Nr. 371 Ministerrat, Wien, 22. Juli 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 23. 7.), Bach (bei I und II abw.abwesend) 24. 7., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 24. 7., Thun, Csorich; abw.abwesend Krauß, Kulmer, Stadion.
MRZ. 2992 – KZ. 2376 –
- I. Verbot der Weiterbeförderung der Zeitung „Die Presse“
- II. Verordnung über den Wechselarrest in Krakau
- III. Begnadigung mehrerer wegen der Oktoberereignisse verurteilten Zivilisten
- IV. Veröffentlichung bezüglich der Aufhebung der kriegsrechtlichen Untersuchung gegen 209 Personen
- V. Nochmalige Sichtung des Verzeichnisses der kompromittierten ungarischen Landtagsmitglieder
- VI. Kredit von 100.000 f. für Krakau
- VII. Kirchenbücher aus Rußland für die österreichischen Serben
- VIII. Staatsprüfungen
- IX. Hinausgabe der päpstlichen Bullen in Betreff der Konfirmierung zweier italienischer Bischöfe
Protokoll der am 22. Juli 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Verbot der Weiterbeförderung der Zeitung „Die Presse“
Der Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten Freiherr v. Bruck eröffnete, der Militärgouverneur Baron Welden habe der hiesigen Post den Auftrag gegeben, die (in Brünn erscheinende) Presse nicht weiter zu versenden1. Hierüber wurde bemerkt, daß, abgesehen davon, daß dieser Auftrag des Gouverneurs weiter geht, als seine Befugnisse reichen, diese Verfügung desselben nur eine halbe Maßregel sei, indem sie nicht die beabsichtigte Wirkung erzielt und leicht umgangen werden kann. Die nach Süden gehenden Postpakete werden in Brünn kartiert, hier nicht weiter eröffnet, sondern weiter expediert und so kann die Presse nach Bruck, Laibach usw. gelangen und von dort wieder zurückgesendet werden. Um der Maßregel des Gouverneurs eine Wirkung zu verschaffen, müßte man der Presse das Postdebit entziehen, was aber so lange nicht geschehen kann, als das Preßgesetz in dieser Hinsicht nicht ergänzt erscheint, und so lange werde die Maßregel des Gouverneurs ohne Erfolg bleiben. Da aber auf der anderen Seite die positive Aufhebung der gedachten Maßregel das Ansehen des Gouverneurs beeinträchtigen würde, so wurde beschlossen, die Sache hingehen zu lassen und nichts zu verfügen. Die von Brünn geschlossen angekommenen Pakte werden hier nach wie vor weiter versendet werden2.
II. Verordnung über den Wechselarrest in Krakau
Der Justizminister Ritter v. Schmerling referierte, mit Patent vom 25. Jänner 1850 sei eine allgemeine Wechselordnung für den Umfang der Monarchie und zugleich eine provisorische Vorschrift über das Verfahren in Wechselsachen für Ungarn, Kroatien, Slawonien, die Woiwodschaft Serbien und das Temescher Banat erlassen worden3. Hierin seien die nötigen Verfügungen über den in Ungarn und seinen|| S. 164 PDF || ehemaligen Nebenländern früher nicht bestandenen Schuldenarrest (daß er nämlich nicht über ein Jahr ununterbrochen dauern darf), die den Schuldnern zu verabreichende Alimentation usw. aufgenommen worden. Krakau, wo der Schuldenarrest gleichfalls nicht bestand, wurde ausgelassen.
Der Justizminister trägt nun aus Anlaß einer Anfrage des Obersten Gerichtshofes, wie sich in Krakau, wo auf dem Grunde des Wechselgesetzes der Wechselarrest verhängt wird, worüber aber noch keine Verordnung besteht, in Ansehung dieses Arrestes zu benehmen sei4, darauf an, für Krakau diesfalls dasselbe wie für Ungarn und seine ehemaligen Nebenländer (mit Rücksichtnahme auf einige besondere Verhältnisse des ersteren Landes) zu erlassen. Da der Ministerrat sich damit einverstanden erklärte, so wird der Justizminister einen au. Vortrag an Se. Majestät erstatten, damit hierüber im Wege der Verordnung das Nötige verfügt werde5.
