Nr. 528 Ministerrat, Wien, 11. Jänner 1865 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Hueber; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 11. 1.), Mensdorff, Mecséry, Schmerling; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 16. 1.
MRZ. 1332 – KZ. 123 –
Protokoll über die am 11. Jänner 1865 abgehaltene Konferenz unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Stand der österreichischen Außenpolitik
Der Minister des Äußern stellte in einem längeren Exposé den gegenwärtigen Stand der Politik in der schleswig-holsteinschen Frage mit dem Bemerken dar, daß die Verhandlungen noch nicht so weit gediehen seien, um eine direkte Pression auf Preußen ausüben zu können1. Er habe seit Übernahme seines Portefeuilles grundsätzlich die preußische Allianz festzuhalten getrachtet, weil er hierin die Bürgschaft für den Frieden erkenne. Die Ereignisse des Jahres 1864 haben den Wert dieses Bündnisses dadurch gekennzeichnet, daß das Ausland es nicht wagte, in diese Angelegenheit tätig einzugreifen. Wenn man imstande sein werde, diese Allianz zu erhalten, sei die Sicherheit Deutschlands und auch jene von Österreich begründet. Manche Stimmen raten zwar für ein Anlehnen an Frankreich, dazu fehlen jedoch geeignete Anhaltspunkte, und dasselbe könnte ohne ein materielles Opfer entweder von eigenem Gebiete oder von deutschem Lande nicht erreicht werden. In letzterem Falle würde jedoch unsere deutsche Stellung nicht befestigt, sondern vielmehr gefährdet werden. Die Lage sei insoferne schwierig, weil Preußen durch seine geographische Lage und durch die öffentliche Meinung des eigenen Landes unendliche Vorteile für sich habe. Bedauerlich sei es jedenfalls, daß vor Beginn des Krieges gegen Dänemark zwischen Österreich und Preußen keine festen Punkte vereinbart wurden, insbesondere jener, daß von keiner Seite eine territoriale Vergrößerung eintreten dürfe. Bei Gelegenheit, als die Grenze von Jütland überschritten und dadurch faktisch vom Londoner Protokolle abgegangen wurde, wäre der rechte Zeitpunkt hiezu gewesen. Der Standpunkt der österreichischen Regierung könne nur der sein, mit Geduld und Zähigkeit an dem vorgesteckten Ziele festzuhalten und davon durch nichts sich abbringen zu lassen. Hiemit werde man aus der schwierigen Lage schon herauskommen, zumal die äußeren Verhältnisse nicht schlechter geworden seien. Es sei im preußischen Charakter gelegen, den Mund sehr voll zu nehmen, wenn sie aber sehen werden, daß Österreich von seinem Ziele nicht || S. 80 PDF || abgeht, werden sie nachgeben. Wohl hoffen sie aus dem Zustandekommen der Kammern in ihren Annexionsgelüsten bestärkt zu werden.
Der Polizeiminister meinte, daß die beruhigende Seite der Situation für uns darin liege, daß es für Preußen die größte Schwierigkeit bietet, für die Realisierung ihrer Annexionsbestrebungen eine anständige Form zu finden. Nur ein ganz unvorhergesehenes wirkliches Ereignis könnte Preußen eine Handhabe dazu bieten. Votant erkannte übrigens gleichfalls den vom Grafen Mensdorff bezeichneten Gang der österreichischen Politik als den richtigen an, wünschte aber über den mutmaßlichen Verlauf der Sukzessionsfrage eine Aufklärung. Der Minister des Äußern bemerkte, er halte den Herzog von Augustenburg als den zur Sukzession meist Berechtigten. Preußen habe sich jedoch über die beantragte Einsetzung desselben noch nicht ausgesprochen. Österreich habe aber kein Kompelle, ihn einseitig einzusetzen. Wenn Preußen aber nicht nachgeben und die Sache von Österreich an den Bund gebracht werden wollte, wäre der Bruch mit Preußen fertig. Der Staatsminister glaubte den Gesichtspunkt festhalten zu sollen, von welchem Einflusse die Erledigung dieser Angelegenheit für die Stimmung in Österreich sein werde. