Nr. 576 Ministerrat, Wien, 26. Mai 1865 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 29. 5.), Mensdorff, Mecséry 3. 6., Nádasdy 3. 6., Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Esterházy 4. 6., Burger, Hein, Franck, Zichy 7. 6., Kalchberg; abw.abwesend Plener; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 12. 6.
MRZ. 1380 – KZ. 1573 –
- I. Anträge des Ausschusses im Abgeordnetenhaus betreffend die Subvention für den Österreichischen Lloyd
- II. Bestimmungen über Pressevergehen nach der bevorstehenden Aufhebung der Militärgerichte in Ungarn
- III. Gesetzentwurf über die Regelung der konfessionellen Rechtsverhältnisse zwischen den Katholiken und den übrigen christlichen Konfessionen
- IV. Verhandlungen im Herrenhaus über den Gesetzentwurf bezüglich der Eisenbahn von Arad nach Karlsburg
Protokoll des zu Wien am 26. Mai 1865 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Anträge des Ausschusses im Abgeordnetenhaus betreffend die Subvention für den Österreichischen Lloyd
Der Marineminister referierte, der Ausschuß des Abgeordnetenhauses für die Lloydsubvention habe, obgleich der von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf1 im Einklang mit den bisher stets beobachteten Grundsätzen lediglich die Geldfrage sowie die Exemtionen von den allgemeinen Gesetzen zum Gegenstand der legislativen Behandlung machen wollte, mit Hinblick auf das durch die vorjährige Verhandlung über die Lemberg-Czernowitzer Eisenbahn geschaffenen Präjudiz2 die ganze Lloyd-Frage in Beratung und Beschlußfassung gezogen. Der Ausschuß habe beschlossen, 1. die Subvention nur für sieben Jahre (statt der angesprochenen 14 Jahre) zu bewilligen und die Dauer des neuabzuschließenden Vertrages auf diese Zeit zu beschränken; 2. daß die Subvention des Lloyd zwei Millionen Gulden nicht zu übersteigen habe, wodurch seine Subvention gegen jetzt um etwa 180.000 fl. niedriger ausfallen würde; 3. daß die Befreiung von der Stempelgebühr für Frachtscheine, Fahrkarten und Bollettenregister nicht zugestanden werde; 4. daß die Rückzahlung ades im Jahre 1859 gegebenen Staatsvorschusses per drei Millionen Guldena,3 mit einer Million Gulden in den Jahren 1872–1876 nach den zwischen Gesellschaft und Regierung zu vereinbarenden Modalitäten, aber mit zwei Millionen Gulden in den Jahren 1877–1879 nach Maßgabe der von der Staatsverwaltung festzusetzenden Jahresraten geschehen solle, und daß diese Bestimmungen in das Gesetz aufgenommen werden; 5. endlich seien gewisse Bedingungen des abzuschließenden Postvertrages in das Gesetz aufzunehmen.
Der Marineminister erörterte jeden einzelnen der vorstehenden fünf Punkte und zeigte, daß dieselben vom Regierungsstandpunkte aus keinem wesentlichen Anstande unterliegen und andererseits auch für den Lloyd nicht besonders drückend sind. Die Aufnahme der Bestimmungen 4 und 5 in das Gesetz sei an sich zwar nicht notwendig, da durch || S. 378 PDF || die Aufnahme derselben in den Vertrag die Verpflichtungen für den Lloyd vollkommen rechtskräftig sichergestellt werden, indes biete dies keinen Gegenstand einer Kontroverse. Unter diesen Umständen fände der Marineminister keinen genügenden Grund, den Anträgen des Ausschusses entgegenzutreten, welcher von der Ansicht ausgeht, daß das Recht des Reichsrates, Subventionen zu bewilligen, auch das Recht in sich begreife, die Bewilligung an gewisse Bedingungen zu knüpfen.
Der Staatsratspräsident und der Staatsminister traten dieser Meinung bei, und auch von den übrigen Stimmführern wurde dagegen keine Erinnerung erhoben4.
