19. Mai Anlaß, und die Schärfe des damit verbundenen Schriftwechsels zwischen Kommission und Finanzministerium ist im Österreich der Sistierungsperiode einzigartig86. Das stetige Anwachsen der Staatsschuld veranlaßte die Kommission, am 11. Mai 1866 in den Bericht über das Jahr 1865 die Sätze aufzunehmen: „Wenn sich … die Überzeugung aufdrängen mußte, daß in Österreich die Mitwirkung der Volksvertretung … || S. 45 PDF || bei der Verwaltung der Reichsfinanzen durch längere Zeit ohne die schwersten Nachteile nicht mehr entbehrt werden könne, so wird diese Überzeugung geradezu unwiderleglich angesichts der Verwicklungen, welche gegenwärtig den Frieden bedrohen, und der im Drange der Verhältnisse ergriffenen finanziellen Maßregeln.… Wenn [die Reaktivierung einer aus der Wahl der Reichsvertretung hervorgegangenen Staatsschulden­kontrollskommission] für einen Staat, dessen Kredit geschwächt ist, unter allen Verhältnissen von hoher Wichtigkeit erscheint, so wächst ihre Wichtigkeit, ja sie wird geradezu unentbehrlich in Zeiten, wo an den Patriotismus und die Opferwilligkeit der Völker die schwersten Anforderungen gestellt werden87.“ Hierauf wurde der Kommission, an deren Spitze Fürst Franz Josef Colloredo-Mannsfeld stand, von der Regierung eine Rechtsbelehrung zuteil, die an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrigläßt. Sie habe „ihren ganz zugunsten der Regierung lautenden Fachbericht … durch die am Schlusse beigesetzten allgemeinen Erwägungen, in denen sie von einem einseitigen Standpunkte die brennende staatsrechtliche Frage anregt, in seinem günstigen Eindrucke möglichst abzuschwächen gesucht88“. Während man sich im Ministerrat am 19. Mai darüber einig war, daß auf die Kritik des Kommissionsberichtes eine offizielle Berichtigung erfolgen müsse, wurden in der Konferenz doch auch bei dieser Gelegenheit Stimmen hörbar, daß ein Bekenntnis der Regierung zur geplanten Rückkehr konstitutioneller Verhältnisse auszusprechen sei. Nachdem Komers, wie zu erwarten war, sich in diesem Sinne geäußert hatte, nahm auch Mensdorff das Wort: Es würde „das Volk sehr befriedigen, wenn der Wiedereintritt verfassungsmäßiger Zustände nicht ad calendas graecas geschrieben bleibt. Auf etwas müsse sich die Regierung stützen können, sie müsse trachten, den Geist der Bevölkerung zu wecken, sonst werden ihr die Geldquellen versiegen …“. Der Minister des Äußern hielt es daher für notwendig, „irgendeine Hoffnungsphrase auf die Zukunft“ in die Erwiderung einzuschalten. Dieser Antrag fand allseitig Anklang, und der Staatsminister versprach, ihm in nicht allzu präziser Fassung Ausdruck zu geben89.

Da das Gesetz über die Umwandlung von Banknoten in Staatsnoten für die „lombardisch-venezianischen“ Provinzen nicht wirksam war, wurde, um der „iustitia distributiva“, wie der ungarische Hofkanzler sagte, genugzutun und da alle anderen österreichischen Länder „seit dem vorigen Monate um 25% ärmer geworden seien, während das Vermögen in Lombardo-Venetien sich gleichgeblieben ist“, für diese im Ministerrat vom 22. Mai ein Zwangsanlehen von 12 Millionen Gulden ausgeschrieben. Die Warnungen des Staatsrates Baron Holzgethan „aus politischen, rechtlichen, volkswirtschaftlichen und finanziellen Gründen“ blieben vergeblich. Der Versuch führte zu einem kompletten Fiasko: statt der erwarteten 12 Millionen gingen nur 548.000 fl. ein90.

