Nr. 91 Ministerrat, Wien, 27. Juli 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Meyer; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 27. 7.), Mensdorff, Esterházy, Franck, Mailáth, Larisch 13. 8., Komers 13. 8.; außerdem anw.anwesend Károlyi; abw.abwesend Wüllerstorf.
MRZ. 91 – KZ. 2129 –
Protokoll des zu Wien am 27. Juli 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Ratifikation des Waffenstillstands mit Preußen
Ratifikation des Waffenstillstandes mit Preußen.
Graf Mensdorff gab der Versammlung Kenntnis: 1. von dem von den beiderseitigen Kommissarien in Nikolsburg abgeschlossenen Waffenstillstande, welcher mit dem 2. August beginnt und nach vier Wochen sein Ende erreicht, 2. von dem Übereinkommen zwischen den beiderseitigen militärischen Bevollmächtigten über die Demarkationslinie der beiden Armeen (vide Beilagea ).
In der von Sr. Majestät gehaltenen Umfrage, ob diesen beiden Akten die Ratifikation zu erteilen sei, sprachen sich alle Anwesenden für Erteilung der Ratifikation aus. Nur über einen Punkt, nämlich Art. V des Waffenstillstandsaktes1, walteten einige Bedenken vor, von denen aber auf die von Grafen Károlyi, welcher in die Sitzung berufen worden war, gegebenen Aufschlüsse Abstand genommen wurde. Graf Esterházy machte nämlich auf das Verletzende in der Redaktion dieses Art. V aufmerksam, wodurch von Sr. Majestät für die neuen Einrichtungen des von Preußen zu errichtenden Bundes nördlich der Mainlinie und für die von Preußen offenbar beabsichtigten Territorialveränderungen und Gebietsannexionen schon zum voraus die Zustimmung Österreichs stipuliert wird. Tatsächlich liege es allerdings in der Macht Preußens, nach seinem Belieben dort vorzugehen, und es sei nicht daran zu denken, von hier aus dagegen ein Hindernis zu erheben; allein es sei ein großer Unterschied zwischen einem Vorgehen, das man nicht hindern könne, und einem solchen, dem man seine Zustimmung erteile. Wenn auch Österreich von seinen deutschen Verbündeten keine wesentliche Hilfe erwachsen sei, so seien sie doch immer seine Verbündeten, deren Schonung Österreich am Herzen liegen müsse. Dieser Artikel lege aber Österreich die Zustimmung zu allem auf, was Preußen künftig mit ihnen vorzunehmen beliebe. Als selbständigen Staaten könne ein Appell an die europäischen Großmächte denselben gegen die preußische Vergewaltigung nicht benommen werden. Einem solchen gegenüber werden aber Österreich durch Art. V im vorhinein die Hände gebunden. Es wäre daher sehr zu wünschen, eine solche Redaktion durch nochmalige, jedoch den Abschluß durchaus nicht in Frage stellende Unterhandlung zu erwirken, welche eine vorläufige || S. 195 PDF || Zustimmung Österreichs zu den von Preußen beabsichtigten Territorialerwerbungen mit Stillschweigen übergeht und diese dem Übereinkommen Preußens mit den Beteiligten lediglich anheimstellt.
Alle Anwesenden fühlten das Gewicht dieser Gründe, aber ebenso machte sich auch das Bedenken rege, ob in diesem Momente noch eine solche Änderung zu erzielen sei.
Se. Majestät regte den Gedanken an, ob nicht folgender Weg eingeschlagen werden könnte, daß der Waffenstillstandsurkunde die Ratifikation erteilt werde, Er sich aber persönlich in einem Schreiben an den König von Preußen wende und darin eine andere Redaktion in Vorschlag bringe. Da man jedoch allgemein fühlt, daß man in dieser Hinsicht zu keinem Entschlusse kommen könne, ohne vorher mit dem anwesenden Graf Károlyi, dem Vermittler des Waffenstillstandes, Rücksprache genommen zu haben, so wurde derselbe von Sr. Majestät in die Konferenz beschieden.
