Nr. 373 Ministerrat, Wien, 27. Juli 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser (I und II), Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 29. 7.), Krauß 29. 7., Bach 29. 7., Schmerling 29. 7., Bruck, Thun, Csorich, Kulmer 29. 7.; abw.abwesend Stadion, Thinnfeld.
MRZ. 3067 – KZ. 2597 –
- I. Organisation des Obersten Gerichts- und Kassationshofes
- II. Gesuch ungarischer Flüchtlinge in der Türkei um Rückkehr
- III. Darlehensgesuch der Stadt Krakau
- IV. Landesverfassung Galiziens
- V. Auszeichnung für August Edelmann
- VI. Gesuch Leopold Graf Nádasdys um Strafnachsicht
- VII. Auszeichnung für Joseph Kerschbaum
- VIII. Gesuch Adam Ritter Rétseys v. Rétse um finanzielle Unterstützung
Protokoll des am 27. Juli 1850 zu Wien in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät abgehaltenen Ministerrates.
I. Organisation des Obersten Gerichts- und Kassationshofes
Se. Majestät geruhten zu eröffnen, daß, nachdem der Ministerrat sich in der Sitzung vom 24. Julius 1850 zu dem Antrage vereinigt hat, daß für das gesamte Kaiserreich nur ein Oberster Gerichts- und Kassationshof mit dem Amtssitze in Wien zu bestehen habe1, Allerhöchstdieselben die Gründe näher erwogen zu sehen wünschen, aus welchen die Veröffentlichung dieses, auch den Ah. Absichten entsprechenden Beschlusses erst mit der Verlautbarung des Statuto für das lombardisch-venezianische Königreich stattzufinden hätte2.
Der Minister des Inneren äußert, es habe dem Ministerrate bei der in Rede stehenden Vertagung die Absicht vorgeschwebt, den unangenehmen Eindruck, den die Verlegung des Justizsenats von Verona nach Wien im lombardisch-venezianischen Königreiche hervorrufen wird, durch die gleichzeitige Veröffentlichung der im Statuto gewährten Rechte und Vorteile zu mildern. Dadurch würde es vermieden, die Änderungen im System der Verwaltung jener Länder mit einer unpopulären Maßregel zu eröffnen. Der Aufschub würde nur wenige Wochen dauern und die Aktivierung des Obersten Gerichtshofs in seiner neuen Organisierung kaum verzögert werden.
Se. Majestät der Kaiser geruhten zu bemerken, daß ungeachtet der vertagten Kundmachung der Beschluß wegen der Versetzung des Veroneser Senats gewiß auf Privatwegen sehr bald in den italienischen Provinzen bekannt werden dürfte, der unangenehme Eindruck daher schon jetzt ganz unvermeidlich sei und die Regierung durch die verzögerte Publikation einen Anschein von Unentschiedenheit und Schwäche auf sich lade, somit dabei wesentlich verliere.
In Erwägung dieser Rücksichten vereinigte man sich schließlich, in dem demnächst zu erlassenden organischen Gesetze für den Obersten Gerichts- und Kassationshof dessen Einheit für die ganze Monarchie bestimmt auszusprechen. In dem bezüglichen Vortrage wird gleichzeitig die Ah. Genehmigung erbeten werden, daß der Vollzug dieser Bestimmung|| S. 175 PDF || für das lombardisch-venezianische Königreich gleichzeitig mit der Gerichtsorganisation in jenem Lande eintrete3.
II. Gesuch ungarischer Flüchtlinge in der Türkei um Rückkehr
Der Ministerpräsident referierte, es sei von Seite zahlreicher ungarischer Flüchtlinge in der Türkei die Bitte vorgebracht worden, in die k.k. Staaten zurückkehren zu dürfen. Fürst Schwarzenberg glaube, daß nebst den Rücksichten der Menschlichkeit auch politische Gründe dafür sprächen, diesen Individuen, jedoch nicht allgemein, sondern mit sorgfältiger Auswahl, die freie Heimkehr zu gestatten4.
Nachdem Se. Majestät Allerhöchstsich im Grundsatze mit dieser Maßregel einverstanden erklärt hatten, äußerte der Minister des Inneren , daß er im Besitze aller Materialien sei, um die zahlreichen Bittsteller in Absicht auf die Zulässigkeit ihrer Rückkehr zu sichten, und es werde sich jetzt nur darum handeln, den k.k. Konsuln in der Türkei die nötigen Weisungen zu erteilen.
Der Finanzminister , welcher die Intrigen der Emigrierten im Auslande für besonders gefährlich hält, würde keinen Anstand nehmen, selbst allen ungarischen Refugies die Heimkehr zu gestatten, wenn sie sich dem gerichtlichen Verfahren unterziehen wollen, da dies selbst dem geflüchteten gemeinen Verbrecher nicht verweigert werden könne.