|| S. 46 PDF || Am Tage nach Königgrätz, am 4. Juli, erfolgte die Mitteilung des Finanzministers an die Ministerkonferenz, daß „von der letzten Finanzmaßregel nur mehr 27 Millionen fl. vorhanden sind91“. Gleichzeitig unterbreitete er einen Gesetzentwurf, wonach ihm ein Kredit von 200 Millionen Gulden eröffnet und er ermächtigt wurde, diesen „entweder durch ein freiwilliges Anlehen oder durch Emission von Staatsnoten oder endlich durch eine Kombination beider Maßregeln zu effektuieren“; die Bankakte von 1862 wäre zu suspendieren. „Die Konferenz erklärte sich sonach mit dem Antrage des Finanzministers aus Rücksicht unvermeidlicher Notwendigkeit einverstanden.“ Der notwendige Gesetzentwurf wurde am 7. Juli genehmigt. Daran änderte nichts, daß die Nationalbank am Tag darauf gegen die Eröffnung des Kredits von 200 Millionen feierliche Rechtsverwahrung einlegte92. Aber am 20. August erwies sich, daß die am 4. Juli vorgesehene Kreditsumme wiederum beinahe verbraucht war. Um bis zum Jänner 1867 auszukommen, wurde ein neuer Kredit von 140 Millionen Gulden benötigt; die Summe wurde durch Neuhinausgabe von Staatsnoten, durch fünfprozentige Staatsschuldverschreibungen und Partialhypothekaranweisungen herbeigeschafft. Es war die dritte und letzte Rate, in der sich das Königgrätz der österreichischen Finanzen vollendete, und „Österreichs Californien lag wieder einmal in der Papierfabrik von Schlöglmühl93“. „Unter diesen Umständen hielt alle Welt den Staatsbankrott für unausbleiblich94.“

Der Ministerrat vom 28. September hatte zu einem Antrag der Staatsschuldenkontrolls­kommission Stellung zu nehmen, der die Ausübung der Kontrolle über die Höhe der Emission von Staatsnoten sicherstellen sollte. In diesem Antrag heißt es: „Die Kontrolle der Kommission muß … gegenüber der Finanzverwaltung selbst geübt werden und dahin gerichtet sein, daß nicht durch Verfügungen derselben dem kundgemachten Gesetze zuwidergehandelt werde; sie soll und kann nur darüber Beruhigung gewähren, daß keine Anordnung des Finanzministeriums in Wirksamkeit treten könne, wodurch eine Vermehrung der in Wertzeichen bestehenden schwebenden Schuld über die im Gesetze bestimmte Maximalgrenze hinaus herbeigeführt würde, eine Beruhigung, welche mit Rücksicht auf Vorgänge der Vergangenheit um so wichtiger erscheint.“ Auch ohne die abschließenden Worte des letzten Satzes war es ein klares Mißtrauensvotum gegen die Finanzgebarung der Regierung, das der Ministerrat wohl verstand. Um aber keine Unklarheit aufkommen zu lassen, fuhr der Antrag der Kommission fort: Daraus ergebe sich die Notwendigkeit eines allgemein kundgemachten Gesetzes, welches sämtliche der Finanzverwaltung unterstehenden Beamten bei ihrem Diensteide und unter persönlicher Haftung verpflichtet, Aufträgen des Finanzministeriums, welche sich auf die Anfertigung und Hinausgabe von Staatsnoten beziehen, von welcher Art dieselben immer sein mögen, nur || S. 47 PDF || dann Folge zu leisten, wenn sie mit der Kontrasignatur der Kommission versehen sind, im entgegengesetzten Falle aber unter Berufung auf das gegenwärtige Gesetz die Folgeleistung zu verweigern95. Der Staatsminister bezeichnete diesen Entwurf als ungeeignet, um vom Monarchen genehmigt zu werden; er würde „nicht allein die Disziplin der Beamten lösen, sondern auch den Kredit der Finanzleitung im Publikum erschüttern“. Becke erklärte, „er habe mit dem Hofrate Taschek, der die Seele der Kontrollskommission sei, ein Pourparler über diesen Gegenstand gehalten, Taschek habe sein Bedauern, zugleich aber seine Überzeugung ausgedrückt, daß die Kommission von ihrem Begehren nicht abstehen werde“. Trotzdem arbeitete die Regierung einen Gegenentwurf aus, den die Konferenz mit einer leichten Korrektur annahm.

