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Nr. 45 Ministerrat, Wien, 20. Mai 1848 um 12 Uhr mittags – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner, Lebzeltern (interimistischer Leiter des Außenministeriums); außerdem anw. Montecuccoli (nur bei VIII und IX), Pulszky (nur bei V), Salzgeber (nur bei X und XI); BdE. Pillersdorf (25. 5.).

MRZ. 955 – KZ. –

Protokoll [I] der Ministerratssitzung am 20. Mai 1848 um 12 Uhr mittags.

I. Ausrücken des Militärs

Im Wiener Publikum hat sich seit dem 16. Mai die irrige Meinung verbreitet, als ob das k. k. Militär nicht mehr ohne Bewilligung der Nationalgarde ausrücken dürfe. Da dieses Gerücht aber der Ehre der hiesigen Garnison abträglich ist und daher unter derselben eine große Aufregung hervorbringt, so wird Graf Latour in die Wiener Zeitung einen amtlichen Artikel einrücken lassen, um das Publikum aufzuklären, daß wohl das Einschreiten des Militärs bei Volksaufständen etc. durch die vorausgegangene Aufforderung der berufenen Behörde oder der Nationalgarde bedingt ist, das Ausrücken der Truppen aber nach wie vor lediglich dem Ermessen der Militärautoritäten anheimgestellt bleibt1.

II. Reglement für die Nationalgarde

Nachdem der Mangel an einem Reglement für die Nationalgarde die Führung des Kommandos über diesen Körper bedeutend erschwert, so hat der Kommandierende General Graf Auersperg angesucht, daß ihm der Major Streffleur als zweiter Adjutant zu dem Ende zugeteilt werde2, damit dieser Stabsoffizier mit Benützung der vorhandenen Vorarbeiten das fragliche Reglememt zustande bringe. Sämtliche Minister waren mit Graf Latour einverstanden, daß diesem Einschreiten sofort willfahrt werde3.

III. Gewehre für die Nationalgarde des Hradischer Kreises

Aus Anlaß einer dringenden Bitte des Grafen Lažanzky in Brünn um Erfolgung von 2000 minder brauchbaren Gewehren aus dem Olmützer Zeughause, um die Nationalgarden im Hradischer Kreise zu bewaffnen4, da sich in der dortigen Gegend Räuberbanden bilden und gefährliche Auftritte mit renitenten Bauern vorfallen, gab || S. 271 PDF || Graf Latour die Zusicherung, er werde sofort den entsprechenden Befehl an das mährische Generalkommando erlassen5.

IV. Artikel der „Wiener Zeitung“ zur allgemeinen Beruhigung

Der Ministerrat beschäftigte sich sodann mit der Redaktion der Mitteilungen, welche dem Publikum im Wege der Wiener Zeitung über den Mangel an Nachrichten von der Reise Ah. Sr. Majestät, dann über die verfügte sorgfältige Aufbewahrung aller in der Hofburg befindlichen wertvollen Gegenstände zu machen wäre6. In dem diesfälligen, für das Blatt vom 21. Mai bestimmten Artikel wurde auch eine Erklärung über die jetzige finanzielle Lage aufgenommen, um die Gemüter, welche durch das verbreitete Gerücht eines Staatsbankrotts sehr beunruhigt wurden, wieder zu beruhigen7.

V. Erscheinen des Palatins Erzherzog Stephan in Wien

Der gegenwärtig die Stelle des Fürsten Esterházy vertretende ungarische Minister Pulszky hat dem Minister des Inneren die Mitteilung gemacht, daß Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Erzherzog Palatin demnächst in Preßburg eintreffen dürften, und zugleich die Anfrage gestellt, ob es von dem Ministerrate im öffentlichen Interesse als wünschenswert betrachtet werde, daß Se. kaiserliche Hoheit bei dieser Gelegenheit auch nach Wien komme oder ob ein Hindernis dagegen obwalte8.

