Nr. 105 Ministerrat, Wien, 24. Juni 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Gyulai, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 25. 6.), Krauß 3. 7., Bach 3. 7., Kulmer 3. 7.; abw.abwesend Stadion, Bruck.
MRZ. 2113 – KZ. 1808 –
- I. Verträge mit Modena und Parma
- II. Friedensverhandlungen mit Sardinien
- III. Verhandlungen mit Venedig
- IV. Amnestiefrage für das lombardisch-venezianische Königreich
- V. Nachrichten vom ungarischen Kriegsschauplatze und von Venedig
- VI. Untersuchung gegen Ludwig Graf Batthyány
- VII. Anstellung Georg Edlers v. Stratimorivić beim österreichischen Militär
- VIII. Grenzsperre gegen Ungarn
- IX. Munitionsverlust bei Semlin
Protokoll der am 24. Juni 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Auswärtigen und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Verträge mit Modena und Parma
Der Ministerpräsident brachte die bereits gestern erwähnten, von dem Minister Ritter v. Bruck unterm 18. d.M. einbegleiteten Entwürfe zu Konventionen mit Modena etc. a) wegen der Grenzberichtigung, b) wegen des Zollvereins, c) wegen der freien Schiffahrt auf dem Po und d) wegen Regulierung des Postwesens zum Vortrage, welche Konventionsentwürfe vorgelesen wurden1.
Ad a) Was die Grenzberichtigung anbelangt, wurde vor allem bemerkt, daß die Grenze zwischen den drei Uferstaaten Modena, Parma und dem Römischen nicht ganz im Talwege des Po ging, und daß diese Staaten Zölle auf diesem Flusse eingehoben haben. Der Herzog von Modena will sich nun der Hoheitsrechte auf das linke Po-Ufer ganz begeben, so daß der Talweg des Po künftig die Grenze bilden soll, wogegen Österreich den Distrikt von Rolo (einen Teil des Mantuanischen) an Modena abtreten müßte. Der Minister Ritter v. Bruck bemerkte, daß der Herzog von Modena dort, wo der Po durch Modenesisches Gebiet gegangen, Zölle eingehoben habe und nun bereit sei, das linke Po-Ufer unter der erwähnten Bedingung abzutreten. Der Distrikt Rolo bilde einen vorspringenden Winkel und werfe an direkten Steuern nur einen Betrag von 14.000 Lire ab, während Österreich nur beim Salztransporte 60.000 Lire jährlich ersparen würde. Der Minister v. Bruck fände daher die in der Rede stehende Grenzberichtigung für Österreich vorteilhaft.
Hierüber wurde vom Ministerrate bemerkt, daß das abzutretende Stück Lands, der Distrikt Rolo, zwar schwer zu überwachen sei und der materielle Vorteil der Abtretung eine bessere Handhabung der Zollvorschriften, Verminderung der Aufsichtskosten und Abnahme des Schmuggels wäre. Allein, bei Abtretung eines Lands handle es sich um höhere Gesichtspunkte, nämlich, ob das Ministerium es vor dem Reichstage rechtfertigen könnte, wegen eines angeblichen finanziellen Vorteils ein Land abgetreten zu haben. Inseln, die sich im Grenzflusse bilden, abtreten, sei ganz was anderes, als sich eines festen Territoriums zu begeben. Es wurde sonach beschlossen, dem Minister v. Bruck zu erwidern,|| S. 446 PDF || daß das Ministerium auf dem Grunde der Reichsverfassung ohne Genehmigung des Reichstages in eine Abtretung des Lands nicht eingehen könne2.
Ad b) Was das Projekt hinsichtlich des Zollvereines betrifft, so ist dermal nur auszusprechen, daß ein solcher Verein bestehen soll. Das Nähere über diesen Zollverein soll hier in Wien mit den Bevollmächtigten der an diesem Vereine teilnehmenden Staaten verabredet und festgestellt werden3.
Dagegen ergab sich keine Erinnerung.
Ad c) Hinsichtlich der zu verabredenden Konvention über die freie Po-Schiffahrt, an welcher vier Uferstaaten (Österreich, Parma, Modena und der Papst) teilzunehmen haben, ergab sich gleichfalls in der Sache selbst keine Bemerkung, nur wäre der Minister v. Bruck auf den Umstand aufmerksam zu machen, daß Österreich den Stimmen nach gegen die anderen Staaten jederzeit in der Minorität wäre, während es doch die größte Ausdehnung des Ufers auch dem Talwege nach besitzt. Auf diesen Umstand wäre bei der Teilnahme Österreichs an der Abstimmung Rücksicht zu nehmen4.
Ad d) Gegen das Projekt zu einer Postkonvention ergab sich gleichfalls keine Erinnerung5.