Die Kommission lehnte aber jede Kompromißlösung ab, bezeichnete eben die vom Ministerrat besonders beanständete Stelle als „die Kardinalbestimmung des Gesetzes, ohne welche sie ihre Funktion nicht mit Beruhigung erfüllen könnte“. In der Besprechung des Ministerrates am 23. November gab Sektionschef Becke seine Ansicht dahin ab, daß die Tendenz der Kommission „faktische Opposition [sei], und bei einem Gesetze, welches gegen den Gehorsam aufhetze, könnte kein Minister die Verwaltung führen“. Trotzdem einigte sich der Ministerrat auf einen neuerlichen Kompromißvorschlag, und dieser wurde nach einer Revision durch den Staatsrat an die Staatsschuldenkontrollskommission übermittelt96. Nunmehr erging an den Präsidenten der Kommission ein Handschreiben des Kaisers vom 21. Dezember 1866, das sich auf den Vortrag der Kommission vom 14. September beruft und die Bereitschaft des Monarchen ausdrückt, ein Gesetz zu erlassen, welches die Anfertigung von Staatsnoten betreffende Erlässe „an die Gegenzeichnung der Kommission bindet, dergestalt jedoch, daß dieses Gesetz in einer Form gefaßt werde, welche die Stellung und das Ansehen der Exekutive nicht verletzt97“. Gleichzeitig übersandte der Kaiser den letzten vom Ministerrat ausgearbeiteten Gesetzentwurf mit der Bemerkung, daß er „der beschleunigten Vorlegung“ des Gutachtens der Kommission entgegensehe. In ihrer Antwort berief sich die Kommission auf ihre Verpflichtung gegenüber „der künftigen Reichsvertretung … ihre gesamte Wirksamkeit vor derselben zu rechtfertigen“; sie übernehme damit eine schwere moralische Verantwortlichkeit. Hierauf erstattete sie eine Reihe von gemäßigten Abänderungsvorschlägen und ersuchte um wenigstens teilweise Veröffentlichung des Vortrages vom 14. September; dadurch allein könne in Verbindung „mit der Erlassung des beantragten Gesetzes die angestrebte volle Aufklärung und Beruhigung gewährt werden“. In der Sitzung vom 2. Jänner 1867 verstand sich der Ministerrat „nach reiflicher Erwägung“ zu der Erkenntnis, „daß eine prinzipielle Meinungsverschiedenheit zwischen dem Entwurfe des Ministeriums und dem neuesten Entwurfe der Kommission nicht mehr obwalte“. Auch die Veröffentlichung des größten Teils des Vortrags vom 14. September unterlag jetzt keinem Anstand. Das Gesetz erhielt am || S. 48 PDF || 8. Jänner 1867 die kaiserliche Sanktion; in ihrer ruhigen, konsequenten Vorgangsweise hatte die Kommission zur Kontrolle der Staatsschuld einen Erfolg errungen, der auch auf dem politischen Felde Bedeutung erlangen konnte.

Innere Politik - Retrodigitalisat (PDF)

Die Vordringlichkeit der beiden großen Probleme: Krieg mit Preußen und Ausgleich mit Ungarn, brachte es mit sich, daß die Fragen der inneren Politik in den zehn Monaten bis Februar 1867 bei den Ministerberatungen sehr in den Hintergrund traten, ja daß selbst ein Gegenstand, dem im vorhergehenden Zeitabschnitt besonders große Bedeutung zugemessen wurde, nämlich die Eisenbahnen, seine Existenz nur noch am Rande fortfristete. Großzügiges wurde in keinem Bereich der inneren Politik vorgenommen; was nun geschah, war Flickwerk.

Bemerkenswert in gewissem Sinne ist, daß in einer Diskussion wegen Vergütung an die Verlassenschaft eines Felix Tallachini infolge von Verlusten, die der Erblasser bei Eisenbahnbauten in Ungarn erlitten hätte, und wo „ein Gnadengeschenk“ von 300.000 fl. vom Finanzminister beantragt wurde, der Justizminister den Ministerrat daran erinnerte, „daß einmal der Tag kommen wird, an welchem das Ministerium alles, was es auf Grund des Ah. Patentes vom 20. September 1865 verfügt hat, vor einem Vertretungskörper wird rechtfertigen müssen“. Wie bei früheren Gelegenheiten hielt zumindest Komers auch jetzt an der Anschauung fest, daß die durch das Septemberpatent verfügte Sistierung einem normalen konstitutionellen Regime Platz machen werde. „Dann werde es nicht angehen, daß das Ministerium sich auf Ah. Befehle beruft, weil es nicht angeht, aus dem Ah. Namen Sr. Majestät einen Schild zu machen, um das Ministerium damit zu decken.“ Der Ministerrat strich daraufhin das beantragte Gnadengeschenk98.

In engstem Zusammenhang mit der militärischen Katastrophe stand der Beratungsgegenstand der Konferenz vom 1. September, der die Anschaffung neuer Hinterladergewehre betraf. Der Kaiser faßte zusammen, was jedermann nicht nur innerhalb des Ministerrates wußte: die bei dem Feldzug der Nord-Armee gemachte Erfahrung, daß es notwendig sei, die Armee mit Hinterladern zu versehen. Wohl sei es die Aufgabe Österreichs, auf lange Zeit an keinen Krieg zu denken; aber die Lage in Europa sei derart, daß man des Friedens nie vollkommen sicher sein könne. Andererseits erfordere die Anschaffung der neuen Gewehre enorme Kosten; man schätze sie auf 20 Millionen Gulden. Um den Bedarf der Armee zu decken, sei eine Frist von zwei Jahren erforderlich. Über die Möglichkeit, die erforderlichen Geldmittel zu beschaffen, sollte Sektionschef Becke Auskunft geben; diese lautete düster. Wenn man alle erzielbaren Ersparungen in der Verwaltung in Rechnung stelle, ergebe sich noch immer ein jährliches Defizit von 50 Millionen, eine Summe, die in nicht ferner Zeit zum Bankrott führen müsse.

