- Die Nachwirkungen des Revolutionsjahres 1848
- „Österreichs Neugestaltung“
- Stil und Aussagewert der Ministerkonferenzprotokolle als Spiegel der neoabsolutistischen Bürokratisierung
- Die Ministerkonferenz als oberste Verwaltungsbehörde
- Ministerkonferenz, Zentralinstanzen und Verwaltungsreform
- Ministerkonferenz, Länderinstanzen und Verwaltungsreform
- Instanzenzug und Rechtsstaatlichkeit
- „Neoständische“ und „Zentralisten“ in der Ministerkonferenz
- Die Struktur des Verwaltungsapparates
- Zur politischen Funktion und materiellen Lage der Beamtenschaft
- Die Verwaltung im Spannungsfeld von Reaktion und Reform
- Zum Kommentar
Einleitung - Retrodigitalisat (PDF)
Von Waltraut Heindl
Die mannigfaltigen Themen, die im Rahmen der Ministerkonferenz vom 15. März bis 9. Oktober 1853 beraten wurden, lassen sich zwei generellen Leitlinien unterordnen. Erstens beschäftigen die Ministerkonferenz noch immer die Nachwirkungen des Revolutionsjahres 1848; die Bewältigung der im Zusammenhang mit der Revolution aufgeworfenen Probleme hatte bereits im ersten Band der Protokolle des Ministeriums Buol-Schauenstein (14. April 1852 bis 13. März 1853)1 breiten Raum eingenommen. Zweitens wird in den Protokollen des vorliegenden Bandes deutlich, mit welcher Dynamik „Österreichs Neugestaltung2“ in Angriff genommen wurde. Innerhalb dieses Programms stellt die Durchführung der Verwaltungsorganisation einen deutlichen Schwerpunkt dar, weshalb dieser Frage besondere Ausführungen gewidmet sein werden.
Die Nachwirkungen des Revolutionsjahres 1848 - Retrodigitalisat (PDF)
Nicht in demselben Ausmaß wie im ersten Jahr des Ministeriums Buol-Schauenstein3, aber dennoch zu einem erheblichen Teil beschäftigte die Minister in der Konferenz, deren Protokolle im vorliegenden Band publiziert werden, || S. 14 PDF || die Aufhebung oder Milderung der Urteile von Ausnahmegerichten von 1849/50 über die des Hochverrats schuldig befundenen Personen. Fast ausschließlich wurden dabei Angelegenheiten der ungarischen Revolutionäre oder jener, die in den vor 1848 zu Ungarn gehörigen Ländern verurteilt worden waren, behandelt, was wohl als bezeichnend für die Strenge des Verfahrens der in Ungarn etablierten Kriegsgerichte gewertet werden kann; von 74 derartigen Verhandlungspunkten betreffen 71 ungarische Revolutionäre. In diesem Zusammenhang läßt sich feststellen, daß gegenüber der Zeit zwischen 14. April 1852 und 13. März 1853 nun das Begnadigungsverfahren wesentlich seltener zur Anwendung kam. Die Kaiserreise vom Sommer 1852 nach Ungarn hatte „eine Welle von Strafmilderungen4“ nach sich gezogen. Die in diesem Band publizierten Protokolle zeigen jedoch, daß nun, 1853, von 36 Gnadengesuchen 24 abschlägig beschieden wurden. In vielen Fällen wurden die Gnadengesuche bereits in der Ministerkonferenz abgewiesen5. In anderen verfügte dies der Kaiser entgegen dem Antrag seiner Minister6.
Dagegen wurde bei den „Sichtungsoperaten“, worunter man die Überprüfungsverfahren gegen jene Personen verstand, die sich wegen vermuteter Teilnahme an der Revolution in „kriegsrechtlicher Untersuchung“ befanden, großzügiger verfahren. Die Ministerkonferenz, welche als letzte Instanz jenes Überprüfungsverfahrens fungierte, beantragte in 26 von 35 namentlich vorgetragenen Fällen die Einstellung des Verfahrens7. Die vorgelegten „Sichtungsoperate“ betrafen Revolutionäre der serbischen Woiwodschaft und des Temescher Banats, und man war sichtlich bestrebt, die Tätigkeit der Kriegsgerichte auch dort — analog der Praxis in Ungarn8 — einzustellen.
Desgleichen wurde beschlossen, die Abgeordneten zum „Stuttgarter Rumpfparlament“ des Jahres 1849 nicht weiter strafgerichtlich zu verfolgen, wobei der Grundsatz der Abgeordnetenimmunität geltend gemacht wurde9.
Ein besonderes Problem bildete die Neuorganisation Ungarns und der italienischen Provinzen im Sinne der „Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates10“. Die Verwaltung Ungarns sollte — derjenigen Lombardo-Venetiens ähnlich — unter Beibehaltung eines Militärgouverneurs dezentralisiert werden: Die Oberbehörden der fünf Distrikte Ungarns wurden den Landesbehörden gleichgestellt. Die nominelle Einheit des Kronlandes Ungarn wurde jedoch (im Unterschied zu den italienischen Provinzen) insofern gewahrt, || S. 15 PDF || als der Gouverneur von Ungarn als Statthalter fungiertea . Infolge der Dezentralisation tauchte sogar der Plan der Einverleibung der Archive der ehemaligen ungarischen Zentralbehörden in das Kabinettsarchiv in Wien auf11. Die Neuorganisierung des Verwaltungsaufbaues und des Behördenapparates in Ungarn sollte sonst völlig gleichförmig mit jener der deutsch-slawischen Kronländer durchgeführt werden12. Eine Reihe von in den ehemaligen österreichischen Ländern geltenden Gesetzen wurde auf Ungarn und dessen ehemalige Nebenländer zur Anwendung gebracht. Ihre Einführung wurde in den Ministerkonferenzen diskutiert: so die Einführung einer einheitlichen Grundsteuer, des Lottogesetzes, des Wiener Hohlmaßes und der Vorschrift über die Verleihung von Konzessionen für Stellfuhrtransporte sowie des Pestpatents13. Die bereits für Ungarn erlassene Jurisdiktionsnorm wurde auf Siebenbürgen ausgedehnt, und es wurde in diesem Kronland, so wie bereits in Ungarn, die Grundentlastung in Angriff genommen14.
Die Angelegenheiten des lombardisch-venezianischen Königreiches spiegeln sich weit weniger in den Protokollen wider. In den Vordergrund tritt in erster Linie das Bestreben der österreichischen Regierung, eine engere Bindung der italienischen Provinzen an die übrigen Kronländer in die Wege zu leiten und eine „österreichische Gesinnung15“ zu fördern. Zu diesem Zweck wurden vor allem Maßregeln erwogen, die deutsche Sprache in diesen Kronländern heimisch zu machen: Anstellungen im höheren Staatsdienst wurden an die Kenntnis der deutschen Sprache gebunden, Gymnasiallehrstellen für deutsche Sprache und Literatur geschaffen, die Stellung der Professoren dieses Faches an den Gymnasien und Universitäten (Padua und Pavia) finanziell und moralisch aufgewertet und Stipendien für Lehramtskandidaten der deutschen Sprache aus Dalmatien, dem Küstenland und Südtirol an der Wiener Universität gewährt16. Für eine Normalisierung der politischen Lage im lombardisch-venezianischen Königreich nach der Revolution genügte dies jedoch nicht. In der Ministerkonferenz vom 12. August 1853 stand eine grundsätzliche Neuorganisation dieser Provinzen zur Debatte. Die heftigen Interessengegensätze und Differenzen, die über dieses Thema innerhalb der Regierungs- und Verwaltungsstellen, besonders im lombardisch-venezianischen Königreich selbst, herrschten, klingen selbst im nüchternen Stil || S. 16 PDF || des Protokolls über die Ministerkonferenz, die unter dem Vorsitz des Kaisers stattfand, an17. Um eine Rückkehr vom Belagerungszustand „in die normalmäßigen Verhältnisse“ und — darüber hinaus — „die wechselseitige Verschmelzung der geistigen wie der materiellen Interessen“ Lombardo-Venetiens mit dem übrigen Österreich in die Wege zu leiten18, wurden die „Bestimmungen über den Wirkungskreis und die Geschäftsbehandlung des lombardisch-venezianischen Generalgouvernements“ und neue „Bestimmungen über die Regelung des Belagerungszustandes im lombardisch-venezianischen Königreich“ erlassen. Dem Generalgouverneur Radetzky wurde sowohl ein Ziviladlatus als auch ein Militäradlatus zur Seite gestellt19. Dies kam einer Entmachtung des Generalgouverneurs, einer gewissen Entmilitarisierung und einer Beschränkung des Belagerungszustandes gleich. Tatsächlich aufgehoben wurde dieser aber erst am 1. Mai 1854.
Im allgemeinen kann von einer Liberalisierung des politischen Regimes nicht gesprochen werden. Im Gegenteil, die Protokolle der Ministerkonferenz bezeugen klar Geist und Methode eines absolutistischen Obrigkeitsstaates, im besonderen dort, wo der Staat oder die Person des Kaisers kritisiert oder in Frage gestellt wurde. Das Pressegesetz vom 24. Mai 1852 wurde in rigorosem Sinne zur Beaufsichtigung der Zeitungen und zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit gehandhabt20. Die Minister verlangten, das Vereinsgesetz, sogar wenn es um die Bildung von Kunstvereinen ging, in restriktivster Weise anzuwenden21. Fälle von Majestätsbeleidigungen, Schmähungen gegen den Staat und „Aufreizungen zum Ungehorsam und zum Widerstand gegen die Gesetze“ wurden scharf geahndet22. Besonders bezeichnend erscheint der „Fall Kocour“, der demonstriert, wie im Falle einer Majestätsbeleidigung der Rechtsstaatsgedanke, auf dessen Verwirklichung man sonst durchaus bedacht war, durch das persönliche Eingreifen des Kaisers in Gefahr gebracht wurde23.
Der Schock des Revolutionsjahres wirkte sich auch in der Gesetzgebung aus. Als „fortschrittlich“ empfundene Gesetze aus dieser Zeit wurden zurückgenommen. Die Strafprozeßordnung von 1853 spiegelt das politische System getreu wider und signalisiert eine teilweise Rückkehr zu vormärzlichen Verhältnissen24. Auch in der Frage der Judenemanzipation zeigen sich nach der || S. 17 PDF || Liberalisierung im Jahre 1848 nun Rückschläge, etwa in der Frage der Besitzfähigkeit der Juden oder ihrer Anstellung als Staatsbeamte25.
„Österreichs Neugestaltung“ - Retrodigitalisat (PDF)
Zeigen die Protokolle auf der einen Seite die Maßregeln eines Obrigkeitsstaates, mit denen das absolutistische System befestigt werden sollte, so wird auf der anderen Seite in den Konferenzen der Minister manifest, in welch dynamischer Weise in diesen Jahren der „Neubau des Reiches“ in Angriff genommen wurde.
Die zwei Fragen, welche als die beiden eigentlichen und unmittelbar einzigen Ergebnisse der Revolution von 1848 angesehen werden, nämlich die Grundentlastung und die Reform des Unterrichtswesens, spielen in den Beratungen der Ministerkonferenz in der hier zur Debatte stehenden Zeit eine bedeutende Rolle.
Die Durchführung der Grundentlastung war sozialpolitisch die wichtigste Aufgabe, die dem Ministerium Buol gestellt war26. Nachdem die Auflösung des Urbarialverbandes in Ungarn, in der serbischen Woiwodschaft mit dem Temescher Banat, weiters in Kroatien und Slawonien bereits durchgeführt worden war27, wurde nun die Durchführung der Grundentlastung in Siebenbürgen und in der Bukowina in Angriff genommen28, zwei Länder, deren historisch gewachsene Urbarialverhältnisse äußerst kompliziert waren.
Die Entschädigungsfrage spielte weiterhin eine wichtige Rolle29, und Themen, die sich mittelbar daraus ergaben, wie die finanzielle Unterstützung von Kirchen- und Pfarrbauten und die Ablösungsmodalitäten an Kirchen, Pfarren und Schulen in Tirol, brachten nicht geringe Schwierigkeiten30. Ein Problem, das die Grundentlastung gelegentlich erschwerte, war das Lehenswesen, das in manchen Gebieten der Monarchie, namentlich in Böhmen, noch in Kraft stand. Die „Aufhebung der Lehensbande“, die für die Krone unergiebig geworden waren, wurde zwar von den Ministern beantragt, scheiterte jedoch am Veto des Reichsratspräsidenten Kübeck und wurde erst 1862 durchgeführt31.
Bei der so wichtigen Reform des höheren Unterrichtswesens entschloß man sich endlich auf Befehl des Kaisers, nachdem einige Monate lang zwischen Unterrichtsminister Thun und den übrigen Ministern Meinungsdifferenzen darüber geherrscht hatten, || S. 18 PDF || ob die Grundfrage der Reform des Studienwesens im allgemeinen oder der Gymnasien im besonderen zu beraten sei, nach dem Antrag Thuns mit der Beratung der Gymnasialreform zu beginnen. Der neue Studienplan nach dem in Preußen praktizierten Humboldtschen System stand seit dem Schuljahr 1849/50 in Erprobung. Die Ministerkonferenz war mit der Beibehaltung des neuen Studiensystems im großen und ganzen einverstanden, beantragte nur eine intensivere Pflege der lateinischen Sprache, die Beseitigung der sogenannten Nationalgymnasien und die generelle Einführung der deutschen Unterrichtssprache von der vierten Klasse des Gymnasiums an32. Die Sanktion erhielt dieses Gesetz jedoch erst 1854.
Die Reform der Universitäten wurde zu einem späteren Zeitpunkt beraten, der nicht mehr in den Rahmen der in diesem Band publizierten Protokolle fällt. Sehr wohl sind jedoch aus den Protokollen die Bemühungen des Unterrichtsministers erkennbar, die Hochschulen zu Stätten der Wissenschaft auszubauen, die Lehrkanzeln optimal zu besetzen und das Personal zu vermehren33. Von einer Förderung der sogenannten nationalen Universitäten kann hingegen kaum die Rede sein. Aus Gründen nationaler und administrativer Gleichschaltung zwang man ihnen die deutsche Unterrichtssprache auf, beschnitt ihre Autonomie, vor allem jene der Universitäten Krakau und Pest, und schloß sie von jeder Mitsprache bei der Planung des neuen Studiensystems aus34.
Die Einführung der deutschen Unterrichtssprache an den Universitäten und Schulen bildete einen Diskussionsgegenstand ersten Ranges, da sich der Unterrichtsminister selbst in diesem Punkt gegen das neoabsolutistische Programm stellte, die nationalen Sprachen gefördert wissen wollte und damit gegen die geschlossene Mehrheit der Ministerkonferenz, vor allem gegen Innenminister Bach und Justizminister Krauß, stand35.
Besonders eindrucksvoll zeigen die im vorliegenden Band publizierten Protokolle die Versuche, durch wirtschaftliche Maßnahmen die Monarchie in einen modernen Industriestaat mit einer liberal-kapitalistischen Wirtschaftsordnung umzuwandeln.
