Nr. 512 Ministerrat, Wien, 12. November 1864 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Schurda; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 12. 11.), Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein, Franck, Zichy, Kalchberg, Reichenstein; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 3. 12.
MRZ. 1316 – KZ. 3609 –
Protokoll des zu Wien am 12. November 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Gesetzentwurf betreffend die Eisenbahnlinie Arad–Hermannstadt–Rotenturmpaß
Der Staatsratspräsident referierte über den au. Vortrag des Handelsministeriums vom 18. Oktober l. J., Z. 1628, wegen Sicherstellung der Eisenbahnlinie Arad–Hermannstadt–Rotenturm mit einer Zweigbahn von Alvincz nach Karlsburg mit dem Bemerken, daß, nachdem mit Ah. Entschließung vom 5. Juni l. J. Ag. gestattet wurde, daß wegen Sicherstellung dieser Eisenbahnlinie mit der Zweigbahn aufgrund der festgestellten Bedingnisse und Zugeständnisse eine Konkurrenzverhandlung veranlaßt werde, es sich gegenwärtig um die eingeleiteten Offertverhandlungen handelt1.
Es seien zwei Offerte gemacht worden, nämlich: 1. von der österreichischen Credit-Anstalt und 2. von E. Pickering in London. Die erstere beansprucht eine Bauzeit von vier Jahren, eine Konzessionsdauer auf 90 Jahre vom Tage der Eröffnung der ganzen Bahn, Vornahme einiger Änderungen im Bauprojekte, Garantie eines jährlichen Reinerträgnisses von mindestens 2,200.000 fl. in Silber, ferner Restringierung der Bauten und Betriebsmittel, endlich Befreiung von der Einkommensteuer durch fünf Jahre. Pickering verlangt ebenfalls eine vierjährige Bauzeit und Befreiung von der Einkommensteuer durch fünf Jahre, begnügt sich aber mit einer Konzessionsdauer von 85 Jahren und mit einer Garantie von 2,000.000 fl., in welcher Summe jedoch die Tilgungsquote von 32.000 fl. nicht begriffen sein soll, sodaß sich das ganze zu garantierende Reinerträgnis eigentlich auf 2,032.000 fl. stellen würde. Die Offerte des Pickering zeige sich daher in mehreren Beziehungen günstiger, und der Handelsminister glaubte daher zunächst, auf die Offerte der Credit-Anstalt nicht reflektieren zu können. Es kommen daher nur die Bedingungen des Pickering in Betracht, und Referent glaube nur jene Punkte hier zu berühren, die Abweichungen vom Programme enthalten.
Die wichtigsten dieser Punkte seien: erstens die Forderung des Konzessionswerbers, daß die zu bildende Aktiengesellschaft ermächtigt werde, das für den Bau und die Errichtung der Bahn erforderliche Kapital durch Emittierung von Aktien und Obligationen in dem Verhältnisse von 1 zu 2 sich beschaffen zu dürfen. Die bezüglich dieses Punktes ursprünglich zwischen dem Handels- und dem Finanzministerium bestandene Differenz habe sich endlich durch die Zustimmung des Finanzministers behoben, und auch der || S. 269 PDF || Staatsrat finde gegen diese Forderung nichts einzuwenden. Bei der Abstimmung über diesen Punkt bemerkte der Finanzminister , er habe zwar anfänglich den Grundsatz auch hier festhalten wollen, daß bei der ursprünglichen Aufbringung der zur Herstellung der Bahn erforderlichen Geldmittel der Betrag der Obligationen nicht die Höhe des Aktienkapitales übersteigen dürfe, allein er habe endlich die Forderung des Pickering zugestanden, indem derselbe dieses für eine Lebensfrage für ihn abeziehungsweise für das baldige Zustandekommen der Eisenbahna erklärte. Die Konferenz war damit einhellig einverstanden.