|| S. 49 PDF || „Nur durch eine andere Heeresorganisation sei es möglich, dieses Defizit auf einen Betrag herabzumindern, der nicht mehr als eine Störung des Gleichgewichtes zwischen Einnahmen und Ausgaben angesehen werden könne.… wenn von Seite des Kriegsministeriums zu Ersparungen wirksame Hand geboten werde, wenn man sogleich mit einer namhaften Armeereduktion vorgehe, dann dürften nicht unbeträchtliche Summen zur freien Verfügung stehen und könnten diese zur Anschaffung neuer Hinterladungsgewehre verwendet werden.“ Der Stellvertreter des Kriegsministers gab die Versicherung, „daß man zu Ersparungen Hand bieten werde, wo immer diese nur möglich seien“, und auch der Staatsminister stellte die Möglichkeit von Ersparnissen bei einer neuen Verwaltungsorganisation in Aussicht. Nochmals nahm Baron Becke das Wort, um die Anwesenden zu ersuchen, daß von der Summe, die für die Anschaffung der Hinterladergewehre erforderlich sei, nichts verlautbare, „weil dieses einen üblen Eindruck auf die Börse machen könnte“.

In der folgenden Woche diskutierte der Ministerrat die Grundsätze, nach denen die Vergütungen für die aus dem Krieg herrührenden Schäden behandelt werden sollten99. Prinzipiell wurde festgestellt, daß Operationsschäden, die Folgen von Kämpfen oder von Marschbewegungen seien, vom Staate nicht vergütet würden. Belcredis Anregung, zur Gutmachung solcher Schäden die Länder zu veranlassen, wurde keine Folge gegeben. Der Staatsminister klagte, daß die Landesvertretungen ein Mittel, sich beliebt zu machen, ungenützt vorübergehen ließen. Auch der Ministerrat zeigte wenig Bereitwilligkeit, diesem Übelstand abzuhelfen; doch habe sich Baron Becke „diesmal“ jedoch bereit erklärt, die Requisitionen durch den Feind bedingungsweise zu ersetzen, da sonst Böhmen, Mähren und Niederösterreich zu stark „devastiert“ wären; auf solchem Wege würde „die Steuerfähigkeit dieser Länder wieder ermöglicht“. Dabei müsse man aber auch die Leistungsfähigkeit des Staates berücksichtigen: 2 bis 3 Millionen Gulden könnten wohl gegeben werden, nicht aber etwa 15 Millionen. Auch sei der Kleingrundbesitzer mehr zu bedenken als der Großgrundbesitzer. Bei den besonders argen Verwüstungen der Gemeinden im Gebiet des Schlachtfeldes von Königgrätz, die zufolge der angenommenen Grundsätze ohne jede Unterstützung geblieben waren, so daß die Wohngebäude noch immer abgedeckt verblieben und es an Samen zum Anbau und an Lebensmitteln für den Winter fehlte, erkannte der Staatsminister „selbstverständlich einen unabweislichen Bedarf, eine außerordentliche Unterstützung der dortigen Bevölkerung zukommen zu lassenb “. Baron Becke plädierte für Vorsicht bei Zusagen von seiten des Staates; immerhin, „wo solche Verwüstungen vorkommen, die einem Elementarunglücke gleichkommen“, lautete das Votum des humanen Sektionschefs, „müsse die politische Verwaltung helfen, um die Leute steuerkräftig zu erhalten … Wenn die Hilfe mit ein paarmal hunderttausend Gulden als Vorschuß gegen Garantie [!] geholfen [sic!] werden könne, habe er… dagegen nichts zu erinnern.“ Unter dem Titel „Notstand“ wurden den Hilfsbedürftigen einige hunderttausend Gulden gegen solidarische Haftung der || S. 50 PDF || Gemeinden als unverzinsliches Darlehen bewilligt. Ganz glatt scheint das Benehmen der okkupierenden preußischen Soldaten nicht gewesen zu sein100.

Während der dreiwöchigen Reise, die der Kaiser in die am härtesten vom Kriege heimgesuchten Gebiete unternahm, stellten sich Unzulänglichkeiten bei der Durchführung der Kriegsent­schädigungen heraus; im Ministerrat vom 12. November drang Franz Joseph auf Beschleunigung; wo kein endgültiger Abschluß des Verfahrens in naher Aussicht stand, sollten ausreichende Abschlagszahlungen gewährt werden, „um den Beschädigten in ihrer Not aufzuhelfen“. Becke versicherte nun, daß man sich beeilen werde, dem Wunsch und Befehl des Monarchen nachzukommen, aber die benötigten Summen überstiegen die Veranschlagungen bei weitem. Belcredi hob die Ungerechtigkeit der angenommenen Grundsätze für Entschädigungen hervor, denen zufolge man für Requisitionen Gutmachungen leiste, nicht aber für Schäden, die durch militärische Operationen verursacht waren. Becke verwies demgegenüber auf die Möglichkeit, krassen Unbilligkeiten durch Gnadenakte abzuhelfen, warnte aber davor, jetzt irgendwelche neue Verpflichtungen des Staates anzuerkennen101.