Die Regierung begann in diesen Jahren, den Bau der Eisenbahnen zu fördern. So wurde die Bahnlinie zwischen Reichenberg in Böhmen und Zittau in Sachsen in einem Übereinkommen mit der sächsischen Regierung projektiert, und Carl Egon Fürst von Fürstenberg erhielt das Privileg zum Bau der Eisenbahn von Prag in das Buštěhrader Kohlenrevier zu günstigeren Bedingungen als im Jahre 185236. || S. 19 PDF || Daß man vom Bau der Eisenbahnen vor allem für den Staat wirtschaftlich viel erwartete, zeigt die Bemerkung Bachs, „zur Belebung des Verkehrs und der Steuerfähigkeit“ in Kroatien den Bau von Eisenbahnen zu forcieren37.
Auch die Modernisierung des Steuersystems wurde in die Wege geleitet. Von der Vereinheitlichung der Grundsteuer war bereits die Rede, auch die Verzehrungssteuer sollte normalisiert werden38, die Steuer für Rübenzucker wurde in Angleichung an die Zollvereinsstaaten, nachdem man am 19. Februar 1853 mit Preußen ein Abkommen geschlossen hatte, um 60% erhöht — nicht ohne Einspruch von seiten des Innenministers, der durch diese Maßnahme einen Rückgang der heimischen „erst im Aufblühen begriffenen Runkelrübenfabrikation“ befürchtete39. Ebenfalls aus Gründen der Angleichung an das Ausland wurde die Verzehrungssteuer bei Branntwein und Weingeist erhöht40. Auch machte der Abschluß des Zollvertrags 1853 die Änderung des österreichischen Zolltarifs von 1851 generell notwendig41.
Eine wirtschaftliche Maßnahme von großer Bedeutung war die Gründung der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft, die im besonderen zur Unterstützung des „mittleren Handels- und Gewerbestandes“ gedacht war. Der Erfolg der Subskription war überwältigend. Die Zeichnungen betrugen das Zehnfache der zu emittierenden Aktien42.
Auch die Stadterweiterung der Inneren Stadt Wiens und die Schleifung der Basteien (diese wurde als „dringend notwendig […] zur Belebung der Baulust“ und zur „Verminderung der Wohnzinsen43“ bezeichnet) demonstrieren den wirtschaftlichen Pioniergeist der neoabsolutistischen Epoche.
Was die Gesetzgebung betrifft, so ging es nicht nur um Umformungen und Modifikationen, sondern um eine grundsätzlich neue, den aktuellen Verhältnissen angepaßte Legislation. Dies zeigen deutlich etwa die bereits erwähnte Strafprozeßordnung, die Urbarialgesetze, das neue Berggesetz und die Jurisdiktionsnorm, die für das ganze Rechtsgebiet der Monarchie in Geltung gebracht werden sollte, um damit die Vereinheitlichung der Kompetenzen in Zivilrechtssachen in allen Kronländern zu erzielen44.
Von den in diesem Band in der Ministerkonferenz diskutierten Gegenständen dominieren jedoch klar jene, die der Organisation der Verwaltung45 gewidmet wurden: || S. 20 PDF || Von 331 Tagesordnungspunkten der 62 Ministerkonferenzprotokolle aus der Zeit vom 15. März bis 9. Oktober 1853 betreffen 80, das ist ca. ein Viertel der gesamten besprochenen Themen, diesen Problemkreis. Der Verwaltung wurde eine primäre, integrierende Funktion bei der Neugestaltung Österreichs zugemessen. Die im weiteren Zusammenhang aufgeworfenen Fragen, nämlich alle jene, welche die Beamtenschaft im allgemeinen, Pensionen, „Gnadengaben“ für Staatsbeamte, Auszeichnungen, Ordensverleihungen, Besetzung von Dienstposten, Schaffung „systemisierter“ Stellen etc. betreffen, ergeben weitere 75 Tagesordnungspunkte, so daß man sagen kann, daß fast die Hälfte aller in diesem Band behandelten Themen von Administration und Bürokratie handeln.
Außer den sehr ausführlich besprochenen Themen betreffend die Zuwendungen an Beamte, die es ermöglichen, uns ein Bild über die soziale Lage der Bürokratie, vor allem der niederen Beamtenschaft, zu machen, fehlen in der Ministerkonferenz Beratungen über soziale Belange. Die soziale Frage klingt lediglich an in den Beratungen über die Arbeitseinstellung in Fabriken der Vorstädte Wiens46 und im Berggesetz, als die Minister die Entlassungsgründe für Bergarbeiter oder die Revision der Bruderladen debattierten47. Die Diskussionen darüber sind jedoch farblos, demonstrieren ein geringes Interesse für die soziale Problematik und beweisen, daß man entschieden den Weg zur liberalen Wirtschaftsgesellschaft eingeschlagen hatte, in welcher der Staat der Sozialpolitik sehr wenig Aufmerksamkeit widmete.
Ein gewandeltes soziales Verständnis und eine Neubewertung der traditionellen Gesellschaftsordnung sehen wir aber doch deutlich an der negativen Haltung der Ministerkonferenz, als es darum ging, den böhmischen Adel, der sich über die neue Grundsteuer beschwerte, „als Kollektivorgan“, also als gesellschaftlichen Rechtskörper, anzuerkennen48.
„Große Fragen“ der Außenpolitik treten uns auch in den Protokollen des vorliegenden Bandes nicht entgegen49. Die für die Donaumonarchie in diesem Jahre so wichtige Orientkrise wird wohl indirekt spürbar, als die Ministerkonferenz sich eingehend mit der Besserstellung der griechisch-orthodoxen Kirche beschäftigte, || S. 21 PDF || welche die Vermehrung des österreichischen Einflusses in den angrenzenden, dem Ottomanischen Reich unterstehenden Balkanstaaten zum Ziel hatte50, oder als man sich entschloß, die katholische Kirche in Bosnien zu unterstützen51, ebenso auch, als die Reorganisation des österreichischen Konsulatswesens in der Levante zur Debatte stand52.
Eine andere für Österreich im Jahre 1853 problematisch gewordene Frage, das von England und der Schweiz den österreichischen Revolutionären gewährte Asylrecht, wurde ebenfalls — über Initiative des Kaisers — diskutiert53. Auch hier zeigte sich der Einfluß der Orientkrise in der Haltung der Minister — besonders in jener des Außenministers Buol —, die besorgt waren, England als eventuellen Bündnispartner gegen Rußland in der Orientkrise zu verlieren. Vorsichtig taktierte man auch gegenüber Sardinien bezüglich der Frage der Sequestrierung von Emigrantengütern in der Lombardei, unter welchen sich auch Güter piemontesischer Untertanen befanden54.
Die wohl wichtigste außenpolitische Frage, die im vorliegenden Band behandelt ist, steht im Zusammenhang mit der Reduktion der österreichischen Armee. In der Beratung vom 9. Oktober 1853 bestanden die Minister gegen die warnende Stimme des Reichsratspräsidenten Kübeck, der jener Sitzung der Ministerkonferenz zugezogen war, darauf, daß die Armee wenigstens teilweise zu reduzieren wäre. Ein erstaunlicher Konsens angesichts der durch den Konflikt zwischen Rußland und der Türkei angespannten Lage Europas, der nur so zu interpretieren ist, daß die Minister bereits um diese Zeit und nicht erst später, während des Krimkrieges, entschlossen waren, unter keinen Umständen auf seiten Rußlands einen europäischen Krieg zu führen.
Stil und Aussagewert der Ministerkonferenzprotokolle als Spiegel der neoabsolutistischen Bürokratisierung - Retrodigitalisat (PDF)
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in den Ministerkonferenzprotokollen des vorliegenden Bandes vorwiegend Fragen aufgeworfen werden, welche die innere Problematik des Kaisertums Österreich zum Inhalt haben. Paradoxerweise kennzeichnen sowohl Reformgeist als auch Reaktion diese Protokolle und spiegeln damit die ambivalenten Grundtendenzen der nachrevolutionären Zeit wider.
Wenn auch die Ministerkonferenz des öfteren mit Fragen zweitrangiger Natur befaßt war, die für den heutigen Betrachter fast skurril anmuten55, so muß doch gesagt werden, || S. 22 PDF || daß die Protokolle eine zentrale Quelle für Fragen darstellen, welche die innere Struktur des Reiches betreffen. Sie geben sicher nicht im einzelnen, jedoch in ihrer Gesamtheit Geist und Stil jener Epoche wieder, in welcher sie verfaßt wurden, worauf im allgemeinen bereits Josef Redlich, der erste, der dieses Aktenmaterial wissenschaftlich auswertete, aufmerksam gemacht hat56.
Die vorliegenden Protokolle sind geradezu Symbol für jenes „stille Jahrzehnt“, in welchem wenig aufsehenerregend, jedoch in mancherlei Hinsicht entscheidend die Weichen für später gestellt wurden. In diesem Zusammenhang wies Redlich auf die Tatsache hin, daß das gesamte Verständnis von Staat und Obrigkeit und deren Repräsentation durch das bürokratische System in Österreich in späterer Zeit aus diesen Jahren resultiert. Der der österreichischen Regierungsweise bis 1918 attestierte „administrative Zug“ im politischen Stil scheint sich in diesen Jahren des Reformabsolutismus endgültig gefestigt zu haben. Das Problem der Verwaltung erscheint daher als die zentrale Frage der Staatsverfassung57. Die Gestaltung der Verwaltung in diesen Jahren wurde als Grundlage der österreichischen Administration schlechthin bezeichnet, deren Einrichtungen fortwirkten, ja zum Teil den Zusammenbruch der Monarchie überdauerten58. Zumindest bis ca. 1890 bildete sie eine florierende „Stütze der Politik“; ab diesem Zeitpunkt ist dann ein administrativer Verfall eingetreten59. Die neoabsolutistische Verwaltungsreform wurde sogar von Friedjung, der für das politische System dieser Zeit keine Sympathien aufbrachte, als durchaus brauchbare, langlebige Leistung gelobt60. Sie erfreut sich also im allgemeinen und gerade heute einer positiven Beurteilung61; in der Verwaltungsreform der fünfziger Jahre || S. 23 PDF || des 19. Jahrhunderts wird die Garantie für eine Modernisierung des österreichischen Staates gesehen62.
Das Bild, das uns durch die Protokolle der Ministerkonferenz von der Verwaltungsreform vermittelt wird, ist trotz der Vielfalt der angeschnittenen Themen jedoch dürftig. Diskussionen sind kaum aufgenommen. Die Vorschläge, die Innenminister Bach und Justizminister Krauß vorbrachten, werden meist, so scheint es, einhellig und kommentarlos angenommen. In der nüchternen bürokratischen Form und Sprache manifestieren sich Problematik und Stil eines sich immer mehr bürokratisierenden Obrigkeitsstaates, zu dessen Prinzipien es gehörte, neben der Armee den Verwaltungsapparat fest im Griff zu haben63, und in welchem, wie Otto Hintze feststellte, das Behörden- und Verwaltungsrecht eben „den überwiegenden Teil des Verfassungsrechtes“ ausmacht64. Die österreichischen Ministerkonferenzprotokolle sind ein Beweis dafür. So erscheint es gerechtfertigt, einige Aspekte des Verwaltungsproblems herauszugreifen und zu analysieren. Innerhalb der Verwaltungsangelegenheiten steht im Mittelpunkt das Problem, die in den Kronländern bereits 1849 eingeführte Organisation der Administration neuerlich zu reformieren. Mit Ende des Jahres 1853 war im großen und ganzen das Organisationswerk, soweit die Ministerkonferenz damit befaßt war, vollendet.
Der zweite Band des Ministeriums Buol-Schauenstein umfaßt somit die meisten jener Protokolle, welche die Bachsche Verwaltungsorganisation in den Kronländern zum Gegenstand haben. Einige davon handelnde Protokolle werden noch im nächsten Band publiziert werden: jene über die Bezirksämter in Kroatien, Böhmen und Siebenbürgen, über die Stuhlrichterämter in der Kaschauer Statthaltereiabteilung, über die Komitatsgerichte in diesem und im Ödenburger Verwaltungsgebiet und über die Gerichtshöfe erster Instanz in Böhmen und in Siebenbürgen.
Ausgehend von den Protokollen war es durch das weitere System von Bezugsakten in Zentral- und Landesarchiven, die heranzuziehen für den Kommentar notwendig war, || S. 24 PDF || möglich, ein klares Bild vom Zustandekommen der österreichischen Verwaltungsreform zu gewinnen, vor allem von den Entscheidungszentren, die maßgeblich die Besprechungen in den Ministerkonferenzen bestimmten, vom Prozeß der politischen Willensbildung und vom Stellenwert der Ministerkonferenz in diesem. Ideen und Ziele einerseits und ihre Umsetzung in die Verwaltungswirklichkeit andererseits sollen hier nur insofern zur Sprache kommen, als sie die Protokolltexte verständlicher machen, genauso wie die Funktion der neoabsolutistischen Administration für die staatliche und die gesellschaftliche Reform — oder auch die Restaurationsbestrebungen — nur am Rande berührt werden können.
Der Gedanke, daß mittels einer straffen Vereinheitlichung der Verwaltung das Reich inklusive Ungarn leichter zu regieren sei, bestimmte die neoabsolutistische Verwaltungsreform und führte zum unumschränkten Verwaltungszentralismus, der signifikant für Geist, Struktur und Regierungsstil des Jahrzehnts nach 1848 ist.
Die Ministerkonferenz als oberste Verwaltungsbehörde - Retrodigitalisat (PDF)
Max Webers Satz, daß Herrschaft sich im eigentlichen als Verwaltung äußere und funktioniere65, erfährt am österreichischen Beispiel eine geradezu klassische Bestätigung, als dem Silvesterpatent vom 31. Dezember 1851, mit welchem die absolute Alleinherrschaft des jungen Kaisers formal verankert wurde, gleichzeitig die „Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates66“ angeschlossen wurden, die in 36 Punkten die Basis für eine grundlegend neue Verwaltung, ausgerichtet auf den absolutistischen Herrschaftsstil, bilden sollten. Die Durchführungsbestimmungen vom 14. September 1852 bzw. 10. Jänner 1853 67 verpflichteten den gesamten Regierungsapparat der Monarchie, selbstverständlich auch die Ministerkonferenz, ihre Haupttätigkeit in den darauffolgenden Jahren der Ausführung des absolutistischen Programms, damit in erster Linie der Verwaltungsorganisation, zu widmen.
