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Nr. 69 Ministerrat, Wien, 12. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Wacek; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner, Lebzeltern (in Vertretung Wessenbergs); abw. Wessenberg; BdE. Pillersdorf (12. 6.), Franz Karl (18. 6.).

MRZ. 978 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung vom 12. Juni 1848 unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten, Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Bericht Doblhoffs über a) Rückkehr des Kaisers nach Wien, b) Errichtung eines Statthaltereirates in Böhmen und Ausschreibung des dortigen Landtages, c) das kaiserliche Manifest an Niederösterreich und die anderen Provinzen, d) den Wunsch der Salzburger Nationalgarde nach mehr Gewehren

Der Minister des Inneren Freiherr v. Pillersdorf brachte folgende Gegenstände zur Kenntnis des Ministerrates:

Den Bericht des Ministers des Handels, der Industrie und des Ackerbaues Freiherrn v. Doblhoff vom 8. d. M.1, worin derselbe erwähnt, daß er wiederholt Ew. Majestät die Gefahr vorgestellt habe, welche aus der längeren Abwesenheit Allerhöchstderselben von Wien dem Staate drohe, mit der beigefügten au. Bitte, sich Wien, dem Sitze der Regierung, nähern zu wollen, daß er in Verbindung mit Sr. kaiserlichen Hoheit dem Herrn Erzherzog Johann und dem Minister des Äußern Freiherrn v. Wessenberg dieselbe Bitte dringend noch wiederholen werde und daß der in Innsbruck erwartete Gouverneur von Galizien, Graf Stadion, wohl ein gleiches tun werde.

Was Böhmen anbelangt, sei der Antrag gestellt worden, die Angelegenheit wegen Einrichtung des dortigen Statthaltereirates dem Minister des Inneren zu überlassen, worüber morgen die Ah. Erledigung mitgeteilt werden dürfte2, sowie auch der Ah. Erlaß wegen Ausschreibung des böhmischen Landtages3. Gleichzeitig übersendete Baron || S. 412 PDF || v. Doblhoff das Ah. resolvierte Manifest für Niederösterreich4 mit dem Beisatze, daß dasselbe an die übrigen Provinzen bereits abgegangen sei. Dieses Manifest wurde dem Ministerrate vorgelesen, und es wird dasselbe durch den Druck zur öffentlichen Kenntnis gebracht werden5.

Hinsichtlich des in dem Berichte des Baron Doblhoff erwähnten Wunsches von Salzburg, für die dortige Nationalgarde die dem Militär entbehrlichen Gewehre zu überlassen6, äußerte der Kriegsminister , die Einleitung treffen zu wollen, daß alle in Salzburg befindlichen, für das Militär nicht notwendigen Gewehre zu dem erwähnten Zwecke erfolgt werden7.

II. Bericht Graf Clemens Brandis' über die Stimmung in Tirol

Den Bericht des Gouverneurs von Tirol, Grafen Brandis, auf die Zuschrift des Ministers des Inneren vom 27. Mai d. J.8 über die Begebenheiten von Wien vom 26. Mai9.

Der wesentliche Inhalt dieses Berichtes geht dahin, daß das wahnsinnige Treiben in Wien in Tirol alles mit Verachtung erfüllt habe. Tirol habe von den Ah. Konzessionen Ew. Majestät eine schöne Zukunft sich versprochen, und Wien drohe alles dies wieder zu verderben. Eine Studenten- und Pöbelherrschaft werde sich Tirol nie gefallen lassen. Diese Gesinnungen des Landes werden bei dem am 7. d. M. zusammentretenden großen Kongreßausschusse10 gewiß kundgegeben werden. Zugleich wurde erwähnt, daß die Wiener Deputation bei dem Eintritte ins Land mit vorgehaltenen Stutzen empfangen wurde, bis man sich überzeugt hatte, daß sich kein Student dabei befinde11.

Der Minister des Inneren hat diesen Bericht in dem Sinne beantwortet, daß so befriedigend die Stimmung Tirols sei, so sehr sei es auch zu beklagen, wenn die Vaterlandsliebe und Anhänglichkeit an den Landesfürsten in Gehässigkeiten auf andere Provinzen übergehen. In Zeiten politischer Aufregungen seien Übergriffe möglich, würden aber von den Billigen und Ruhigen gemißbilliget. Die Stimmungsberichte von Tirol, welchen Baron Pillersdorf mit Aufmerksamkeit folge, liefern übrigens kein so düsteres Bild vom Lande wie Graf Brandis; auch sei überhaupt, besonders aber in den gegenwärtigen Zeiten notwendig, den Handlungen und Reden das Gepräge der Versöhnlichkeit zu geben.

Der Ministerrat fand gegen diese beabsichtigte Antwort an Grafen Brandis nichts zu erinnern.

Sowohl der Bericht des Grafen Brandis als die erwähnte Antwort des Baron Pillersdorf darauf werden dem Handelsminister Baron Doblhoff mitgeteilt12.

