Nr. 144 Ministerrat, Wien, 14. August 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Thun, Schmerling, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 16. 8.), Krauß 16. 8., Bach 18. 8., Thun, Schmerling 18. 8., Thinnfeld 16. 8., Kulmer 16. 8.; abw.abwesend Stadion, Gyulai, Bruck.
MRZ. 2790 – KZ. 2353 –
- I. Erlaß Ludwig Freiherrn v. Welden an die Wiener Journalisten
- II. Keine Amnestie für politische Gefangene
- III. Auszeichnungen an Wiener Bürger
- IV. Begnadigung zweier zum Tode verurteilter Militärs
- V. Auslieferung Karl Tausenaus
- VI. Bau von neuen Arrestlokalitäten
- VII. Auszeichnung für den Gouverneur von Wolhynien
- VIII. Entschädigung für Friedrich Emanuel Hurter
- IX. Anschaffung eines großen Dampfschiffes
- X. Bezüge des Reichsverwesers Erzherzog Johann
- XI. Ordensverleihung an Anton Jungmann
Protokoll der am 14. August 1849 in Wien stattgefundenen Sitzung des Ministerrates unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Schwarzenberg.
I. Erlaß Ludwig Freiherrn v. Welden an die Wiener Journalisten
Den ersten Gegenstand der heutigen Beratung bildete der Erlaß des Gouverneurs Baron Welden, wodurch die Wiener Journalisten vor der Mitteilung von Privatnachrichten vom ungarischen Kriegsschauplatze aüber Größe und Aufstellung der k.k. Armee, dann von böswilligen Korrespondenzartikeln untera Androhung strenger Strafen gewarnt werden1.
Der Ministerrat fand, daß diese Verfügung weder durch den Inhalt noch durch die Tendenz der in den Wiener Blättern in letzter Zeit erschienenen Kriegsberichte hinlänglich gerechtfertigt sei und auch die Form des Erlasses unglücklich gewählt war, sodaß man sich über den ungünstigen Eindruck, den derselbe im Publikum hervorbringt, nicht wundern könne. Im Interesse der Regierung liege es vielmehr, daß die Bewohner Wiens, die Gut- und Schlechtgesinnten, in den Journalen gute Privatberichte über die ungarischen Kriegsereignisse finden, weil bei der Langsamkeit, Kürze und Seltenheit der offiziellen Berichte ein allzugroßer Spielraum für die oft absurden oder böswilligen Gerüchte übrig bleibt, zu deren Widerlegung es an offiziellen Daten fehlt. Hätte Baron Welden vor der Hinausgabe seines Erlasses mit dem Ministerrate darüber Rücksprache gepflogen, so würde man noch eine wesentliche Modifikation desselben in Absicht auf Inhalt und Form haben erzielen können.
Es wurde daher beschlossen, dem Gouverneur durch den Minister des Inneren auffordern zu lassen, künftig über wichtigere Maßregeln, welche nicht von besonderer Dringlichkeit sind, vorläufig mit dem Ministerrate das Einvernehmen zu pflegen2.
II. Keine Amnestie für politische Gefangene
Der Minister des Inneren übergab dem Minister der Justiz die Ausweise über die bisher von den Zivil- und Militärgerichten zu Freiheitsstrafen verurteilten politischen|| S. 584 PDF || Verbrecher mit der Bemerkung, daß er keine genügenden Anhaltspunkte zu einem Antrage auf Ag. Nachsicht eines Teils der Strafdauer, welche fast nirgends ein Jahr überschreitet, finden könne3. Die Freilassung vor erstreckter Strafe würde mehr als ein Akt der Schwäche als der Gnade gedeutet werden. Französische Gerichte würden derlei Verbrecher mindestens mit einer vierfach längeren Kerkerstrafe belegt haben4.
III. Auszeichnungen an Wiener Bürger
Der Minister des Inneren brachte die Frage zur Sprache, ob nicht die Ag. Verteilung von Auszeichnungen an Wiener Bürger, Gemeinderäte etc. aus Anlaß des Ah. Geburtsfestes bei Sr. Majestät in Antrag zu bringen wäre.
