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Nr. 552 Ministerrat, Wien, 16. März 1865 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 18. 3.), Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Plener, Lichtenfels, Kalchberg; außerdem anw. Reichenstein; BdR. Erzherzog Rainer 29. 3.

MRZ. 1356 – KZ. 820 –

Protokoll des zu Wien am 16. März 1865 unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer abgehaltenen Konferenz.

[I.] Haltung der Regierung zur siebenbürgischen Eisenbahnfrage im Ausschuß des Abgeordnetenhauses

Der Finanzminister erstattete ein eingehendes Referat über die siebenbürgische Eisenbahnfrage in ihrem gegenwärtigen Stadium1.

Im bezüglichen Ausschuß des Abgeordnetenhauses wurde der Antrag gestellt, über die Regierungsvorlage [betreffend] den Bau der siebenbürgischen Eisenbahn zur Tagesordnung zu schreiten und die Regierung zur Herstellung der Bahn in eigener Regie aufzufordern, wobei sich die Finanzen durch Hinausgabe siebenbürgischer Eisenbahnobligationen (à 7% verzinslich und um den Nennwert nach und nach einlösbar) die nötigen Mittel zu verschaffen hätte. Referent sei aufgefordert worden, sich über diesen Antrag vom Standpunkte des Finanzministeriums zu äußern, und er werde diese Äußerung schon in der morgigen Ausschußsitzung abzugeben haben, so daß er sich genötigt sehe, den Gegenstand heute zur Konferenzberatung zu bringen. Um sich über die Anträge Pickerings bezüglich der Übernahme des Baues der siebenbürgischen Bahn besser zu orientieren, habe der referierende Minister den Professor Spitzer beauftragt, eine Berechnung zu verfassen2, welchen Wert die von Pickering angesprochenen Ausnahmen von Steuergesetzen und die sonstigen Begünstigungen der zu gründenden Aktiengesellschaft dermal schon haben, wobei nämlich die sich während der Dauer der Konzession allmählich ergebenden Vorteile und Ersparungen nach mathematischen Regeln auf den Kapitalswert reduziert werden, den sie bei der Konzessionsverleihung wirklich vorstellen. Nach dieser Berechnung bildet ein Kapital von 6 Millionen Gulden das Äquivalent der sämtlichen von Pickering angesprochenen Begünstigungen. Allein, es schien nötig, die Offerte Pickerings auch aus einem anderen Gesichtspunkte zu prüfen und sich die Überzeugung zu verschaffen, ob seine Berechnung der Baukosten auf 26 Millionen Gulden dem wirklichen Bedarf entspreche und somit die Garantiesumme nicht zu hoch gegriffen sei. Zu dieser Prüfung ist nun der Oberingenieur der Theißbahn, Schimke, welcher dermal die Arbeiten an der siebenbürgischen Bahn zwischen Arad und Alvincz leitet3, vorzugsweise berufen, da er nicht nur die Lokal- und || S. 225 PDF || Preisverhältnisse aufs genaueste kennt, sondern sich auch durch die Erfahrung überzeugen konnte, inwiefern die Pickeringschen Anschläge für die bereits unter Schimkes Leitung vollbrachten Arbeiten überspannt waren. Dieser vollkommen vertrauenswürdige Mann hat nun dem Finanzminister eine Berechnung vorgelegt4, wonach die eigentlichen Baukosten bei ökonomischer Durchführung des Pickeringschen Projektes nur etwas über 15 Millionen betragen würden, wozu noch die Kosten der Geldbeschaffung mittels Hinausgabe von à 7% verzinslichen Obligationen und die Verzinsung des Kapitals während der Bauzeit gerechnet, sich eine Gesamtkostensumme von 20,122.000 fl. ergäbe, welche hinter der von Pickering berechneten Summe um etwa 6 Millionen zurücksteht. Schimke glaubte aber dabei nicht stehenbleiben zu sollen und machte noch einen zweiten Überschlag zur Ausmittlung der Baukosten für den Fall [, daß] man, abweichend von dem Pickeringschen Programm, die Bahn in minder kostspieliger Weise, mit Beseitigung kostspieligen Eisen- oder Steinmaterials an Brükken, mit Anwendung leichterer Schienen, dann mittels Benützung von Gebäuden und Betriebsmitteln der Theißbahn herstellen und instruieren wollte. Das diesfällige Gesamterfordernis samt Geldbeschaffung und Verzinsung berechnete er auf 16 Millionen. Dieser Aufwand differiert nun von den Pickeringschen Ansprüchen so sehr, daß der Finanzminister, wenn die Frage über die siebenbürgische Eisenbahn noch eine offene wäre, für den letztern Schimkeschen Antrag stimmen würde. Diese ausnahmsweise Herstellung in eigener Regie würde sich nämlich nicht bloß wegen der Ersparnis, sondern auch wegen des besonderen Verhältnisses der Regierung zur Theißbahn empfehlen. Allein, die Frage ist nicht mehr offen! Die Regierung hat eine Vorlage an den Reichsrat gemacht5, sie hat mit Pickering viele Monate lang verhandelt und ihn veranlaßt, mit Opfern eine sehr bedeutende Kaution zu legen. Sie hat ihm bereits gewisse Zusicherungen gemacht. Andererseits liegt uns zwar ein sehr einladendes wohlfeiles Bauprojekt Schimkes vor, aber wo ist der Bauunternehmer, der darauf eingehen will und die nötigen Garantien für die befriedigende Durchführung bieten kann? Die Theißbahn ist noch nicht als Konkurrent aufgetreten, und die Credit-Anstalt ist zwar bereit, eine Aktiengesellschaft zu gründen, jedoch nicht auf der Basis eines so geringen Kostenüberschlages6. Diese Verhältnisse gedenke der Finanzminister dem Ausschusse darzulegen und damit das Festhalten an der Regierungsvorlage zu begründen.