III. Eröffnungsmodalitäten des Reichstages

Da die Eröffnung des konstituierenden Reichstages in Wien bereits am 26. d. M. statthaben soll13, es daher dringend notwendig erscheint, daß ohne Zeitverlust eine Ah. Verfügung getroffen werde, in welcher Art diese Eröffnung (ob persönlich von Ew. Majestät oder durch einen Stellvertreter) zu geschehen habe, so hat der Ministerrat beschlossen, Ew. Majestät durch einen besonderen, Allerhöchstdenselben durch die in Innsbruck anwesenden Minister zu überreichenden au. Vortrag um baldige Erlassung einer diesfälligen Ah. Bestimmung zu bitten14.

IV. Unkorrekte Reichstagswahlen in Krakau

Hinsichtlich der Wahlen für den Reichstag in Wien sind dem Baron Pillersdorf von dem Kommandierenden in Krakau, Grafen Schlik, Notizen zugekommen, welche bei den dort bisher stattgehabten Wahlen der Wahlmänner Abweichungen von den diesfalls erlassenen Vorschriften, ja selbst Unterlassungen dieser Wahlen kundgeben. Unter 50 Wahldistrikten des Landes seien in drei Distrikten auf dem Lande die Wahlen ganz unterlassen worden; in mehreren Distrikten seien nur sehr wenige Wähler (statt 250 14) erschienen; es fanden Wahlen durch relative Stimmenmehrheit, ja auch per acclamationem statt. Graf Schlik meint, daß von diesen Abweichungen keine Notiz zu nehmen wäre, da bisher auch keine Beschwerde dagegen vorgekommen sei15.

Nachdem jedoch bei den Wahlen die absolute und keineswegs die relative Stimmenmehrheit zu gelten hat, daher zu besorgen steht, daß beim Reichstage solche unregelmäßige Wahlen beanständet werden dürften16, so wäre nach der Ansicht des Ministerrates der Grundsatz der absoluten Stimmenmehrheit (da er bei den Wahlen der Wahlmänner nicht mehr durchgeführt werden kann) wenigstens bei den Wahlen der Abgeordneten für den Reichstag festzuhalten.

Baron Pillersdorf wird den Grafen Schlik hiernach anweisen17.

V. Berichte des illyrischen Gouverneurs über die Reichstagswahlen

Auf diese Wahlen hat auch ein an den Minister des Inneren gelangter Bericht des illyrischen Gouverneurs Graf Welsersheim Bezug18. Derselbe sagt darin, daß er sich bestreben werde, die diesfälligen Anordnungen genau in Vollzug zu setzen, daß er sich aber keinen günstigen Erfolg verspreche. Bei dem dortigen Landmanne sei das materielle Interesse vorherrschend, und für Sachen, wie die Wahlen für den Reichstag sind, habe er keinen Sinn19. Graf Welsersheim bemerkt zugleich, daß das größere Grundbesitztum, dann die || S. 414 PDF || Geistlichkeit bei dem Reichstage nicht gehörig vertreten sein werden. Das Ah. Manifest vom 3. d. M. habe im Lande einen guten Eindruck hervorgebracht u. dgl.20

VI. Bericht Andreas v. Buzzis über das Frankfurter Parlament

Ferner teilt Baron Pillersdorf dem Ministerrate ein Schreiben des österreichischen Abgeordneten für den Frankfurter Reichstag, des Landrechtspräsidenten Buzzi, mit21, worin dieser seine Stellung an diesem Reichstage bespricht und einige Notizen über denselben beifügt. Er bemerkt, daß statt der Siebenzehner22 nun ein Komitee von 30 Gliedern23 für die Entwerfung einer Verfassungsurkunde für das deutsche Reich aufgestellt worden sei. Jede Sitzung bringe eine Menge neuer Anträge, man beschäftige sich mit inneren Angelegenheiten, mit der auswärtigen Politik und vielen anderen Gegenständen. Wohin dies führen werde, könne niemand bestimmen. Er aber glaube, daß aus allem kein großes Resultat zu erwarten sei. Er werde noch den Verfassungsentwurf abwarten und dann sehen, was weiter zu geschehen hat24.

VII. Österreichische Abgeordnete zum Frankfurter Parlament

Aus der vom Minister des Inneren mitgeteilten Zusammenstellung unserer Deputierten für den Frankfurter Reichstag ist zu ersehen, daß für dieses Reichstag gewählt worden sind25:

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die Gesamtzahl der österreichischen Deputierten nach Frankfurt darstellen würde. Von dieser Zusammenstellung wird eine Abschrift dem Finanzminister wegen der damit || S. 415 PDF || zusammenhängenden Diäten und Reisekosten für diese Deputierten zukommen gemacht26.