Man vereinigte sich hierüber zu dem Beschlusse, daß der diesfällige Ah. Antrag einem späteren Zeitpunkte vorzubehalten wäre, zumal es bei der Nähe des gedachten Festes nicht mehr möglich ist, die Wahl der Auszuzeichnenden mit aller nötigen Umsicht zu treffen.
IV. Begnadigung zweier zum Tode verurteilter Militärs
Der Justizminister referierte über die von dem hiesigen Kriegsgericht gefällten Todesurteile gegen den Leutnant Kofler und den Unteroffizier Klein, welche sich des Überganges zu den ungarischen Rebellen schuldig gemacht haben. Diese Strafe sei allerdings den Militärgesetzen gemäß. Er glaube aber doch, daß hier eine Begnadigung eintreten dürfte, zumal erst vor kurzem mehrere schwergravierte Teilnehmer am Morde des Grafen Latour nur mit Freiheitsstrafen belegt worden sind. Ritter v. Schmerling gedächte sich daher an Baron Welden mit der Aufforderung zu wenden, in diesem Falle von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen.
Der Ministerrat vereinigte sich mit diesem Antrage aus den weitern Rücksichten, 1. daß erst vor kurzer Zeit zwei treubrüchige Generale, ungeachtet der relativ viel gefährlicheren Folgen ihrer Handlungsweise, nur zu einigen Jahren Festungsarrest verurteilt worden seien5, 2. daß die Todesstrafe unmöglich auch an den tausend treubrüchigen Militärs in Ungarn und Venedig vollzogen werden könne6, und 3. daß eine so strenge Strafe die in den Reihen der Insurgenten stehenden, ob auch zur Rückkehr geneigten k.k. Exmilitärs zu einem Verzweiflungskampfe auf Tod und Leben nötigen würde7.
V. Auslieferung Karl Tausenaus
Über Aufforderung des Ministerpräsidenten erklärte der Justizminister, mit dem Präses des Wiener Kriminalgerichts Rücksprache in der Richtung zu pflegen, ob gesetzlichen Inzichten eines durch Dr. Tausenau begangenen gemeinen Verbrechens vorhanden|| S. 585 PDF || sind, auf deren Grundlage sofort dessen Auslieferung von Frankreich bewilligt werden würde8.
VI. Bau von neuen Arrestlokalitäten
Der Justizminister entwickelte seine Anträge über die Modalitäten des Baues von neuen Arrestlokalitäten, um die Einzelhaft nach und nach allgemein durchzuführen. Die Auslagen würden dadurch im Vergleich zu einem Arrest mit gemeinschaftlichen Behältnissen für die Gefangenen nur um ein Sechstel erhöht werden.
Der Finanzminister , welcher das Verderbliche des gegenwärtigen Systems anerkennt, war der Meinung, daß man vor den Kosten einer Verbesserung desselben nicht erschrecken dürfe. Seiner Meinung nach wären die Arrestanten des Nachts jedenfalls ganz zu trennen und nur zur Arbeit zu versammeln9.
VII. Auszeichnung für den Gouverneur von Wolhynien
Der Minister des Inneren eröffnete, der Graf Gołuchowski habe darauf hingedeutet, daß eine Ah. Auszeichnung des Gouverneurs von Wolhynien Bibikoff bund dessen Adjutantenb für denselben ein wohlverdienter Lohn und die Aufforderung zu weiterem freundnachbarlichen Wirken sein würde10. Gegen den vom Minister Bach diesfalls an Se. Majestät zu stellenden au. Antrag wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben11.
VIII. Entschädigung für Friedrich Emanuel Hurter
Gegenstand einer längeren Beratung war die Behandlung des mit Ah. Handschreiben vom 16. Mai 1848, Z. 775, seines Dienstes als Historiographen enthobenen Hurter12.
