Nr. 18 Ministerrat, Olmütz, 12. Februar 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; anw.anwesend Schwarzenberg, Stadion, Krauß, Bach, Bruck, Cordon, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 14. 2.), Krauß 28. 6., Bach 28. 6., Thinnfeld 27. 7., Kulmer 28. 6.
MRZ. 528 – KZ. 348 (2052) –
Protokoll der zu Olmütz am 12. Februar 1849 in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät des Kaisers abgehaltenen Sitzung des Ministerrates.
I. Bestellung eines Komitees für die ungarischen Angelegenheiten
Der Ministerpräsident entwickelte die vorhandene Notwendigkeit, das Ministerium bei seinen Beschlüssen in ungarischen administrativen und politischen Angelegenheiten durch den Rat eines Komitees zu unterstützen, welches aus wohlgesinnten und mit den Verhältnissen des Landes vertrauten Männern zusammenzusetzen wäre, ohne jedoch demselben einen offiziellen Charakter oder einen administrativen Wirkungskreis beizulegen1. Als Mitglieder dürften vorläufig die Grafen Apponyi, Barkóczy und Emil Dessewffy, Baron Jósika, v. Ürmény, Szentiványi und Wirkner einzuladen sein.
Der Finanzminister bezeichnete die Aufgabe dieses Komitees als eine doppelte:
1. Beratung über die demselben vom Ministerium zur Begutachtung zugewiesenen Gegenstände und 2. Beratung über die vom Komitee sich selbst vorzuzeichnenden Aufgaben. Jedenfalls erscheine es angezeigt, daß bei wichtigen Beratungen der bezügliche Minister zugezogen werde. Der Minister des Inneren bemerkte, daß die Gegenwart der Minister oder der von ihnen gewählten Stellverteter in solchen Fällen noch nicht hinlänglich sein dürfte, weder um dem Ministerium die fortlaufende Kenntnis der Arbeiten des Komitees zu verschaffen, noch um dieses Komitee bei allen Stadien seiner Beratung, sowohl von der Tendenz des Ministeriums als von den faktischen Verhältnissen und Interessen der übrigen beteiligten Kronländer zu unterrichten. Zu diesem Ende wäre ein höherer Staatsbeamter als ständiges Mitglied des ungarischen Komitees zu bestimmen, und Graf Stadion erklärte für diese in mehrfacher Beziehung schwierige Aufgabe niemand geeigneteren vorschlagen zu können als den Vizepräsidenten des Generalrechnungsdirektoriums Pipitz, der mit den politischen und administrativen Verhältnissen aller Kronländer auf das genaueste bekannt ist und in jeder Beziehung volles Vertrauen verdient.
Die hier zur Sprache gebrachten Anträge wurden einstimmig genehmigt2.
II. Konstitutionsentwurf
Hierauf wurde die in der Ministerratssitzung vom 11. Februar 1849 begonnene Beratung über den Verfassungsentwurf fortgesetzt3.
|| S. 109 PDF || Es ward beschlossen, den Schlußsatz des § 71 „und die Minister oder Stellvertreter werden darüber Auskunft geben“ wegzulassen, weil diese Bestimmung zahllose Interpellationen über Bittschriftenerledigungen hervorrufen würde.
Der Eingang des § 73 wurde der Deutlichkeit wegen folgendermaßen textiert: „Nur jedem der beiden Häuser des Reichstags und den Landtagen selbst steht das Recht zu, etc.“
aIn dem § 86 wurde zu dem Rechte des Kaisers, Begnadigung zu gewähren, auch noch das Recht der Amnestierung hinzugefügt, welches sich von dem ersteren dadurch unterscheidet, daß letzteres vor gefälltem Urteile gebraucht werden kann, während die Begnadigung eine bereits geschehene Verurteilung voraussetzt.a
Es wurde beschlossen, den § 96, welcher eine zu weite Ausdehnung der Immunität zuließe, in folgender Weise zu modifizieren: „Kein Mitglied des Reichstages darf wegen Äußerungen als Abgeordneter in den Sitzungen zur Rechenschaft gezogen oder gerichtlich verfolgt werden.“
Im § 77 wurde nach den Eingangsworten „ein Mitglied des Reichstages darf“ der Zwischensatz eingeschaltet „solang derselbe versammelt ist“, weil es sonst nicht gestattet wäre, einen Reichstagsabgeordneten während der Zwischenzeit von einer Session zur anderen zu verhaften.