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Österreich nehme kein Interesse daran, ob der Herzog von Augustenburg oder jener von Oldenburg als Regent eingesetzt werde, die öffentliche Stimmung interessiere sich nur für einen endlichen entsprechenden Abschluß. Für die Regierung liege aber ein entschiedenes Interesse, daß die Sache vorwärts komme, schon darin, daß die 15 Millionen Gulden Kriegskostenentschädigung flüssig werden2. Ein ängstliches Gefühl sei es übrigens, daß wir bei der Gelegenheit vielleicht ganz leer ausgehen werden, wo doch wir die meisten Lorbeeren errungen haben. Nehmen die Preußen nichts, dann werden wir uns leichter bescheiden, wenn auch für uns nichts erblüht. Ein Bruch mit Preußen wäre wohl jedenfalls sehr bedauerlich, das Zusammengehen mit Preußen dürfe aber auch nicht um jeden Preis geschehen. Wünschenswert wäre es jedenfalls, wenn es möglich wäre, von den gewechselten Schriftstücken mehr zu publizieren, insbesondere die neuste Depesche nach Berlin vom Ende Dezember v. J., die in einem entschiedenen Tone gehalten sei, den österreichischen Standpunkt sehr gut durchführe und volle Beruhigung gewähren würde3. Übrigens erkläre Votant mit der von Grafen Mensdorff beabsichtigten Politik ganz einverstanden zu sein. Der Minister des Äußern erwiderte, daß man erst die Beantwortung der neuesten Depesche abwarten müsse, bevor die Kundmachung eintreten könne, ließe diese zu lange auf sich warten, so werde man einen Termin hinzusetzen, um die Sache vorwärts zu bringen4. Übrigens könne nicht unbesprochen bleiben, daß die öffentliche Meinung durch die Journalistik vielfach irregeleitet werde und ein Einwirken auf dieselbe schon aus dem Grunde am Platze wäre, damit die offiziöse Presse nicht unaufhörlich den Gang der Politik angreife. Der Reise des Prinzen von Preußen nach Wien sei kein politischer Zweck zu unterstellen, || S. 81 PDF || derselbe affichiere, kein Politiker zu sein5. Dafür sei General Moltke mehr Politiker, übrigens auch ein entschiedener Annexionist.
Über Anregung von Seite des Staatsministers bemerkte Graf Mensdorff weiter, daß nach seiner Meinung von Seite Italiens oder Frankreichs eine Beunruhigung für unsere italienischen Länder in nächster Zeit baller Wahrscheinlichkeit nacha nicht zu besorgen sei. Wenn auch die Entlassung von 75.000 Mann in Italien darum keine Bedeutung habe, weil eine ebenso große Anzahl aus den jüngeren Altersklassen zu den Fahnen einberufen werde, so brauche doch das neue Königreich seine Truppen, um die Ordnung im eigenen Lande aufrechtzuerhalten. Auch Frankreich entwaffne teilweise, obgleich die Reduktion des Militärbudgets um 23 Millionen Francs eine geringe Bedeutung habe. Als gewiß könne aber angenommen werden, daß Frankreich sich durch die Konvention mit Italien einen zweijährigen Termin zur Ruhe habe verschaffen wollen, den es zur Lösung seiner Aufgaben im Inneren, insbesondere der Arbeiterfrage bedürfe6. Für das nächste Frühjahr sei daher für unsere italienischen Länder ckaum etwasb zu besorgen, und besondersc um so weniger, wenn wir mit Preußen eine feste Stellung haben.
Es könnte daher wohl als zulässig erscheinen, die Armeepferde im Frühjahre zu verkaufen, wo dann der Preis auch besser sein wird. Der Polizeiminister fand es bedenklich, beim Militärbudget zu viel zu streichen. Die Herabsetzung des Mannschaftsstandes könnte leichter vorgenommen werden als die zu starke Herabsetzung des Trains und der Pferde, wo bei einer neuen Anschaffung schon geringe Differenzen bei den Einheitspreisen gleich Millionen Gulden ausmachen. Der Staatsminister glaubte, daß bei der dermaligen politischen Lage die Armee für die Defensive in Italien nicht so groß zu sein braucht und daß die Herabsetzung des Pferdestandes wohl möglich und von April bis Dezember für acht Monate das Budget ungemein erleichtern würde7. Graf Mensdorff brachte schließlich zur Sprache, wie lange noch die Internierung des Langiewicz dauern soll8. Der Polizeiminister bemerkte, daß der Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses diese Angelegenheit demnächst bei der Regierung vorbringen wird9. Man werde beiläufig antworten können, daß der Umstand, daß Langiewicz in der Zwischenzeit Schweizer Bürger geworden, an der Sachlage rechtlich || S. 82 PDF || nichts ändern könne. Die Regierung werde ihn nicht immer behalten, sondern den opportunen Moment wahrnehmen, wann dessen Freilassung erfolgen könne. Jetzt ihn freizugeben wäre übrigens bedenklich, weil es den Anschein gewinnen müßte, als wenn dies nur auf Andringen der Volksvertretung erfolgt wäre. Der geeignete Zeitpunkt werde hiezu vielleicht dann eintreten, wenn der Belagerungszustand in Galizien aufgehoben wird10.
Wien, am 11. Jänner 1865. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 16. Jänner 1865. Empfangen 16. Jänner 1865. Erzherzog Rainer.