II. Friedensverhandlungen mit Sardinien
Der Ministerpräsident eröffnete weiter, daß ihm heute früh zeitlich eine Depesche vom Minister Bruck de dato Mailand 206. und später eine frühere vom 19. d.M.7 zugekommen ist, womit der Minister eine Abschrift des Vertragsentwurfes vorlegt, den ihm die piemontesischen Bevollmächtigten zugefertigt haben. V. Bruck bemerkt darüber, daß die Forderungen der Piemonteser der Art sind, als ob sie von einem siegreiche Gegner an den Besiegten gestellt würden. Von diesen Forderungen könne kein Gebrauch gemacht werden. In dem sardinischen Entwurfe sei nur von 70 Millionen Lire die Rede, welcher Betrag nicht einmal die Kriegskosten deckt, die Grenzberichtigung und der Handelsvertrag werden ganz mit Stillschweigen übergangen. Der Minister v. Bruck werde morgen (also den 21. d.M.) den sardinischen Bevollmächtigten einen Vertragsentwurf übermitteln, aus welchem sie die österreichischen Forderungen, von denen nicht mehr abgegangen werden wird, ersehen werden8.
III. Verhandlungen mit Venedig
Teilte der Ministerpräsident die vom Minister Bruck erhaltene Abschrift eines Briefes von Manin mit, aus welcher zu entnehmen ist, daß sich die revolutionäre Regierung nun auf das Gebiet der Erörterung stellen will, von den früheren Ideen der Unabhängigkeit und Sonderstellung ganz abgeht und nur über das künftige Verhältnis zu Österreich|| S. 447 PDF || Aufklärung und Beruhigung erhalten möchte9. Der Minister v. Bruck hat den Abgeordneten geschrieben und ihnen eine Unterredung in Verona eingeräumt, wo er den 22. d.M. früh eintreffen werde10.
Da aus diesem Anlasse, wie auch die öffentlichen Blätter gemeldet haben, der kommandierende General bei Venedig Graf Thurn die Feindseligkeiten gegen Venedig eingestellt hat, während nach dem Ministerratsbeschlusse die diesfälligen Operationen auf keinen Fall zu hemmen waren, so wird der Kriegsminister Graf Gyulai den Grafen Thurn durch Estafette zur Fortsetzung der feindlichen Operationen gegen Venedig amorgieren [?]11.
IV. Amnestiefrage für das lombardisch-venezianische Königreich
Ein fernerer, vom Minister Bruck in Anregung gebrachter Punkt ist die Amnestiefrage für das lombardisch-venezianische Königreich12. Dieser Gegenstand, bemerkte v. Bruck, sei zwischen ihm, dem Feldmarschall Grafen Radetzky und dem Grafen Montecuccoli bereits vielfältig besprochen worden. Der Zustand der Ungewißheit halte viele ab, nach Haus zurückzukehren. Die Hautpschuldigen sollen der verdienten Strafe nicht entgehen, die Minderschuldigen aber amnestiert werden, wenn sie Garanzien für ihr künftiges Wohlverhalten geben. Bei der Amnestie wären zwei Hauptpunkte zu berücksichtigen, a) daß die Häupter der Empörung von der Amnestie ausgeschlossen und verbannt werden, b) daß man ausspreche, jenen, denen die Amnestie bewilliget wird, würden, wenn sie neue Vergehen sich zuschulden kommen lassen, die früheren Vergehen wieder angerechnet werden. Der Minister v. Bruck überreichte gleichzeitig ein (wohl noch zu berichtigendes) Verzeichnis der unter den Punkt a) Gehörigen und bat, diesen Gegenstand Sr. Majestät zur Ah. Genehmigung vorzulegen13. Er bemerkte, daß Piemont einen großen Wert darauf lege, wenn die Amnestie gleich in den Friedensvertrag aufgenommen würde, was aber v. Bruck zurückgewiesen habe, daß hingegen, wenn die Amnestie noch vor Unterzeichnung des Friedens Ah. bewilliget würde, die übrigen Punkte des Friedensvertrages leichter ausgeglichen werden könnten. Er würde die Sache übrigens so veranstalten, daß sie auch nicht entfernt den Schein hätte, als ob uns die Amnestie von Piemont abgedrungen worden wäre.
Der Justizminister Dr. Bach , den diese Angelegenheit zunächst angeht, äußerte, daß wir im vorigen Jahre alle Fehler der Amnestie durchgemacht haben und uns nun vor neuen hüten sollten. Wir haben Amnestie bewilliget, um zu beruhigen und den Frieden|| S. 448 PDF || zu fördern, und der Zweck ist nicht erreicht worden14. Jetzt soll wieder Amnestie bewilliget werden, ohne daß der Friede noch abgeschlossen ist. Würde man Sardinien diese Konzession machen, so müßte man die politischen Sträflinge hier, welche auf die Festungen geschickt wurden, sogleich entlassen und auch den Ungarn und Venedig Amnestie gewähren. Der Minister Dr. Bach erklärte sich daher entschieden gegen jede Amnestie. Die Amnestie sei ferner die Nachsicht jeder Strafe und könne nicht unter der Bedingung erteilt werden, daß im Falle eines neuen Vergehens die früheren wieder angerechnet werden.