II. Bestimmungen über Pressevergehen nach der bevorstehenden Aufhebung der Militärgerichte in Ungarn
Der Präsident des Staatsrates referierte über den in einem Komitee (bestehend aus dem Minister Grafen Nádasdy, dem ungarischen Hofkanzler, dem Hofrate Bartos und dem Referenten) vereinbarten Entwurfe der dem allgemeinen österreichischen Strafgesetze entnommenen Bestimmungen über die Bestrafung und Verjährung der durch den Inhalt von Druckschriften begangenen strafbaren Handlungen, welche nach der bevorstehenden Aufhebung der Wirksamkeit der Militärgerichte in Ungarn den ungarischen Gerichten zur Richtschnur zu dienen hätten. Freiherr v. Lichtenfels las den Entwurf des diesfalls Ah. zu erlassenden Reskriptes, zu dem die in deutscher Übersetzung hier beiliegenden Bestimmungen einen Anhang zu bilden haben5,b .
Durch den Text dieses Reskriptes behoben sich die vom Minister Ritter v. Hein anfangs erhobenen Zweifel über einige Punkte und den Titel der Bestimmungen.
In Bezug auf § 37 bemerkte Freiherr v. Lichtenfels, er würde denselben als entbehrlich lieber weglassen, wolle jedoch nicht darauf bestehen, weil auf die Beibehaltung von Seite des ungarischen Hofkanzlers ein Wert gelegt wird6.
Auf die Frage, warum im § 6 der ungarischen Verfassung keine Erwähnung geschehe, erwiderte Referent, daß dieselbe unter dem allgemeinen Ausdruck „Landesverfassungen“ begriffen sei.
Was die Unterteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen und Übertretungen betrifft, so sei dieselbe dem älteren ungarischen [Strafrecht] allerdings fremd, allein die bezüglichen Begriffe haben sich in Ungarn während der dortigen Gültigkeit des österreichischen Strafrechtes ebenso eingebürgert, wie die Definitionen des Arrestes, des Kerkers und des schweren Kerkers.
Die Bestimmungen des § 30 über die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen veranlaßten den Polizeiminister zur Anfrage, ob denn nach dem ungarischen Strafrechte die Verhandlungen überhaupt öffentlich zu sein haben. Wenn nicht, so wäre es angezeigt, von dieser Öffentlichkeit in Preßsachen Umgang zu nehmen. Minister Graf Nádasdy gab die Auskunft, daß die Öffentlichkeit der strafgerichtlichen || S. 379 PDF || Verhandlungen in Ungarn durch ein positives Gesetz niemals vorgeschrieben, aber auch ebensowenig verboten war. Faktisch cwaren aber bei diesen Verhandlungen Zuhörer nicht unbedingt ausgeschlossenc waren aber bei diesen Verhandlungen Zuhörer nicht unbedingt ausgeschlossen. Minister Ritter v. Hein äußerte, es sei unter diesen Umständen im Interesse der Regierung gelegen, durch den § 30 eine bedingte und geregelte Öffentlichkeit einzuführen, wodurch man der usuellen altungarischen regellosen Öffentlichkeit ausweicht. Der Staatsratspräsident machte für diese Meinung noch weiter geltend, daß das Geschrei über „die Knechtung der Presse“ noch weit größer sein würde, wenn man die Öffentlichkeit gänzlich ausschlösse.
Sonst wurde gegen den Inhalt des vorliegenden Anhanges keine Erinnerung erhoben7.
III. Gesetzentwurf über die Regelung der konfessionellen Rechtsverhältnisse zwischen den Katholiken und den übrigen christlichen Konfessionen
Der Präsident des Staatsrates referierte über den Vortrag des Staatsministers vom 6. März 1865 mit dem Entwurfe eines Gesetzesd betreffend die Regelung der konfessionellen Rechtsverhältnisse zwischen den Katholiken und den Angehörigen der übrigen christlichen Konfessionen8.