Nach § 78 wurde ein neuer Paragraph folgenden Inhalts eingeschaltet: „Die Geschäftsbeziehungen des Ober- und Unterhauses zueinander werden durch eine Übereinkunft beider Häuser geregelt.“
Nach § 81 wurde ein Paragraph folgenden Inhalts eingeschaltet: „In Betreff der Großjährigkeit des Thronfolgersb und der Bestellung eines Vormundes oder Regenten bleiben die bestehenden Hausgesetze in Wirksamkeit.“
In den § 94 wurde die Bestimmung aufgenommen, daß der Kaiser die Verfassung bei Zusammentreten des ersten Reichstages beschwören werde. Die Bestimmungen über die Reichsangelegenheiten, § 96, wurden folgendermaßen ergänzt:
Zu e) nach dem Worte „Zölle“ Zusatz: „so wie überhaupt Abgaben auf Land- und Wasserstraßen, Brücken, Häfen etc.“. Es erschien nämlich dem Ministerrate sehr wichtig zu verhindern, daß die Benützung der Straßen, auf welchen sich der Handelsverkehr bewegt, nicht durch einseitige Verfügungen der Landtage mit Abgaben belastet werde.
Zu f) nach „Die Reichsbauten“ Zusatz: „namentlich die Eisenbahnen, Telegraphen, die großen Land- und Wasserstraßen“.
Es wurde ferner beschlossen, nach dem § 5 einen allgemeinen Paragraphen folgenden Inhalts einzuschalten: „Das ganze Reich ist ein Zoll- und Handelsgebiet. Binnenzölle dürfen unter keinem Titel eingeführt werden, und wo solche zwischen den einzelnen Gebietsteilen des Reiches gegenwärtig bestehen, hat deren Aufhebung so bald als möglich zu erfolgen. Die Aussonderung einzelner Orte und Gebietsteile aus dem Zollgebiete und die Aufnahme femder Gebietsteile in dieselben bleibt der Reichsgewalt vorbehalten.“ Die Aufhebung der Zwischenzollinie an der ungarischen Grenze hätte natürlich erst dann Platz zu greifen, wenn die direkte Besteuerung des ganzen Grundbesitzes in || S. 110 PDF || Ungarn bereits im Gange ist und auch eine Entschädigung für die Verluste des Tabak- und Zollgefälles ausgemittelt wurde, daher die Klausel „sobald als möglich“. Der Schlußsatz dieses Paragraphes beabsichtigt, der Regierung das Recht zu wahren, Zollausschlüsse und Freihäfen zu dekretieren und Zollvereine mit benachbarten Staaten abzuschließen.
Die Bestimmung des § 80, es sei bei Ernennung der Mitglieder des Reichsrates die Regel zu beobachten, daß alle Kronländer darin vertreten sein müssen, gab zu einer längeren Erörterung Anlaß, wobei der Finanzminister heraushob, daß daraus wesentliche Nachteile entspringen würden. Se. Majestät wären nämlich dadurch gebunden, aus jedem, auch dem kleinsten Kronlande einen Minister zu wählen, ohne Rücksicht, ob auch in einer solchen Provinz, z.B. Bukowina, Salzburg, wirklich ein Individuum vorhanden ist, welches die vielen Eigenschaften besitzt, die zu einem Reichsrate, wie er sein soll, erforderlich sind. Der Reichsrat wird auf diese Art sehr kostspielig, sehr zahlreich und doch gar nicht gut zusammengesetzt werden. Die Richtigkeit dieser Bemerkung wurde allseitig anerkannt, und da es nun schon unvermeidlich ist, Individuen der verschiedenen Nationen in den Reichsrat zu berufen, so beschloß man, wenigstens der Krone eine gewisse Freiheit in der Auswahl zu wahren. Schließlich vereinigte sich der Ministerrat daher zu folgender Textierung: „Bei deren Ernennung ist auf die verschiedenen Teile des Reiches möglichst Rücksicht zu nehmen“.