Der Staatsminister bedauerte lebhaft, daß man erst so spät in Erfahrung bringe, mit wie wenig Aufwand sich die siebenbürgische Bahn zustand bringen lasse. Indessen scheine ihm doch Schimke die Sache allzu sanguinisch zu betrachten, sonst würde sicher die Credit-Anstalt günstigere Anträge gestellt haben. Auf der anderen Seite müsse man erwägen, daß die Regierung für die Zukunft alle Offerenten verscheuchen würde, wenn sie jetzt plötzlich Pickering ganz fallen ließe. Unter diesen Umständen erscheine es angezeigt, daß die Regierung auf ihrer Vorlage beharre. Der Finanzminister erwiderte, die Differenz zwischen den Kostenanschlägen Pickerings und Schimkes || S. 226 PDF || erscheine minder grell, wenn man berücksichtigt, daß der erstere sich für sein Risiko decken mußte und ihm jene günstigen Einheitspreise nicht bekannt waren, die Schimke bei dem wirklichen Beginn der Arbeit erzielt hat. Es sei daher auch keineswegs seine Absicht, Pickering fallenzulassen. Der Leiter des Handelsministeriums äußerte, er befinde sich dem Schimkeschen Bauprojekte gegenüber in einer peinlichen Lage. Wenn die Regierung dasselbe jetzt bevorwortet oder annimmt, so desavouiert sie alle bisherigen Erklärungen und Vorverhandlungen7 des Freiherrn v. Kalchberg, und es fällt ein Schatten entweder auf seine Einsicht oder auf seine Rechtlichkeit. Ursprünglich verlangte die Credit-Anstalt eine Garantiesumme von nicht weniger als 58 Millionen8, bwelche durchaus eine Abminderung nicht zulasse. Dessenungeachtet habe er aufgrund eindringlicher und wiederholter Erörterungen mit Schimke bei der vorjährigen Vorlage eine Maximalsumme von nur 46 Millionen proponiert und, als jene Vorlage infolge der Aufhebung der letzten Session entfiel, behufs der Ausschreibung einer Offerteverhandlung an Herrn Schimke die Frage gestellt, ob nicht auch eine Summe von 44 Millionen genügen würde, worauf Schimke erwiderte, daß er zweifle, daß sich ein Unternehmer um diesen Preis finden werde! Die Offerteverhandlung fand statt, das weitere ist bekannt. Zwei Offerten lagen [vor:] von Credit-Anstalt und Brassey zu 44 Millionen, [von] Herrn Pickering mit 40 Millionen; beide hatten gewisse Verhandlungen über Verwohlfeilung des Baues und anzusprechende Begünstigungen vorbehalten, sie wurden mit beiden Offerenten versucht, allein, die Credit-Anstalt erklärte, nicht gleichzeitig mit Pickering verhandeln zu können; von Pickering wurde Kaution verlangt und gegeben, und die Verhandlung [wurde] zum Abschluß gebracht, das Ergebnis derselben ist moralisch und bedingt auch rechtlich bindenda . Schimke ist ein redlicher Mann, aber das hindert nicht, daß er sich allzu sanguinischen Hoffnungen hingebe. Er geht bei seinen Berechnungen von manchen unerwiesenen Voraussetzungen aus, wohin auch die von der großen und uneigennützigen Willfährigkeit der Theißbahngesellschaft gehört. b Er nehme an, daß die Theißbahngesellschaft ohne Unternehmungsgewinn bauen werde, daß sie ihren Überschuß an Betriebsmaterial ohneweiters zur Verfügung stelle sowie ihre Werkstätten, Voraussetzungen, welche man nicht einer Kostenberechnung zugrunde legen könne9. Ferner, 15 Millionen Baukosten, wie sie Schimke annehme, repräsentierten zu 8% eine Jahresrente von 1,200.000 fl., für welche der Staatsschatz unbedingt haften müßte. Das Herrn Pickering für dieselbe Strecke zu garantierende Jahreserträgnis berechne sich auf 1,150.000 fl., also auch keine Ersparnis.