Daher bezieht sich unsere erste Frage auf Funktion und Stellenwert der Ministerkonferenz innerhalb dieses Apparates. Beides umriß der Kaiser in seiner Rede vom 14. April 1852, als er nach dem Tod des Ministerpräsidenten Schwarzenberg seine letzte konsequente Vollendung der von ihm bereits weitgehend durchgeführten Wiederherstellung des Absolutismus vor den versammelten Ministern und Reichsräten verkündete: „Ich habe die an konstitutionelle Formen erinnernde Stelle des Ministerpräsidenten nicht wieder besetzt und werde die Geschäfte der verschiedenen Ministerien ausschließlich in Meinen Händen konzentrieren. Da Ich aber die Versammlungen der Minister zur Besprechung der || S. 25 PDF || wichtigeren Gegenstände zur Abkürzung des Geschäftsganges und, um eine Einheit in die Verwaltung zu bringen, für sehr notwendig halte, so werden dieselben unter dem Namen von Ministerkonferenzen unter der Leitung des Ministers des Auswärtigen fortbestehen68.“ Hiemit werden die Zusammenhänge zwischen Herrschaft und Verwaltung in der politischen Praxis mit aller Prägnanz formuliert: Der ehemals konstitutionelle Ministerrat, für die Öffentlichkeit noch immer das höchste Regierungsorgan, war damit bloß zur obersten Verwaltungsbehörde geworden, deren wichtigste Aufgabe sich auf die „Abkürzung des Geschäftsganges“ und auf die „Einheit der Verwaltung“ erstreckte. Die zusätzliche Funktion, unpopuläre Maßnahmen von der Person des absoluten Herrschers auf ein Regierungsorgan abzulenken, wird in der Debatte über die Verhängung des Belagerungszustandes deutlich69.
Die Hauptaufgabe der Ministerkonferenz war es jedoch, das absolutistische Regierungsprogramm der „rein monarchischen und einheitlichen Gestaltung der Monarchie mit aller Kraft […] durchzuführen“. Dies bedeutete letzten Endes nicht nur die endgültige Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg, sondern gleichzeitig auch den großangelegten Versuch, durch eine administrative Gleichschaltung der Kronländer aus dem Staatengebilde des Kaisertums Österreich, das Otto Brunner treffend eine „monarchische Union von Königreichen und Ländern“ — „älteren Typs“70 nennt, einen modernen zentralistischen Staat westeuropäischer Prägung zu schaffen. Damit war der totale Verwaltungsstaat propagiert, und nicht umsonst gilt der Neoabsolutismus als „zweite Blütezeit der Bürokratie71“.
Innerhalb dieses totalen Verwaltungsstaates und in allen Verwaltungsbelangen stellte demnach die Ministerkonferenz ein Zentrum dar. Die Basis für diese „verfassungsrechtliche Position“, wie sie der Kaiser in seiner Rede vom 14. April 1852 skizziert hatte, findet sich bereits in den Formulierungen des Ah. Handschreibens vom 20. August 1851, durch welches die Ministerverantwortlichkeit aufgehoben wurde: „Das Ministerium“, gemeint ist hier der Ministerrat, „wird auch in seiner neuen Stellung alle Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsmaximen und dgl., sei es, daß sie von dem Ministerrate selbst als notwendig oder zweckmäßig anerkannt werden, oder daß das Ministerium von Mir dazu aufgefordert wurde, zu beraten und vorzuschlagen und Meine darüber erfolgenden Beschlüsse genau zu vollziehen haben72“.
|| S. 26 PDF || Damit ist die Position des Ministerrates als Rat, aber zugleich auch als Vollzugsorgan des Willens des Monarchen deutlich definiert. Im Gegensatz zu den vormärzlichen Gepflogenheiten war bezüglich der Vollzugsgewalt „verfassungsrechtlich“ insofern ein Schritt vorwärts getan, als nun ein mehrgliedriges Regierungsgremium mit der Vollziehung betraut wurde, während in der Zeit vor 1848 „die höchste Vollziehung in einigen wenigen Ressorts zentralisiert war, deren Kompetenzsonderung zum Teil auf der Verschiedenheit der Agenden oder Materien, wie man sie auch nannte, zum Teil auf der staatsrechtlichen Sonderstellung einzelner Teile des Staates aufgebaut war. Die Zusammenfassung des Getrennten zu einer Einheit, die Kontrolle der gesamten Verwaltung lag in der Hand des absoluten Monarchen73“. Der Staatsrat des Vormärz, ausschließlich auf die Beratung des Monarchen und auf die Kontrolle der gesamten Verwaltung beschränkt, war von der Teilnahme an der Vollziehung streng ausgeschlossen. Der Punkt 3 des bereits erwähnten Ah. Handschreibens vom 20. August 1851 betont zwar die Verantwortlichkeit eines jeden Ministers allein für sein Ressort74, um die Ministerverantwortlichkeit des Ministerrates als Kollektivorgan aufzuheben. Dennoch bleibt nach der Meinung Tezners der gesamte Ministerrat, stellt man die Relation zu Punkt 2 des Ah. Handschreibens her, als solcher dem Kaiser gegenüber „für die genaue Beobachtung der bestehenden Gesetze und kaiserlichen Anordnungen in der Verwaltung verantwortlich“. Die Vollziehung blieb laut Punkt 2 weiterhin Pflicht des gesamten Ministerrates. Ungeachtet der vorgenommenen Teilung der Staatsverwaltung in mehrere Ressorts hatte man im Interesse der Aufrechterhaltung der Einheit der Verwaltung „die Obhut über die Vollziehung des den einheitlichen Staatswillen verkörpernden kaiserlichen Willens allen Ministern in Gemeinschaft miteinander und gegeneinander in ihrer Verbindung zum Ministerrate als Mitglieder desselben überantwortet“, kein Minister konnte daher durch einen Kollegialbeschluß des Gesamtministeriums gebunden werden, der mit einer kaiserlichen Anordnung in Widerspruch stand, jeder Minister war vielmehr zur Kontrolle der Übereinstimmung berufen. Dafür war — wiederum nach Tezner — allein das Motiv der „verstärkten Garantie für die Verwirklichung des kaiserlichen Willens ausschlaggebend gewesen75“. Damit war der Ministerrat weit davon entfernt, den modernen konstitutionellen Vorstellungen seiner Zeit zu entsprechen, sondern ganz und gar noch der „Beamtenkörper, der vom Monarchen abhängt“, wie Otto Hintze die ältere Form der Ministerialverfassung kennzeichnet, bevor diese durch ein parlamentarisches System verändert wurde76. Jedoch waren der Ministerrat und auch die spätere Ministerkonferenz ein Gremium, dem in dem einen Punkt, nämlich jenem der Einheit der Verwaltung, || S. 27 PDF || eine auch kollektive Haftung überantwortet war. Der Grundsatz, jegliche Kollektivverantwortlichkeit abzuschaffen, war damit in diesem einen Punkt durchbrochen, der Ministerrat bzw. die Ministerkonferenz war hinsichtlich der Verwaltung eine „organische Einheit“.
Im Vergleich zur Theorie sah die neoabsolutistische Praxis, wie sie uns die Ministerkonferenz vermittelt, eher farblos aus. Verschiedene Gründe waren ausschlaggebend dafür, warum die Minister die in der Konferenz vorgelegten Vorschläge bezüglich des Themas Verwaltung weitgehend kommentarlos, anscheinend ohne der Angelegenheit großes Interesse entgegenzubringen, annahmen.
Es darf hiebei nicht vergessen werden, daß die Ministerkonferenz in den im vorliegenden Band protokollierten Sitzungen lediglich mit Details der Durchführungsbestimmungen von Verwaltungsinstitutionen befaßt war, deren prinzipielle Basis bereits sehr eingehend im ehemaligen Ministerrat diskutiert worden war. Das Beispiel der gemischten Bezirksämter möge dies deutlich machen. In acht Ministerratssitzungen77 konnte keine Einigung in dieser Frage erzielt werden, da Innenminister Bach, Justizminister Krauß und Unterrichtsminister Thun völlig konträre Vorstellungen bezüglich dieser Institution entwickelten, wobei es Bach im wesentlichen um die Vereinigung von Justiz und Verwaltung in dieser untersten Instanz ging; er wollte die oberste Disziplinargewalt über die Beamten der Bezirksbehörden in den Händen der politischen Verwaltung — und damit in den seinen — konzentriert wissen. Karl Krauß tendierte dazu, die Trennung von Justiz und Verwaltung auch in der untersten Instanz weiterhin wie in der Stadionschen Verfassung von 1849 zu wahren und die Unabhängigkeit der richterlichen Beamten von den „politischen“ Bezirksvorstehern durchzusetzen. Thun hielt überhaupt ein Plädoyer zugunsten der Wiedereinführung der vormärzlichen Patrimonialgerichtsbarkeit und der Einsetzung der früheren Obrigkeiten in der untersten Instanz. Diese Fragen waren aber im Jahre 1853 längst entschieden, und für die einzelnen Durchführungsverordnungen konnten sich die Minister sichtlich nicht sehr erwärmen. Die tatsächliche Durchführung der Reformen lag außerdem nun in den Händen einzelner für diesen Zweck bestimmter Kommissionen, welche die Haltung und Entscheidung der Ministerkonferenz sehr wohl beeinflußten — bezeichnend für die grundsätzliche Struktur der Machtverhältnisse jener Jahre78.
Ministerkonferenz, Zentralinstanzen und Verwaltungsreform - Retrodigitalisat (PDF)
Bei Erlaß des Silvesterpatents waren die Instanzen der Verwaltungsreform vorderhand noch Ministerrat und Reichsrat. Bald danach, am 2. Jänner 1852, bezeichnete Innenminister Bach die Durchführung der durch das Silvesterpatent || S. 28 PDF || bestimmten Organisierungsarbeiten als Hauptaufgabe, und zwar der Reihe nach „a) die Organisierung der Justiz- und politischen Verwaltungsbehörden, b) die Regulierung des Gemeindewesens und der Reichs- und Landesausschüsse und c) die Entwerfung der Adelsstatute79“. Als Instanzen zur Durchführung forderte Bach Ministerialkommissionen80, die je nach Betreff der Gesetze aus Delegierten der mit der Sache befaßten Ministerien zusammengesetzt werden sollten. Der Sache nach waren im allgemeinen die Ministerien des Inneren, der Justiz, der Finanzen, des Handels und der Ministerpräsident betroffen, die Leitung der Reform war nach dieser Konstruktion letzten Endes ausschließlich in den Händen Bachs konzentriert — unter allfälliger Mitwirkung einiger anderer Ministerien.
Die Rechnung war jedoch ohne den Reichsratspräsidenten Kübeck gemacht. Im Laufe der nächsten Monate, Februar bis April 1852, konnte der Reichsrat über den rivalisierenden Ministerrat beim jungen Kaiser die Oberhand gewinnen81, was sich auch auf die Leitung der Verwaltungsreform auswirken sollte. Die Gefahr drohte, daß sie dem Ministerrat und insbesondere Bach entgleiten und dem ausschließlichen Einflußbereich des nun allmächtigen Reichsrates zugeordnet werden würde. Der Reichsrat war wohl bis dahin prinzipiell von der Vollziehung ausgeschlossen, hatte aber laut Reichsratsstatut vom 13. April 1851 Gutachten über sämtliche Verwaltungsagenden abzugeben82. Er diskutierte daher die Vorschläge des Ministerrates nochmals, obwohl diese bereits abschließend beraten worden waren.
Somit stellte der Reichsrat die letzte Instanz dar, die dem Kaiser Vorschläge zu unterbreiten und auch Modifikationen solcherart anzubringen vermochte, welche die Eingaben der Minister durchaus ihres ursprünglichen Wesens entkleiden konnten. Wahrscheinlich, um dies zu verhindern und sich wenigstens auch innerhalb des Forums des Reichsrates ein Mitspracherecht zu sichern — anders wäre es nicht verständlich—, schlug Bach im Ministerrat vom 2. April 1852 die Einsetzung einer gemischten Kommission, bestehend aus Mitgliedern des Ministerrates und des Reichsrates, zur „Organisierung im ganzen“ vor83. Er hatte Erfolg. Nach dem Tode Schwarzenbergs, am 10. April 1852, erging dann ein Ah. Handschreiben an Kübeck, durch welches die sogenannte Organisierungskommission gegründet, die Mitglieder ernannt und der Vorsitzende bestimmt wurde — mit dem Auftrag, die „Erlässe vom 31. Dezember 1851 auszuführen und die Organisierungsarbeiten zu beschleunigen84“. || S. 29 PDF || Die ministeriellen Mitglieder dieser Kommission waren Innenminister Bach, Justizminister Karl Krauß und Finanzminister Baumgartner, die Mitglieder aus dem Reichsrat Krieg, Philipp Krauß, Purkhart und Salvotti, Vorsitzender war Kübeck. Damit waren die Reichsräte in dieser Kommission eindeutig in der Überzahl. Die Vormacht des Reichsrates war damit gesichert.
Die rasch erfolgte Gründung der Organisierungskommission mußte trotzdem und, obwohl ihre Befugnisse sehr weitgehend waren, grundsätzlich dem Innenminister willkommen gewesen sein. Das Ah. Handschreiben vom 10. April 1852 bestimmte zwar, daß die Organisierungskommission die „künftig an die Ministerien einlangenden, die einzelnen Kronländer betreffenden Organisierungsoperate“ zu beraten habe. Wie jedoch aus dem Aktenlauf hervorgeht, hat die Organisierungskommission in der Praxis alle aus den Kronländern eintreffenden Operate über die Verwaltungsreform, außer dem ungarischen85, erst dann begutachtet, nachdem die betreffenden Minister, an welche dem Instanzenzug gemäß die Vorschläge der Kronländer zuerst gesandt wurden — das waren im allgemeinen Innenminister Bach und Justizminister Krauß —, diese beraten und daraus resultierend ihre Anträge zuerst gemeinsam formuliert und dann in der Ministerkonferenz zur Sprache gebracht hatten. Daher war es auch möglich, daß in die Organisierungsoperate — mit Ausnahme des ungarischen, das wohl hauptsächlich von den in der Organisierungskommission dominierenden Reichsräten entschieden worden sein dürfte — die ministeriellen Vorstellungen Eingang finden konnten. Nach den Vorschlägen Bachs war es nämlich bei einer wenn auch sehr abgewandelten Form seiner ehemals in Vorschlag gebrachten „Ministerialkommissionen“ geblieben, an denen die Minister des Inneren, der Justiz und der Finanzen bzw. deren Vertreter — für gewöhnlich waren dies die Ministerialräte Lasser und Sachse v. Rothenberg aus dem Innenministerium und Sektionsrat Fliesser aus dem Justizministerium86 — teilnahmen und denen vom Kaiser die Aufgabe zugewiesen war, die Organisierung durchzuführen. Die Ah. Entschließung vom 14. September 1852 hatte bestimmt: „Die Durchführung der Ah. Bestimmungen über die Organisierung der politischen und gerichtlichen Behörden in den genannten Ländern haben Se. k. k. apost. Majestät den Ministern des Inneren, der Justiz und der Finanzen und, insofern die Mitwirkung noch anderer Ministerien erforderlich ist, im Einvernehmen mit denselben mit folgenden näheren Anordnungen zu übertragen geruht.“ || S. 30 PDF || Anschließend daran wurden die Gegenstände der Beratung genau definiert87. Weil nun Innen-, Justiz- und Finanzminister in Besprechungen, auf welche man sich in den Ministerkonferenzen immer wieder berief88, ihre Meinungen austauschten, Unstimmigkeiten klärten, die Entwürfe gemeinsam erstellten, und zwar bevor sie den Gegenstand in der Ministerkonferenz zur Sprache brachten, so ist es weiter nicht verwunderlich, wenn in der Ministerkonferenz selbst kaum mehr Diskussionen stattfanden. Die drei unmittelbar an der Verwaltungsreform beteiligten Minister waren bereits informiert, der Vorsitzende der Ministerkonferenz, Außenminister Buol-Schauenstein, entwickelte sichtlich weder besonderes Interesse noch Verständnis für die Verwaltung89, und Unterrichtsminister Thun scheint passiven Widerstand geleistet zu haben, nachdem er mit seiner so anders gearteten Meinung über die Verwaltungsgrundzüge nicht durchgedrungen war90.