Als das Kabinett Belcredi am 2. Jänner 1867 das Patent erließ, auf Grund dessen die Landtage aufgefordert wurden, Abgeordnete für einen außerordentlichen Reichsrat zu wählen, sandte der Staatsminister aus Anlaß dieser Neuwahlen Weisungen an die Beamten. Im Ministerrate, der an diesem Tage abgehalten wurde, führte der Staatsminister aus, daß seine Regierung nicht daran denke, das Recht des Beamten, „nur nach seiner Überzeugung zu stimmen“, zu verletzen. Aber er fuhr fort: „Wenn zwischen der Überzeugung und dem Rechte des Beamten, als Staatsbürger nach dieser zu handeln, und anderseits zwischen den Pflichten seiner amtlichen Stellung und dem Rechte der Regierung, deren getreue Erfüllung zu verlangen, ein Konflikt obwaltet, sei es Sache des Beamten, sich zu entscheiden, nicht aber Sache der Regierung, diesen Konflikt dadurch zu lösen, daß sie ruhig dem erschütternden Beispiele der Anarchie, welches ihre eigenen Organe der Bevölkerung vorführen, zusieht …“ Die hauptsächlich stilistischen Änderungsvorschläge Beusts dienten nur einer präziseren Formulierung der Gedanken des Staatsministers, die der Ministerrat einstimmig zum Beschluß erhob. Es hieß in der Instruktion: „Welchen Eindruck müßte es aber auf diese [die Bevölkerung] machen, wenn die eigenen Regierungsorgane bei so hochwichtigen Wahlen wie die bevorstehenden nicht nur kraft- und tatlos sich benehmen, sondern selbst an Wahlagitationen sich beteiligen, die gegen die wohlmeinenden Absichten der Regierung gerichtet sind.… Die Regierung ist es den heiligsten Interessen des Thrones und des Staates schuldig, ein solches Benehmen nicht zu dulden …“ Dieser Instruktion hatte Beust zugestimmt.

|| S. 51 PDF || Am 12. November 1866 gelangte im Ministerrat ein Gegenstand zur Verhandlung, der sich in die in der Versammlung im allgemeinen vorherrschende Atmosphäre nicht leicht einfügt, der sich aber aus der allgemeinen politischen Geschichte des letzten halben Jahres erklärt. „Se. Majestät sprach den bestimmten Befehl aus, daß auf die entschiedenste Art dem Einflusse des in einigen Kronländern noch vorhandenen italienischen Elementes entgegengetreten und durch geeignete Besetzung der Stellen von politischen, Gerichtsbeamten, Lehrern sowie durch den Einfluß der Presse in Südtirol, Dalmatien und dem Küstenlande auf die Germanisierung oder Slawisierung der betreffenden Landesteile je nach Umständen mit aller Energie und ohne alle Rücksicht hingearbeitet werde. Se. Majestät legt es allen Zentralstellen als strenge Pflicht auf, in diesem Sinne planmäßig vorzugehen.“ Damit war Punkt VI der Tagesordnung dieses Ministerrates erschöpft; es fand keinerlei Diskussion statt. Der Staatsminister erließ bereits zwei Tage später ein Schreiben an den Statthalter von Triest und Küstenland102, in dem er es zur Pflicht machte, nicht nur „dem Umsichgreifen des italienischen Elementes“ entgegenzuwirken, sondern auch Sorge zu tragen, daß „dessen Zurückdrängung und Einschränkung planmäßig verfolgt werde“. Konsequent angewandt hätte diese Bestimmung zu einer Änderung des Geistes der Schmerlingschen Wahlordnungen führen müssen, da diese eben im Küstenland eine Bevorzugung des städtisch-italienischen Elementes gegenüber dem ländlich-slawischen bezweckten. Zu einer solchen generellen Neuordnung kam es nicht, wohl aber glauben wir eine Wirkung des kaiserlichen Befehls vom 12. November in zwei Einzelfällen beobachten zu können.