Beim Staatsrate wurden zwar von einigen Seiten Bedenken gegen die Bestimmungen des vorliegenden Entwurfes erhoben, aber die Stimmenmehrheit erklärte sich für den ministeriellen Antrag, daß derselbe in der bevorstehenden Session des engeren Reichsrates einzubringen sei. Der Präsident des Staatsrates erkannte an, daß die reichsrätliche Vorlage eines die konfessionellen Rechtsverhältnisse zwischen den Katholiken und den Angehörigen der übrigen Konfessionen regelnden Gesetzentwurfes mit Zuversicht erwartet werde und daher diese Vorlage nicht aufgeschoben werden könne, ohne dem Ministerium Verlegenheiten zu bereiten. Was aber die Sache selbst betrifft, so sollte nach dem Erachten des Freiherren v. Lichtenfels die Regierung der römischen Kurie gegenüber an ihrem Gesetzentwurfe festhalten9, wobei allerdings auch die Bestimmungen des als Staatsvertrag bindenden Konkordats ins Auge zu fassen seien, mithin keine demselben widerstrebenden Anordnungen getroffen werden dürfen. Was aber insbesondere die Normen bezüglich der religiösen Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen sowie die Verfügungen hinsichtlich der Wohn-, Kost- und Erziehungsorte etc. betrifft, so erscheine die Regierung diesfalls durch das Konkordat nicht gebunden und ihr Gesetzgebungsrecht nicht beschränkt. In Ansehung dieser Punkte wäre daher der Gesetzentwurf nach seinem ursprünglichen Texte wiederherzustellen und sich nicht erst hiezu durch den Reichsrat drängen zu lassen. Der Grundsatz, daß die männlichen Kinder der Religion des Vaters, die weiblichen der Mutter zu folgen haben, sei billig und gerecht. Zu welchen Mißverhältnissen aber die in § 7 ausgesprochene Aufrechthaltung der in den meisten Kronländern gegenwärtig bestehenden, von jenem Grundsatz abweichenden Vorschriften führen müssen, sei leicht einzusehen10.
|| S. 381 PDF || Der Staatsminister machte hierauf die in seinem au. Vortrage dargelegten Opportunitätsgründe für die Einbringung des vorliegenden Gesetzentwurfes geltend. Daß der Papst die für Ungarn bewilligten Konzessionen bezüglich der gemischten Ehen11 auf die übrigen Länder nicht ausdehnen will, sei bedauerlich, allein die Regierung kann diesfalls keine Pression üben. Römischerseits wird – wenn man auf den Widerspruch sich beruft, der in der nach Provinzen verschiedenen Legislation über diesen Punkt liegt – darauf hingewiesen, daß die Konzessionen bezüglich der Mischehen in Ungarn auf Bitten des ungarischen Episkopats selbst erfolgten. Nun aber hat man dermal keine Hoffnung, daß das Episkopat in den deutsch-schlesischen Ländern den Heiligen Stuhl zu gleichen Konzessionen drängen werde. Ritter v. Schmerling legt in diesem Gesetz das Hauptgewicht auf die Normen wegen des Übertrittes. Sie bilden einen Damm gegen das intolerante Drängen eines katholischen Pfarrers, sie sind ein Korrektiv für die Ungleichheit der Vorschriften über die Kindererziehung, gleichwie auch die Bestimmung des § 8, wodurch die Zulässigkeit von Übereinkommen der Eheleute über diesen Gegenstand ausgesprochen wird12. Der Staatsratspräsident erinnerte an die ebei Abschluß des Konkordates gewechselten Noten, in welchen der freie Übertritt von einer Konfession zur anderen damals schon vom päpstlichen Stuhle zugestanden worden ist, daher in dieser Beziehung weder die Verhandlung, noch der vorliegende Gesetzentwurf etwas enthält, was gegenwärtig nicht schon bestündee . Er deutete ferner darauf hin, daß unter Karl VI. gesetzlich angeordnet war, die Kinder aus Mischehen hätten dem Geschlechte zu folgen. Er bemerkte, daß in Bayern, wo ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhle besteht, derselbe Grundsatz gesetzliche Geltung hat, während nach dem vorliegenden Entwurfe die bestehende Ungleichheit zwischen den Konfessionen aufrechterhalten werden solle. Dieser Gesetzentwurf werde daher niemand befriedigen und mehr aufregen als nützen.f Der Staatsminister setzte auseinander, daß das Fundament des Konkordats und die über einige besondere Punkte angeknüpfte Verhandlung mit Rom die Regierung bei der Redaktion des gegenwärtigen Gesetzentwurfes sehr genierten und es zur Notwendigkeit machten, gewisse Bestimmungen des früheren Entwurfes – darunter auch den § 15 wegen der Erziehungsorte etc. – zu beseitigen. Der Staatsminister verhehle sich nicht die Mängel des gegenwärtigen Entwurfs, halte es jedoch für mehr angezeigt, mit diesem wenigstens viele billige Wünsche erfüllenden Gesetzentwurfe aufzutreten, als die zuversichtlichen Erwartungen eines neuen Gesetzes gänzlich zu täuschen.
|| S. 382 PDF || Von Seite der übrigen Stimmführer wurde gegen die Einbringung des vorliegenden Gesetzvorschlages in der nächsten Session des engeren Reichsrates keine Erinnerung erhoben13.