|| S. 227 PDF || Über die Berechnung von Gobbi10 und Spitzer bemerkte ich, daß sie überhaupt willkürlich und ohne alle Beweiskraft seien, daß sie den Standpunkt der Frage verschieben, denn nicht um ihren Geldwert an und für sich handle sich’s, sondern einmal darum, wieviel dem Pickering mehr gewährt werden wolle als andern Bahnen und insbesondere dem Mitbewerber, der Credit-Anstalt, und dann darum, was sie dem Staatsschatze für wirkliche Opfer auferlegen. In beiden Richtungen sei die Berechnung – absichtlich oder unabsichtlich – verdreht und falsch. Richtiger bewertet sie Ministerialrat Schmidt11 mit 1,300.000 fl. (statt 6,600.000). Jedenfalls sei durch diesen bedauerlichen Zwischenfall die Stellung des Handelsministers gegenüber dem Ausschusse unendlich erschwert, wahrscheinlich irreparabel. Die Regierung müsse ihre Vorlage unbedingt aufrechthalten, im Ausschusse und im Hause. Freiherr v. Kalchberg könne heute nicht in eine detaillierte Widerlegung der Berechnung Spitzers eingehen, doch sei die Basis derselben jedenfalls bestreitbar. Auch müsse man nicht vergessen, daß die von Pickering angesprochenen Begünstigungen keineswegs außerordentlicher Natur sind, sondern größtenteils allen übrigen jungen Bahnunternehmungen bereits eingeräumt wurden und ohne Zweifel jedem Kontrahenten für die siebenbürgische Bahn werden eingeräumt werden. Das Plus der Begünstigungen Pickerings sei von geringem Belange. Unter diesen Verhältnissen könne Freiherr v. Kalchberg nur beantragen, daß die Regierung auf ihrer Vorlage mit Entschiedenheit beharre. Der Polizeiminister vereinigte sich mit dem Antrage der Vorstimme. Die Regierung dürfe sich nicht durch die sanguinischen Projekte Schimkes zum Wagnisse eines Eisenbahnbaues auf eigene Rechnung verleiten lassen. Es sei bedauerlich, daß Ministerialrat Gobbi durch seine unberufenen Angaben über den Wert der von Pickering angesprochenen Begünstigungen den Skeneschen Antrag provoziert habe12. Der Präsident des Staatsrates war gleichfalls der Meinung, daß die Regierung unbedingt an ihrer Vorlage festhalten sollte. Könne der Finanzminister auch die neueste Phase der Verhandlungen über diesen Gegenstand dem Reichsrate nicht vorenthalten, so sei doch kein plausibles Substrat zu einer anderen Vorlage vorhanden. Es sei allerdings nicht schwer, niedrige Kostenüberschläge für einen Bau auszuarbeiten. Dieselben haben jedoch keinen Wert, solang sich niemand findet, der den Bau um diesen Preis auf eigene Gefahr auszuführen bereit ist. Die Theißbahngesellschaft hat sich stets von diesem Unternehmen ferngehalten, und die Credit-Anstalt, welche nach der elastischen Textierung ihrer Ansprüche dieselben Begünstigungen forderte wie Pickering, hat aufgehört, ein Konkurrent zu sein. Das dem