Der zweite Punkt – fährt Referent fort – betrifft die Art der Flüssigmachung der aus dem Titel der Garantie zu leistenden Zuschüsse des Ärars. Pickering verlange nämlich von halb zu halb Jahren zur Verfallszeit der Kupons angemessene Vorschüsse zu erhalten. Hierwegen bestehe eine Differenz zwischen dem Finanz- und dem Handelsministerium, denn während das erstere zwischen Obligationen- und Aktienzinsen unterscheidet und nur zur Deckung der Obligationszinsen halbjährige Vorschüsse, für die Aktienzinsen aber nur gänzjährige geben will, schlägt des Handelsministerium einen Modus vor, welcher dem Konzessionswerber die halbjährige Bedeckung sowohl der Obligations- als der Aktienkupons sichert. Der Staatsratspräsident sei mit dem Antrage des Handelsministers prinzipiell einverstanden, denn es sei allerdings für die Unternehmung eine Lebensfrage, daß sie ihre Kupons halbjährig einlösen könne. Nur in textueller Beziehung hätte er gegen Art. 2 lit. 1 und 2 des beiliegenden Entwurfesb einige Anstände, und zwar: ad 1. scheine ihm, da in diesem Absatze davon die Rede ist, daß ein Teil der gewährleisteten Reinerträgnisse nach einem zu genehmigenden Amortisationsplane zur Tilgung des Kapitals verwendet werden solle, notwendig zu sein, diesen Kapitalsbetrag, wahrscheinlich 40.000 fl., anzuführen, wie dies auch bei der Czernowitzer Eisenbahn geschehen ist. Der Leiter des Handelsministeriums Freiherr v. Kalchberg, bemerkte, daß man in diesem Absatze den Kapitalsbetrag nicht benannt, sondern nur im allgemeinen sich ausgedrückt habe, weil man der Unternehmung in ihrer Emittierung der Obligationen etc. freien Zeitraum geben will. Je nachdem sie also mit 5% oder mit 6% emittiert, werde sich die Tilgungsquote höher oder niedriger stellen, und es passe daher nicht, hier eine bestimmte Quote auszusprechen. Der Finanzminister hielt es auch für besser, die Quote hier unbestimmt zu lassen, worauf der Staatsratspräsident es wenigstens notwendig fand zu sagen, „das emittierte Kapital“, was sofort von der Konferenz einstimmig angenommen wurde. Ad 2. führte Referent weiters an, der Eingang dieses Absatzes sage im allgemeinen, daß jeder Zuschuß binnen drei Monaten nach Überreichung der Rechnung bezahlt werden müsse, wodurch es also der Unternehmung freigelassen sei, wann sie die Rechnung überreichen will. Es könnte also hier, wo die Staatsverwaltung zur Einlösung der Kupons Vorschüsse geben soll, geschehen, daß die Gesellschaft, sobald sie die Vorschüsse hat, die Legung der Rechnungen hinausschleppt und die Staatsverwaltung nicht zur Abrechnung ihrer Vorauszahlung gelangt. Seines Erachtens sollte daher wohl eine Frist, bis zu welcher die Rechnung zu legen ist, bestimmt werden. Ferner scheine dem || S. 270 PDF || Staatsratspräsidenten die weitere Textierung dieses Absatzes, wo die Art der Vorschußleistung normiert wird, dunkel und unklar zu sein. Denn wenn es da heißt, „das Ärar wird ja doch schon nach Schluß des Betriebsjahres, d. i. am 1. Jänner des beginnenden neuen Betriebsjahres zur Einlösung der verfallenen Aktien- und Obligationskupons nach Erfordernis Teilzahlungen leisten“, wenn dieselben sechs Wochen vor der Verfallszeit verlangt werden, so dürfte der Ausdruck „zur Einlösung der verfallenen Kupons“ fehlerhaft sein und es vielmehr heißen „zur Einlösung der in diesem Jahre zum Verfall kommenden Aktien- und Obligationskupons“, weil es nur rücksichtlich dieser erst zum Verfall kommenden Kupons möglich ist, sechs Wochen vor der Verfallszeit das Begehren um Vorschüsse zu deren Deckung zu stellen. Diese Bemerkungen des Staatsratspräsidenten gaben zu einer längeren Diskussion zwischen dem Finanzminister, dem Leiter des Handelsministeriums und dem Referenten Anlaß, welche endlich zu der Einigung führte, daß die Staatsverwaltung sich verbindlich mache, auch früher, nämlich vor erfolgter Prüfung der Jahresrechnung (von halb zu halb Jahren) zur Einlösung der verfallenen Kupons nach Maßgabe des aufgrund des Kassepräliminars richtiggestellten Erfordernisses Vorschüsse unter Vorbehalt der auf Grundlage der Jahresrechnung zu pflegenden Abrechnung zu leisten, wenn der Konzessionär sechs Wochen vor der Verfallszeit das bezügliche Ansuchen gestellt hat. Wenn nach endgiltiger Feststellung der Jahresrechnung sich ein Überschuß an erhaltenen Vorschüssen zeigt, soll derselbe unter Zurechnung von 6% Zinsen sofort zurückgezahlt werden. Auch wurde sich dahin geeinigt, daß in dem fraglichen Absatze ein bestimmter Termin bezüglich der Überreichung der Rechnungen ausgesprochen werde. Es wurde sonach beschlossen, daß im Sinne dieser Vereinbarung der Absatz 2 zu modifizieren sei.
