Nr. 289 Ministerrat, Wien, 26. Februar 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 27. 2.), Krauß 1. 3., Bach 28. 2., Gyulai 2. 3., Schmerling 28. 2., Bruck, Thinnfeld 28. 2., Thun, Kulmer 28. 2.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 822 – KZ. 644 –
- I. Abstellung ungarischer Honvéds und Nationalgarden in die Armee
- II. Kommission zur Auffindung der ungarischen Krone
- III. Erleichterung der Einquartierungslast in Nordtirol
- IV. Berichte aus Siebenbürgen
- V. Steuerrückstände im Kreise Cattaro
- VI. Verhängung von Geldstrafen im lombardisch-venezianischen Königreiche
- VII. Eingabe der österreichischen Bischöfe
Protokoll der am 26. Februar 1850 zu Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses etc. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Abstellung ungarischer Honvéds und Nationalgarden in die Armee
Der Minister des Inneren äußerte, es kämen ihm von mehreren Seiten Mitteilungen und Beschwerden darüber zu, daß nicht bloß ehmalige Honvéds, sondern auch Mitglieder der aufgelösten ungarischen Nationalgarden dermal strafweise zum Militär abgestellt werden, weil sie während der ungarischen Rebellion an den Operationen einzelner Nationalgardeabteilungen Anteil genommen haben1. Der Minister des Inneren müsse vom politischen Standpunkte aus die Zweckmäßigkeit dieser Maßregel, die in ihrer allzu weit getriebenen Strenge allgemeine Bestürzung verbreitet und die Armee mit keinem guten Elemente vermehrt, sehr bezweifeln. Man könnte es nur als erwünscht betrachten, wenn dieser Maßregel bald Einhalt getan würde2.
II. Kommission zur Auffindung der ungarischen Krone
Der Kriegsminister eröffnete die Verfügungen, welche getroffen werden müßten, damit die zur Auffindung der ungarischen Königskrone nach Orschowa entsendete Kommission ihren Zweck erreichen könne3.
Es wurde gegen diese Einleitungen von keiner Seite etwas erinnert4.
III. Erleichterung der Einquartierungslast in Nordtirol
Der Kriegsminister referierte mit Beziehung auf die vorläufige Besprechung im Ministerrate vom 25. l.M.5, daß die Quartierträger in Nordtirol für jeden einquartierten Mann 4 Kreuzer täglich vom Lande, 4 Kreuzer vom Manne und 1 Kreuzer an Schlafkreuzer vom Militärärar beziehen, und sich daher im allgemeinen daselbst noch keine Unzufriedenheit über die dortigen Truppenkonzentrierungen geäußert hat, welche übrigens für das Land durch Belebung des Verkehrs etc. auch manche Vorteile haben. Um indessen den Nachteilen einer langdauernden allzu dichten Konzentrierung des Militärs auf einem Punkte zu begegnen, könnten vielleicht einige Bataillonsa, unbeschadet der Schlagfertigkeit des Armeekorps, ein oder zwei Tagmärsche zurück, von der Grenze mehr landeinwärts verlegt und somit dem Landmann ohne Nachteil in politischer Beziehung eine wünschenswerte Erleichterung zugewendet werden.
Nachdem der Ministerpräsident und die übrigen Minister dagegen nichts zu erinnern fanden, so behielt sich [der Kriegsminister] vor, bden au. Antrag Sr. Majestät zur Ah. Schlußfassung ehrerbietigst zur Kenntnis zu bringenbb .6
IV. Berichte aus Siebenbürgen
Der Minister des Inneren setzte bei seinen Kollegen einen aus Siebenbürgen erhaltenen umständlichen Bericht in Zirkulation, wonach dort in Absicht auf Urbarialwesen, Paß- und Fremdenpolizei etc. bereits viele zweckmäßige Einrichtungen getroffen worden sind. In Absicht auf die Sicherheit des Lebens und Eigentumes in jenem Lande gab der Minister die Beruhigung, daß die besorgniserregenden Berichte in den Zeitungen über diesen Gegenstand große Übertreibungen enthalten7.
V. Steuerrückstände im Kreise Cattaro
Der Finanzminister referierte über die Anträge des Obersten Mamula auf gänzliche Nachsicht der Steuerrückstände in einigen Bezirken des Cattarer Kreises8.
Er zeigte, daß bereits vom Gubernium Nachsichtsanträge erstattet worden seien, jedoch nicht allgemeine und unbedingte, sondern mit jenen Beschränkungen, welche unerläßlich sind, um das Ansehen der Regierung zu wahren und nicht gewissermaßen auf die Steuerrenitenz eine Prämie zu setzen. Baron Krauß sei dafür, daß diese Anträge der Landesstelle gewährt würden, ohne jedoch weiter zu gehen9.|| S. 172 PDF ||
Der Minister des Inneren , damit einverstanden, wird dem Obersten Mamula in diesem Sinne über sein Einschreiten antworten10.
