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Nr. 60 Ministerrat, Wien, 1. Mai 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 2. 5.), Krauß 4. 5., Bach 4. 5., Cordon 4. 5., Thinnfeld, Kulmer 4. 5.; abw. Stadion, Bruck.

MRZ. 1339 – KZ. 1193 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten zu Wien am 1. Mai 1849 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern FML. Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Verstärkung der Armee in Ungarn

Der Kriegsminister verlas den Entwurf einer Aufforderung an den Feldmarschall Grafen Radetzky, durch Beschränkung der Zahl seiner für die Intervention im Toskanischen und Römischen bestimmten Truppen einen Teil seiner Streitkräfte für den ungrischen Krieg disponibel zu machen1. Er nahm jedoch diesen Antrag auf die Bemerkung des unterzeichneten Ministerpräsidenten wieder zurück, daß die bereits erbetene russische Hilfe früher zur Stelle sein wird als ein Radetzkysches Korps2.

II. Transport der russischen Truppen durch Mähren

Die schnelle Beförderung des russischen Hilfskorps durch Mähren macht einige Voreinleitungen nötig. Es wird daher vom Gefertigten die königlich preußische Regierung angegangen werden, die Benützung der schlesischen Eisenbahn zum Transport der russischen Truppen zu gestatten3.

Ingleichen wird das Ministerium des Inneren, welches mit der Nordbahndirektion hierwegen bereits Rücksprache gepflogen hat, an das Landespräsidium geeignete Weisungen erlassen und der Kriegs­minister behufs der Verpflegung der Truppen einen Verpflegsbeamten eigens nach Mähren bestimmen4.

III. Handhabung der Fremdenpolizei

Die Durchführung der zur Erhaltung der Ruhe im Innern nötigen Maßregeln veranlaßten den Vertreter des Ministeriums des Inneren zur Aufstellung eigener Polizeidirektionen in der Umgebung von Wien5 (wobei der Finanzminister ihn auf die Verwendung des in Prag ohne Bestimmung verweilenden, sehr braven, gewesenen Lemberger Polizeidirektor v. Sacher aufmerksam machte), ferner zur geschärften Handhabung der Vorschriften über die Fremdenpolizei, insonderheit des fast allein wirksamen Anzeigewesens durch strenge Verantwortlichmachung der Hauseigentümer und Vermieter für die bei ihnen einkehrenden Fremden6.

IV. Nationalgardeauflösung in Friedau

Derselbe zeigte auch die Auflösung der Nationalgarde von Friedau in Steiermark und die verfügte Abgabe ihrer Waffen an das Generalkommando in Gratz an7, desgleichen

V. Widerlegung des Presseartikels wegen preußischer Intervention

daß in der „Presse“ ein Artikel vorkomme, wornach Österreich auch eine preußische Intervention in Ungern angesucht hätte8, welche Angabe durch geeignete Artikel in den Journalen „Lloyd“ und „Correspondent“ zu widerlegen beschlossen wurde9.

VI. Unterstützung des Stuhlrichters Gustav v. Sturmann

Weiters brachte er ein Unterstützungsgesuch des geflüchteten Stuhlrichters Schurmann aus der Sohler Gespanschaft in Vortrag, worüber der Finanzminister seine Meinung dahin abgab, daß demselben zwar eine Unterstützung vorderhand etwa mit 50 fr. anzuweisen, zugleich aber seine Verwendung im Ministerium etwa zu Übersetzungs oder dergleichen Arbeiten in Anspruch zu nehmen wäre, weil bei bloßer Beteilung ohne Forderung einer Gegenleistung das Verlangen nach ersterer bei vielen geweckt werden dürfte10.

VII. Anweisung der eingestellten Zahlungen des lombardisch-venezianischen Monte

Der Finanzminister referierte über ein Einschreiten des Ministerialkommissärs im lombardisch-venezianischen Königreiche wegen nachträglicher Leistung der während der revolutionären Regierung sistierten Zahlungen des lombardischen Monte11. Dieselbe erscheint als der Billigkeit angemessen und kann mittelst der für das gedachte Königreich geschaffenen 3%igen Kreditpapiere, insofern dieselben, wie Graf Montecuccoli|| S. 267 PDF || versichert, raschen Absatz finden, leicht realisiert werden. In diesem Sinne würde also der Finanzminister das Entsprechende fürkehren12.

VIII. Nichtbeeidigung der k.k. Truppen in Mainz etc. auf die deutsche Reichsverfassung

Nachrichten aus Frankfurt, namentlich die an die k.k. Truppen von dort gestellte, vom Grafen Rechberg bereits einstweilen abgelehnte Aufforderung, auf die neue deutsche Reichsverfassung den Eid zu leisten13, gaben dem unterfertigten Ministerpräsidenten Anlaß, dem Grafen Rechberg die bestimmte Weisung wegen Nichtbeeidigung derselben zu erteilen14.

IX. Tägliche Bekanntmachung von ungarischen Kriegsnachrichten

Auf den Wunsch des Justizministers , daß zur Beruhigung und Befriedigung des hiesigen Publikums täglich eine Notiz vom Kriegsschauplatze in Ungern veröffentlicht werde, übernahm es der Kriegsminister, solche jedesmal vorbereitet im Ministerrate vorzutragen, was auch für heute geschah15.