Bei der hierüber gepflogenen Beratung wurde einstimmig anerkannt, daß gegen das Erscheinen Sr. kaiserlichen Hoheit in Wien vom österreichischen Standpunkte aus betrachtet kein Hindernis obwalten dürfte; daß dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Palatin bei seinem hiesigen Aufenthalte keine Gefahren für seine persönliche Sicherheit drohen und daß Höchstdesselben Erscheinen in dem gegenwärtigen Augenblicke selbst einen günstigen Einfluß auf die Stimmung der Wiener Bevölkerung üben würde.

Der Minister v. Pulszky wurde hierauf eingeladen, sich in den Ministerrat zu verfügen, wo ihm der Minister des Inneren eine Eröffnung im oben angedeuteten Sinne machte. V. Pulszky erklärte hierüber, er werde sich beeilen, den durchlauchtigsten Reichspalatin hievon in Kenntnis zu setzen9.

VI. Aufstellung von Freikorps

Die bereits in früheren Ratssitzungen besprochene Frage wegen Errichtung von Freikorps10, wodurch viele unbeschäftigte und unruhige Individuen von der Hauptstadt entfernt werden könnten, kam neuerdings zur Sprache und nachdem erklärt worden war, daß die Bekleidung dieser Korps nicht von der Militärverwaltung würde in Anspruch genommen werden11, und nachdem das Ministerium des Inneren es auf sich genommen hatte, die Anstände, welche von den Behörden und Gemeinden gegen die || S. 272 PDF || Zusammenziehung und Dislozierung von Freikorps gewöhnlich erhoben werden, zu beseitigen, gab der Kriegsminister die Zusicherung, daß er alle sonstigen Einleitungen, welche militärischerseits zur Aufstellung und Exerzierung von solchen Korps nötig sind, bereitwilligst treffen werde. Übrigens wären in die Freikorps bloß die besseren Elemente aufzunehmen. Individuen aus der Klasse der Arbeiter aber wären zur Komplettierung in die Linieninfanterieregimenter gegen Handgeld und kürzere Kapitulation einzureihen, wobei eine bessere Disziplin und der Vorteil gewonnen würden, die Armatur nicht erst beischaffen zu müssen, da jedes Regiment bereits die Waffen für diesen Komplettierungszuwachs besitzt.

Der provisorische Regierungspräsident Graf Montecuccoli wird angewiesen werden, sich in dieser Angelegenheit unmittelbar mit dem Kriegsminister ins Vernehmen zu setzen12.

VII. Artikel der „Wiener Zeitung“ über die Abreise des Kaisers

Der Ministerrat beschloß einen Bericht des Gouverneurs zu Grätz über den Eindruck, den die Abreise Sr. Majestät allda hervorgebracht hat13, ferner einen Brief des Deputationsmitgliedes Dr. Sailer an Graf Montecuccoli mit einigen Details über die Reise der Ah. Herrschaften14, endlich auch ein durch Privatgelegenheit hierher gelangtes Zirkular des böhmischen Landespräsidenten Grafen Leo Thun, über die ihm direkt zugekommene Ah. Mitteilung in betreff der Motive der Abreise Sr. Majestät15 durch die Wiener Zeitung zu veröffentlichen, da der Inhalt aller dieser für die getreuen Untertanen so wichtigen Mitteilungen ganz geeignet ist, die herrschende gute Stimmung zu nähren und die Partei des Umsturzes dem allgemeinen Verdammungsurteile zu weihen16.

VIII. Auflösung der Akademischen Legion

Der in den Ministerrat berufene Landmarschall und Regierungspräsident Graf Montecuccoli brachte die Wünsche des Wiener Bürgerausschusses bezüglich der Auflösung der für die öffentliche Ruhe so gefährlichen Akademischen Legion zur Sprache17. Der Ministerrat behielt sich vor, über diesen Gegenstand Ew. Majestät nach reiflicher Beratung au. Vortrag zu erstatten. Inzwischen glaubte der Minister der || S. 273 PDF || öffentlichen Arbeiten, v. Baumgartner , auf die Notwendigkeit hindeuten zu sollen, daß dieses Korps durch Ausscheidung aller nicht dahin strenge gehörigen Individuen epuriert werde. Eigentlich gehören dahin nur immatrikulierte Mitglieder der Universität und ordnungsmäßig eingeschriebene Schüler des Polytechnischen Instituts und der Akademie der bildenden Künste. Allein eine große Zahl von Individuen, welche der Universität gar nie angehörten oder wenigstens jetzt nicht mehr dazu gerechnet werden können, z. B. zahlreiche Barbiersubjekte stehen in den Reihen der Legion und gerade von diesen gehen die strafbarsten Exzesse aus. In das Korps der Kunstakademie haben sich Musiker und Schauspieler einverleiben lassen, welche dahin ebensowenig gehören als viele polnische und ungarische Agitatoren, worunter der berüchtigte Exleutnant v. Schill18, in das Korps der Techniker. Zur Ausführung der Epurationsmaßregel wäre vor allem notwendig, sich genaue Verzeichnisse der ordnungsmäßig und rechtzeitig immatrikulierten Universitäts-, Instituts- und Kunstakademieschüler zu verschaffen und dieselben mit den Standeslisten der Akademie zu vergleichen19.

