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Nr. 371 Ministerrat, Wien, 9. Juli 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Rechberg 9. 7.), Mecséry, Schmerling; außerdem anw. Biegeleben; BdR. Erzherzog Rainer 19. 7.

MRZ. 1175 – KZ. 2338 –

Protokoll der zu Wien am 9. Juli 1863 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät.

I. Entwurf der Reformakte des Deutschen Bundes. Einladungsschreiben zu der bezüglichen Fürstenversammlung

Se. k. k. apost. Majestät geruhten mehrere Bestimmungen der Ah.

Ortes unterbreiteten Grundzüge der Reformakte des Deutschen Bundes1 einer näheren Erörterung zu unterziehen, und zwar fanden Allerhöchstdieselben zunächst bezüglich des Eingangs des Entwurfes2 Ah. zu bemerken, daß dieser ganz in diplomatischer || S. 156 PDF || Form gehaltene Eingang hier nicht am Platze zu sein scheine, da es sich hier nur um die Grundzüge einer Reform handelt, die erst einer Beratung unterzogen werden sollen. Diese Einleitung sei vielmehr eine Sache des Details und sollte mithin in diesem Entwurfe wegbleiben, welcher sonach gleich mit dem ersten Abschnitte zu beginnen hätte.

Der Minister des Äußern glaubte zur Begründung dieser gewählten Eingangsform darauf hinweisen zu sollen, daß, nachdem die Deutsche Bundesakte und die Wiener Schlußakte3 in der Vertragsform abgefaßt erscheinen, man bei dem vorliegenden Elaborate diese Form schon auch deshalb beibehielt, weil man von dem Bestreben geleitet war, dem Fürstenkongresse4 einen möglichst vollständigen, fertigen Entwurf vorzulegen. Graf Rechberg würde jedoch auf die Beibehaltung dieses Eingangs kein besonderes Gewicht legen und keineswegs dagegen sein, dieses der Detailberatung vorzubehalten. Der Staatsminister meinte, daß diese Form der Sache eigentlich das Ansehen einer neuen Bundesakte geben könnte, was seines Erachtens zu zweifachen Bedenken führen dürfte, und zwar erstens, daß alle europäischen Mächte als Garanten der ersten Bundesakte eine Einflußnahme bei der Verhandlung dieser neuen Akte beanspruchen werden, und zweitens, daß einzelne Bundesmitglieder vielleicht hieraus Anlaß zu ihrem Austritte aus dem Bunde nehmen werden. Der Minister des Äußern erwiderte, daß das Bedenken bezüglich der Einmischung der europäischen Mächte in Absicht auf die Reformakte leider ein fundamentales sei, welches bei dieser oder jener Form des Reformvorschlages immer bestehen wird; dieses Umstandes wegen sei ja hauptsächlich darum zu tun, mit dem Reformvorschlage bei dem Fürstenkongresse rasch hervorzutreten und dessen Annahme im Bausch und Bogen zu erzielen, wobei man freilich bezüglich des Erfolges der Macht der Umstände vertrauen muß. Das zweite Bedenken des Staatsministers scheine aber um so weniger begründet zu sein, als ja ausdrücklich gesagt werde, daß durch diese Reform der beständige und unauflösliche Verein der souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands erneuert und die Verhältnisse des Bundes weiter entwickelt und ausgebildet werden solle[n]. Graf Rechberg hätte aber ein anderes Bedenken und zwar in bezug auf den Fürstenkongreß selbst; es seien nämlich zwei Bundesmitglieder da, der König von Dänemark und der König der Niederlande, welche voraussichtlich sich diesen Reformvorschlägen nie anschließen werden, und es frage sich daher, ob an selbe die Einladung zum Fürstenkongresse erfolgen soll oder nicht. Sowohl der Staatsminister als der Polizeiminister hielten die Notwendigkeit einer Einladung an die genannten zwei Souveräne außer allem Zweifel, wozu Se. Majestät der Kaiser Ah. beizufügen geruhten, daß für diejenigen deutschen Fürsten, welche zu der Fürstenversammlung nicht kommen wollen, doch || S. 157 PDF || immer der Beitritt offen gelassen werden muß. Über die im Laufe der Diskussion vom Staatsminister gemachte Bemerkung, daß, wenn die Sache im Fürstenkongresse einen günstigen Gang nehmen sollte, die Ausarbeitung des Details und überhaupt die Abwicklung der Angelegenheit der Bundesversammlung zu übertragen wäre, meinte der Minister des Äußern , daß dieser Körper hiezu gerade das am allerwenigsten geeignete Organ sei, da ja die Erfahrung hinlänglich lehre, daß nach dem Geschäftsgange dieser Versammlung alle möglichen Mittel gegeben sind, die Sache von Seite der Nichtzustimmenden zu verschleppen und resultatlos zu machen. Dieser Meinung war auch der Polizeiminister mit dem Beifügen, daß es am entsprechendsten wäre, die ganze Sache durch eine besondere Konferenz zu Ende führen zu lassen, so daß der Bundesversammlung das Fertige übergeben werden würde, was sie einfach registrieren kann.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten sodann Ah. zu beschließen, daß der Eingang aus dem vorliegenden Entwurf weggelassen werde.

