Nr. 52 Ministerrat, Wien, 22. April 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Schwarzenberg BdE. 1849-04-23 (nur am Ende des Protokolls, nicht aber auf dem Mantelbogen), Krauß, Bach, Thinnfeld, Kulmer
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend (Schwarzenberg 23. 4.), Krauß, Bach, Thinnfeld, Kulmer; außerdem anw.anwesend Böhm; abw.abwesend Stadion, Cordon, Bruck.
MRZ. 1229 – KZ. fehlt –
- I. Militärische Lage in Ungarn
- II. Räumung von Komorn
- III. Friedensverhandlungen mit Sardinien
- IV. Konzentrierung russischer Truppen an der galizischen Grenze
- V. Beschwerde über die Behandlung von Brescia
- VI. Berufung Georg Philipps nach Innsbruck
- VII. Publizierung der Konstitution im Gebiet der Serben
- VIII. Spottgedicht auf Schwarzenberg
- IX. Neuer Landeschef für Böhmen; Reorganiserung Böhmens
Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 22. April 1849 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Militärische Lage in Ungarn
Der gefertigte Ministerpräsident verlas ein Schreiben des FZM. Baron Welden vom 20. d. [M.] über den Stand und die zunächst beabsichtigten Operationen der k.k. Armee in Ungern1. Nach demselben wären die Truppen gegenwärtig fast kampfunfähig, müßten neu organisiert, inzwischen aber 13.000 Mann unter Baron Jellačić nach dem Süden detachiert, die übrigen nach Räumung der Städte Pest und nötigenfalls auch Ofen im Wege einer Konvention zur Deckung der Hauptstadt konzentriert werden. Zum Schlusse erklärt Baron Welden, daß er von nun an die Verantwortlichkeit für alle Verfügungen bei der ungrischen Armee übernehme.
In diesem Schlußsatze fand der Ministerrat einige Beruhigung wegen der vielleicht etwas zu grell geschilderten Ungunst der dortigen Verhältnisse und beschloß nach dem Antrage des gefertigten Ministerpräsidenten dem Baron Welden zu antworten, daß man die Räumung der beiden Städte wegen des üblen Eindrucks sehr bedauern müßte; daß aus wichtigen politischen Rücksichten wenigstens Ofen so lang als möglich zu halten und im Falle der Notwendigkeit der Räumung die diesfällige Konvention nicht mit den Rebellen, sondern mit den Lokalbehörden unter deren Verantwortlichmachung für die Ausführung abzuschließen sei; daß man voraussetze, es werde für die rechtzeitige Wegschaffung der in Ofen noch vorhandenen Kassavorräte in Gold und Silber Sorge getragen werden, und daß man aus den Schlußworten des Schreibens vom 20. d. [M.] die Hoffnung schöpfe, Baron Welden werde die ihm übertragene große Aufgabe mit günstigem Erfolge lösen2.
II. Räumung von Komorn
FML. Baron Böhm , Stellvertreter des Gouverneurs von Wien, machte dem Ministerrate mündlich die Mitteilung, daß Komorn aufgegeben werde, und daß es vielleicht angemessen sein dürfte, das hiesige Publikum entweder mittelst einer besondern || S. 236 PDF || Kundmachung oder eines Zeitungsartikels auf dieses ungünstige Ereignis in guter Art vorzubereiten3.
Nachdem der Ministerrat sich für die letztere Modalität entschieden hatte, übersandte Baron Böhm den diesfälligen Entwurf, der jedoch als gar zu lakonisch durch den gefertigten Ministerpräsidenten angemessen modifiziert wurde.
Indessen kam der Ministerrat bei dem Umstande, wo in der sub I. besprochenen Depesche Baron Weldens vom 20. gar keine Erwähnung von Komorn gemacht wird, zu dem Beschlusse, die heute wenigstens noch nicht dringende Mitteilung einer unerfreulichen Nachricht vorderhand noch auszusetzen4.
III. Friedensverhandlungen mit Sardinien
Der Ministerpräsident verlas eine telegraphische Depesche des Ministers v. Bruck aus Mailand vom 19. d. [M.] über den Stand der Friedensunterhandlung mit Sardinien5. Nach derselben ist die sardinische Regierung bereit, den Territorialbesitz von 1815 anzuerkennen, findet jedoch die verlangte Kriegsentschädigung von 77 Millionen (dem Minister ward in seiner Instruktion vom 1. April nur ein Maximum von 50 Millionen Gulden vorgezeichnet6) so exorbitant, daß sie sich bei allfälligem Beharren darauf gezwungen sähe, die Vermittlung Englands und Frankreichs anzurufen. Infolge dieser Erklärung stände es der österreichischen Regierung frei, den Waffenstillstand zu kündigen.
Da es von höchster Wichtigkeit ist, die Unterhandlung mit Sardinien mit Vermeidung jeder fremden Einmischung bald zu Ende zu führen, insonderheit nach der Bemerkung des Finanzministers mehr daran gelegen ist, die Kriegskostenentschädigung in einer mäßigeren, aber schnell realisierbaren Summe zu erhalten als die Aussicht auf eine größere, jedoch schwer und langsam eingehende Summe zu haben, beschloß der Ministerrat nach dem Antrage seines Präsidenten, dem Handelsminister einstweilen im telegraphischen Wege zu antworten, „der Waffenstillstand sei nicht zu kündigen, und wegen der (Kriegsentschädigungs-)Summe sich an die Instruktion vom 1. April zu halten“, vorbehaltlich der ferneren Verfügungen, welche durch die demnächst erwarteten umständlichen Berichte v. Brucks sich als erforderlich darstellen sollten7.