Der Abschnitt von der Rechtspflege gab zu einer umfassenden Diskussion zwischen dem Finanz- und dem Justizminister Anlaß, von welchen der erstere die Notwendigkeit, das Prinzip der Trennung der Rechtspflege von der Administration allenthalben durchzuführen, bestritt. Baron Krauß hält diese Maßregel, welche einen jährlichen Mehraufwand von fünf bis sechs Millionen verursachen würde, keineswegs für ein wahres Bedürfnis aller Kronländer und spricht die Überzeugung aus, daß z.B. in Tirol durch die bestehenden, beide Funktionen vereinenden Landrichter den Erfordernissen des Dienstes und dem Bedarfe der Einwohner besser entsprochen werde, als wenn die Justiz von der Verwaltung getrennt und sofort die Jurisdiktionsbezirke vergrößert würden, wobei die Parteien viele lästige und kostspielige Reisen unternehmen müßten. Es scheine ihm vielmehr sehr wünschenswert, den Gemeinderichtern auch über kleine Rechtsstreitigkeiten fortan eine richterliche Gewalt zu belassen. Minister Baron Kulmer bemerkte, auch in Ungarn hätten alle unteren Instanzen zugleich einen richterlichen und einen administrativen Wirkungskreis. In diesem Lande werde eine völlige Trennung der Justiz von der Verwaltung aus manchen, namentlich aus finanziellen Gründen noch lange Zeit unausführbar bleiben. Der Justizminister machte andererseits geltend, daß nach seinen Wahrnehmungen die allgemeine Durchführung des in Rede stehenden Grundsatzes vielfach gewünscht und ungeduldig erwartet werde, so wie sich überhaupt die größten legislativen Autoritäten der Gegenwart dafür ausgesprochen haben. Die Vereinigung beider Geschäftszweige in einer Person sei schon aus dem Grunde nicht wohl zulässig, weil der Richter inamovibel sein muß, während die obere politische Behörde das Recht, einen ihrer Unterbeamten zu entheben oder zu versetzen, nicht aus der Hand geben kann. Derlei Beamte von gemischter Natur wären daher zugleich amovibel und inamovibel! Schließlich vereinigte sich der Ministerrat zu dem Beschlusse, die Bestimmung der Verfassung über diesen Punkt dergestalt zu fassen, daß der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung zwar ausgesprochen, allein || S. 111 PDF || der Termin zur Durchführung dieser Maßregel unbestimmt gelassen werde. Die bezügliche Stelle wurde folgendermaßen gefaßt: „Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und voneinander unabhängig gestellt werden.“
In dem Abschnitte von der bewaffneten Macht wurde gemäß der Ag. Andeutung Sr. Majestät der Paragraph (§..) folgendermaßen textiert: „Im Inneren kann zu diesen Zwecken die bewaffnete Macht nur über Aufforderung der Zivilbehörden und in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen einschreiten.“ Die Textierung des vorliegenden Entwurfes könnte nämlich in einer Weise gedeutet werden, welche jede dienstliche Verwendnung des Militärs im Inneren von der Aufforderung der Zivilbehörden abhängig machen würde.
Schließlich wurde, gleichfalls über eine Ah. Bemerkung, der Paragraph, welcher von der Einrichtung der Bürgerwehr handelt, am Schlusse des Abschnittes von der bewaffneten Macht gereiht, da er in seiner früheren Stellung den Zusammenhang unterbricht.
Nachdem hiemit die Beratung über den Verfassungsentwurf geschlossen war, äußerte Minister Bach , daß in dem gleichzeitig mit der Verfassung zu veröffentlichenden Ah. Manifeste die Gründe auseinanderzusetzen sein werden, warum diese Verfassung ohne Teilnahme der Landesvertreter zustande gebracht werden mußte. Übrigens sei durch die dem ersten Reichstag eingeräumte Befugnis, Abänderungen der Konstitution zu beschließen, der Weg, sich über die oktroyierte Charte zu vereinbaren, angebahnt und somit auch das Prinzip der Vereinbarung gewahrt4.
III. Robotentschädigungsgesetz
Der Ministerrat schritt hierauf zur Beratung über das gleichzeitig mit der Verfassung zu veröffentlichende Patent über die Entschädigung für die mit dem Gesetze vom 7. September 1848 aufgehobenen Urbarialgiebigkeiten5.