Der Staatsratspräsident referierte sodann weiter hinsichtlich der von Pickering angesuchten Begünstigungen rücksichtlich der Steuerpflicht (Art. 3), indem er bemerkte, das Handelsministerium trage auf Gewährung dieser Begehren rücksichtlich darauf an, daß die Unternehmung durch fünf Jahre, von der Ausfertigung der Konzessionsurkunde gerechnet, von der Entrichtung der Einkommensteuer befreit sein soll, und die nach Ablauf dieser Frist zu entrichtende Einkommensteuer sowie die Kuponsstempelgebühren als Ausgabsposten in die Betriebsrechnungen eingestellt werden dürfen, endlich daß die Staatszuschüsse die Einkommensteuerfreiheit genießen sollen. Das Finanzministerium wolle dagegen aus Billigkeitsrücksichten nur zugestehen, a) daß jener Teilbetrag der Einkommensteuer und der Zuschläge, der sich auf das in 4% vom Staate geleisteten Vorschüssen bestehende Reinerträgnis bezieht, als Ausgabspost in der Berechnung der Betriebsauslagen zur Bildung des Nettoeinkommens erscheine; b) daß die Stempelgebühren, welche für die vom Staate erhaltenen 4% Vorschüsse entrichtet worden sind, ebenfalls in die Ausgabenrechnung aufgenommen werden sollen, und c) daß mit dem Konzessionswerber über einen Maximalbetrag sich vereinbart werde, welchen die auf je ein Betriebsjahr entfallenden und in die Betriebsauslagen nicht einzubeziehenden Steuer- und Stempelgebühren für die ganze Zeit der Konzessionsdauer in keinem Falle werden überschreiten dürfen, während selbstverständlich bis zu jener Maximalsumme nur diejenigen Beträge in die Ausgabsrechnung des betreffenden Betriebsjahres nicht einzubeziehen sein werden, die aus der Anwendung der sub a) und b) erwähnten Bestimmungen hervorgehen. Er, Referent, glaube, in allen Punkten mit dem Leiter des Handelsministeriums stimmen zu sollen, denn wenn auch bei dem Pickeringschen || S. 271 PDF || Antrage die Garantie nach Zurechnung der Einkommensteuer nebst den bestehenden Zuschlägen, dann der Kuponsstempel eigentlich auf 2,211.000 fl., mithin auf mehr als die von der Credit-Anstalt angesprochene Garantie von jährlichen 2,200.000 fl. steigt, so werde man mit der Credit-Anstalt doch nicht besser herauskommen, weil es bei dem Pickeringschen Antrage gewiß sei, daß die Garantie über die obige Summe nie steigen kann, während es bei dem Antrage der Credit-Anstalt unentschieden bliebe, ob die Staatsverwaltung auch noch die Garantie für die Einkommensteuer übernehmen müßte, und diese Frage erst im Prozeßwege entschieden werden dürfte. Einen üblen Einfluß auf die anderen Gesellschaften wegen der Einkommensteuer dürfte es nicht üben, da es sich hier um einen neuen Vertrag mit einer einzelnen Unternehmung handelt, dessen Bedingungen auf die Auslegung anderer schon bestehender Übereinkünfte nicht bezogen werden können.
Der Finanzminister erklärte, daß er von seinem Standpunkte aus in dem Punkte der Einkommensteuer nicht zustimmen könne, weil es ein Prinzip verletzen würde. Er meinte, daß ebensowenig die Staatsverwaltung bei den Interessenkupons der Staatsanlehen eine Steuerfreiheit garantiert, ebensowenig die Einkommensteuerbefreiung bei den Aktien stattfinden könne. Es würde prinzipiell das Resultat haben, daß dann der Aktionär von jeden 100 fl. 5% ungeschmälert fordern könnte, was eine Erschütterung bei allen anderen Gesellschaften herbeiführen möchte. Der Finanzminister sehe übrigens nicht ein, warum dem Pickering der Bau der Eisenbahn um jeden Preis gegeben werden und gar nicht versucht werden sollte, mit der Credit-Anstalt weiter zu verhandeln. Der Staatsratspräsident bemerkte, daß er cin die Frage über das Prinzip nicht eingehen wolle, obgleich er dasselbe, wie in seiner schriftlichen Äußerung angeführt ist, keineswegs für ausgemacht richtig halte. Der Finanzminister möge über diese Frage mit den älteren Eisenbahnen immerhin verhandeln und ein billiges Abkommen zu treffen suchen. Keinem Zweifel aber unterliege es wohlc, daß man bei neuen Vertragsabschlüssen derartige Bedingungen aufnehmen könne. Er wies übrigens bezüglich der Einkommensteuer auf das Patent vom 29. Oktober 1849 2 selbst hin, welches jede Unternehmung als einen eigenen Steuerpflichtigen erklärt, zu Folge dessen daher die Steuer unmittelbar die Unternehmung, nicht aber den Gewinn der einzelnen Aktionäre zu treffen hat. Für eine Unternehmung aber, welcher der Reinertrag garantiert ist, könne von einem solchen die Rede nicht sein, so lange die Steuern nicht berichtigt sind. Der Minister Graf Nádasdy stimmte in Anbetracht, daß man durch die Gewährung der fraglichen Zugeständnisse mit den anderen Eisenbahngesellschaften in Verlegenheit käme, mit dem Finanzminister. Alle übrigen Stimmführer pflichteten jedoch der Ansicht des Staatsratspräsidenten bei, und es ergab sich sonach die eminente Majorität für die Anträge des Handelsministeriums.