In Fragen der Verwaltungsreform und vor allem in jenen der prinzipiellen Gestaltung war jedoch formell die Organisierungskommission die entscheidende Instanz, was beispielhaft die Organisation der ungarischen Verwaltung demonstriert. Dies kam auch darin zum Ausdruck, daß sie die Ah. Entschließungen dem Kaiser vorschlug und der Kaiser diese wiederum an den Präsidenten der Organisierungskommission richtete91. Es waren jedoch die meisten der grundsätzlichen Fragen bereits vor Gründung der Organisierungskommission entschieden.
|| S. 31 PDF || Position, Zusammensetzung und Tätigkeit der Organisierungskommission schränkten also de facto die früher skizzierte rechtliche Stellung der Ministerkonferenz als oberstes Beratungs- und Vollzugsorgan des Monarchen in Verwaltungsfragen bedeutend ein, was der damaligen Machtstruktur innerhalb der Regierung durchaus entsprach. Das bereits besprochene Prinzip der der Ministerkonferenz übertragenen kollektiven Verantwortlichkeit bezüglich der Einheit der Verwaltung blieb jedoch de jure auch für diese Zeit gewahrt, und zwar in der Form, als man alles, was hinsichtlich der Verwaltung geschah, in Monatsberichten der Minister des Inneren und der Justiz seit September 1852 der Ministerkonferenz schriftlich zur Kenntnis brachte92. So wurde diese vom Verlauf der Verhandlungen und vom Stand der Arbeiten regelmäßig informiert. Darin manifestierte sich, daß die Stellung der Ministerkonferenz als Organ der Koordinierung der Verwaltung und die ihr dafür auferlegte Verantwortlichkeit zumindest formell weiterhin aufrechterhalten und respektiert wurden93. Trotzdem kann für diese Zeit der neoabsolutistischen Regierung die recht positivistische Behauptung, die Tezner für das österreichische Gesamtministerium im allgemeinen aufstellt, nur mit Einschränkung angewandt werden: „Die Amtspflichten der Mitglieder des österreichischen Gesamtministeriums stehen in einer auch von dem Recht bewußt gewollten rechtlichen Verbindung, durch den identischen Zweck der Wahrung der Gesetzmäßigkeit, Einheit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung, und die rechtliche Verknüpfung dieser Pflichten durch die Einheitlichkeit des Zweckes erhebt das Gesamtministerium zu einer organischen Einheit.“ Die Pflicht der Minister, die Einheit zu wahren, war jedoch nach Tezner eher eine rechtliche, denn eine politische94, eine Einschätzung, an der im vorliegenden Zusammenhang unbedingt festgehalten werden muß. Im Unterschied zu der rechtlichen Stellung der verschiedenen an der Verwaltungsreform beteiligten Instanzen der Zentralverwaltung läßt sich der jeweilige Einfluß von Ministerialkommissionen, Ministerkonferenz und Organisierungskommission in der politischen Willensbildung allerdings nur schwer definieren. Er war, so scheint es, von Fall zu Fall verschieden. Eines ist jedoch feststellbar, auf welches noch zurückzukommen sein wird: Die Tätigkeit der Organisierungskommission und insbesondere die der in dieser Kommission dominierenden Reichsräte erstreckte sich in vielen Fällen ausschließlich darauf, bei den ministeriellen von der Ministerkonferenz approbierten Anträgen für den Personal- und Besoldungsstand der Beamten Einsparungen vorzunehmen95. || S. 32 PDF || Verständlicherweise erhielten die Sparmaßnahmen der Reichsräte die Zustimmung des Kaisers96. Andererseits ist festzustellen, daß Grundsatzfragen der Ministerentwürfe jedoch selten geändert wurden.
Ministerkonferenz, Länderinstanzen und Verwaltungsreform - Retrodigitalisat (PDF)
Diese genannten Organisierungsinstanzen der Zentralverwaltung reflektieren deutlich die Machtstrukturen innerhalb der höchsten Regierungsorgane im Staate. Eine wichtige Frage stellt sich: Wie war es um die Mitwirkung der Länder bestellt? Die Länder waren bis 1848 auch nur „im Staat der Länderverbindungen eine korporativ von den Ständen geleitete, territorial bestimmte Individualität, eine ,Gebietskörperschaft‘ mit einigen obrigkeitlichen, nicht aber umfassenden staatlichen Funktionen“ gewesen97. Doch ihre Autonomie war in der konstitutionellen Periode beträchtlich aufgewertet worden. Durch die „Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates“ vom 31. Dezember 1851 wurden sie nun zu staatlichen Verwaltungssprengeln ohne die geringste Selbstverwaltung. Auf eine aktive Mitarbeit der Länder bei der Reform der Verwaltung war jedoch in Anbetracht des weitverzweigten Verwaltungsgebietes und des komplizierten Verwaltungsmechanismus des Habsburgerreiches nicht zu verzichten. Auf ihre Haltung kam es entscheidend an, sollte die Verwaltung in den Ländern später reibungslos funktionieren. Bach löste das Problem im Rahmen des zentralistischen Programms auf rein administrativer Ebene, indem er sich zuerst einmal der Mitwirkung der „Verwaltungschefs“ der Kronländer versicherte und die Statthalter mit Ausnahme jener der ehemals zur ungarischen Krone gehörigen Länder, Dalmatiens98 und Triests (mit Görz-Gradiska und Istrien) im April/Mai 1852 nach Wien berief, um mit ihnen „vertrauliche Besprechungen“ über den Modus procedendi in der Verwaltungsfrage abzuhalten. Dieser Schritt muß im Zusammenhang mit dem Machtkampf um die Verwaltungsreform zwischen Kübeck und Bach gesehen werden. Der Innenminister suchte zur gleichen Zeit, als die Organisierungskommission gegründet wurde, Unterstützung bei den ihm voll und ganz unterstellten Statthaltern. Die Einberufung der Statthalter war wohl ohne Wissen der Organisierungskommission und ihres Präsidenten — || S. 33 PDF || nicht aber ohne das Pleinpouvoir des Kaisers erfolgt99. Kübeck dürfte von der kaiserlichen Vollmacht nichts gewußt haben und setzte sich in einem Schreiben an Franz Joseph entschieden, jedoch erfolglos gegen die Mitsprache der Statthalter zur Wehr100. Obwohl Kübeck in seinem Tagebuch vermerkte, daß der Kaiser dem Innenminister untersagt habe, „aufsehende Kommissionen zu halten“, blieben die Statthalter in Wien und hielten ihre „konfidentiellen Besprechungen“ mit Bach bis 5. Mai 1852 ab101.
Der Innenminister beriet zuerst mit den Statthaltern der deutsch-österreichischen Länder am 21. und 23. April 1852. Anwesend waren die Statthalter folgender Kronländer: Tirol (Graf Bissingen), Krain (Graf Chorinsky), Steiermark (Ritter v. Burger), Niederösterreich (Dr. Eminger), Kärnten (Freiherr v. Schloissnigg) und Oberösterreich (Eduard Bach102). Die Landesregierung Salzburg erhielt erst am 8. November 1852 einen eigenen Landespräsidenten, Carl Fürst v. Lobkowitz103. Die „vertraulichen Besprechungen“ mit den „Verwaltungschefs der slawischen Kronländer“, nämlich Galiziens mit Krakau und der Bukowina (Graf Gołuchowski, der für beide Kronländer zuständig war), Böhmens (Freiherr v. Mecséry), Mährens (Graf Lažanzky) und Schlesiens (Ritter v. Kalchberg) fanden am 30. April und 1. Mai 1852 statt. Am 5. Mai 1852 gab es eine gemeinsame Konferenz aller Statthalter. An fast allen Sitzungen nahmen die Ministerialräte im Ministerium des Inneren Oettl, Lasser und Sachse v. Rothenberg teil104.
Man legte in der ersten Sitzung am 21.April 1852 die Abfolge der Organisierungsarbeit fest und beriet dann der Reihe nach: die Organisation der künftigen gemischten Bezirksämter (am 21. April 1852 mit den Statthaltern der deutschösterreichischen Kronländer, am 30. April mit jenen der slawischen Länder), die Einrichtungen der Statthaltereien und teilweise noch die Instruktion für die Einführung der Bezirksämter (am 23. April 1852 mit den Statthaltern der deutschösterreichischen, am 1. Mai 1852 mit jenen der slawischen Länder). || S. 34 PDF || Am 5. Mai 1852 beriet Bach mit allen Statthaltern gemeinsam die Einrichtung der neuen Kreisbehörden105.
Anläßlich dieser Beratungen stellte sich nun die wichtige Frage, welche Kompetenzen die Statthalter im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform einzunehmen hätten106. Man kam überein, ihnen, nachdem „die Grundzüge über die Bezirksämter, Kreisbehörden und Statthaltereien die Ah. Genehmigung erlangt hätten“, 1. die Aufgabe zu übertragen, folgende Anträge einzubringen: a) über die Anzahl der Kreise und Bezirke in ihren Ländern; b) über den Status der Statthaltereien und Kreisbehörden und deren Besetzung; 2. hätten sie die Durchführung der Organisierung der Behörden und die Erstattung der Vorschläge für die übrigen Dienstposten einzubringen; 3. war in Aussicht genommen, nach der Verwaltungsreform den zweiten Teil des Reorganisationswerkes, die Ausführungen der Verfassungsbestimmungen des Silvesterpatents, in Angriff zu nehmen, nämlich die Landes- und die Kreisausschüsse zu konstituieren und die Gemeindeordnung festzulegen, wobei die Statthalter die „Vorlage der Länder“ einzubringen hätten.
Die ersten beiden Aufgaben betrafen also die Verwaltungsorganisation. Mit der Übertragung der letzten aber war erstens die Gewährung einer Landesverfassung, der sogenannten Landesstatuten, und zweitens auch die Mitwirkung der Länder bei ihrer Erarbeitung versprochen.
Die oben erwähnten den Statthaltern im Reorganisationswerk anvertrauten Kompetenzen hätten diese — zumindest innerhalb der Verwaltungsreform — mit einer nicht unerheblichen Machtbefugnis ausgestattet. Wahrscheinlich, um diese den Statthaltern zugebilligte Macht zu beschneiden — man erinnere sich an die ablehnende Haltung Kübecks bei der Einberufung der Statthalter — und die den „Absolutisten“ viel adäquatere Form des kollegialen Prinzips auch bei der Verwaltungsreform mehr ins Spiel zu bringen, wurden ein halbes Jahr später die sogenannten Organisierungslandeskommissionen ins Leben gerufen, denen als kollegialen Gremien durch die Ah. Entschließung vom 14. September 1852 betreffend die Regelung der Verwaltungsreformen im allgemeinen die Organisierungsaufgabe in den jeweiligen Kronländern — anstatt den Statthaltern in Eigenverantwortlichkeit — anvertraut wurde. || S. 35 PDF || Den Statthaltern verblieb nur die Leitung dieser Kommissionen107. Bei der Konstituierung derselben bediente man sich des bereits vorhandenen Machtapparates der Zentralregierung in den Ländern. Die Mitglieder rekrutierten sich aus den Reihen erfahrener Bürokraten der Länder — Statthaltereiräten, Kreisräten und Bezirksvorstehern —, was den „Stand der politischen Verwaltung“ betraf. Als Abgeordnete der Justiz zog man Oberlandesgerichts- und Landesgerichtspräsidenten, Oberlandesgerichtsräte, Senatspräsidenten und Justizräte haran108. Ein Vertreter der Finanzverwaltung hatte beratende Stimme109. Die nun äußerst beschränkte Mitsprache der Länder bei der Organisierung der Verwaltung paßte genau in das System des bürokratischen Zentralismus.
Aufschlußreich sind diesbezüglich die Kriterien, nach welchen man bei der Auswahl der Mitglieder der Organisierungslandeskommissionen vorging. So wurden beispielsweise die Qualifikationen „praktisch-befähigter Geschäftsmann“, „gute Personal- und Lokalkenntnisse“, „Erfahrungen“ bei administrativen Organisierungsarbeiten, „lang verdienter Beamter“, „unpolitische Haltung“ am häufigsten verwendet110. Die Instruktion für die Organisierungslandeskommissionen zeigt deutlich, daß man auf eine absolute Gleichschaltung der Länder untereinander bedacht war. In dem „Monatsbericht der Minister des Inneren und der Justiz über den Fortgang der Organisierung im Oktober 1852“ vom 6. November 1852 heißt es, es sei in einer Besprechung dieser beiden Minister „die Notwendigkeit anerkannt worden, um Zweifeln und Anfragen zu begegnen und bei den verschiedenen Kommissionen die wünschenswerte Gleichförmigkeit des Verfahrens und der Elaborate zu erzielen, den Kommissionen eine Instruktion über ihre Wirksamkeit und die Lösung ihrer Aufgaben zu erteilen111“. || S. 36 PDF || Die Instruktion wurde für alle Länder außer Ungarn112 gleichlautend erlassen. Der § 7 beschrieb die Aufgaben, welche den Kommissionen zugeteilt waren: „im allgemeinen die Erörterung und Vollziehung aller Maßregeln, welche zur zweckmäßigen und raschen Durchführung der Organisation und zum Inslebentreten der neuen Behörden mit Ausnahme der Statthaltereien, Landesregierungen und Oberlandesgerichte erforderlich sind“. Dazu gehörten: „I. die Einteilung und Abgrenzung der Bezirke, Kreise und Gerichtssprengel; II. die Feststellung der Standorte der neuen Ämter und Behörden; III. die Bestimmung des Personalstandes; IV. die Ausmittlung der Gebäude und Räumlichkeiten für dieselben; V. die Begutachtung sonstiger der Organisierung vorbehaltenen Gegenstände und der vom Ministerium vorgelegten Fragen; VI. die Ausarbeitung der Besetzungsvorschläge für die Bezirksämter und VII. die Verfügungen wegen der Ernennung der Amtsübernahme und des Beginnes der Tätigkeit der Bezirksämter.“
Innenminister Bach war offensichtlich mit der damit praktisch vollzogenen Übertragung der Verwaltungsreform von den Statthaltern auf die Organisierungslandeskommissionen nicht einverstanden. Hinsichtlich des Personalstandes der Statthaltereien, Landesregierungen und der Oberlandesgerichte meinte er beispielsweise explizit, es werde wohl die Organisierungslandeskommission „eine befriedigende Art Lösung“ nicht finden113, und er übertrug mit Weisung vom 17. Jänner 1853 an die Statthalter persönlich die „Begutachtung des Personalstatus der politischen Landesstellen und der übrigen bezüglich der Einrichtung dieser Behörden noch zu erörternden Fragen sowie die Erstattung der Besetzungsvorschläge und bzw. Vornahme bei denselben114“. In der Folge gingen die Einschränkungen bald noch einen Schritt weiter, indem den Organisierungslandeskommissionen das Vorschlags- und Ernennungsrecht auf die Dienstplätze der politischen Bezirksämter genommen und ebenfalls den Statthaltern persönlich anvertraut wurde115. Jedenfalls war Bach, wenn es um die Kompetenzen der Statthalter ging, immer für die Erweiterung ihrer Machtbefugnisse, etwa auch, als im Zuge der Reformierung der Obersten Rechnungskontrollbehörde (Generalrechnungsdirektorium) die Frage über die den Statthaltern zu erteilende Befugnis zur Suspendierung von Finanzbeamten aufgeworfen wurde116. Bachs Tendenz, das monokratische System auch auf die Landesverwaltungen auszudehnen, wird hierin deutlich.