IX. Öffentliche Arbeiten zwecks politischer Neutralisierung der Massen

Graf Montecuccoli deutete ferner auf die Notwendigkeit hin, größere Arbeiten zur Beschäftigung der Erwerblosen in einer größeren Entfernung von der Residenz, allenfalls an den Grenzen der Provinz vornehmen zu lassen, um die hier stets anwachsende Menge dieser an und für sich harmlosen Leute, welche aber so leicht von Aufwieglern mißbraucht werden, abzuleiten20.

X. Suche nach einem Regierungspresseorgan

Hofrat v. Salzgeber 21 erstattete dem Ministerrate Bericht über die von ihm gepflogenen Vorverhandlungen mit dem Redakteur der Allgemeinen Österreichischen Zeitung v. Schwarzer, um denselben für die Herausgabe eines Regierungsorgans zu gewinnen22.

Der Minister des Inneren, durchdrungen von der Notwendigkeit, der wuchernden schlechten Presse in Wien durch ein Regierungsjournal entgegenzutreten, welches seiner Aufgabe besser entspreche als das bisherige halboffizielle Blatt „Die Constitutionelle Donauzeitung“23, hat nämlich den Hofrat v. Salzgeber angewiesen, mit dem v. Schwarzer, welcher bei weitem der gewandteste Zeitungsschreiber in Wien ist, aber sein Talent bisher nur gegen die Regierung gebraucht hat, eine Besprechung über die Bedingungen zu halten, unter welchen er die Redaktion eines Blattes im Sinne der Regierung übernehmen würde. Schwarzer hat nun dazu seine Bereitwilligkeit ausgesprochen, aber || S. 274 PDF || begehrt, daß ihm für seine Mühe und zur Bedeckung der Redaktionskosten 10.000 fl. jährlich und außerdem noch die Abnahme von 3000 Exemplaren der Allgemeinen Österreichischen Zeitung, beides auf drei Jahre, zugestanden würden. Hofrat Salzgeber erbat sich daher die Information und Weisung für seine weiteren Unterhandlungen mit Schwarzer.

Der Ministerrat, in der Erwägung einerseits der dringenden Notwendigkeit, ein Organ in die Presse zu gewinnen, und andererseits der Bedenken, bei der dermaligen interimistischen Lage des Ministeriums bedeutende Zahlungsverbindlichkeiten auf drei Jahre einzugehen, ohne die Gewißheit zu haben, daß Schwarzer den Zwecken der Regierung auch völlig genügen werde, beauftragte sofort den Hofrat Salzgeber, bei seinen weiteren Verhandlungen dahin zu wirken, daß mit Schwarzer auf eine kürzere Zeit als drei Jahre und in der Art ein Abkommen bewirkt werde, um ihn durch eine tantiéme zum Mitinteressenten am Erfolge des Blattes zu machen24.