Schließlich geruhten Se. Majestät auszusprechen, daß die zurückkehrenden ehemaligen k.k. Offiziers sich auf jeden Fall der Beurteilung des Kriegsgerichts zu unterziehen haben werden5.
Nach geschlossener Sitzung vereinigten sich sämtliche Minister zu einer Beratung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten.
III. Darlehensgesuch der Stadt Krakau
Das von dem Minister des Inneren bevorwortete Gesuch der Stadt Krakau um ein Ärarialdarlehen von 500.000 f. wurde vorläufig dem Finanzminister zur Erwägung mitgeteilt6.
IV. Landesverfassung Galiziens
Der Minister des Inneren entwickelte seine Anträge bezüglich der Landesverfassung Galiziens mit drei Kurien7: zu Lemberg mit 60, zu Krakau mit 67, zu Stanisłowów mit 55 Mitgliedern, welche in der Mehrzahl durch die Landgemeinden gewählt werden. Die drei Kurien wählen einen in Lemberg zusammentretenden Zentralausschuß von 33 Deputierten, zu dessen Wirkungskreis die Änderungen in der Verfassung des Kronlandes, die Besteuerung zu Landeszwecken, Kreditsanstalten, Kolonisation Galiziens etc. gehören.
Die verfassungsmäßig den Landesvertretungen zugewiesenen Angelegenheiten, welche nicht als Angelegenheiten des ganzen Kronlandes ausdrücklich dem Ausschusse vorbehalten sind, gehören zum Wirkungskreise der Kurien.
Gegen diese Anträge ergab sich keine Erinnerung8.
V. Auszeichnung für August Edelmann
Der Minister des Inneren erwirkte die Zustimmung seiner Kollegen zum au. Antrage auf Verleihung des goldenen Verdienstkreuzes an den Vorstand der österreichisch-bayerischen Schiffmeisterzunft in Laufen und Oberndorf am Inn namens Edelmann, der sich um die Schiffahrt, die Gemeinden und das Land Verdienste erworben hat9.
VI. Gesuch Leopold Graf Nádasdys um Strafnachsicht
Das Gesuch des Grafen Leopold Nádasdy um Nachsicht der ihm vom Kriegsgerichte auferlegten und bis 30. September 1850 einzuzahlenden Geldstrafe von 100.000 f.10 gab zu einer längeren Erörterung Anlaß, infolge welcher die Minister Dr. Bach, Ritter v. Schmerling, Baron Kulmer, Graf Thun, Baron Bruck und FML. Baron Csorich sich für die gänzliche Nachsicht der fraglichen Geldstrafe erklärten, da Graf Leopold Nádasdy weder eine lange, noch eine hervorstehende Tätigkeit für die Revolution entwickelt, daher nicht wesentlich geschadet hat, er seiner Gesinnung nach vielmehr zu den Anhängern der kaiserlichen Dynastie gehört, derselbe durch Verlust der geheimen Rats- und Kämmererwürde, dann durch mehrmonatlichen Festungsarrest sein Vergehen bereits, relativ zu vielen anderen, sehr schwer gebüßt habe und eine Geldstrafe von 100.000 f. bei Graf Nádasdys keineswegs sehr großem Vermögen für ihn ein sehr empfindlicher Schlag wäre, von dem er sich nicht leicht erholen könnte.
Der Finanzminister , welcher im Prinzip gegen die Geldstrafen sich erklärte, glaubte, daß man sich hier vielleicht mit Hinblick auf die Entschädigungsansprüche des Ärars gegen die Rebellen mit einem Teilbetrage von 10.000 f. begnügen könnte, während der Ministerpräsident die Strafbarkeit des Grafen Nádasdy aus einem minder nachsichtigen Gesichtspunkte betrachtet und glaubte, daß er gerade wegen seiner hohen Stellung zu einer loyalen Haltung mehr aufgefordert war und derselbe daher eine strengere Behandlung verdiene als obskure Agitatoren11.
VII. Auszeichnung für Joseph Kerschbaum
Graf Thun erwirkte die Zustimmung der mehreren Stimmen zum au. Antrag auf Verleihung des goldenen Verdienstkreuzes für den Hauptschullehrer Kerschbaum.
Baron Krauß stimmte für das silberne mit Krone12.
VIII. Gesuch Adam Ritter Rétseys v. Rétse um finanzielle Unterstützung
Der Finanzminister referierte vorläufig über das Gesuch des FZM. Baron Rétsey um Abhülfe in seiner finanziellen Bedrängnis13. Der Bittsteller habe sich im Jahre 1848 wesentliche Verdienste erworben, aber aus diesem Titel könne man doch nicht dem Staatsschatze seine volle Schuldenlast von 87.000 f. aufwälzen! Baron Krauß behielt sich vor, mit dem Feldzeugmeiter in nähere Verhandlung über die zu übernehmenden Schulden zu treten14.
Wien, 29. Julius 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 31. Juli 1850.