(An den Besprechungen über die vorstehenden zwei Gegenstände hat der Minister des Inneren keinen Anteil genommen.)
III. Begnadigung mehrerer wegen der Oktoberereignisse verurteilten Zivilisten
Der Justizminister Ritter v. Schmerling erwähnte weiter, die gemischte Kommission habe das demselben von dem Gouverneur Baron Welden zugekommene Verzeichnis der [wegen der] Oktober[ereignisse] verurteilten Zivilisten (das Verzeichnis über die verurteilten Militaristen wurde dem Kriegsminister mitgeteilt) bereits gesichtet und sich darin geeiniget, daß einige dieser Verurteilten zur gänzlichen, andere zur teilweisen, noch andere aber zu gar keiner Nachsicht ihrer Strafe angetragen werden sollen6. Es wurde als Grundsatz aufgestellt, daß jene, welche zu einer Kerkerstrafe über zehn Jahre verurteilt worden sind, nur zu einer teilweisen Nachsicht beziehungsweise Milderung der Strafe in Antrag kommen sollen, daß dagegen jene, welche zu zehn Jahren oder darunter verurteilt wurden, der Gnade Sr. Majestät, mit einigen Ausnahmen, empfohlen werden dürften. Solche Ausnahmen wären z.B. Stapf, Anstreichergesell, welcher wegen besonders tätiger Aufreizung des Proletariats zu zehn Jahren ohnedies sehr milde verurteilt wurde; Poliwka, ehemaliger Patentalinvalid, der ebenfalls das Proletariat aufgehetzt und Hilfe aus Ungarn in Aussicht gestellt hat, zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt; dann die Mitschuldigen am Morde des Kriegsministers Grafen Latour. Alle diese hätten die ihnen zuerkannte Strafe ganz auszustehen. Dem Leczynski, Major und Kommandanten der Nationalgarde im Schottenhof, dem Wachshändler Tizia, dem Camillo Freiherrn v. Schlechta, welche zu zwölfjährigen Kerker verurteilt wurden, wäre die Hälfte der Strafe nachzusehen, dagegen Johann Wegele, welcher zu 20 Jahren schweren Kerkers verurteilt, diese Strafe aber im Gnadenwege auf fünf Jahre herabgesetzt wurde,
wäre bei dieser Strafe zu belassen. Dieser hat dem Proletariate die Plünderung der öffentlichen Kassen in Aussicht gestellt. Dem Apotheker Angyal, welcher die Büste des Kossuth bekränzt und den Ban in effigie in seinem Zimmer aufgehängt hatte und wegen Waffenverheimlichung zum achtjährigen Kerker verurteilt wurde, wäre die Strafe auf|| S. 165 PDF || die Hälfte zu ermäßigen. Jene, welche erst in neuerer Zeit zu kurzen Arreststrafen von einem Jahre u. dgl. verurteilt worden sind und für welche der Gouverneur gleichfalls die Nachsicht der Hälfte der Strafdauer angetragen hat, wären ganz zu übergehen, weil ihre Verurteilung schon in die mildere Periode fällt, und man durch diesen Gnadenakt nur die Ungleichheiten zwischen früher und jetzt ausgleichen will. Hiernach würden ungefähr 35 verurteilte Zivilisten entfallen, welche der Gnade Sr. Majestät zur gänzlichen Nachsicht, und andere, welche nur zur teilweisen Milderung ihrer Strafe zu empfehlen wären.
Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden7.
IV. Veröffentlichung bezüglich der Aufhebung der kriegsrechtlichen Untersuchung gegen 209 Personen
Der Minister des Inneren Dr. Bach bemerkte hierauf, daß ihm gestern der au. Vortrag wegen Behandlung der in Untersuchung befindlichen ungarischen Landtagsmitglieder mit Ah. Genehmigung der Anträge zugekommen sei, diese Untersuchung sei aufzuheben8.