Gegen die vom Ministerpräsidenten angeregte Frage, ob gegen die zu a) Verzeichneten, da mit der Verbannung nicht wohl vorgegangen werden kann, nicht gleich der Prozeß einzuleiten wäre, erinnerte der Minister Dr. Bach , daß, solange der Friede nicht geschlossen ist und die Hauptschuldigen abwesend sind, nicht leicht einer, es sei denn in contumaciam, verurteilt würde. Auch schiene es inkonsequent, vor der Erlassung der beabsichtigten Amnestie auf der anderen Seite gegen die Hautpschuldigen schon jetzt ein Verfahren einzuleiten. Diese Sache wäre sonach einstweilen aufzuschieben und nach der Amnestie wieder anzuregen.
Der Justizminister Dr. Bach übernahm es, das Gutachten wegen der Amnestie zu erstatten15.
V. Nachrichten vom ungarischen Kriegsschauplatze und von Venedig
Der Ministerpräsident teilte weiter dem Ministerrate nachstehende Notizen mit: a) von dem Landeskommissär Zichy aus Bartfeld, wornach die Russen seit wenigen Tagen die Grenze überschritten haben und die kaiserlichen Truppen überall mit Jubel empfangen wurden; die Erfordernisse für die Armee und die Lieferungen seien groß, und doch kommen keine Klagen vor; die ungarischen Banknoten werden beim Fortschreiten der Armee außer Kurs gesetzt und konfisziert etc16.; b) einen Brief des russischen Feldmarschalls Paskiewitsch über die Kriegsoperationen in Ungarn17; c) eine vom FZM. Freiherrn v. Haynau eingeschickte Proklamation vom 23. d.M. an die Soldaten in Ungarn aus Anlaß des an der Waag erfochtenen Sieges18.
Die Notizen b) und c) werden zu Zeitungsartikeln benützt19.
d) Nachrichten über den Aufenthalt des Herrn Erzherzogs Ferdinand Maximilian in München, welche sogleich im Wege des Generaladjutanten Grafen Grünne an Se. Majestät befördert wurden20; e) einen Brief vom Patriarchen Rajačić vom 20. d.M., dem von einem Vertrauten in Pantschowa
|| S. 449 PDF || angezeigt wurde, daß die Türken in Belgrad den Magyaren viele tausend Sensen geliefert haben21, und f) daß die Commissione militare in Venedig, vom Pöbel unterstützt, die Stadt terrorisiere, und daß Manin selbst seinen Einfluß verloren habe22.
VI. Untersuchung gegen Ludwig Graf Batthyány
Der Kriegsminister Graf Gyulai eröffnete, daß das Militärappellationsgericht die Voruntersuchung gegen Grafen Batthyány geschlossen und das Verbrechen des Hochverrates bei ihm begründet gefunden habe23.
Es entstand nun die Frage, ob er, wenn er zum Tode verurteilt werden sollte, gleich hinzurichten sei oder nicht. Man erkannte es für eine Notwendigkeit, daß die Hauptschuldigen ihrer Strafe verfallen sollen. Dem FZM. Freiherrn v. Haynau wäre übrigens zu sagen, daß er die gemachten Gefangenen, welche in reguläre Korps eingereiht waren, nicht – wie er beabsichtigt – sofort hängen lassen solle, weil sonst grausame Repressalien zu besorgen wären und auch keine Gefangenen weiter gemacht werden könnten24.
VII. Anstellung Georg Edlers v. Stratimorivić beim österreichischen Militär
Der Kriegsminister machte ferner bekannt, daß der Ban neuerdings auf die Ernennung des Stratimorović zum Oberstleutnant angetragen habe25. Der Ban erklärt alle Verdächtigungen des Stratimorović für grundlos, er sei ein tapferer Soldat und die gedachte Beförderung wäre bloß eine Anerkennung seiner bereits erworbenen Verdienste, und es würde dadurch seiner peniblen Stellung enthoben, in welcher er sich dermal ohne militärischen Charakter befindet.
Hierbei wurde bemerkt, daß Stratimorović, was auch die Absicht des Ban sein könne, durch Anstellung im Militär unschädlich gemacht werden könnte. Derselbe befindet sich übrigens jetzt auf der Reise hierher26.
VIII. Grenzsperre gegen Ungarn
Der Minister Dr. Bach bemerkte, daß es bei der Grenzsperre gegen Ungarn verbleiben dürfte, weil sie eingezogenen Erkundigungen zufolge von guter Wirkung sei. Nur die Artikel für das k.k. Militär wären frei zu lassen27.
Dagegen wurde nichts erinnert.
IX. Munitionsverlust bei Semlin
Schließlich teilte der Minister Baron Kulmer noch die Notiz mit, daß in Semlin eine Menge Munition, welche sich auf einem Dampfschiffe und einigen|| S. 450 PDF || Schleppschiffen befand, in die Luft gegangen ist. Ob und wieviele Menschen dabei zugrunde gegangen sind, ist demselben nicht bekannt28.
Wien, den 25. Juni 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 6. Juli 1849.