Artikel 3, welcher von der Bildung des Direktoriums handelt, lautet: „Das Direktorium des Deutschen Bundes besteht aus dem Kaiser von Österreich, dem Könige von Preußen, dem Könige von Bayern und zweien der am 8., 9. und 10. Bundesarmeekorps beteiligten Souveränen5.“ Hiezu geruhten Se. Majestät der Kaiser Ah. zu bemerken, daß sich hiernach der Herzog von Meiningen und die ihm gleichstehenden Fürsten von der Wahl zum Direktionsmitgliede für ausgeschlossen ansehen, wozu sie sich aber gleich den anderen Souveränen für berufen fühlen, und es dürfte daher diese Bestimmung bei der Beratung einen Stein des Anstoßes bilden. Ministerialrat v. Biegeleben erklärte, daß mit dieser Bestimmung keineswegs prinzipiell eine Ausschließung des einen oder des anderen Souveränes beabsichtigt ist, und es wurde sich von der Konferenz dahin ausgesprochen, daß, wenn dieser Modus bezüglich der beiden letzteren Direktorialmitglieder in der Tat bei der Beratung ein Bedenken erregen würde, dieser dann durch eine entsprechende Modifikation immerhin abgeholfen werden kann, welcher Vorschlag sofort Ah. genehmigt wurde. Zu Artikel 10 geruhten Se. Majestät der Kaiser auf den dort vorkommenden antiquierten Ausdruck „Sühneversuch“ Ah. aufmerksam zu machen und an dessen Stelle das Wort „Versöhnungsversuch“ als passender zu bezeichnen. Auch die Ah. Ortes aufgeworfene Frage, ob es nicht angezeigt wäre, im Absatze des Artikels 13, wo es heißt, daß die im Bundesdienste stehenden Truppen die Abzeichen des Bundes tragen, auch bezüglich der Flagge eine Erwähnung zu tun, wurde von Seite des Ministerialrates v. Biegeleben darauf hingewiesen, daß die im Jahre 1848 von der damaligen Zentralgewalt eingeführte deutsche Flagge nicht anerkannt wurde und daß gegenwärtig die Frage wegen Bildung der deutschen Bundesflotte, rücksichtlich des Verhältnisses dieser Flotte zum Bunde, ob dieselbe unter ein selbständiges Marinekommando zu stellen oder ob das Kontingentprinzip wie bei den Bundestruppen anzunehmen wäre usw., eine äußerst schwierige sei, und es daher nicht gut wäre, dieselbe hier durch irgend etwas zu präjudizieren. Artikel 16, welcher von der Zusammensetzung der Abgeordnetenversammlung handelt, lautet: || S. 158 PDF || „Österreich entsendet zum Bunde 75 Abgeordnete aus der Zahl der Vertreter der deutschen Bundeslande im Reichsrate oder aus den Mitgliedern der Landtage des deutschen Bundesgebietes usw.“. Se. Majestät der Kaiser geruhten Ah. zu bemerken, daß dieser Passus eine genauere Präzisierung erfordere, weil man sonst glauben könnte, daß auch die Landtage wählen können, was aber jedenfalls vermieden werden muß. Es wäre mithin hier präzis auszudrücken, daß es nur der Reichsrat ist, welcher die Abgeordneten zum Bunde wählt.

Die Konferenz pflichtete dieser Ah. ausgesprochenen Ansicht vollkommen bei, und es wurde sofort Ah. anbefohlen, hiernach diesen Absatz entsprechend zu redigieren. Ferner geruhten Se. Majestät der Kaiser bezüglich des Schlußsatzes desselben Artikels, wo es heißt „Von zehn Abgeordneten entfallen vier, von acht Abgeordneten drei auf die betreffenden ersten Kammern“, darauf Ah. hinzuweisen, daß die hier genannte Zahl (zehn) bei keinem der vorgenannten Bundesstaaten vorkomme, mithin dieses Beispiel ganz unrichtig erscheine. Nachdem es sich in der Tat herausstellte, daß dieser in einer älteren Instruktion enthaltene Passus hier aus Versehen mit aufgenommen wurde, fanden Se. Majestät sofort die Streichung desselben Ah. anzubefehlen.

Zu Artikel 25 geruhten Se. Majestät der Kaiser den Ausdruck „Volksvertretungen“ als nicht zutreffend Ah. zu bezeichnen, worauf die Konferenz dafür den Ausdruck „verfassungsmäßige Vertretungen“ in Vorschlag brachte, was sofort Ah. genehmigt wurde.

Artikel 27, welcher die Fälle aufzählt, in welchen das Bundesgericht angerufen werden kann, lautet der Punkt sieben: „In Privatrechtsfällen gegen Mitglieder und Angestellte des Bundesgerichtes, so wie gegen deren Angehörige“. Se. Majestät der Kaiser geruhten Ah. zu bemerken, daß kein Grund vorhanden zu sein scheint, warum die Bundesgerichtsmitglieder und deren Angehörige einer exzeptionellen Jurisdiktion unterworfen sein sollen. Der Konferenz ergab sich gegen diese Ah. Ansicht keine Erinnerung, und es wurde sonach die Streichung dieses Absatzes Ah. angeordnet.