Der erste betraf das Bemühen, dem Überwiegen der italienischen Sprache im Gerichtsverfahren des Küstenlandes entgegenzutreten. Der Justizminister wies darauf hin, daß dies im Bereich des Möglichen ohnehin geschehe. Wohl aber gab Komers zu, daß in Istrien das Italienische sich allmählich zur Geschäftssprache herausgebildet habe. Er bezweifelte, ob es politisch klug wäre, im gegenwärtigen Augenblick die deutsche Sprache als Geschäftssprache einzuführen103. Demgegenüber äußerte Belcredi sein Bedauern, daß man es aufgegeben habe, in allen Ländern der Monarchie die deutsche Sprache als Geschäftssprache beizubehalten. „Solange man die deutsche Sprache nicht als die Geschäftssprache einführe, werde man keine ordentlichen und verläßlichen Beamten haben, insbesondere nicht in Istrien, wo nur die deutschen und die slawischen Beamten gut österreichisch gesinnt sind und die Italiener das Agitieren gegen die österreichische Regierung niemals lassen werden. In Istrien müsse germanisiert werden.“ Mit der angeblich antideutschen Einstellung Belcredis stimmt dieser Ausruf wenig überein; er ist ein weiteres Zeugnis für das, worauf es ihm ankam; nicht deutsch oder slawisch war sein Bekenntnis, es war österreichisch104. Er war daher bereit, sofort die Einführung der deutschen Geschäftssprache bei den Gerichten in Triest, Istrien und Görz anzuordnen. Alle Teilnehmer des Ministerrates schlossen sich dem Staatsminister an.

|| S. 52 PDF || Der nächste Punkt der Tagesordnung betraf die Amnestierung des ehemaligen Sekretärs des Görzer Gemeinderates Dr. Carlo Favetti, „eines gefährlichen Wühlers“, auf den, da er Südtiroler war, die Amnestiebestimmungen des Friedensvertrages mit Italien nicht in Anwendung kamen. Während der Statthalter von Triest sich entschieden gegen die Amnestierung dieses „höchst gefährlichen Agitatoren“ ausgesprochen hatte, verwendete sich der Außenminister für die Nachsicht der Strafe. Der Staatsminister hielt es für notwendig, diesen gefährlichen Menschen, der leidenschaftlich für die Losreißung Südtirols von Österreich tätig gewesen war, wenigstens so lange noch „in der wohlverdienten Strafhaft“ zu halten, bis die Wahlen vorüber seien. Als aber der Justizminister am 14. Februar 1867 die Amnestierung Dr. Favettis beantragte, erfolgte diese zwei Tage darauf105.

Eisenbahnen - Retrodigitalisat (PDF)

Die Eisenbahnen, die, wie erwähnt, in der ersten Periode des Ministeriums Belcredi zum Maßstab der fortschreitenden Industrialisierung und der zunehmendem Verflechtung der Monarchie mit dem Westen geworden waren, haben nun diese ihre Bedeutung verloren, und auch dort, wo hier Neues zustande kommt, ist es meist Flickwerk; es entbehrt eines leitenden Gedankens. In ganz besonderem Ausmaß gilt dies für die östliche Reichshälfte, die der Förderung vor allem bedurft hätte.

Wohl legte am 19. Juni 1866, also zwei Tage nach der Veröffentlichung des österreichischen Kriegsmanifestes, Baron Wüllerstorf ein von ihm ausgearbeitetes großes Memoire vor106, in dem er die von ihm geplante Vervollständigung des Bahnnetzes der Monarchie auseinandersetzte: die wichtigsten Produktionszentren sollten mit den Hauptabsatzorten in Verbindung gebracht werden. Der Handelsminister beabsichtigte auch, sofort, noch „in dem heurigen Sommer“, für den Bau besonders wichtiger Linien – er nannte z. B. Großwardein, Kaschau, Przemyśl – mit den Vorarbeiten zu beginnen. „Solche Trassierungen … seien sehr ersprießlich; einerseits erleichtern sie die Baulust der Konzessionswerber und andererseits bewirken sie, wie die Erfahrung gezeigt hat, große Ersparnisse im Anlagekapitale und somit auch in der staatlichen Zinsengarantie107.“ Dieses Vorhaben wurde vom ungarischen Vizekanzler lebhaft unterstützt: Es werde in Ungarn den besten Eindruck machen, wenn die Bevölkerung sieht, daß die Regierung trotz ihrer Kriegssorgen dennoch für die materielle Wohlfahrt des Landes sorgt. Aber dem Antrag des Handelsministers wurde nicht stattgegeben; die für die Trassierungsarbeiten erforderlichen Kosten hätten eine Überschreitung des Präliminares erfordert. „Bei den ungeheuren Summen, die jetzt das Heer in Anspruch nimmt“, wurde die Zustimmung nicht erteilt. Immerhin wurde in der Sitzung vom 23. November für solche Arbeiten ein Nachtragskredit von 40.000 fl. bewilligt.

