Nr. 170 Ministerrat, Wien, 20. September 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 21. 9.), Krauß 27. 9., Bach 27. 9., Gyulai 27. 9., Schmerling 27. 9., Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer 21. 9.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 3327 – KZ. 2898 –
- I. Reise des Großherzogs von Toskana nach Wien
- II. Orden für den Parmaschen Minister Baron Thomas Ward
- III. Gesuch der Arader Judengemeinde
- IV. Entwurf des Seerechts
- V. Entwurf der Strafprozeßordnung
- VI. Organisierung der lombardisch-venezianischen Baubehörden
- VII. Behandlung der von den Purifikationskommissionen entlassenen k.k. Offiziere
Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 20. September 1849 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses, FML. Fürsten v. Schwarzenberg. Der Ministerpräsident eröffnete
I. Reise des Großherzogs von Toskana nach Wien
daß er nach einer dienstlichen Meldung Sr. k.k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Großherzog von Toskana am 18. d.[M.] von Padua direkt nach Wien abgereiset sei1;
II. Orden für den Parmaschen Minister Baron Thomas Ward
daß es mit Rücksicht auf die Beziehungen des Hofes von Parma zum kaiserlichen Hofe und auf die hierortigen Staatsmännern von dort verliehenen Auszeichnungen angemessen befunden werden dürfte, dem herzoglich Parmaschen Minister Ward das Großkreuz eines k.k. Ordens zu verleihen, wornach der Ministerpräsident mit Zustimmung des Ministerrats den Vortrag an Se. Majestät erstatten wird2.
III. Gesuch der Arader Judengemeinde
Der Kriegsminister referierte über das ihm von Sr. Majestät zugefertigte Gesuch der Arader Judengemeinde um Nachsicht der ihr auferlegten außerordentlichen Kontribution.
Es ward sich im allgemeinen über die Unhaltbarkeit solcher genereller Strafen von mehreren Seiten ausgesprochen; indessen wurde, nach dem Antrage des Finanzministers , erkannt, daß im vorliegenden Falle itzt wohl nicht leicht ohne vorläufige Einvernehmung des FZM. Baron Haynau etwas beschlossen werden könne, welche zu veranlassen dem Kriegsminister vorbehalten wurde3.
IV. Entwurf des Seerechts
Der Justizminister brachte den schon vor einigen Tagen in Umlauf gesetzten Entwurf des Seerechts4 in Erinnerung, um denselben sodann im Ministerrat vortragen zu können. Hiebei sprach der Minister des Inneren den Wunsch aus, daß in diesem Gesetze die Zitate des Bürgerlichen Gesetzbuches hinweggelassen werden möchten, wozu der Justizminister auch sofort seine Zustimmung erklärte, nachdem die Voraussetzung nunmehr entfällt, daß das Seerecht nur für jene Länder gelten soll, wo das Bürgerliche Gesetzbuch bereits eingeführt ist5.
V. Entwurf der Strafprozeßordnung
Weiters kündigte derselbe an, daß der Entwurf der Strafprozeßordnung demnächst fertig sein und der Beratung des Ministerrats werde übergeben werde6.
VI. Organisierung der lombardisch-venezianischen Baubehörden
Der Minister der öffentlichen Bauten beleuchtete umständlich die im Ministerrate vom 10. Juli 1849 sub V. gegen seinen Vortrag vom 25. Juni 1849, KZ. 1879, wegen Einrichtung der Baubehörden im lombardisch-venezianischen Königreiche vom Minister des Inneren erhobenen Einwendungen. Er stellte dar, daß, nachdem die Administrativbehörden über die Fragen, ob, wie und wo gebaut werden soll, im Einvernehmen mit den technischen Organen entschieden haben, die Ausführung der beschlossenen Bauten den technischen Behörden allein unter der Kontrolle und Zentralleitung des Ministeriums für öffentlichen Bauten allein überlassen bleiben müsse, wenn anders die Verantwortlichkeit des letzteren nicht unmöglich gemacht und dieses selbst nicht zu derjenigen Stellung herabgebracht werden soll, welche der bestandene Hofbaurat gegenüber den Hofstellen eingenommen hat.
Nach einer längeren Diskussion, wobei der Minister des Inneren auf die Notwendigkeit hindeutete, die technischen Organe wenigstens für dringende Fälle zur Disposition der Verwaltungsbehörden zu stellen, erklärte sich dieser Minister mit den im Vortrage vom 25. Juni 1849 gemachten Anträgen im allgemeinen mit dem Vorbehalte einverstanden, daß die prinzipielle Feststellung des Verhältnisses der Baubehörden zu den Administrativbehörden und der Organe beider zueinander in einer nachträglichen speziellen Verhandlung vereinbart werde7.
VII. Behandlung der von den Purifikationskommissionen entlassenen k.k. Offiziere
Erklärte der Justizminister seine Zustimmung, daß rücksichtlich der im Ministerrate vom 18. September 1849 sub Nr. VIII besprochenen Klassifizierung der von den Militärpurifikationskommissionen simpliciter entlassenen k.k. Offiziere, welche aus der ungrischen Armee, ohne sich bei dem Kampfe vor Schwechat beteiligt zu haben, freiwillig zurückgekehrt sind, der Vortag an Se. Majestät nach dem Antrage des Kriegsministers|| S. 700 PDF || erstattet werde. Hiernach sollten also 1. jene Offiziere, welche bis 26. November 1848 revertierten, in ihre vorigen Grade wieder eingesetzt, 2. jene, welche nach dem 26. November, aber vor dem 1. Februar 1849 revertierten und nachweisen, daß sie nicht früher austreten konnten, wenn nicht Tatsachen einer tätigen Teilnahme an der Insurrektion wider sie vorkommen, wie jene sub 1. behandelt, endlich 3. jene, welche nach dem 1. Februar aber bis zum 14. April 1849 zurückkehrten, nur, wenn sie im kriegsrechtlichen Wege ihre volle Schuldlosigkeitserklärung zu erwirken vermögen, rehabilitiert werden8.
Die Mehrheit der Stimmen des Ministerrates erklärte sich mit dieser durch die Möglichkeit des sukzessiven Bekanntwerdens der Proklamationen des Fürsten Windischgrätz und des sukzessiven Vorrückens der k.k. Armee in Ungern begründeten Klassifikation einverstanden. Nur der Finanzminister fand die Unterscheidung der beiden letzteren Kategorien und die strengere Behandlung der Offiziere sub 3. gegen jene zu 2. nicht hinlänglich begründet, weil ihm die Voraussetzung nicht ganz richtig schien, daß allen Offizieren die gedachten Proklamationen in den angetragenen Zeitabschnitten wirklich haben bekannt werden können, da man weiß, welche Kunstgriffe angewandt wurden, um Offiziere und Mannschaft in Unwissenheit über die Absichten der rebellischen Partei und über die Aufforderungen der rechtmäßigen Regierung zu lassen; dann, weil es ihm scheint, daß gerade jene, die nach der Erklärung der Konstitutionsveränderung übertraten, den unzweideutigen Beweis ihrer Anhänglichkeit an die rechtmäßige Regierung gegeben haben. Dagegen würde er als 3. Kategorie diejenigen bezeichnen, welche nach Bekanntwerdung jener Konstitutionsänderung bis zum Ende des Krieges zurückgekehrt sind9.
Wien, am 21. September 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. [Datum und Ort nicht erhalten.]