Skeneschen Antrag zum Grunde liegende Prinzip, daß die Regierung am wohlfeilsten bauen könne, ist aber an sich unhaltbar. Wenn daher der Finanzminister nicht in der Lage wäre, die Regierungsvorlage von seinem Standpunkte energisch zu verteidigen, so hätte der Leiter des Handelsministeriums die Aufgabe, ihn zu supplieren. Übrigens könne auch Freiherr v. Lichtenfels das Bedauern nicht unterdrücken, daß ein Vertreter des Ministeriums in diesem Falle abermals die Regierungsvorlage nicht so || S. 228 PDF || verteidigt habe, wie es seine Pflicht war13. Es wiederholte sich eben ein Vorgang, den wir bei den Ausschußberatungen über das Handelsgesetzbuch erlebt haben!14 Hofvizekanzler Baron Reichenstein spricht sich ebenfalls für die Verteidigung der Regierungsvorlage aus, deutet aber an, daß der Regierung im bezüglichen Gesetze die Freiheit zur Herstellung der Bahn aus eigenen Mitteln für den Fall vorbehalten werden dürfte, als sich keine annehmbare Offerte erreichen ließe; dies würde nämlich ihre Stellung den Offerenten gegenüber wesentlich stärken. Der Finanzminister erklärte hierauf, es sei seine Absicht, die Regierungsvorlage ernstlich zu verteidigen, und er werde sich im Interesse des Gelingens noch vor der Ausschußsitzung mit dem Leiter des Handelsministeriums über den diesfälligen Vorgang verständigen. Den Ministerialrat Gobbi müsse er aber gegen die ihm hier gemachten Vorwürfe in Schutz nehmen. Derselbe habe nicht gesagt, daß der Finanzminister in dieser Angelegenheit einer anderen Meinung sei als das Handelsministerium, und wenn er das Resultat der Spitzerschen Berechnung dem Ausschuß mitteilte, so war dies nicht zu umgehen, da man ihm die Frage stellte, welches Geldopfer die von Pickering begehrten Begünstigungen auferlegen würden. Aus diesem Grunde werde auch Minister v. Plener dem Ausschusse am 17. d. M. die Spitzersche Berechnung mitteilen, jedoch mit dem Beifügen, daß den sogenannten jungen Bahnen bereits ähnliche Begünstigungen zugestanden worden seien, und es sich somit bei Pickering nicht um etwas Außerordentliches handle. Die von Schimke verfaßten neuesten Kostenanschläge aber gedenke Votant unberührt zu lassen, da ihnen kein Offert zur Seite steht und gleichwohl die daraus resultierenden auffallenden Preisdifferenzen die Stellung der Regierung im Ausschusse wesentlich erschweren. Hiebei müsse er freilich voraussetzen, daß diese bloß pro foro interno verfaßten Berechnungen nicht durch Schimke selbst ins Publikum gebracht werden, worauf Freiherr v. Reichenstein erwiderte, er kenne Schimke als einen verläßlichen Mann, der zu schweigen wissen werde, wenn man es von ihm verlangt15.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 29. März 1865. Empfangen 29. März 1865. Erzherzog Rainer.