|| S. 53 PDF || Wie ein Motto für die Eisenbahnpolitik der österreichischen Regierung klingt der Satz, den der Handelsminister anläßlich des neuen Abkommens mit der Südbahngesellschaft am 16. April 1866 sagte: Der im allgemeinen Interesse so notwendige Ausbau des österreichischen Bahnnetzes setze voraus, daß die bereits bestehenden Bahnen gute Dividenden abwürfen. Österreich sei auf auswärtiges Kapital angewiesen, und zum guten Absatz der Aktien sei eine gute Rentabilität erforderlich. Für den konkreten Fall war die Ausführung des unentbehrlichen Sektionschefs Becke bezeichnend; dieser erklärte, er sei überzeugt, daß die Südbahn, falls die Steuerfreiheit aufhören würde, zugrunde gehen müßte. Dies würde aber bedeuten, daß, abgesehen von dem Bankrott der ersten Eisenbahngesellschaft in Österreich, auch das Welthaus Rothschild, dessen Interessen mit dieser Bahn sehr verknüpft seien, „für immer gegen Österreich disgustiert werden würde“. Die Südbahn müsse schon deshalb unterstützt werden, damit Österreich seinen Kredit in Paris nicht verliere. Infolge des Krieges mit Italien wurden Abänderungen an dem Abkommen notwendig; es wurde am 13. April 1867 endgültig abgeschlossen, und glücklicherweise wurde die Steuerfreiheit darin wieder verlängert108.

Ein komplizierter, aber eben für den Eisenbahnbau Ungarns in diesen Jahren bezeichnender Fall war der der Pest – Losoncer Bahn109; diese „zwar fallite, aber lebensfähige Unternehmung“ – oder, wie sie noch respektvoller genannt wurde, „eine der originellsten Eisenbahnerscheinungen“ – war nach Empfang beträchtlicher staatlicher Vorschüsse in Konkurs gegangen; nun wurden weitere Summen vom Staate angefordert, um den noch unvollendeten Bau zu vollenden und die Eisenbahn in Betrieb setzen zu können. Die Schwierigkeiten, in die das Unternehmen geraten war, wurden unter anderem auch durch den Umstand erklärt, daß eben diese Bahn eine staatliche Zinsengarantie weder verlangt noch erhalten hatte. Das vom Staatsrate eingeholte Gutachten lautete skeptisch: „Wohl habe der Finanzminister die Gewährung der [angesuchten] Subvention von 3 Millionen fr. als zulässig und angemessen erklärt, und werde diese Hilfe den Gläubigern der Gesellschaft, den Aktionären, Obligationenbesitzern sowie den Kreisen, die durch diese Bahn berührt werden, erfreulich erscheinen, sie werde sich jedoch nicht der beifälligen Zustimmung der übrigen Bevölkerung, namentlich unter den Steuerträgern, nicht einmal im Lande selbst zu erfreuen haben.“ Mailáth widersprach entschieden: Wenn sich der Staat zu einer nur ungenügenden finanziellen Hilfe entschlösse, so würde diese „das Schicksal der früheren Vorschüsse … von 1,200.000 Gulden teilen und unwiederbringlich in den tiefen Brunnen der Konkursmasse fallen …“. Es müsse ganz und rasch geholfen werden, wodurch auch „der Kredit dieser Bahn wiederhergestellt werde … Das Stadium, in dem sich diese Bahn jetzt befindet, nur halb ausgebaut, sei das schlechteste …“. Baron Becke110 brachte allgemein-volkswirtschaftliche Gesichtspunkte in die Diskussion: „Die Ermöglichung der Aufhebung des Konkurses sei … schon vom allgemeinen nationalökonomischen Gesichtspunkte sehr geraten.“ Der Ministerrat trat darauf || S. 54 PDF || für die Gewährung der angesuchten staatlichen Hilfe im vollen Ausmaße ein111. Infolge des durch die Kriegsereignisse eingetretenen Notstandes in Nordböhmen ersuchten auch die Konzessionäre und Gründer der „Böhmischen Nordbahn“ am 10. September 1866 um staatliche Unterstützung für ihr Unternehmen, das lediglich aus Privatmitteln ausgeführt worden war, und der Ministerrat erklärte sich bereit, daß der Staat zu den bereits gezeichneten 4 Millionen Gulden in Aktien noch weitere 4 Millionen übernehme.

Zwei Wochen später versuchte Baron Becke eine prinzipielle Entscheidung der Frage herbeizuführen, inwieweit Staatsgelder „zu produktiven Zwecken, insbesondere zur Unterstützung der projektierten neuen Eisenbahnen“ verwendet werden dürften112; die Debatte hierüber wurde jedoch auf den Zeitpunkt vertagt, zu dem der Staatsvoranschlag für das Jahr 1867 vorliegen würde. Am 8. Oktober aber wurde die Ministerkonferenz mit einer Reihe konkreter Fragen in Eisenbahnangelegenheiten befaßt, unter denen sich auch die über eine Konzession zum Bau und Betrieb einer neuen Bahn, der Kronprinz-Rudolf-Bahn, befand113. Der beantragte staatliche Vorschuß von 5 Millionen Gulden wurde dem Konsortium des Fürsten Josef Colloredo-Mannsfeld in der Sitzung am 13. November genehmigt.