Der Inhalt dieses Patentes hat seinen Grundzügen nach bereits seit längerer Zeit einen Gegenstand der Beratungen des Ministerrates gebildet, und es wurde dabei der diesem Protokolle unter A beiliegende Entwurf zustande gebracht6. In der Sitzung vom 8. Februar 1849 wurde dieser Entwurf in allen seinen Teilen einer sorgfältigen Erörterung unterzogen und dabei in jener Form redigiert, welche das Substrat der heutigen Beratung bildete.c
Der Ministerrat beschloß hiebei folgende Modifikationen des Textes:
Im § 7 wurde statt der Worte „ist der Wert der betreffenden Schuldigkeit“ der präzisere Ausdruck gewählt „ist der Wert der Schuldigkeit nach dem rechtlich gebührenden Ausmaße“. Im § 10 wurde bestimmt, daß der Wert der Zwangsarbeit in keinem Falle höher als ein Dritteil des Werts der freien Arbeit berechnet werden dürfe, nachdem das frühere beschlossene Maximum der Hälfte des Wertes nach reifer Berücksichtigung der obwaltenden Verhältnisse zu hoch erschien.
§ 11 statt „entschädigen“ „veranschlagen“.
|| S. 112 PDF || Über die Frage, ob und inwiefern der Staat auch bei der Entschädigung jener aufgehobenen Leistungen zu intervenieren hat, welche aus Verträgen herrühren, behielt sich der Minister des Inneren vor, nach gepflogener Rücksprache mit einigen sachverständigen Mitgliedern des Reichstages seine Anträge zur Beratung zu bringen. Einstweilen bleiben die §§ 17 und 18 in suspenso.
Zum § 24 machte der Finanzminister die Besorgnis geltend, daß, wenn den Berechtigten ein volles Dritteil der von ihnen erweislich genossenen Bezüge als Entschädigung vorschußweise vom Staate flüssig gemacht würde, dies wahrscheinlich eine allzu große Last für die Finanzen bilden würde, nachdem die hierüber von den Berechtigten anzustellenden Berechnungen ohne Zweifel weit höher ausfallen würden als nach den für die definitive Bemessung der Entschädigung im Patente festgesetzten Grundsätzen. Es wird daher dieser Paragraph neu redigiert werden, in dem Sinne, daß dort, wo die Materialien zur definitiven Entschädigungsberechnung bereits vorhanden sind, sich bei der Vorschußleistung auch daran zu halten sei.
§ 25 „nachträglich zu entrichten“ statt „unweigerlich“.
Die Paragraphen wegen des Mortuars und Laudemiums, dann wegen der Rückstände, wurden des Zusammenhanges wegen unmittelbar nach § 25 gereiht.
§ 30 lautet der erste Satz nach der neuen Redaktion: „Besondere Verordnungen werden die Zusammensetzung der Kommissionen feststellen und das Verfahren der erwähnten Schiedsgerichte regeln.“7 Im zweiten Satze „Errichtung“ statt „Kreierung“.
Der § 32 wurde gestrichen und beschlossen, das gegenwärtige Patent auch in der Provinz Tirol in Anwendung treten zu lassen, nachdem die öffentliche Stimme in diesem Lande, welche früher die Entschädigungsverhandlung nach den Beschlüssen des dortigen Landtages abgesondert durchgeführt haben wollte, nunmehr den Wunsch ausgesprochen hat, nach denselben Grundsätzen wie die übrigen Länder behandelt zu werden8. Es werden daher nur für Galizien besondere Anordnungen über diesen Gegenstand mittelst eines eigenen Patents zu erlassen sein9.
Nach § 33 wurde demnach ein Paragraph folgenden Inhaltes eingeschaltet: § 34. „Die Bestimmungen dieses Patents finden sofort in allen Gebietsteilen, für welche das Gesetz vom 7. September 1848 erlassen wurde, ihre Anwendung.“
Mit Rücksicht auf die vorstehenden Beschlüsse wird das Entschädigungspatent seiner definitiven Redaktion unterzogen werden10.
IV. Russisches Darlehen
Der Minister des Äußern verlas eine von dem k.k. Botschafter in Petersburg erhaltene Depesche, wonach der Kaiser von Rußland seine Bereitwilligkeit ausgesprochen || S. 113 PDF || hat, die österreichischen Finanzen mit einem Anlehen zu unterstützen, dessen Valuta zwar nicht in Silber, aber in französischen Papieren bezahlt würde11.