Der Minister meinte, daß hierüber eine kurze Notiz durch die Zeitung zu verlautbaren, die Namen jener 209 Individuen aber, deren kriegsrechtliche Untersuchung sistiert wurde, nicht speziell zu nennen wären, weil manche sich darunter befinden können, die in der Untersuchung unschuldig befunden worden wären und es die Humanität und Delikatesse erfordert, die Namen derjenigen nicht der Öffentlichkeit preiszugeben, über welche noch kein Urteil gefällt worden ist und deren Prozeß nun der Vergessenheit überliefert werden soll.
Der Ministerrat erklärte sich einverstanden, daß nur bekanntgegeben werde, Se. Majestät hätten die schwebende Untersuchung über jene 209 Individuen aufzuheben geruhet, ohne ihre Namen in der offiziellen Wiener Zeitung anzuführen9.
V. Nochmalige Sichtung des Verzeichnisses der kompromittierten ungarischen Landtagsmitglieder
Der Minister Dr. Bach bemerkte weiter, er habe aus den vorgelegten Verzeichnissen über die vorerwähnten Individuen entnommen, daß diese Verzeichnisse nicht ganz genau sind und daß noch Individuen vorkommen dürften, für welche gleiche oder noch wichtigere Gründe zu einer gleichen Behandlung geltend gemacht werden können, und erbat sich die sofort erteilte Zustimmung des Ministerrates, daß die frühere Kommission der Ministerien der Justiz, des Krieges und des Inneren die Verzeichnisse noch einer Sichtung unterziehe, damit die Rücksichtswürdigen noch nachträglich der Ah. Gnade Sr. Majestät empfohlen werden können10.
VI. Kredit von 100.000 f. für Krakau
Derselbe Minister erwirkte aus Anlaß des jüngsten verheerenden Brandes in der Stadt Krakau11 die Zustimmung des Ministerrates, dem dortigen provisorischen Landeschef einen Kredit von 100.000 f. zu gewähren und sich diesfalls mit dem Finanzministerium ins Eivernehmen zu setzen, damit dem Chef die Mittel nicht mangeln, den dringendsten Bedürfnissen in Ansehung der verunglückten öffentlichen Gebäude zu steuern12. Ein größeres Darlehen für die Stadt Krakau wird wohl in der Folge nicht umgangen werden können13.
VII. Kirchenbücher aus Rußland für die österreichischen Serben
Hierauf besprach der Minister des Inneren noch die Kirchenbücher, welche von Privaten aus Rußland für die griechischen Serben in Österreich geschickt worden sind14. Es sind, bemerkte derselbe, 810 Bände verschiedener Kirchen- und Meßbücher, mitunter mit samtenen Einbänden, silbernen Beschlägen u. dgl. Der Minister habe diese Bücher genau prüfen lassen, und es sei gefunden worden, daß diese in altslawischer Sprache verfaßten Bücher mehrere kleine und große Gebete für den Kaiser von Rußland, für die Mitglieder der kaiserlichen Familie, die heilige Synode, den Metropoliten etc. enthalten, wie sie nur von den Untertanen seines Reiches gefordert und gebetet werden können. Ferner bemerkte der Minister, daß auch verschiedene Paramente und Kirchengewänder eingeschickt worden sind. Es frage sich nun, ob diese Gegenstände von Seite der Regierung ihrer Bestimmung zugeführt werden sollen oder nicht15. Der Minister Dr. Bach fände es nicht geraten, die Bücher jetzt, wo das nationale Element in den griechischen Serben so lebendig erwacht ist, an den Ort ihrer Bestimmung gelangen zu lassen. Es wäre nach seiner Ansicht zu sagen, daß die in der Rede stehenden Bücher für Rußland berechnet, Gebete für den dortigen Kaiser etc. enthalten, wie sie nur von seinen Untertanen gebetet werden können, daß man aber Sorge tragen werde, daß nächstens eine Druckerei für solche Bücher (unten in Karlowitz oder besser hier als ein Zweig der Staatsdruckerei) errichtet werde, wo den Serben dann die erforderlichen Kirchenbücher geliefert werden würden16.