Um ähnliche Gesichtspunkte und analoge Fragen handelt es sich bei dem zweiten Punkte der Tagesordnung der Ministerratssitzung am 8. Oktober, bei der von den Konzessionären der Franz-Josef-Bahn „der kleine Impuls“ von 5 Millionen für die volkswirtschaftlich und strategisch wichtige Bahn beansprucht wurde, damit „dem Lande als auch der am Notstande leidenden Bevölkerung eine wesentliche Unterstützung gewährt und überall in die dortigen Gewerbe- und Fabriksunternehmungen neues Leben werde gebracht werden“. Der Vorschuß wurde genehmigt.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung, die der Anlage neuer Eisenbahnen beigemessen wurde, erhellt aus der Ansprache des Monarchen an den Ministerrat am 12. November. Bei der Reise des Monarchen, die ihn vom 18. Oktober bis zum 9. November in die vom Krieg besonders stark heimgesuchten Gebiete geführt hatte, seien besonders dringende Wünsche in dieser Hinsicht bekanntgegeben worden. Der Eisenbahnbau wurde „mit Recht“ als das wichtigste Hilfsmittel bezeichnet, um den wirtschaftlichen Aufschwung notleidender Gegenden zu befördern. Der Kaiser richtete daher sofort nach seiner Rückkehr die Anfrage an den Handelsminister und den ungarischen Hofkanzler, „wie es mit der Anlage neuer Eisenbahnen stehe“. Die erteilten Antworten ergaben, daß vom Handelsministerium bisher 16,5 Millionen Gulden an Vorschüssen bewilligt und drei neue Bahnen projektiert seien; der ungarische Kanzler berichtete von 3 Millionen Gulden Bewilligungen und Verhandlungen über die Alfölder Bahn114.

Die Beratung wegen der Subventionierung der Alfölder Bahn, der „Lieblingsidee des Landes“, wie Mailáth sagte, führte am 10. Dezember zu einer sehr lebhaften || S. 55 PDF || Debatte, in der neben den üblichen volkswirtschaftlichen Argumenten auch politische nicht fehlten. Während der ungarische Kanzler die außerordentliche Notlage der vier betroffenen Komitate betonte, entgegnete der Finanzminister, daß nicht alles – und zumal im dermaligen Zustand – aus Staatsmitteln bezahlt werden könne. „Aus Ungarn gehen keine Steuern ein“, erklärte Larisch, „das Land sei schon mit 20 Millionen im Rückstande, und wenn diese ungünstigen Verhältnisse andauern und so fortgewirtschaftet wird wie bisher, könne man das Eintreten der Staatskrida in zwei Jahren mathematisch nachweisen.“ Aber der vom Justizminister vertretene Standpunkt drang durch: „Ungarn möge … sehen, daß die Regierung alles Mögliche tue, um dem Gedanken der Zusammengehörigkeit Ausdruck zu geben“, und alle Konferenzmitglieder mit Ausnahme des Finanzministers stimmten auch für die Gewährung der Subvention für das Alfölder Bahnprojekt.

Schließlich handelte es sich bei der Eisenbahnpolitik dieses Zeitabschnittes auch noch darum, den Konzessionären der Neumarkt – Braunauer Eisenbahn noch einige Sonderbegünstigungen zukommen zu lassen115. Schon im Ministerrat vom 22. November 1865 hatte der Finanzminister bei einem ähnlichen Anlaß erklärt, daß er die Besorgnis, das Unternehmen „dieser so augenscheinlich rentablen Bahn“ könne an der Verweigerung einer von einem Konzessionär angesuchten Begünstigung scheitern, für grundlos halte; denn wenn selbst Hirsch sich zurückziehen sollte, was nicht zu glauben ist, werde sich sofort ein anderes Konsortium für diese so lukrative Bahn finden. „So günstig wie die Neumarkt – Braunauer Bahn liege keine andere Bahn in Österreich116.“ Aber das Unwahrscheinliche geschah. Der königliche Hofbankier Hirsch in München trat zurück; wohl fand sich eine neue Kombination, aber auch die neuen Unternehmer verlangten Vergünstigungen. Das Protokoll stellt fest: „Nachdem der Handelsminister noch die Wichtigkeit dieser Bahn in nationalökonomischer und militärischer Beziehung hervorgehoben und im allgemeinen bemerkt hatte, daß man bei Bahnen, welche die Staatsgarantie nicht in Anspruch nehmen, mit dem Zugeständnisse solcher Begünstigungen nicht so sehr kargen sollte“, bewilligte die Ministerkonferenz die Forderungen dieser Konzessionäre.