Der Finanzminister ergriff diesen Anlaß, um den Ministerrat in Kenntnis zu setzen, daß die Eigentümer der Wiener Zeitung sich auch soeben erklärt haben, ihr Blatt mit Bestellung einer neuen Redaktion zum Regierungsblatt machen zu wollen25. Der diesfällige Aufwand würde sich durch Einführung einer Gebühr für den Staatsschatz von allen Inseraten bei den sämtlichen Zeitungen vielleicht kompensieren lassen. Vielleicht ließe sich auch dieses Geschäft unter Annahme des Schwarzer als Redakteur vermitteln. Nachdem dies offenbar das beste wäre, weil die Wiener Zeitung das am meisten verbreitete Blatt ist und dasselbe unter der dermaligen takt- und haltungslosen Redaktion von Stubenrauch26 und Heyßler27 bereits viel geschadet hat, so wurde Baron Krauß vom Ministerrat aufgefordert, auch seinerseits mit den Ghelenschen Erben zu verhandeln28.

XI. Änderung des Wahlgesetzes

Gemäß der Ah. Beschlüsse vom 16. Mai haben sich die Wahlen in die konstituierende Reichsversammlung auf eine Kammer zu beschränken und es ist das Wahlgesetz einer neuen Prüfung zu unterziehen29. Der mit dieser Prüfung beauftragte Hofrat v. Salzgeber erstattete hierüber folgende Anträge. Die Wünsche, welche auf eine Änderung der Bestimmungen des Wahlgesetzes für die Kammer der Abgeordneten gerichtet sind, beziehen sich eigentlich vorzugsweise auf drei Punkte:

a) Die Einführung einer direkten Wahl statt der indirekten mittelst Urwählern und Wahlmännern. Die Einführung direkter Wahlen scheint dem Referenten mit Rücksicht auf die niedrige Stufe politischer Bildung, welche bei der ungeheuren Mehrzahl der österreichischen Staatsbürger angetroffen wird, nicht angezeigt. Das Landvolk und die Mehrzahl der Städtebewohner versteht weder die Erfordernisse zur entsprechenden || S. 275 PDF || Versehung einer Deputiertenstelle überhaupt, noch die Qualifikation der einzelnen Kandidaten zu ermessen. Andererseits ist zur direkten Wahl ein großer Zusammenfluß von Wählern aus der Ferne unzertrennlich, was für die öffentliche Ruhe leicht gefährlich werden kann und für die Wähler wegen der Entfernung vom Hause lästig wird. Werden aber die Wahlbezirke zur Vermeidung dieses Übelstandes zu sehr eingeschränkt, so verfällt man in den andern: daß sich die Wahlen zu sehr zersplittern und wiederholte Wahlakte vorgenommen werden müssen, um eine absolute Mehrheit zu erzielen.

b) Herabsetzung des Altersminimums für die Wählbarkeit als Abgeordneter unter 30 Jahre. Referent glaubt, daß hier dem allgemein lautgewordenen Wunsche unbedenklich nachgegeben und somit erklärt werden dürfte, daß jeder österreichische Staatsbürger, der 24 Jahre alt ist, aktiv und passiv wahlfähig, d. i. Wähler und Abgeordneter sein könne. Denn, wenn man nach den bestehenden österreichischen Gesetzen Richter, Geschworner in Preßvergehen und Advokat mit 24 Jahren sein könne, so dürfte wohl für einen Abgeordneten kein höheres Alter gefordert werden.

c) Bestimmung eines Wahlmannes auf 250 Einwohner in Städten ohne Unterschied der Bevölkerung, während nach dem Wahlgesetze vom 9. Mai 1848, § 2930, in Städten über 20.000 Einwohnern nur auf je 500 Einwohner ein Wahlmann entfällt. Die Bewohner der größeren Städte betrachten diese ungleiche Behandlung als für sich nachteilig, und es scheint nach der Meinung des Referenten Hofrat Salzgeber keinem Bedenken zu unterliegen, in der erwähnten Beziehung allgemeine Gleichheit einzuführen.

Sämtliche Minister erklärten sich mit den Anträgen zu a), b) und c) einverstanden; der Minister des Inneren wird jedoch hierüber Ew. Majestät noch einen abgesonderten Vortrag au. erstatten, und es wird von der Entscheidung der Stimmung in den Provinzen und von den Allerhöchsteigenen Bestimmungen abhängen, in welcher Verbindung der gegenwärtige Beschluß mit denjenigen Änderungen zu setzen sei, zu denen die Ereignisse des 15. Mai 1848 Anlaß geben31.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Nachricht genommen. Ferdinand. Innsbruck, am 30. Mai 1848.