Die Statthalter nahmen, als sie befragt wurden, ausnahmslos gegen die Wiedereinführung der vor dem Jahre 1848 bestandenen Gremialverfassung, doch für die Einführung von Kollegialberatungen vor wichtigen Entscheidungen Stellung. || S. 37 PDF || Sie sprachen sich aber eindeutig dagegen aus, daß das Ergebnis dieser Beratung für den Statthalter „bindende Kraft“ haben sollte: Der Statthalter sollte berechtigt sein, „die Entscheidung nach eigenem Ermessen und auf seine Verantwortung hin zu fällen117“. Gemäß diesem Votum wurde die von den Statthaltern befürwortete Form mit Ah. Entschließung vom 14. September 1852 eingeführt, in welcher Tezner eine Verbindung zwischen „bürokratischer und kollegialer Organisation“ sieht118.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß Bach die reine Anwendung des monokratischen Systems lieber gewesen wäre, nachdem dieses seit 1848 bei den Ministerien eingeführt war119. Dieses System kreierte den eigenverantwortlichen Amtschef modernen Typs und hätte auch die Position des Statthalters noch mehr gestärkt als die nun nur teilweise verwirklichte monokratische Form. Die Vertreter eines strengen Absolutismus waren jedoch im allgemeinen dagegen120.
Die Organisierungslandeskommissionen, die einzigen Organe, durch welche die Länder ihre administrativen Wünsche zum Ausdruck bringen konnten, entwickelten eine überaus emsige Tätigkeit. Nachdem die Ah. Entschließung am 14. September 1852 ergangen war, lagen bereits am 6. November 1852 die Vorschläge hinsichtlich der Mitglieder für die Organisierungslandeskommissionen der meisten Länder vor121.
Schon im Februar 1853 begannen diese Kommissionen, zu Sitzungen zusammenzutreten, über welche Protokolle geführt wurden; aus den Protokollen, den „monatlichen Geschäftsberichten“ und den Anträgen und Gutachten, kurz Operate genannt, entsteht ein gutes Bild von der Tätigkeit der Landeskommissionen, welche ungefähr bis November 1854 amtierten und anschließend daran in die „Kommission für die Personalangelegenheiten der gemischten Bezirksämter“ übergingen122.
Die sogenannten Operate wurden von den Landeskommissionen wiederum aufgrund von Mitteilungen, Informationen und Vorschlägen der nachgeordneten Behörden (Kreisbehörden, Bezirksbehörden, Gerichte) erstellt. Von der Statthalterei eines jeden Kronlandes gingen sie den Weg an die Ministerien des Inneren und der Justiz, wurden hier von den Ministerialkommissionen beraten, korrigiert und modifiziert, gingen so als Anträge der Ministerialkommission in die Ministerkonferenz, von dort an die Organisierungskommission und von dieser an den Kaiser. Im Falle des steirischen Operats beispielsweise, || S. 38 PDF || welches von der Organisierungslandeskommission mit 28. April 1853 datiert wurde, fanden die Besprechungen der Minister Bach, Krauß und Baumgartner und der Ministerialräte Lasser, Sachse v. Rothenberg und Fliesser, also der Ministerialkommission, am 28. Mai 1853 statt, die Ministerkonferenz beriet der Reihe nach die Organisierung der Kreisbehörden, Gerichtshöfe erster Instanz und Bezirksämter am 7. Juni 1853, 14. Juni 1853 und 16. August 1853. Die Diskussionen der Organisierungskommission über diesen Gegenstand fanden am 14. Juni 1853, am 28. Juni 1853 und am 6. September 1853 statt, die Ah. Entschließungen des Kaisers erfolgten am 19. Juni 1853, 6. Juli 1853 und am 18. September 1853 123. Die Reform des Behördenwesens in der Steiermark beanspruchte also insgesamt die erstaunlich kurze Zeit von nur acht Monaten, obwohl der Organisierungsvorschlag des Landes von zwei Instanzen (der Organisierungslandeskommission und den jeweiligen Unterbehörden) im Lande selbst erstellt worden war und noch drei Instanzen der Zentralverwaltung in Wien zu durchlaufen hatte, also insgesamt fünf Instanzen beschäftigte.
Die Vorstellungen der Länder stellten, wie die heute spärlich vorhandenen Protokolle erkennen lassen, für die Ministerialkommission eine echte Basis zur Durchführung der Reform dar124, die ernstlich diskutiert und aufgrund deren dann die Vorschläge in der Ministerkonferenz erstattet wurden. Mit einer Ausnahme: Die finanziellen Ansprüche der Landesorganisierungskommissionen kürzte man bisweilen beträchtlich125.
Instanzenzug und Rechtsstaatlichkeit - Retrodigitalisat (PDF)
Auf die Einhaltung des Instanzenzuges war man im allgemeinen peinlich bedacht, und es wird deutlich, daß dieser auch im neoabsolutistischen System von den Ministern als effektive Art von Kontrolle angesehen wurde, was beispielsweise Finanzminister Baumgartner in der Debatte über die Organisation der Obersten Rechnungskontrollbehörde deutlich ausführte: „Kontrolle im weiteren Sinne ist die Prüfung der Normalmäßigkeit einer Amtshandlung. Eine solche wird überhaupt von jeder vorgesetzten Behörde über die Amtshandlungen der untergebenen geübt126.“ Bach wiederum betonte in der Ministerkonferenz vom 23. Oktober 1852, daß „bei Entscheidungen über Parteisachen“ im Rekursweg eine „sehr wirksame Kontrolle“ der Tätigkeit der Behörden liege127. Nun stand zwar die Idee des Rechtsstaats auf dem konstitutionellen Programm, er war jedoch zunächst „nicht liberal verengt gedacht128“, und Absolutismus und Rechtsstaatlichkeit || S. 39 PDF || schlossen einander nicht notwendigerweise aus. Bach formulierte in der oben erwähnten Ministerkonferenz das klassische Mittel des Rechtsschutzes im absoluten Staat, daß nämlich „jedem sich gekränkt Fühlenden“ die „Zuflucht an Se. Majestät“ offenstehe. Im Gegenteil: Das neue absolutistische Regime in Österreich war also deutlich bestrebt, sich durch Rechtsstaatlichkeit zu legitimieren.
Die Aufgabe der Rechtsprechung, die Rechtsstaatlichkeit zu sichern, war jedoch, nachdem die neue Strafprozeßordnung von 1853 zum Inquisitionsprozeß zurückgekehrt war, Schwurgerichte und Öffentlichkeit des Verfahrens fast restlos beseitigt und die Unabsetzbarkeit der Richter wieder rückgängig gemacht hatte129, recht fragwürdig geworden. Dies demonstriert der „Fall Kocour“, in dem der Kaiser infolge einer Intrige persönlich in die Rechtsprechung eingriff und wegen einer anscheinend zu nachlässigen Behandlung von Majestätsbeleidigung einen Generalprokurator und fünf Oberlandesgerichtsräte schuldlos vorzeitig in Pension schickte130. Die Rechtsprechung brachte somit durch das absolutistische Strafverfahrensrecht die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr131. Andererseits wurde durch die Formalisierung der Verwaltungsakte die Rechtsstaatlichkeit betont, wobei der Instanzenzug tatsächlich die wirksamste Art von Rechtsschutz darstellte132. Aus dieser Perspektive werden die beharrlichen Bemühungen der Minister um eine minuziös gleichmäßige Verteilung von Kontrolle und die Forderung nach unbedingter Trennung von Administration und Rechnungskontrolle, wie sie uns in der Diskussion um den Wirkungskreis der Obersten Rechnungskontrollbehörde entgegentritt, verständlich133.
Die Demonstration von legaler Herrschaftsausübung, um die es den Ministern sichtlich zu tun war, mußte also wegen Fehlens einer Verfassung auf den Verwaltungsakt verlegt werden. Der gut funktionierende bürokratische Apparat rückte damit immer mehr in den Mittelpunkt der staatlichen Tätigkeit. Zugleich wird damit der moderne „bürokratische Amtscharakter“ der neuen Regierung und Verwaltung134 immer mehr ausgedehnt. Die Schwerpunktverlagerung auf den Verwaltungsakt war im übrigen durchaus ein allgemeines Phänomen des europäischen Absolutismus135. Der der österreichischen Regierung und Verfassung jedoch auch später eigene „administrative Zug“ wurde in diesen Jahren entscheidend ausgeprägt.
„Neoständische“ und „Zentralisten“ in der Ministerkonferenz - Retrodigitalisat (PDF)
Das Jahr 1848 bedeutete auch hinsichtlich der Verwaltung eine Zäsur. Lorenz v. Stein, der berühmte zeitgenössische Verwaltungstheoretiker, hat die Bedeutung, die die Verwaltung durch den gesellschaftlichen Strukturwandel erlangt hatte, erkannt136, und er setzt bei seinem Versuch der Periodisierung der Verwaltungsgeschichte den Beginn der dritten (und letzten) Phase der Verwaltungsentwicklung, welche er jene des „sozialen Standpunkts der inneren Verwaltung“ und der „Entwicklung der Selbsttätigkeit des Volkes“ nennt, um die Mitte des 19. Jahrhunderts an — nach der ersten Phase der grundherrlichen und korporativen Verwaltung und der zweiten Phase der Sicherheitspolizei137. Zwar war für Stein in erster Linie Preußen das Modell seiner Betrachtungen. Jedoch auch in Österreich war dieses klassenbezogene Krisenbewußtsein bezüglich der Verwaltung feststellbar. Josef v. Eötvös z. B. erkannte kritisch, daß die ungarische Gesetzgebung „nicht die ungarische Nation“, „sondern bloß einzelne Klassen derselben“ vertrete138. Und war man auch von dem Gedanken einer Entwicklung der Selbsttätigkeit des Volkes im allgemeinen recht weit entfernt, so bestand über das Faktum, daß die Verwaltung zu reformieren war, bereits im Vormärz kein Zweifel mehr139. De facto hatte der Staat in verwaltungstechnischer Hinsicht nun andere Aufgaben zu erfüllen als zu Josefs II. Zeiten, in welchen die österreichische Verwaltung ihre charakteristische Formung erfahren hatte: Man hatte dem Strukturwandel, der sich mit der Abschaffung der alten Grundobrigkeit und Patrimonialgerichtsbarkeit herausbildete, und einer auch in Österreich immer mehr zum Zuge kommenden Industrialisierung mit (zwar langsamer) Bevölkerungsvermehrung und expandierender Wirtschaft Herr zu werden.
Auch setzte die liberale Theorie vom Staat, wie sie 1848 in Österreich zum Durchbruch kam, andere Prämissen. Über den einzuschlagenden Weg herrschten allerdings zwei grundsätzlich verschiedene Meinungen. Die „Neoständischen140“ sahen in einer möglichst weitgehenden Durchführung des föderalistischen Prinzips, die „Zentralisten“ in einer noch strafferen Vereinheitlichung die Möglichkeit zur Beseitigung vieler Übelstände — besonders hinsichtlich des Verfassungsproblems. || S. 41 PDF || Damit tritt das Dilemma des Verwaltungsproblems in Österreich zutage, zu welchem neben den ständisch-zentralistischen Gegensätzlichkeiten noch der nationale Pluralismus des Habsburgerreiches als entscheidender Faktor hinzukam.
In der Ministerkonferenz war der Exponent der „Neoständischen“ Leo Graf v. Thun-Hohenstein, jener der „Zentralisten“ Alexander Bach. Thun-Hohenstein war in der Grundlagendiskussion über die Organisation der Bezirksämter im früheren Ministerrat nachdrücklich für die Wiedereinführung der Patrimonialgerichtsbarkeit und die Einsetzung der früheren Obrigkeiten in der untersten Instanz eingetreten141 und schien seitdem passiven Widerstand zu leisten, nachdem er mit seinen Ideen nicht durchgedrungen war. Gelegentlich aber artikulierte er doch seinen Standpunkt, wie in der Ministerkonferenz vom 17. Mai 1853, wo er für die Betonung einer „provinziellen Gesetzgebung“ eintrat142. Die grundsätzlich verschiedene Einstellung trat, wenn auch übertragen auf die Kulturpolitik, klar in der „Germanisierungsfrage“ zutage, beispielsweise als über die Einführung der deutschen Sprache an der Universität Krakau die Meinungen Bachs und Thuns aufeinanderprallten und Thun sich gegen die Germanisierung, Bach für sie aussprach143.
Thun war in der Ministerkonferenz der einzige „neoständische“ Föderalist. Sein Verwaltungskonzept basierte auf der Idee der lokalen Selbstverwaltung nach englischem Muster und auf den Stadionschen Kreisen144. In außerministeriellen Diskussionen wurde der föderalistische Gedanke, zumindest publizistisch, in dieser Zeit sehr stark vertreten, so von dem bereits zitierten Freiherrn Andrian-Werburg145, von Graf Hartig146 oder auf ungarischer Seite von Baron Eötvös147 und Graf Szécsen148, von den böhmischen Aristokraten Clam-Martinitz und Wolkenstein149.
|| S. 42 PDF || Die Zentralisten, Bach an der Spitze, aber auch Karl Krauß und Baumgartner — Buols Haltung ist kaum definierbar —, waren in der Ministerkonferenz eindeutig in der Überzahl. Sie hatten auch eine wichtige Stütze im Reichsrat. Bemerkenswert ist dabei, daß trotz aller Divergenzen, die im allgemeinen zwischen Reichsräten und Ministern herrschten, in der Verwaltungsfrage im Grunde ein Konsens bestand. Die Modifikationen, die die ministeriellen Entwürfe in der Organisierungskommission erfuhren, betrafen, wie bereits ausgeführt, im allgemeinen nur die finanzielle Seite. Das Vorbild für die Verwaltung war Frankreich. Bach hat sich dabei direkt und bewußt an das französische Modell nach der Praxis im lombardisch-venezianischen Königreich gehalten150. Die Mitglieder der Organisierungskommission, im besonderen Kübeck151, aber auch die anderen, die fast alle der hohen vormärzlichen Bürokratie entstammten, waren dagegen Zentralisten josefinischer Prägung und kamen auf diesem Umweg zum französischen Vorbild152. Man war so gerade als Zentralist durchaus konservativ153. Inwieweit die josefinische deutsch-zentralistische Tradition die Entwicklung zum ausgeprägten bürokratischen Etatismus der Bachschen Reform bereits vorgezeichnet hatte, soll hier nicht untersucht werden. Jedenfalls war auch die Personalkontinuität der josefinischen Bürokratie in den mit der Durchführung der Reform befaßten Instanzen gegeben. Sie fiel sicher entscheidend ins Gewicht, und ihre Vorstellungen trafen sich in diesem Punkt mit jenen Bachs.