X. Orden für Anton Johann Jungmann

Ein vom Verweser des Unterrichtsministeriums vorgebrachter Antrag auf Dekorierung des Prager Professors der Geburtshilfe Dr. Jungmann mit dem Leopoldikreuz ward nach dem Bemerken des Ministerpräsidenten , daß der Kandidat noch in Aktivität stehe, als noch nicht zeitgemäß zurückgenommen16, dagegen jener,

XI. Orden und Pensionszulage für Johann Prechtl

dem in Ruhestand tretenden, sehr verdienten Direktor des Wiener Polytechnischen Instituts Prechtl dieselbe Auszeichnung zu verleihen und ihm die Personalzulage per 1000 fr. im Ruhestande zu belassen, zur Unterstützung für geeignet erkannt, jedoch letztrer Antrag – nach dem Erachten des Finanzministers – nur insofern, als Prechtl wirklich eine besonders lange Dienstzeit auszuweisen vermag17.

XII. Überwachung Camilo Wagners

Über eine Anfrage des Ministers für Bergbau , was er in Ansehung des vormaligen Deputierten bei der Nationalversammlung in Frankfurt Wagner, welcher dort der linken Seite angehörte, nunmehr aber auf seinen Dienstposten als Assessor des k.k. Berggerichts zu Steyr zurückgekehrt ist, zu veranlassen habe, wurde nach der Andeutung des gefertigten Ministerpräsidenten beschlossen, daß diesem Beamten vom|| S. 268 PDF || Minister eine entsprechende Ermahnung oder Verwarnung erteilt und sein Benehmen einer ferneren sorgsamen Aufsicht unterstellt werde18.

XIII. Rückkehr des Kaisers nach Niederösterreich

Der gefertigte Ministerpräsident brachte den ihm durch den k.k. Generaladjutanten Grafen Grünne kundgewordenen dringenden Wunsch Sr. Majestät, Olmütz zu verlassen und sich Wien oder dem Kriegsschauplatze mehr zu nähern, mit der Frage zur Sprache, ob gegenwärtig auch der geeignete günstige Moment dazu eingetreten sei19.

Dieser mit dem sehnsüchtigen Verlangen der Völker so sehr harmonierende Wunsch Sr. Majestät ward auch vom Ministerrate mit ungeteilter Freude begrüßt. Man erkannte in dessen Realisierung eine neue Bürgschaft für die Wiederkehr des allgemeinen Vertrauens, für die Belebung der Anhänglichkeit an die Dynastie und für die Erweckung wahrer Begeisterung unter den durch die Nähe des Monarchen angefeuerten Truppen. Man erwog ferner, daß gerade jetzt, bevor die Presse, die bereits auf das Eintreffen des Kaisers bei der Armee hingedeutet hat (Ostdeutsche Post vom 1. Mai), sich dieses Gedankens vollends bemeistert hat, und noch vor dem Eintreffen der russischen Hilfstruppen der Moment dazu gekommen sei, damit die Entschließung als eine freie, nicht durch die öffentliche Meinung und Stimme abgerungene oder durch russische Bajonette unterstützte erscheine. Man verkannte endlich nicht, daß dieser Schritt gegenwärtig noch nicht ganz ohne Gefahr zu unternehmen sei, glaubte aber, daß darum derselbe nicht unterlassen werden sollte, indem nach dem Zeugnisse der Geschichte Österreichs Herrscher auch im Unglücke groß und von der Liebe ihrer Völker getragen waren.

In betreff der Art und Weise, wie Se. Majestät Allerhöchstihre Aufenthaltsveränderung bewerkstelligen dürften, war der Ministerpräsident der Ansicht, daß solche ohne alles Aufsehen zu erfolgen hätte. Der Finanz- und der Justizminister hielten zwar eine von Sr. Majestät hierwegen zu erlassende Ansprache ans Volk für angemessen, allein, der Ministerpräsident sprach die Überzeugung aus, daß die einfache Tatsache der Ah. Anwesenheit Sr. Majestät in der Nähe der Haupt- und Residenzstadt und der Truppen auch ohne Proklamation die erwarteten segenreichen Wirkungen hervorbringen werde, welche Ansicht auch die übrigen Mitglieder des Ministerrates teilten. Gleichwohl würde der Finanzminister wenigstens eine Ansprache an die Armee in Ungern, allenfalls durch deren Oberkommandanten, für angemessen halten.

Der Ministerpräsident behielt sich vor, dieses Einraten des Ministerrates noch heute durch den ans Ah. Hoflager zurückkehrenden Grafen Grünne zur Ah. Kenntnis Sr. Majestät zu bringen.

Zum Schlusse ward noch bemerkt, daß mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse des nahen Ungerns auch ungeachtet der Nähe des Ah. Hofes der Belagerungszustand in Wien fortan aufrechterhalten werden könne, und daß, falls bei einer ernstlichen Bedrohung|| S. 269 PDF || Wiens die Entfernung Sr. Majestät notwendig werden sollte, selbe in keiner anderen Richtung als jener Allerhöchstihrer Armee angeraten werden dürfte20.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 10. Mai 1849.