IV. Konzentrierung russischer Truppen an der galizischen Grenze
Der Ministerpräsident teilte mit eine dem Kommandierenden in Galizien aus Brody zugekommene Nachricht, daß sich das 4. russische Armeekorps nächst der galizischen Grenze konzentriere8, und trat weiters
V. Beschwerde über die Behandlung von Brescia
eine Beschwerde in Ansehung der strengen Behandlung der Stadt Brescia9 dem Justizminister und
VI. Berufung Georg Philipps nach Innsbruck
einen Antrag auf Berufung des gelehrten und gutgesinnten Dr. Philipps, Professors des Staats- und Kirchenrechts, nach Innsbruck dem Unterrichtsministerium zur Amtshandlung ab10.
VII. Publizierung der Konstitution im Gebiet der Serben
Der Justizminister referierte, daß die Konstitution vom 4. März im Territorium der Serben angeblich wegen noch nicht erfolgter Festsetzung ihrer Gebietsverhältnisse nicht publiziert worden sei11. Der Minister Baron Kulmer setzte hinzu, daß der Ban von Kroatien dasselbe getan und die Publikation der Konstitution dem Zeitpunkte vorbehalten habe, wann er selbst in das Land würde zurückgekehrt sein, ja daß nach einer eben erhaltenen Notiz die Konstitution in Fiume publiziert, dieser Akt jedoch vom Banalrate für ungültig erklärt worden sei12.
Der Justizminister erachtete, daß sonach der Banus aufzufordern wäre, hierwegen die gehörigen Maßregeln zu ergreifen13.
VIII. Spottgedicht auf Schwarzenberg
Eben dieser Minister trug vor die Anfrage des böhmischen Staatsanwalts, ob wegen eines in einer böhmischen Zeitung enthaltenen Spottgedichts auf den Ministerpräsidenten ein Preßprozeß einzuleiten sei, worauf der gefertigte Ministerpräsident erklärte, von dieser ihn persönlich betreffenden Verunglimpfung keine weitere Notiz nehmen zu wollen14.
IX. Neuer Landeschef für Böhmen; Reorganiserung Böhmens
Bei diesem Anlasse kam die Frage zur Sprache, ob nicht schon dermal wegen Auswahl eines tüchtigen Landeschefs für Böhmen eine Vorsorge zu treffen sei, in welcher Beziehung auf den Fürsten Carl Schwarzenberg hingedeutet wurde15.
Der Justizminister , in Vertretung des Ministers des Inneren, glaubte, daß gegenwärtig, wo eine Masse von Organisierungsarbeiten in betreff der Gemeinde-, Bezirks- und Kreiseinteilung (wornach Böhmen sieben Kreise unter Kreispräsidenten statt der bisherigen 16 erhalten würde) im Zuge ist, eine Änderung in der Person des Landeschefs noch nicht an der Zeit wäre, indem der neue Chef sich abnützen und bei dem nach Vollendung aller jener wichtigen Operate etwa im Dezember d.J. zu berufenden Provinziallandtage dann nicht mehr mit der gewünschten Energie zu wirken imstande sein würde.
Nichtsdestoweniger erkannte der Ministerrat, daß es nichts verschlage, sich jetzt schon mit der vorsorglichen Wahl eines Landeschefs für Böhmen zu beschäftigen, in welcher Beziehung der Ministerpräsident die erforderliche Rücksprache zu pflegen sich vorbehielt. Der Finanzminister aber konnte nicht umhin, die Hinausschiebung der Provinziallandtage auf einen so entfernten Zeitpunkt wie der obengedachte zu widerraten und zugleich sein Befremden darüber zu äußern, wie gegenwärtig schon von einer Einteilung Böhmens in sieben Kreise als von einer beschlossenen Sache die Rede sein könne, da seines Erinnerns vorerst nur im allgemeinen wegen Vergrößerung der Kreise das Gutachten der Landesstellen abgefordert, das Resultat der Äußerung aber noch nicht zur Kenntnis des Ministerrats gekommen ist, er (Finanzminister) aber, solange ihm nicht überzeugende Gründe für eine Änderung der bisherigen Kreiseinteilung vorgebracht würden, sich gegen jede Vergrößerung der Kreise erklären müsse, weil nach der bisherigen Erfahrung und der Natur des kreisämtlichen Dienstes, der zugleich überwachend und exekutiv ist, je größer der Umfang, desto schlechter die Verwaltung des Kreises ist; daß er vielmehr in jedem Falle wenigstens so lange an der bisherigen Kreiseinteilung festhalten würde, bis die Organisierung der ersten Instanzen, welche eben durch Mitwirkung der Kreisämter wesentlich erleichtert wird, vollständig würde durchgeführt sein16.
Wien, am 23. April 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Olmütz, den 1. Mai 1849.