Mit dieser Ansicht vereinigten sich die mehreren Stimmen, nur die Minister Ritter v. Thinnfeld und Graf Thun würden keinen Anstand nehmen, diese Bücher den Serben auszufolgen, weil sie bereits solche und wie es scheint nur solche Bücher unten|| S. 167 PDF || haben, die Versagung dieser Bücher eine große Mißstimmung verursachen würde und die wünschenswerte baldige Wiederaufnahme des dortigen Gottesdienstes dadurch wieder gehindert wäre. Der Minister Graf Thun würde es auch für zweckmäßiger halten, wenn eine Druckerei für solche Bücher in Karlowitz errichtet würde, mit gehöriger Bedachtnahme darauf, daß durch die baldige Herstellung neuer die den Serben zugekommenen Bücher wieder ausgetauscht werden.
aZugleich behielt sich der Minister des Inneren bevor, die Einleitung zu treffen, daß der Druck neuer Bücher ehebaldigst zustande gebracht werde, und wird hierüber demnächst seinen Vortrag erstattena .17
VIII. Staatsprüfungen
Der Minister des Kultus und des öffentlichen Unterrichtes Graf v. Thun brachte nochmals die Staatsprüfungen zur Sprache18. Er bemerkte, daß zwei Prüfungen aus den positiven und eine aus den theoretischen Rechtsfächern abgelegt werden sollen und daß die Prüfung aus dem Theoretischen für die Übergangsperiode nachgesehen werde. Es frage sich nun, ob in dieser Übergangsperiode, wo die heuer austretenden Juristen aus dem ersten Jahrgange der Rechtsstudien die Prüfungen abgelegt haben, dieselben beide Teile der positiven Prüfung zu machen haben oder nur einen, und den anderen nachtragen sollen. Graf Thun meinte, daß heuer nur eine dieser Prüfungen zu fordern und die andere nachzutragen wäre, was er damit unterstützt hat, daß sich ein fühlbarer Mangel an Praktikanten kundgibt.
Da dieses nur für die Übergangsperiode angetragen wird und, wie sich von einigen Seiten ausgesprochen wurde, der Mangel an Praktikanten bereits wirklich hervortritt, erklärte sich der Ministerrat mit dem Antrage des Grafen Thun einverstanden19.
IX. Hinausgabe der päpstlichen Bullen in Betreff der Konfirmierung zweier italienischer Bischöfe
Dem Minister Grafen Thun sind im Wege des Ministeriums des Äußern zwei päpstliche Bullen zugekommen, womit zwei von uns gewählte italienische Bischöfe vom Papste konfirmiert werden20.
Der Minister stellte nun die Anfrage, wie es mit dem Placetum regium, womit die Bullen versehen sein sollen, in Italien, für welches weder die österreichischen Grundrechte gelten, noch die neuerlichen Erlässe in geistlichen Angelegenheiten in Anwendung gekommen sind, gehalten werden solle.|| S. 168 PDF ||
Der Ministerrat einigte sich diesfalls darin, bdaß Sr. Majestät die Erlassung einer Verordnung in Antrag gebracht werde, der zu Folge es von Erteilung des Placetum regium für Präkonisationsbullen schon jetzt abzukommen habe.b Was dagegen die allgemeine Frage anbelangt, nämlich die Ausdehnung und Aktivierung der jüngsten Erlässe in geistlichen Angelegenheiten auf Italien, so wird hierüber eine eigene Verhandlung vorbehalten21.
Der Minister Graf Thun wird in diesem Sinne einen au. Vortrag an Se. Majestät erstatten22.
Wien, den 23. Juli 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Vortrages [sic!] zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 26. Juli 1850.