VI. Verhängung von Geldstrafen im lombardisch-venezianischen Königreiche
Der Finanzminister referierte über die Einsprüche des Feldmarschalls Grafen Radetzky gegen die von dem Grafen Montecuccoli mit Notifikation vom 29. September 1849 verfügte Einstellung der Geldstrafenverhängung (multe) im lombardisch-venezianischen Königreiche11.
Baron Krauß zeigte, daß diese Verfügung über Beschluß des Ministerrates nach reiflicher Erwägung und sonder Zweifel, nicht ohne Vorwissen des damals hier anwesenden Feldmarschalls getroffen worden sei, weil derlei Strafen die ohnehin durch Steuern äußerst in Anspruch genommene Bevölkerung zu schwer treffen und nebenbei zu manchen Mißbräuchen und unerlaubten Erpressungen Anlaß geben.
Da diese überwiegenden Gründe auch derzeit noch ihr volles Gewicht haben, so wurde beschlossen, dem Feldmarschall zu erwidern, der Ministerrat finde bei seinem Beschlusse zu beharren, wodurch jedoch das Recht der Regierung, von den schuldtragenden Gemeinden Ersatz zu fordern und ihnen Exekutionsmannschaft einzulegen, keineswegs beirrt werde12.
VII. Eingabe der österreichischen Bischöfe
Hierauf wurde die Beratung über die Eingabe der Bischöfe fortgesetztc .13 Der Antrag des Ministers Grafen Thun lautet folgendermaßen:
„§ 3. Der geistlichen Gewalt steht das Recht zu, jene, welche die Kirchenämter nicht der übernommenen Verpflichtung gemäß verwalten, in der durch das Kirchengesetz bestimmten Form zu suspendieren oder abzusetzen und sie der mit dem Amte verbundenen Einkünfte verlustig zu erklären.“
„§ 4. Zur Durchführung des Erkenntnisses kann die Mitwirkung der Staatsbehörden in Anspruch genommen werden, wenn der ordnungsmäßige Vorgang der geistlichen Behörde durch Mitteilung der Untersuchungsakten nachgewiesen wird.“
Der Kultusminister motivierte diese Anträge im wesentlichen durch Berufung auf die Freiheit der Kirchengesellschaft im Staate, auf die ihr eingeräumte Gerichtsbarkeit und auf das Recht, die Diener der Kirche nach ihren Satzungen zu behandeln. In Ungarn stehe der katholische Klerus im vollen Besitz dieser Rechte.
Die mehreren Stimmen bemerkten aber vor allem, daß dieser Gegenstand, welcher mit der geistlichen Gerichtsbarkeit und dem dafür festzusetzenden Instanzenzuge in naher Verbindung steht, im Konkordate erst definitiv normiert werden dürfte. Sofern aber jetzt schon ein Ausspruch darüber notwendig befunden würde, sei es nicht rätlich, der|| S. 173 PDF || Kirchengewalt ein selbständiges Recht zuzuerkennen, welches weiter gehe, als die Suspension eines Pfarrers oder Benefiziaten. Die Befugnis der Kirche, einen Seelsorger zu entlassen, greife auch zu weit in den Bereich der Staatsgewalt, welche ihn mit der Führung der Matrikel, der Aufsicht über Schul- und Armenwesen beauftragt hat. Gleichwie in dem einstimmig angenommenen § 5 dem Staate nicht das Recht zur einseitigen definitiven Entlassung eines Geistlichen vom Amte wegen Mißbrauchs seiner Befugnisse eingeräumt wird, so erscheine es der Reziprozität wegen nur billig, der Kirchengewalt auch keine solche einseitige Befugnis einzuräumen, sondern die Entsetzung vom Amte und Pfründe von dem einverständlichen Beschlusse der Staats- und Kirchengewalt abhängig zu machen. Die Berufung auf die diesfälligen Rechte der Kirche in Ungarn spreche nicht zu Gunsten einer gleichmäßigen Erweiterung der Kirchengewalt in den übrigen Kronländern, da der Zustand der katholischen Kirche und des Klerus in Ungarn durchaus nicht als ein musterhafter gelten kann. Minister Bach machte darauf aufmerksam, es sei bedenklich, den Staat kurzweg der Disziplinargewalt über die Kuratgeistlichkeit und des Investiturrechtes zu entäußern. Der Finanzminister , hiemit völlig einverstanden, äußerte, er könne die Bemerkung nicht unterdrücken, daß in den meisten dzur Sprache gekommenen Vorschlägend die Tendenz liege, die Exekutivgewalt des Staates zu schwächen, während das allgemeine Beste, jetzt mehr als je, eine kräftige Exekutivgewalt erfordert, um den Agitationen und Trennungsgelüsten aller Art mit Erfolg zu widerstehen.
Schließlich wurde von den mehreren Stimmen beschlossen, den § 3 mit den Worten „in [der durch das Kirchengesetz] bestimmten Form zu suspendieren“ abzubrechen und den Rest desselben sowie § 4 zu streichen und statt dessen zu setzen: „Die Entsetzung vom Amte und der Verlust des damit verbundenen Einkommens kann nur im Einverständnisse mit der Staatsgewalt verfügt werden.“14
Wien, 27. Februar 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 2. März 1850.