Bachs Anhängerschaft außerhalb der Ministerkonferenz — und bei diesen ist es deutlicher als bei Bach selbst — rekrutierte sich jedoch aus jenem anderen politischen Lager, das seine Ideen am liberalen Gedankengut geschult hatte und im nationalen Einheitsstaat westeuropäischer Prägung das Ziel sah. Einer der prominentesten Vertreter der Wiener Bürokratie Karl v. Hock, der als der beste Kenner des österreichischen Finanz- und Verwaltungswesens bezeichnet wurde154, ergriff auch in der Öffentlichkeit publizistisch für das Bachsche System Partei155. Daß diese Haltung unter den sogenannten Liberalen nicht auf Wien beschränkt blieb, davon legt Moritz v. Kaiserfeld, der spätere liberale Abgeordnete der Steiermark, Zeugnis ab156. Obwohl diese Liberalen im allgemeinen für die Verwirklichung des Konstitutionalismus eintraten, ist es doch interessant zu sehen, || S. 43 PDF || daß von ihnen ein „momentaner Absolutismus“ in Kauf genommen wurde157, um den administrativen Zentralismus durchzuführen, in dem sie das am besten geeignete Mittel sahen, „den großen Gedanken, die Einheit des Reiches, zu wahren“.
Dazu gehörte nicht nur, einen einheitlichen Staatsapparat zu schaffen, sondern die noch viel schwierigere Aufgabe, ein einheitliches Staatsvolk, eine Staatsnation, zu formieren. Dieses Anliegen tritt uns auch in den Diskussionen der Ministerkonferenz indirekt entgegen, z. B. als es um die Schaffung des Instituts für österreichische Geschichtsforschung ging158. Deutlich ausgesprochen wurde dieser Gedanke in diesem Zusammenhang von Joseph A. Helfert in seiner Schrift „Über Nationalgeschichte und den gegenwärtigen Stand ihrer Pflege in Österreich159“.
Daß die geforderte „Reichseinheit“ und das einheitliche Staatsvolk als Voraussetzungen für die als „weltpolitische Aufgabe“ Österreichs bezeichnete Führungsrolle in Deutschland gedacht waren, ist unverkennbar160. Innenpolitische Gestaltung und außenpolitische Zielsetzungen gingen Hand in Hand. Das neoabsolutistische Österreich hatte sich für die Großmachtpolitik nach außen und — daher auch — für den Verwaltungszentralismus im Inneren entschieden. Ob das für die österreichische multinationale. Staatskonstruktion ein vorteilhaftes Konzept oder auch nur praktisch durchführbar war, steht auf einem anderen Blatt. Es ist jedoch nicht zu vergessen: Im Rahmen des damaligen Begriffsverständnisses von Staat, Nation und Politik hatte man sich damit für eine moderne Staatlichkeit entschieden. Es war — wie unter Josef II. — ein großangelegter Versuch, das österreichische Staatsproblem durch konsequente Zentralisierung zu lösen.
Die Struktur des Verwaltungsapparates - Retrodigitalisat (PDF)
Das Gerüst, auf dem die neue Ordnung beruhen sollte, bildeten gleicherart für alle Länder Gemeinde, Bezirk, Kreis (mit Ausnahme der kleinen Länder, in denen diese wegfielen) und Statthalterei161. Die Kernpunkte der Stadionschen Verfassung von 1849 waren die freien, selbstverwalteten Gemeinden und die Kreise gewesen, welch letztere den nationalen Siedlungsgebieten angepaßt, halb autonom und halb der Zentralgewalt unterstellt, eigentlich „höhere Gemeinden162“ waren. Die Wirkungskreise der Statthaltereien waren eng begrenzt gewesen. Dagegen rückte die Bachsche Reform die Bezirke und Statthaltereien ins Zentrum der Verwaltungstätigkeit und erreichte dadurch eine Stärkung der Zentralgewalt, || S. 44 PDF || die sich vor allem in den Händen des Ministeriums des Inneren konzentrierte. Die Bürgermeister der Gemeinden, im Jahre 1850 gewählt, waren seit der Sistierung des Gemeindegesetzes und, seitdem die Verordnung in Kraft getreten war, wonach die Bürgermeister im Amte zu verbleiben hätten, im Grunde dem staatlichen Behördenapparat zuzuzählen, da sie nicht mehr Träger einer autonomen Verwaltung waren. Die Kreise waren nicht viel mehr als eine Art „delegierter Überwachungsorgane der Landesstellen163“ und hatten die Hauptaufgabe, die direkten Steuern zu verwalten164. Sie bildeten eine Art zweite „erste Instanz“ neben den Bezirksämtern, waren keine Träger der staatlichen Verwaltung im eigentlichen Sinne; die Überwachungsaufgabe über die Patrimonialgerichte war seit 1848 auch weggefallen. Die Kreise waren im Grunde entbehrlich und wurden im Jahre 1860 auch aufgelassen. Die Beibehaltung der Kreise unter Bach erfolgte weniger aus praktischen, sondern eher aus Traditionsgründen.
Die Behörden, in denen die Zentrierung der Amtsmacht erfolgte, welche sie gegenüber dem Volke zu repräsentieren hatten, waren die Statthaltereien und die Bezirksämter165. Daher stellen gerade diese beiden Instanzen gute Modelle dar, um zu untersuchen, wie der Verwaltungszentralismus in der Praxis aussah.
Der Grundsatz, der bei der Feststellung der Wirkungskreise der Statthalter galt, „daß der Statthalter in der Tat und allseitig der Stellvertreter des Ah. Landesfürsten in dem seiner Leitung anvertrauten Kronlande und ihm auch rücksichtlich aller übrigen nicht rein der politischen Sphäre angehörigen Zweige der Zivilverwaltung ein angemessener Wirkungskreis eingeräumt werde166“, war als Mittel gedacht, das Land als Spiegelbild des Reiches hinsichtlich der Machtstrukturen zu gestalten. Lag die Autorität auf Reichsebene ausschließlich in den Händen des Kaisers, so sollte sie auf Landesebene in jene des Statthalters gelegt werden. Die Statthalter selbst äußerten sich zu den Bachschen Vorstellungen der Machtkonzentration in ihrer Person verständlicherweise positiv. Als man die Frage diskutierte, welche Stellung die Schulbehörden und Lehranstalten des Landes haben sollten, waren die Landeschefs der übereinstimmenden Meinung, daß die Landesschulbehörden ein Departement der Statthalterei werden sollten — mit der signifikanten Begründung: Die einzelnen Ministerien sollten sich in den Ländern keine „besonderen Behörden und Organe“ schaffen, „deren getrennter Bestand dem Zusammenwirken und Ineinanderwirken der Regierungsgewalten vielfach abträglich erscheint“. Dieselbe Haltung nahmen sie in der ähnlichen Frage ein, wie ihre Stellung zu den Postbehörden, Montan- und Forstämtern, || S. 45 PDF || Justizstellen, Notaren, Advokaten usw. zu gestalten sei; man meinte nämlich, daß eine Einflußnahme der Statthalter auf die betreffenden Dienstzweige in hohem Grad wünschenswert sei, „weil alles, was von Wichtigkeit im Lande geschieht, den Chef des Landes interessieren müsse“, das von ihm auszuübende Aufsichtsrecht des Staates sich demgemäß auch auf die fraglichen Organe erstrecke167. Die beanspruchte Einflußnahme der Statthalter ging so weit, daß sie es ablehnten, die Disziplinargewalt über die Beamten zu teilen und die nach der Wiedervereinigung von Justiz und Verwaltung in den gemischten Bezirksämtern „von den höheren Justizorganen beanspruchte Teilnahme an der Ernennung der Bezirksvorsteher“ anzuerkennen. Aus demselben Grund wurde auch die Richteramtsprüfung als Anstellungserfordernis eines Bezirksvorstehers nicht akzeptiert168. Praktisch wurde jedoch die Mehrzahl der künftigen Bezirksvorsteher aus dem Stand der Bezirksrichter genommen169.
Die Statthalterei als Behörde war bereits mit einer erheblichen Machtbefugnis ausgestattet, daneben aber stand dem Statthalter persönlich in Angelegenheiten, die an und für sich nicht dem Ministerium des Inneren unterstellt waren wie er selbst, so als Leiter der Finanzlandesdirektion bzw. Steuerdirektion, in Kultus- und Unterrichtsangelegenheiten, in Polizei-, Handels- und Gewerbesachen, Bauangelegenheiten und bezüglich der Landeskultur, ein beträchtlicher Einfluß zu, welcher sich auch darin manifestiert, daß der Statthalter neben diesen genannten Angelegenheiten noch Leiter der Landesausschüsse und daß die Statthalterei grundsätzlich zweite Instanz in allen Dienstzweigen war170, was letzten Endes auf eine enorme Erweiterung der Machtsphäre des Ministeriums des Inneren hinauslief171. Justizminister Krauß bezeichnete die Statthalter als Bachs „eigene Polizei172“, und der ehemalige Außenminister Wessenberg berichtete von Gerüchten, daß alle Ministerien mit Ausnahme jener des Äußeren und des Inneren „eingehen“ und letzterem alle Verwaltungsbehörden unterstellt werden sollten173.
Auch in der Justizpflege, in der man in bezug auf die Einrichtung der höchsten Gerichtsstellen in den Ländern, der Oberlandesgerichte, im Jahre 1849 dem föderalistischen Prinzip insofern Rechnung getragen hatte, als jedem Kronland im allgemeinen ein eigenes Oberlandesgericht konzediert wurde, trat nun eine viel stärkere Zentralisierung ein, da man auf die Grenzen der Länder keineswegs Rücksicht nahm, in manchen Fällen einige Länder zu einem Oberlandesgerichtssprengel zusammenfaßte, andere wiederum teilte174. Daß diese Vorgangsweise den Ländern und vor allem in den Kreisen der ehemaligen ständischen Vertretungen || S. 46 PDF || eine arge Enttäuschung bereiten mußte, ist selbstverständlich. Diese waren hauptsächlich in den Vereinigten Landeskollegien versammelt, die zwar wiederum bestanden, denen aber nichts anderes verblieben war, als die Verwaltung des Landesvermögens und der landeseigenen Anstalten, wie der Wohlfahrtsanstalten.
Als zentralistisches Modell kann auch das von Bach geschaffene gemischte Bezirksamt gelten, in welchem die Stadionsche Bezirkshauptmannschaft und das Bezirksgericht vereint wurden. Diese Bezirksämter repräsentierten seit der mit ihrer Einrichtung vollzogenen Aufhebung der Trennung von Justiz und Verwaltung in unterster Instanz (mit Ausnahme des lombardisch-venezianischen Königreiches, wo die Trennung traditionell war) die gesamte Staatsgewalt unmittelbar dem Volk gegenüber. Die Wiedervereinigung ist allem Anschein nach tatsächlich eher aus praktischen Motiven erfolgt und keineswegs als theoretisch begründete Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung gedacht gewesen. Die seinerzeitige Trennung von Justiz und Verwaltung (1849) hatte auf die Bevölkerung höchst verwirrend gewirkt, und sie funktionierte nicht, weil die Bevölkerung gewohnt gewesen war, alle ihre Anliegen an ein und demselben Ort und bei ein und derselben Behörde zu erledigen, während sie sich nun an verschiedene Behörden mit dem drei- und vierfachen Geschäftsumfang zu wenden hatte. Es wurden bald vielfach Klagen laut175. Praktisch hatte nun der Bezirksvorsteher die politischen Agenden unter seiner Leitung, und der Adjunkt hatte das Amt eines Bezirksrichters zu versehen und die im allgemeinen begrenzte Rechtsprechung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, im Außerstreitverfahren und in bestimmten Fällen des Strafrechts zu übernehmen.
Das gemischte Bezirksamt bedeutete aber auch eine staatliche Machtkonzentration. Bei den teilweise noch herrschenden josefinischen Vorstellungen vom Fürsorgestaat, den die Verwaltung in erster Linie zu verwirklichen hätte, war das gleichbedeutend mit einem enormen Eingriff des Staates in das Individualleben. Eduard Bach, der Statthalter von Oberösterreich und Bruder des Innenministers, definierte seine Auffassung in einem Schreiben an seinen Bruder gelegentlich der Einrichtung der Bezirke sehr deutlich: „Im Wesen der politischen Verwaltung spielt sich die ganze Welt innerhalb des Rahmens ab, den das Gebiet des Amtsbezirkes bildet, es begleitet den Menschen von der Wiege bis zum Grabe“, und die Konzentration der Verwaltung in einem Amte solle tunlichst erfolgen, „damit den Bedürfnissen der Bewohner sowie den Bedingungen der Wohlfahrt aller Schichten derselben entsprochen und die Stärke der Regierung zur Befestigung der Sicherheit, Einheit und Macht des Staates kräftig werde176.“
|| S. 47 PDF || Darum galt auch bei Abgrenzung eines Bezirksamtes, daß es ein ziemlich „kleiner Rahmen“ sein und eine Seelenzahl von 15.000 bis 20.000 nicht übersteigen sollte177. Bezüglich des Aufbaues des Behördenapparates hatte sich nach außen hin gegenüber der Stadionschen Verfassung nicht sehr viel geändert. Durch die Schwerpunktverlagerung von den Gemeinden und Kreisen auf die Bezirke und Statthaltereien hatte sich der Stellenwert jedoch völlig verschoben — nicht nur innerhalb der Verwaltungsorganisation, sondern im politischen System überhaupt178, was an eine Grundfrage der politischen Form des österreichischen Kaiserstaates rührte. Das Bachsche Konzept des bürokratischen Zentralismus mit den Statthaltereien als eigentlichen Machtzentren negierte zwar eine selbständige Position der Länder völlig, ermöglichte es aber zugleich, über die Verwaltungstechnik die Tradition der Länder in ihren althergebrachten Territorialverhältnissen aufrechtzuerhalten. Die Stadionschen Kreise als Verwaltungsmittelpunkte mit ihrer Anpassung an die nationalen Siedlungsgebiete und ihrem halbautonomen Status hätten — und dies war der Angelpunkt — in weit größerem Maße trotz all der zugestandenen Autonomie die Möglichkeit in sich geboten, den angestrebten Gesamtstaat zu schaffen. Diese Tatsache wurde von einem Zeitgenossen folgendermaßen kommentiert: „In der Teilung der größeren Kronländer in mehrere Kreisregierungen von dem Umfange und mit dem Wirkungskreise der französischen Präfekturen lag offenbar der Gedanke der allmähligen Auflösung ihrer [der Länder] historischen Konsistenz ausgesprochen. An einem schönen Tag wären die jene Kreisregierungen zusammenhaltenden, nach den ihnen zugestandenen Attributen ziemlich müßigen Statthaltereien aufgelöst worden, und es hätte in der österreichischen Verwaltung kein Ungarn, kein Böhmen, kein Galizien mehr gegeben179.“
Dagegen erschienen die Bachschen Organisationrichtlinien, vor allem die Kreise, den Zeitgenossen als „Zwittergeschöpfe, welche, wenn der französische Zentralismus obsiegte, die Statthalter aufzehren mußten, oder aber von diesen verschlungen wurden, wenn der österreichische Föderalismus stärker bleiben sollte, welcher eine Nivellierung und Unifizierung der Königreiche und Länder durch eine Departementeinrichtung auf das entscheidenste zurückweisen müßte180“. Tatsächlich barg die Bachsche Organisation mehrere Entwicklungsmöglichkeiten in sich, die unterschiedlichen politischen Systemen anzupassen waren.