Über Aufforderung Sr. Majestät, sich darüber auszusprechen, ob irgendeine Aussicht vorhanden sei, in diesem Momente noch eine solche Redaktionsänderung zu erzielen, gab Graf Károlyi unmittelbar nach seinem Eintritte in die Konferenz folgende Erklärung ab: Eine Nichtratifikation dieses Artikels, und zwar in seiner gegenwärtigen Fassung, würde einer Fortsetzung des Krieges gleichkommen. Gerade auf diesen Artikel und diese Redaktion desselben setzen sowohl der König als Graf Bismarck das größte Gewicht. Offenbar war es in der Absicht des Königs gelegen, auch von Österreich eine Territorialentschädigung zu erlangen. Nachdem man aber auf den entschiedensten Widerspruch gestoßen und selbst zu der Konzession der Wahrung der Integrität Sachsens sich verstanden hatte, gedenke man in Deutschland desto reichlicher sich hiefür schadlos zu halten. Gerade hiefür nun wolle man zum voraus der Zustimmung Österreichs sicher sein. Auf dieser werde man um so hartnäckiger bestehen, als Preußen von Napoleon bereits die Erklärung besitze, daß er gegen eine Annexion von 4 Millionen Seelen in Norddeutschland durch Preußen keine Einwendung erheben werde2. Graf Károlyi glaubt sogar, daß ein eigenhändiges Schreiben Sr. Majestät kaum von einem Erfolge begleitet sein würde, und könnte seinerseits zu einem solchen Schritte nicht anraten.
Unter diesen Verhältnissen einigten sich sodann alle Anwesenden in der Ansicht, daß beiden Urkunden die Ratifikation zu erteilen sei.
Se. Majestät machte sodann darauf aufmerksam, daß zur Beruhigung der Bevölkerung für eine schleunige Veröffentlichung des wesentlichen Inhalts des Waffenstillstandsabschlusses Sorge getragen werden möchte3. Ebenso wären an alle politischen Beamten, welche sich infolge der feindlichen Okkupation aus || S. 196 PDF || ihrem Amtsorte und selbst dem Kronlande zu entfernen gezwungen waren, die Weisung zur Rückkehr und zur Wiederaufnahme ihrer amtlichen Tätigkeit zu erlassen. Der Minister des Äußern Graf Mensdorff und der Staatsminister Graf Belcredi übernahmen es, diesfalls das Erforderliche zur Vollziehung anzuordnen.
Auf die von dem Staatsminister Grafen Belcredi gestellte Anfrage, ob infolge des Waffenstillstandsabschlusses auch die im Zuge befindlichen Maßregeln wegen eines allgemeinen Freiwilligenaufgebotes in verschiedenen Kronländern zu sistieren seien, war die Versammlung allgemein der Ansicht, daß der Abschluß des Waffenstillstandes die Regierung innerhalb der Demarkationslinie an militärischen Vorkehrungen nicht behindere, es aber doch ratsam sei, mit der größten Vorsicht mit dem allgemeinen Freiwilligenaufgebote nun vorzugehen. Da nach dem Waffenstillstandsabschlusse, nach Entrichtung der Kriegsentschädigung die preußische Armee sofort das österreichische Gebiet räumen wird, so erteilte Se. Majestät dem Finanzminister Grafen Larisch den Auftrag, darauf Bedacht zu nehmen, daß nach Abschluß des Friedens die erforderliche Summe zur Bezahlung der Kriegsentschädigung zur Verfügung stehe. Graf Károlyi bemerkte hiebei, daß nach seiner Ansicht und nach den mit Graf Bismarck gepflogenen Unterredungen einem raschen Friedensabschlusse gar kein Hindernis im Wege stehe, indem durch den Waffenstillstandsabschluß die Hauptpunkte geregelt seien und weitere Beratungen nur auf Nebensachen sich erstrecken können. Das Verhältnis zu Italien werde Preußen nach den bestimmten Erklärungen des Grafen Bismarck an einem Friedensabschlusse mit Österreich nicht hindern.
Wien, 27. Juli 1866. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.Wien, 1. September 1866. Franz Joseph.