Der Staatsratspräsident referierte weiters, daß sich ihm gegen die Formulierung des letzten Zusatzes zu Art. 6, [Absatz] 16, welcher besagt, daß „der bestellte || S. 272 PDF || Kommissär die Gebahrung schon während des Betriebsjahres so weit tunlich einer meritorischen Prüfung unterziehen wird“, ein Anstand ergeben habe, nämlich der, daß man dann von dem Ärar in jedem Falle, wo es erst bei der Jahresrechnung in eine meritorische Prüfung eingehen will, den Beweis fordern wird, daß dem Kommissär eine frühere meritorische Prüfung nicht tunlich war, und überall, wo ein solcher Beweis nicht geliefert werden kann, mit Grund die Unanfechtbarkeit der Maßregel behauptet werden wird. Seines Erachtens sollte wenigstens festgehalten werden, daß nur jene Verfügungen als unanfechtbar zu betrachten seien, zu welchen der Kommissär ausdrücklich oder stillschweigend seine Zustimmung erteilt hat, und er würde daher vorschlagen, daß anstatt des letzten Absatzes gesetzt werde: „Verfügungen jedoch, welche unter Dazwischenkunft des Regierungskommissärs getroffen worden sind, ohne daß von demselben das Sistierungsrecht ausgeübt wurde, können nicht weiter beanständet werden.“ Der Finanzminister fand diese Änderung sehr zweckmäßig, und es waren auch alle übrigen Stimmführer damit einverstanden, nur wurde über Anregung des Leiters des Handelsministeriums beschlossen, im Eingange nicht bloß „Verfügungen“, sondern „Beschlüsse und Verfügungen“ zu sagen.
Schließlich führte der Staatsratspräsident noch an, daß im Staatsrate die Frage angeregt worden sei, ob nicht in dem beim Reichsrate einzubringenden Gesetzentwurfe bloß jene Konzessionsbestimmungen, welche nur die Garantie betreffen, aufzunehmen wären. Er stimme mit dem Handelsministerium, denn es dürfe hier nicht übersehen werden, daß die Regierung schon im vergangenen Jahre dem Hause in Beziehung auf die nämliche Bahn einen Gesetzentwurf vorgelegt hat3, welcher sich auf alle die Punkte erstreckte, welche das bereits zustandegekommene Gesetz über die Lemberg-Czernowitzer Bahn umfaßt4, und es daher wohl nicht möglich sei, jetzt über diese Bahn einen Entwurf in einem beschränkteren Sinne vorzulegen, als dieses damals bereits geschehen ist.
Der Konferenz ergab sich hierwegen keine Erinnerung5.
II. Erneuerung des Subventionsvertrages mit der Dampfschiffahrtsgesellschaft des Österreichischen Lloyd
Der Staatsratspräsident referierte den von dem Marineminister im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Leiter des Handelsministeriums erstatteten au. Vortrag vom 23. Oktober d. J., Z. 547, betreffend die Erneuerung des Post- bzw. Subventionsvertrages mit der Dampfschiffahrtsgesellschaft des Österreichischen Lloyd mit dem Bemerken, daß der Staatsrat weder gegen den Inhalt des Vertragsentwurfes || S. 273 PDF || noch gegen den bei dem Reichsrate einzubringenden hierneben angeschlossenen Gesetzentwurfd etwas zu bemerken fand6.
Der Konferenz ergab sich hierwegen ebenfalls keine Erinnerung7.
Wien, am 12. November 1864. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 2. Dezember 1864. Empfangen 3. Dezember 1864. Erzherzog Rainer.