|| S. 48 PDF || In diesem Zusammenhang wird die Frage relevant, ob dieser vom absolutistischen Regime so rasch aufgebaute bürokratisch-absolutistische Zentralismus als Dauerlösung gedacht war. Was den bürokratischen Zentralismus betrifft, so war dieser wohl auf Dauer berechnet gewesen. Die geschaffenen Institutionen des bürokratischen Zentralismus erfüllten ihren Zweck des staatlichen Neubaues und erwiesen sich als lebensfähig. Was den politischen Absolutismus angeht, so scheint es zumindest fraglich, ob er als dauernde oder nur vorübergehende Einrichtung gedacht war. Jedenfalls wurde zumindest ganz konkret an die Einsetzung der im Silvesterpatent angeordneten Landes- und Kreisausschüsse gedacht181 — allerdings erst nach Vollendung der Verwaltungsorganisation. Die in dieser Zeit entworfenen und in verschiedenen Ministerkonferenzen diskutierten Landesstatuten182 — ein Streitobjekt zwischen Bach und Kübeck durch Jahre hindurch — konnten allerdings der historischen Position der Länder und ihren Wünschen nach Autonomie in keiner Weise Genüge tun. Sie waren streng in den zentralistischen Rahmen eingepaßt. An ein „Wiederaufleben der ständischen Verfassung183“ wurde von Bach nicht gedacht, eher vielleicht an eine Institutionalisierung eines „Reichskollegiums184“ nach Art eines Herrenhauses, das aber ebenso konsequent in das zentralistische System eingebaut sein sollte. Bach selbst betonte Jahre später seine konstitutionellen Absichten entschieden und meinte expressis verbis, daß es „die Aufgabe der Gegenwart“ gewesen sei, durch eine gute Verwaltung für eine parlamentarische Zukunft vorzubereiten185“, mit dem obersten Ziel, ein einheitliches Österreich zu schaffen. || S. 49 PDF || Wenn auch diese Äußerungen mit Vorsicht aufgenommen werden müssen, so sind sie jedenfalls doch nicht ganz von der Hand zu weisen. Krone und Reichsrat scheinen allerdings auf strenge Beibehaltung absolutistischer Formen auch in Verwaltungsangelegenheiten geachtet zu haben, wie die Ah. Entschließung vom 18. März 1855 über die „Zusammensetzung der mit Ah. Kabinettsschreiben vom 3. Juli 1854 angeordneten Beratungskommissionen für Landesstatute“, beweist, in der es heißt: „Die Aufgabe dieser Kommissionen kann hiernach weder eine sehr ausgedehnte noch viel Zeit erfordernde sein, […] als es überhaupt zu vermeiden ist, bei den Kommissionen, die nur zu faktischen Aufklärungen und Meinungsäußerungen berufen sind, Glauben an einen ihnen zustehenden Charakter von konstituierenden Vertretungen zu erregen186.“
Alle diese Entwürfe wurden freilich nie realisiert. Als sie 1859 endlich die verschiedenen Gremien des Reichsrates passiert hatten,b war die Zeit über sie hinweggerollt, und sie waren in der beabsichtigten Form nicht mehr zu verwirklichen. Von dem großen Bachschen Projekt wurde letzten Endes nur die erste Etappe — die Verwaltungsorganisation — ausgeführt.
Zur politischen Funktion und materiellen Lage der Beamtenschaft - Retrodigitalisat (PDF)
Ein Wort muß hier noch über die Beamten gesagt werden, da ihnen ja bei der Ausführung des neuen Systems eine maßgebliche Rolle zugedacht war. In den Protokollen der Ministerkonferenz tritt die Bedeutung der Beamten klar zutage, wenn auch sehr oft indirekt im Zusammenhang mit den Problemen des Personal- und Besoldungsstandes. Auch bei der Frage der Verwaltungsausgaben spielten sie eine beträchtliche Rolle. Das Feilschen um oft sehr kleine Beträge187 wirft die Frage auf, wie es um die tatsächliche finanzielle Lage der Verwaltung eigentlich bestellt war.
Der durch die Reformen seit 1848 ständig anwachsende Apparat der Verwaltung verursachte bei der Ausdehnung des Reiches naturgemäß immer mehr Verwaltungsauslagen. Es stimmte, daß das Militäretat im Durchschnitt sehr oft höher lag als jenes der Zivilverwaltung, beispielsweise in den Kriegsjahren 1848, 1854, 1855 und 1856. Das Anwachsen der Verwaltungsausgaben war jedoch unvergleichlich höher als jenes der Militärauslagen: die letzteren waren von 76,611.484 fl. im Jahre 1848 auf 129,031.578 fl. im Jahre 1851 gestiegen, dann auf 115,870.414 fl. im Jahre 1853 und auf 115,393.841 fl. im Jahre 1857 gesunken. Die Auslagen für die Zivilverwaltung stiegen kontinuierlich von 55,229.597 fl. im Jahre 1848 || S. 50 PDF || auf 111,218.325 fl. im Jahre 1851, 131,504.172 fl. im Jahre 1853 und 162,336.244 fl. im Jahre 1857188. In Anbetracht dessen jedoch, daß der Staat seit 1848 die Arbeit der ehemaligen Herrschaftsämter und Patrimonialgerichte übernommen, die Finanzverwaltung und die öffentliche Sicherheitspflege auf Ungarn und die ehemaligen Nebenländer ausgedehnt, die Grundentlastungs- und Bergentschädigungskommissionen und die Urbarialgerichte eingesetzt hatte, erscheinen diese Mehrkosten unausbleiblich und nicht einmal so hoch189. Bei der angespannten Finanzlage bildeten diese Verwaltungsausgaben jedoch eine erhebliche Belastung des Budgets. Verständlicherweise wurde daher gerade bei Erstellung des Personalstandes der Behörden streng kalkuliert. Die Weisung, „den Staatsschatz zu schonen“, kam von allerhöchster Stelle: Der Kaiser entschied bei Alternativvorschlägen prinzipiell für die billigeren, kamen sie nun von seiten der Ministerkonferenz oder der Organisierungskommission190, und ordnete gelegentlich selbst Einsparungen an, wie im Falle des Personalstandes der Landesregierung für Krain191. Ganz selten nur entschied er bei einem Alternativantrag für die teurere Lösung192.
Der Personalstand war im allgemeinen bereits in den Vorschlägen der Organisierungslandeskommissionen sehr knapp bemessen, wurde jedoch in den Zentralstellen noch weiter reduziert, so daß dieses Umstandes wegen bereits Klagen der Statthalter eintrafen, || S. 51 PDF || die sichere Geschäftsführung könne bei reduziertem Personalstand bald nicht mehr garantiert werden193.
Von politischer Bedeutung ist auch die Frage, ob die Gehälter der Beamten, über deren Höhe so oft in der Ministerkonferenz gefeilscht wurde, ihrer Position und der ihnen zugedachten Funktion auch entsprachen. Offenbar fühlten sich alle Beamten unterbezahlt. Sogar Graf Bissingen, der Statthalter von Tirol, äußerte sich im Jahre 1852 besorgt — und wohl zu Unrecht — über die Unzulänglichkeit der Statthalterbezüge — sie verdienten nach dem neuen Besoldungsschema dann 6000 bis 8000 fl. nebst freier Wohnung und 4000 bis 8000 fl. Funktionszulage —, „die bei dem verringerten Geldwerte und den höheren Preisen aller Bedürfnisse in keinem Verhältnisse stunden mit den Anforderungen […], standesgemäß zu leben und eine würdige Repräsentation zu bilden194“.
Wirklich schlecht waren die mittlere und schon gar die untere Beamtenschaft gestellt. Ein Bezirksadjunkt, der nach heutigen Begriffen Bezirksrichter war, nachdem die Bezirksvorsteher die Qualifikation hiefür nicht besitzen mußten195, verdiente 700 bis 800 fl. pro Jahr. Der Lokalpreis einer Wohnung mit fünf Zimmern, Küche und Nebenräumen, welche für eine sechsköpfige Familie, bestehend aus Mann, Frau, drei Kindern und einem Dienstboten (das entsprach der damaligen Durchschnittsfamilie196), das Mindestmaß darstellen mußte, betrug beispielsweise für die Steiermark in der Stadt Graz 300 fl. pro Jahr, in Leibnitz gar 400 fl., die billigsten Lokalpreise gab es in Feldbach mit 140 fl., in Friedberg und Deutschlandsberg mit 150 fl.197
Im Jahre 1857 berechnete E. v. Schwarzer die Lebenshaltungskosten der sogenannten „kleinen Honoratioren auf dem Lande“ (dazu zählte er kleine Staatsbeamte, Schullehrer, Gemeindebeamte, pensionierte Subalternoffiziere) für eine Durchschnittsfamilie in summa mit 500 fl. jährlich (298 fl. 40 Kreuzer „um sich satt zu essen“, 57 fl. 21 Kreuzer „um sich anständig zu kleiden“, 86 fl. „um anständig zu wohnen“, inklusive Mietzins, Beheizung, Kerzen, Seife, Stiefelwichse, Kaminfeger, Lohn für den Dienstboten etc., 47 fl. 40 Kreuzer für Möbel, Küchengeräte, Tischzeug und Betten, Lehrmittel für Kinder, 25 fl. 20 Kreuzer „für das Überflüssige wie Unterhaltung, Wein, Bier, Tabak, für den Spar-, Wehr- und Ehrenpfennig, Rasieren, Haarschneiden usw.“)198. Zieht man ins Kalkül, daß Schwarzers Berechnungen viel zu optimistisch angesetzt waren und nicht stimmen konnten — er setzte beispielsweise den Mietzins mit 86 fl. an, || S. 52 PDF || wo es selbst in den kleinen Bezirksstädten der Steiermark unmöglich war, eine Wohnung unter 140 fl. zu finden —, und rechnet man, daß ein Bezirksadjunkt in der Beamtenhierarchie nicht mehr ganz zu den „kleinen Honoratioren“ gehörte und ihm höhere Lebenshaltungskosten erwuchsen, so wird deutlich, daß er mit 700 bis 800 fl. Gehalt kaum sein Auslangen finden konnte.
Dazu gab es bei den Konzeptsbeamten (das waren die akademisch gebildeten Beamten) noch ein Heer von Auskultanten und Konzeptspraktikanten, die im besten Falle ein „Adjutum“ von 300 fl. bezogen, sofern sie überhaupt besoldet waren. In der Steiermark waren beispielsweise von 50 vorgesehenen Auskultantenstellen 40 gänzlich unbesoldet199. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf die wenig erfreuliche finanzielle Situation der Beamtenschaft.
Wie schlecht die Lage der Beamten tatsächlich war, zeigen die Verhandlungen Bachs mit den übrigen Ministern über die Erhöhung der Beamtengehälter in den Ministerkonferenzen vom 2. Juni, 11. Dezember und 22. Dezember 1855, aus denen auch ersichtlich wird, wie hoch der Anteil der gering Besoldeten in der Beamtenschaft war. Auf die Gehaltsklassen von 150 bis 500 fl. entfielen beispielsweise 9,600.000 fl. an Personalkosten, während für jene über 6000 fl. 700.000 fl. im Jahresetat berechnet wurden200. Infolge dieser prekären finanziellen Situation kam es des öfteren zu Unterschlagungen, besonders von seiten der niederen Beamten201. Auch Erscheinungen des Pauperismus wurden verzeichnet, und in den Berichten aus Ungarn an Innenminister Bach fielen Bemerkungen wie, daß „der tatsächlich hungernde Beamte auch tatsächlich zu arbeiten nicht fähig sei202“. Das ohnehin so niedrig bemessene Gehalt verlor überdies durch die Teuerung203 in jenen Jahren ständig an Kaufkraft.
So verlor das staatliche Beamtentum, dessen man überall in zunehmenderem Maße zur exakten Ausführung des neoabsolutistischen Reformprogramms bedurft hätte, an Attraktion für die Jugend. Es fehlte an Nachwuchs in Ungarn, in Böhmen und in der Steiermark204, wo es bereits für die besoldeten Auskultantenstellen an Nachwuchs mangelte, weil „sich die aus den Studienjahren tretenden Jünglinge jeder andern Richtung, dem Notariat, der Advokatur, dem Auditoriat, dem Militärstande, dem kameralistischen Stande“ lieber zuwendeten als dem Justiz- und Verwaltungsdienste, von dem sie „die Sorge, eine anständige Subsistenz bei den jetzigen Teuerungsverhältnissen in den Emolumenten der höheren Gehaltsstufen zu erlangen, der angestrengte Dienst, die entfernte Hoffnung auf Beförderung, || S. 53 PDF || die lange Dauer des bisherigen Provisoriums“205 abhielten. Der bereits mehrmals genannte E. v. Schwarzer bezeichnete das Mißverhältnis zwischen den Einnahmen der Staatsdiener und dem der anderen Staatsbürger „durch die großen Fortschritte in der Produktion und Konsumption“ als abnorm, besonders gegenüber den der Privatbeamten, und empfahl dringend die Anhebung der Bezahlung sämtlicher Staatsbeamten in eine höhere Gruppe — „im Interesse des gesellschaftlichen Gleichgewichtes“ und als „praktische Maßregel“, den Nachwuchs zu fördern206.
Die anfangs gehegte Hoffnung, durch das Beamtentum eine integrierende Wirkung auf die national so heterogenen Kräfte zu erzielen, scheint nicht einmal schlechte Chancen gehabt zu haben, Früchte zu tragen. Nicht einmal in Ungarn, wohin man zunächst aus rein verwaltungstechnischen Gründen Instruktoren berief, welche sowohl im Gesetz wie in der Behördenorganisation bewandert waren und ihre Kenntnisse an die ungarischen Beamten weitergeben sollten207. Die bereits zitierte anonyme Schrift aus dem Jahre 1861 meint rückblickend: „Es war allenthalben eine freudige, hoffnungsreiche Tätigkeit, die sich auch — durch häufige Eingehung von Ehen äußerte … Alles heiratete und bunt mischten sich Nationen und Religionen und politische Faktionen, so daß man zu der Hoffnung berechtigt schien, alle diese feindlichen Unterschiede würden in einigen Jahren, bis ,die Kleinen‘ miteinander in die Schule gingen, verschwunden und ausgeglichen sein208.“
Doch die Folgen waren letzten Endes gänzlich konträr. Durch die Verschiebung des sozialen Status der Beamtenschaft kam es langsam auch zu einem empfindlichen Autoritätsschwund der Bürokratie, besonders in Ungarn. In Ungarn war das Volk gewohnt gewesen, in seinen Beamten große Herren zu sehen, die in seinen Augen das „große Leben“ repräsentierten, und deshalb zollte man ihnen Respekt. Die neuen „deutschen“ Beamten — auf ihre kleinen Gehälter angewiesen — konnten es diesbezüglich den früheren nicht gleichtun und genossen deshalb nur geringe Achtung bei der Bevölkerung209. Auch in Böhmen war die Lage der unteren Beamten bald so prekär, daß von einer „Proletarisierung“ der Beamtenschaft gesprochen wurde, und die Haltung der sozial besser gestellten bürgerlichen Gesellschaft gegenüber den schlecht besoldeten Beamten war höchstens von Mitleid, nicht aber von dem Bewußtsein bestimmt210, || S. 54 PDF || „die eigentlichen Träger des Staates“ vor sich zu haben, was Bach im eigentlichen in ihnen verkörpert sehen wollte211.