VIII. Belobigung zweier Angestellter des Österreichischen Lloyd

Als in der Nacht vom 22./23. Mai d. J. die kombinierte feindliche Flotte vor Triest erschienen ist27, herrschte eine große Windstille. Der österreichische Lloyd hat auf mündliches Ansuchen des kommandierenden Grafen Gyulai sechs seiner größten Dampfschiffe sogleich in Bewegung gesetzt, um unserer Flotte behilflich zu sein, und hierdurch sind bald alle österreichischen Schiffe in Sicherheit gebracht worden.

Die Verdienste des Lloyd um die österreichische Marine sind bereits gewürdiget worden. Graf Gyulai bringt nun in Antrag, daß zwei Individuen des österreichischen Lloyd, nämlich Lutterothi und Toppo, wegen ihres verdienstlichen Benehmens hierbei insbesondere hervorgehoben und belobt werden28.

Der Ministerrat hat beschlossen, diesen Individuen die angetragene Anerkennung im Wege des Gouverneurs Grafen Salm durch den österreichischen Lloyd zukommen zu lassen, dieselbe durch die Wiener Zeitung bekannt zu machen, und bringt nun diesen Beschluß zur Ah. Kenntnis Ew. Majestät29.

IX. Wünsche Wessenbergs bezüglich der österreichischen Italienpolitik

Freiherr v. Lebzeltern brachte zwei Schreiben des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten Freiherrn v. Wessenberg zur Kenntnis des Ministerrates, insbesondere des Ministers des Inneren.

In dem ersten dieser Schreiben (vom 7. d. M.) wünscht Baron v. Wessenberg, um Unterhandlungen über die italienischen Provinzen einleiten zu können, die früheren Verhandlungen darüber, Karten über die früheren Grenzen der Republik Venedig, die verschiedenen Verträge in Ansehung des lombardisch-venezianischen Königreiches, dann eine Andeutung darüber zu erhalten, mit wem oder mit welcher Autorität er zu unterhandeln hätte30.

In dem zweiten Schreiben31 wiederholt Baron v. Wessenberg dieses Ansuchen, ersucht, da man sich nun ernstlich mit der Pazifikation zu beschäftigen haben wird und selbst die Abtretung des Landes in Aussicht steht, um nähere Instruktionen hierzu, indem die dem Grafen Hartig erteilten32 nun nicht mehr anwendbar sind, um Bestimmung des Maximums und Minimums seiner Befugnisse hierbei, um Andeutung in Ansehung des zu den Unterhandlungen bestimmten Individuums u. dgl. Zugleich bemerkt Baron Wessenberg, daß die Mission des Philippsberg gänzlich verunglückt sei33. Offiziell habe || S. 416 PDF || sich die provisorische Regierung über dessen Gefangennehmung indessen noch nicht ausgesprochen.

Die von Baron Wessenberg verlangten Verhandlungen, Karten und Verträge werden gesammelt und demselben unverweilt zugesendet werden34.

Den übrigen Wünschen desselben ist der Ministerrat bereits entgegengekommen35, und was den Philippsberg betrifft, wurde bemerkt, daß derselbe, wenn er als Negoziateur auftrat, seinen Charakter verfehlt habe; er habe nur als Privater, als Reisender hinsichtlich der Geiseln und ihrer Auswechslung Erkundigungen einziehen sollen36.

X. Grundsätze zur Arbeitsbeschaffung für Arbeitslose

Der Minister der öffentlichen Arbeiten erwähnte der ihm zugekommenen Anzeigen, daß neuerdings mehrere Fabriken zum Stillstande gekommen sind und andere bald nachfolgen werden37.

In der bisherigen Art, den beschäftigungslosen Arbeitern Arbeit zu verschaffen38, könne nicht weiter vorgegangen werden; es bestehe kein bestimmtes, kein sicheres Prinzip bei diesem Vorgange. Augenblicklich lasse sich zwar diesfalls keine Änderung treffen, doch erscheine es dringend notwendig, Einleitungen zu einer Änderung für die Zukunft zu treffen.

In dieser Absicht hat der Minister der öffentlichen Arbeiten in dem beiliegenden Aufsatze in zwölf Punkten Andeutungen gemacht, in welcher Art bei dem Geschäfte der Arbeitgebung von Seite des Staates und der Stadt mehr Übereinstimmung und Ordnung erzielt werden könnte. Die hier aufgestellten Grundsätze dürften als Vorläufer zu einer künftigen Arbeiterordnung angesehen werden.

Wenn der Ministerrat diesen Andeutungen beitritt (was geschehen ist), so würde der Minister der öffentlichen Arbeiten über den Gegenstand der Frage eine kommissionelle Verhandlung mit Zuziehung der Beteiligten unter der Leitung des Generalinspektors Negrelli vornehmen lassen, und das Resultat dem Minister des Inneren zu den auch von seiner Seite zu treffenden Verfügungen mitteilen39.

Ges. 18. Juni. Franz Karl. Vidi. Ah. E. Der Inhalt dieses Protokolles dient Mir zur Wissenschaft. Ferdinand. Innsbruck, am 19. Juni 1848.