Es wurde einstimmig erkannt, daß dieser Mann, welcher unter der Zusicherung einer stabilen Anstellung im österreichischen Staatsdienste seine Stellung in Schaffhausen aufgegeben, seinen dortigen Grundbesitz und seine Bibliothek mit großem Verlust hintangegeben habe, der ohne irgend ein Verschulden seinerseits cbloß infolge des geänderten politischen Systems der österreichischen Regierungc den bekleideten Posten wieder verloren und auf die Vorarbeiten zur ihm gewordenen Aufgabe einer Geschichte Ferdinands II. bereits viele Zeit und Mühe verwendet hat, gerechten Anspruch auf eine angemessene Entschädigung habe, welche am besten im Vergleichswege ausgemittelt werden dürfte.
|| S. 586 PDF || Der Ministerpräsident übernahm es, hierüber mit Hurter selbst Rücksprache zu pflegen13.
IX. Anschaffung eines großen Dampfschiffes
Der Finanzminister eröffnete, daß ihm die von dem englischen Dampf-schiffseigentümer gestellten Bedingungen über die Zahlung des Kaufschillings für den zum Gebrauch der Kriegsmarine anzuschaffenden großen Dampfer zu lästig und selbst zu gewagt erscheinen, als daß er raten könnte, darauf einzugehen14. Man sollte, wenn ja überhaupt noch unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Kauf dieses Dampfschiffes um beinahe 700.000 f. notwendig ist, jedenfalls darauf bestehen, 10.000 Pfund Sterling gleich bei der Übergabe, die erste Hälfte des Rests beim Eintreffen des Schiffs in Triest und die zweite Hälfte erst zwei Monate später zu bezahlen. Baron Krauß wird in diesem Sinne dem Kriegsminister schreiben15.
X. Bezüge des Reichsverwesers Erzherzog Johann
Der Finanzminister referierte über die bereits in der Sitzung vom 13. l.M. besprochenen Ansprüche Sr. kaiserlichen Hoheit des Erzherzogs Reichsverweser auf eine Beihilfe aus dem Staatsschatze für die weitere Dauer seiner Amtsführung in dieser Eigenschaft. Baron Krauß wies nach16, daß die jährlichen Bezüge des Erzherzogs an Apanage, an Gage und an Beitrag aus dem k.k. Familienfonds 64.000 f. jährlich ausmachen. Da jedoch Se. kaiserliche Hoheit für die Repräsentation als Reichsverweser im verflossenen Jahre bedeutende Opfer aus Eigenem gebracht habe, die Höchstdieselben gegenwärtig nicht mehr fortsetzen zu können erklären, da es nach der einstimmigen Ansicht des Ministerrates von der höchsten Wichtigkeit ist, daß der Erzherzog auf seinem Posten nach Frankfurt wieder zurückkehre, und da Höchstdesselben Gestion als Reichsverweser allem Anscheine nach nicht mehr lange dauern werde, so glaubte der Finanzminister gegen die Anweisung der angesprochenen Summe von 14.000 f. für das nächste Quartal keine Erinnerung erheben zu sollen17.
XI. Ordensverleihung an Anton Jungmann
Der Minister des Unterrichts erneuerte den bereits von seinem Vorfahrer Graf Stadion gestellten Antrag wegen Ag. Verleihung des Leopoldordens an den Professor der Geburtshülfe in Prag Dr. Jungmann, welcher Antrag infolge des Sitzungsbeschlusses vom 1. Mai 1849 bisher auf sich beruht hatte18.
Der Ministerpräsident und der Finanzminister glaubten sich auch dermal noch dagegen erklären zu sollen, nachdem Jungmann keine wissenschaftliche Notabilität erster Größe sei und weil der Zeitpunkt, wo dieser Professor in den Ruhestand übertreten wird, der geeignetere zu seiner Auszeichnung sein würde. Die übrigen Minister vereinigten sich jedoch zu dem au. Antrage auf taxfreie Verleihung des Leopoldordens-Ritterkreuzes an Dr. Jungmann, weil er jedenfalls ein ausgezeichneter Gelehrter ist, weil der Lehrkörper ihn aufs wärmste empfiehlt, weil er bereits 41 Jahre im Lehramte sehr ersprießlich gewirkt hat und weil diese Ag. Auszeichnung ihn zum längeren Ausharren auf dem Katheder bestimmen wird, wobei vor allem der Unterricht und in zweiter Linie der Studienfonds, welcher seine Pension erspart, nur gewinnen können19.
Wien, 16. August 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 24. August 1849.