Das neoabsolutistische Programm, durch Verwaltungsorganisation und Bürokratie aus diesem Reich mit so differenten Strukturen einen Staat modernen Gepräges mit einem Staatsvolk zu schaffen, scheiterte. Die zentralistische Verwaltungsorganisation entbehrte, anders als im Modellstaat Frankreich, der starken Stütze eines einheitlichen Staatsvolkes, das sich mit dieser identifizieren konnte. Verwaltungsorganisation und Bürokratie, die dazu bestimmt gewesen waren, jene Identität von Verwaltungsorganisation und politischer Bevölkerung zu schaffen, förderten letzten Endes sogar, zumindest was die Bürokratie betrifft, die nationale Desintegration. Um einen wirklichen Effekt der Verwaltungsreform zu erzielen, hätte es eines größeren Einsatzes an finanziellen Mitteln und einer weit längeren Zeitdauer der Wirksamkeit der Verwaltungsreform bedurft.
Die Verwaltung im Spannungsfeld von Reaktion und Reform - Retrodigitalisat (PDF)
Die Verwaltungsreform, die seit dem Silvesterpatent von 1851 im Zentrum der staatlichen Tätigkeit stand, war, wie gezeigt wurde, ein Mittel des staatlichen Neubaus und der Disziplinierung der im Jahre 1848 zutage getretenen heterogenen Kräfte212. Ein moderner Staatsapparat sollte einerseits die Grundlage für eine moderne liberale Wirtschaftsgesellschaft schaffen, andererseits im Sinne der Restauration die auf dem monarchischen Prinzip beruhende legitime Rechtsordnung, wie sie vor der Revolution geherrscht hatte, wiederherstellen. Damit zeigt sich das Spannungsfeld zwischen Reform und Reaktion, in welchem sich die Verwaltung befand. Demgemäß weist sie selbst, in ihren Reformen, ihrem Apparat und ihrem Wirken reformerische und reaktionäre Züge auf.
Als traditionell ist der stark betonte Zentralismus einzustufen. Der Behördenapparat sollte trotz aller Neuerungen den Eindruck der Kontinuität der altüberkommenen Institutionen erwecken. Anders wäre die Beibehaltung der fast funktionslos gewordenen Kreise nicht zu verstehen, und die Statthalter waren in ihrem Wirkungskreis eindeutig Nachfolger der vormärzlichen Gouverneure. Sogar der alte „Klassencharakter“ der feudalen Gesellschaftsordnung der Zeit vor 1848 sollte teilweise in der Verwaltung wieder zum Ausdruck kommen, wie die Bestimmung des Silvesterpatents zeigt, daß der große Grundbesitz aus den Gemeinden auszuscheiden wäre213, wenn auch die tatsächliche Verwirklichung letzten Endes nur darum in Angriff genommen wurde, um die Zustimmung des feudalen Grundbesitzes zum absolutistischen System zu gewinnen214. In dieselbe Richtung zielte die Absicht, die Unterschiede zwischen Land- und Stadtgemeinden, || S. 55 PDF || „besonders in Ansehung der letzteren, die frühere Eigenschaft und besondere Stellung der königlichen und lf. Städte215“, wieder zu berücksichtigen. Durchaus patrimonial war auch die Auffassung des Dienstverhältnisses der Beamten, das die persönliche Bindung des Staatsdieners an den Kaiser in den Mittelpunkt stellte. Er war nicht „Staatsbeamter“, er war „kaiserlicher Beamter216“, und erst viel später sprachen die Verwaltungspraktiker in Österreich davon, daß der Staatsdienst „aus einem Fürsten- zu einem wirklichen Staatsdienst“ geworden sei217.
Dagegen entsprachen Verwaltungsapparat und Geschäftsgebarung durchaus den Ansprüchen der Zeit. Die Behördenorganisation arbeitete mit präziser Verwaltungstechnik, deren Charakter ein geschäftsmäßiger war. Schon die Ausarbeitung der Reformen bewies, daß sachliche, rationale Aspekte den Geschäftsgang bestimmten. Die Einführung des monokratischen Systems garantierte im Vergleich mit dem früher gehandhabten kollegialen eine raschere Abwicklung des Geschäftsganges und eine bürokratische Straffung und schuf zudem den Typ des neuen Amtschefs, der für seine Amtsführung voll verantwortlich haftete218. Die Trennung von Justiz und Verwaltung (überall durchgeführt mit Ausnahme der untersten Instanz) entsprach den modernen Vorstellungen von der Gewaltenteilung. Erlässe und Instruktionen sorgten für die Regelhaftigkeit und die sachliche Zweckbestimmtheit. Die Durchsetzung des Prinzips der strengen Sachbezogenheit kam vor allem der Gerichtsbarkeit zugute, was sich in besonderem Maße in Ungarn, und hier wiederum für die bäuerliche und die jüdische Bevölkerung, vorteilhaft auswirkte. Das altungarische Prozeßrecht hatte es ermöglicht, Erb-, Pfand- und Konkursstreitigkeiten 50 bis 100 Jahre und mehr durch eines der unzähligen Verzögerungsmittel des altungarischen Prozesses in die Länge zu ziehen219. Die Sicherheit der Person und des Eigentums eines Untertans war durch den beamteten, wenn auch seit dem Silvesterpatent nicht mehr unabhängigen Richter zweifelsohne mehr geschützt als durch die grundherrliche Obrigkeit. Im Bereich der politischen Verwaltung wurde der Trend, das Prinzip der sachlichen „Unpersönlichkeit“ durchzusetzen, in dem Mißtrauen deutlich, das man den alten munizipalen Obrigkeiten und ihrer Fähigkeit, Amtsgeschäfte zu führen, entgegenbrachte. Wäre es auch aus finanziellen Gründen wünschenswert gewesen, diesen in häufigeren Fällen die Verwaltung || S. 56 PDF || zu übertragen220, da sie dann auch für die Verwaltungskosten aufzukommen hatten, so war dies doch nicht mehr recht praktikabel. Das Kommunalwesen selbst jener Städte, die früher Verwaltungsgeschäfte geführt hatten, lag im argen, die Städte waren verarmt, und die Magistrate genossen nur wenig Achtung bei der Landbevölkerung. Vor allem aber waren die engen persönlichen Beziehungen der Kommunalbeamten zur Bevölkerung den Reformern in den Ländern suspekt221.
Alle diese Merkmale der Amtsführung der neuen Verwaltung entsprechen in vollem Sinne dem, was Max Weber als „bürokratische Struktur“ einer Herrschaftsform bezeichnete und in ihrer Wirkung als revolutionär einstufte: „Die bürokratische Struktur ist überall spätes Entwicklungsprodukt […]. Die Bürokratie ist ,rationalen‘ Charakters: Regel, Zweck, Mittel, ,sachliche‘ Unpersönlichkeit beherrschen ihr Gebaren. Ihre Entstehung und Ausbreitung hat überall in jenem besonderen, noch zu besprechenden Sinn ,revolutionär‘ gewirkt, wie dies der Vormarsch des Rationalismus überhaupt auf allen Gebieten zu tun pflegt. Sie vernichtet dabei Strukturformen der Herrschaft, welche einen, in diesem speziellen Sinn, rationalen Charakter nicht hatten222.“ Die fortschreitende Bürokratisierung förderte diesen Prozeß auch im österreichischen Kaiserstaate — selbst wenn sie dem Geiste nach restaurativ zur Herstellung der alten von der monarchischen Souveränität abgeleiteten Rechtsordnung zur Unterstützung eines reaktionär-absolutistischen Systems gedacht war. Ja, das eine bedingte sozusagen das andere. Je mehr sich die Regierung vom Boden der Repräsentativverfassung entfernte, umso mehr mußte sie „aus eigener Initiative um eine Modernisierung des Staatsapparates und die Durchführung zeitgenössischer Reformen […] besorgt sein223“. Je mehr sich aber diese moderne „bürokratische Struktur“ durchsetzte, desto mehr änderte sie auch die Herrschaftsstruktur an sich. Sie vernichtete in Österreich endgültig die alten Herrschaftsformen der patrimonialen und munizipalen Obrigkeit und die Vorstellungen vom Wohlfahrtsstaat, die besonders in den Kreisen außerhalb der Wiener Zentralbürokratie in diesen Jahren noch stark vertreten waren224. Verwaltungsverständnis und Bürokratie || S. 57 PDF || sahen am Ende dieser Periode anders aus als zu Beginn225, und es erscheint in diesem Zusammenhang nicht zufällig, sondern als Zeichen der Entwicklung der bürokratischen Struktur, daß man nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges von 1859, als man die „konstitutionellen Wünsche“ in der Ministerkonferenz zu beraten begann, gleichzeitig auch mit der leidigen Tatsache konfrontiert war, Beamte wegen „öffentlichen Tadels des Regierungsverfahrens“ entfernen zu müssen226.
Zum Kommentar - Retrodigitalisat (PDF)
Der Kommentar des vorliegenden Bandes wurde im allgemeinen so gestaltet wie jener des ersten Bandes des Ministeriums Buol-Schauenstein227. Es wurden auch dieselben Aktenbestände und Archive, d. h. in erster Linie die Wiener Archive, herangezogen. Dazu muß gesagt werden, daß, da die Agenden des Kriegsministeriums der Beratung der Ministerkonferenz entzogen und das Kriegsministerium aufgelöst war228, das Kriegsarchiv für den vorliegenden Band nur sehr wenig benützt wurde. Für die wenigen in der Ministerkonferenz besprochenen militärischen Belange vertrat GM. Joseph Freiherr v. Bamberg, ein Generaladjutant des Kaisers, die Militäradministration.
Auch für die im vorliegenden Band so ausführlich behandelten Verwaltungsfragen wurden für die Erstellung des Kommentars in erster Linie die Akten der Wiener Archive berücksichtigt. In Betracht kam das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Bestand Kabinettskanzlei, in dem die Vortragsextrakte der Minister aufbewahrt werden. Auf der Basis dieser Vortragsextrakte, die in der Kabinettskanzlei aus den ausführlicheren Originalvorträgen angefertigt wurden, beruht die kaiserliche Willensbildung. In erster Linie war für das Problem der Verwaltungsreform aber das Material des Allgemeinen Verwaltungsarchivs relevant, und zwar im besonderen jenes der Ministerien des Inneren und der Justiz. Diese Bestände wurden jedoch einerseits durch den Justizpalastbrand im Jahre 1927 stark reduziert (besonders betroffen war der Bestand des Innenministeriums), andererseits skartiert bzw. nach 1918 an die Nachfolgestaaten ausgeliefert. Für das Verwaltungsproblem fanden sich daher nur wenige Quellen, oft kaum benützbare Brandakten im Ministerium des Inneren. Besser bestellt war es diesbezüglich um das Material des Justizministeriums, in dessen Bestand „Allgemeine Reihe“ vor allem die wichtigen Protokolle der Ministerialkommissionen229, soweit überhaupt vorhanden, aufbewahrt sind. || S. 58 PDF || Der Aktenbestand des Finanzarchivs war für die Frage Verwaltung und Bürokratie wenig ergiebig. Da nun im vorliegenden Band hauptsächlich die Verwaltungsorganisation in den Ländern besprochen wurde und das Material der Wiener Archive zuwenig ausreichend erschien, wurden die Aktenbestände der Landesarchive, wenigstens jener, die im heutigen Österreich liegen, für den Kommentar herangezogen. In den Landesarchiven für Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark und Tirol befinden sich die sehr reichhaltigen Akten der Organisierungslandeskommissionen (in Klagenfurt fehlt dieser Bestand), die im wesentlichen die Arbeit der Durchführung der Bachschen Reform leisteten. Das Material ist nicht nur für die Verwaltung interessant, sondern, da man bemüht war, die neuen administrativen Institutionen den strukturellen Gegebenheiten der einzelnen Länder anzupassen, gibt es auch Aufschluß über verschiedenste Faktoren, die man bei der Einrichtung des neuen Behördenapparates in Rechnung stellte, wie geografische Landesbeschaffenheit, historische Gebietseinteilung, behördengeschichtliche Entwicklung, Verkehrstechnik, Handel, Wirtschaft und Industrie, Volkscharakter und Mentalität der Bevölkerung usw. Die Protokolle der Organisierungskommissionen, die Monatsberichte und die Organisierungsoperate, die an die Ministerien gesandt wurden, erscheinen als die wichtigsten Aktenstücke. Hauptsächlich diese wurden aus dem sehr reich vorhandenen Material für den Kommentar benützt.
Die Akten der ungarischen Archive, des Ungarischen Staatsarchivs (Magyar Országos Levéltár) und des Ungarischen Kriegsarchivs (Magyar Hadtörténelmi Levéltár), in Budapest wurden — wie bereits für die Kommentierung des Bandes III/1 des Ministeriums Buol-Schauenstein — für ungarische Probleme herangezogen230. Hinsichtlich dieser wäre noch das Hauptwerk über den ungarischen Neoabsolutismus von A. Berzeviczy zu erwähnen231, dessen Benützung sich für Fragen des Neoabsolutismus in Ungarn von selbst versteht und das daher nicht ausdrücklich an allen zutreffenden Stellen zitiert wurde.
Zum besseren Verständnis der Protokolltexte und zur Verdeutlichung des Verwaltungsaufbaus wurden am Ende dieser Einleitung Tabellen über die Verwaltungsorganisation des österreichischen Kaiserstaates als Anhang beigefügt. Auch die allgemeine auf den Verwaltungsaufbau bezogene Literatur wurde hier zitiert. Da die letzten Kapitel der Einleitung als Erweiterung des Kommentars jener Tagesordnungspunkte der Protokolle, die sich auf die Verwaltungsorganisierung beziehen, verstanden werden, unterbleiben in den Anmerkungen Rückverweise auf die Einleitung und auf die in der Einleitung zitierte Literatur.
Für die Heranziehung der Bezugsakten, für die Zitierweise und die Schreibung der Eigen- und der Ortsnamen gelten dieselben Regeln wie für den ersten Band des Ministeriums Buol-Schauenstein232. Die Ah. Entschließungen wurden im Kommentar nur dort angeführt, wo sie vom Antrag der Ministerkonferenz abweichen.