IV. Verhandlungen im Herrenhaus über den Gesetzentwurf bezüglich der Eisenbahn von Arad nach Karlsburg
Der Präsident des Staatsrates referierte über die Verhandlungen im Ausschusse des Herrenhauses über den vom Abgeordnetenhause angenommenen Gesetzentwurf betreffend den Bau einer Lokomotiv-Eisenbahn von Arad über Alvincz nach Karlsburg, um die Meinung des Ministerrates bezüglich einiger Hauptpunkte zu seiner Information einzuholen14.
1. Vorerst frage es sich darum, ob das Handelsministerium das im Art. II garantierte jährliche Reinerträgnis von 1,050.000 fl. für ausreichend hält. Der Leiter des Handelsministeriums erwiderte, daß er gegen diesen Betrag nichts zu erinnern finde.
2. Der Art. IX, so setzte der Staatsratspräsident fort, spricht aus, daß die Richtung und Art der Fortsetzung der Eisenbahn an die Reichsgrenze im verfassungsmäßigen Wege durch ein besonderes Gesetz festgestellt werden soll. Diese Bestimmung, wodurch der Exekutive vorgegriffen wird, sei nicht sowohl an und für sich, nachdem ja das Auskunftsmittel des § 13 besteht, sondern des Prinzipes wegen, welches darin liegt, sehr bedenklich. Man will dadurch die Eisenbahnkonzessionen überhaupt vor den Reichsrat ziehen!15 Es dürfte daher angezeigt sein, das Herrenhaus zu bestimmen, daß es sich dagegen erkläre. Der Polizeiminister sprach sich unbedingt für die Weglassung dieses, die Aktion der Regierung prinzipiell beeinträchtigenden Artikels aus. Von anderer Seite wurde über diesen Punkt nichts bemerkt16.
3. Freiherr v. Lichtenfels wandte sich sofort zu dem anläßlich des in Rede stehenden Gesetzes in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 16. Mai gefaßten Beschlusse: „Die Regierung werde aufgefordert, über die Fortsetzung der nach diesem Gesetze herzustellenden Eisenbahn gegen Klausenburg, Kronstadt und Hermannstadt, letztere Richtung auch mit Berücksichtigung der Trasse Karlsburg–Kapus–Hermannstadt, sowohl in technischer als finanzieller Beziehung, dann auch mit Rücksicht auf den Anschluß an nachbarstaatliche Eisenbahnen die nötigen vergleichenden Vorerhebungen zu veranlassen und dem Reichsrate darüber in nächster Session eine Vorlage zu machen.“17 Durch diesen Beschluß will man der Absicht der Regierung, vor allem die Rotenturmbahn zu vollenden, entgegentreten. Die zweifelhafte Haltung der Regierungsorgane bei den Verhandlungen im Abgeordnetenhause habe das Zustandekommen dieses Beschlusses gefördert18. Ebendarum sei es notwendig, durch eine entschiedene || S. 383 PDF || Sprache der Minister im Herrenhause zu verhindern, daß derselbe dort angenommen werde. FML. Baron Hess und Graf Wickenburg gedenken in der Debatte gegen den Beschluß zu sprechen, und die Chancen stehen für die Regierung günstig. Der Leiter des Handelsministeriums , hiermit vollkommen einverstanden, deutete an, es genüge, daß sich das Herrenhaus diesem Beschlusse, der ohnehin keinen Bestandteil des Gesetzes ausmacht, nicht anschließe. Übrigens werde schon selbst in den Kreisen der Abgeordneten eine Umstimmung über diese Angelegenheit fühlbar. Der Polizeiminister legte ein großes Gewicht darauf, daß diesem Beschlusse des Abgeordnetenhauses keine Folge gegeben werde, weil sonst die Übergriffsgelüste einer Partei des Hauses einen neuen Stützpunkt gewinnen würden. Der Ministerrat war mit dem Antrage des Staatsratspräsidenten einverstanden19.
Wien, 29. Mai 1865. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt diese Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 12. Juni 1865. Empfangen 12. Juni 1865. Erzherzog Rainer.