Über die Ah. Ortes gestellte Frage, ob die im Artikel 29 bezüglich der Erstattung von Gutachten seitens des Bundesgerichtes an das Direktorium enthaltene Beschränkung juridisch notwendig sei, gab der Staatsminister die Aufklärung, daß diese Bestimmung wohl deshalb aufgenommen wurde, weil sonst das Bundesgericht in solchen Fällen, in welchen dasselbe später als Gericht zu fungieren hat, durch ein bereits an das Direktorium erstattetes Gutachten in seiner gerichtlichen Aktion gebunden erscheinen würde6.

Hierauf geruhten Se. k. k. apost. Majestät in bezug auf die Art und den Zeitpunkt der Durchführung des projektierten Kongreßvorschlages Ah. zu eröffnen, daß, da es sehr wünschenswert ist, in dieser Sache einen bleibenden Erfolg zu erzielen, es vor allem ersprießlich wäre, Preußen zur Teilnahme an dieser Verhandlung zu bewegen. Zu diesem Zwecke würden Se. Majestät dem Könige von Preußen während seiner gegenwärtigen Badekur einen Besuch abstatten, mit demselben in || S. 159 PDF || dieser Angelegenheit Rücksprache nehmen und ihn auffordern, den Fürstenkongreß zu besuchen. Weiter handle es sich darum, wann auch die anderen deutschen Souveräne und freien deutschen Städte zu dieser Versammlung einzuladen sein werden, wobei die Frage entsteht, ob denselben nicht auch früher der Entwurf der Reformakte zur Einsicht mitgeteilt werden sollte.

Der Minister des Äußern äußerte, daß er sich von einer Ah. persönlichen Einladung des Königs von Preußen zu der Fürstenversammlung das Beste verspreche, keinesfalls vermöchte er aber darauf au. einzuraten, daß den einzuladenden Kongreßmitgliedern vorläufig der Entwurf der Reformvorschläge mitgeteilt werde, weil man dadurch nur Gefahr laufen würde, die Sache von vornherein erfolglos zu machen, indem es voraussichtlich die einen zu weitgehend finden, die andern das Gegenteil behaupten und die dritten aus Ärgernis, nicht selbst Autoren zu sein, eigene Entwürfe mitbringen werden. Seines Erachtens wären die Einladungen an die Fürsten und freien Städte Deutschlands gleich nach der Ah. Rückkehr Sr. Majestät von dem Besuche hinauszugeben, die Reformvorschläge selbst aber bis zum letzten Augenblicke geheim zu halten, um dieselben bei der Versammlung zur unmittelbaren Beratung vorzulegen. Der Staatsminister ist ebenfalls überzeugt, daß die Sache nur durch Überrumpelung in einen guten Gang gebracht werden kann. Einer unmittelbaren Beratung in der Fürstenversammlung dürfte wohl nichts im Wege stehen, da die Souveräne ohnedies ihre Minister mitbringen werden. Ritter v. Schmerling würde nur die au. Bitte wagen, daß Se. Majestät Ah. Ihren Besuch bei dem Könige von Preußen erst in der letzten Zeit seiner Badekur Ag. zu machen geruhen mögen, damit dann höchstens zehn Tage danach die Konferenz zusammentreten kann7.

Der Minister des Äußern referierte hierauf in Hinsicht des Ortes der Zusammenkunft, indem er hiezu die Stadt Frankfurt a. M. in jeder Beziehung als die geeignetste darstellte.

Sodann wurde auf Ah. Befehl der Entwurf der bezüglichen Einladungsschreiben durch den Ministerialrat von Biegeleben vorgelesen, wobei sich der Ministerkonferenz im Wesen keine Erinnerung ergab und nur – mit Ah. Genehmigung – eine Stilverbesserung derart vorgenommen wurde, daß statt des vorkommenden Wortes „erneuert“ der Ausdruck „neu befestigt“ gesetzt werde8.

II. Polnische Angelegenheit

Se. k. k. apost. Majestät geruhten den gegenwärtigen Gang der polnischen Angelegenheit in Krakau einer Besprechung zu unterziehen. Die Exzesse wachsen dort von Tag zu Tag und es scheine das ganze eine Gestalt anzunehmen, die geradezu sehr bedenklich wird9. Es trete sonach die Frage heran, ob man nicht zur Bewältigung dieser mißlichen Verhältnisse jetzt schon zu ausnahmsweisen Maßregeln schreiten sollte.

Der Staatsminister referierte, daß er soeben vom Grafen Mensdorff einen Bericht erhalten habe, worin derselbe über die dortigen Zustände sehr klagt und sich dahin äußert, daß er weiterhin mit den gewöhnlichen Maßregeln nicht mehr auskommen könne. Der Polizeiminister bestätigte, daß sich die Sache immer unerquicklicher gestalte, und beklagte es hauptsächlich, daß man den sich immer mehrenden Zuzügen in keiner Weise so recht begegnen kann, indem man im Strafgesetze keinen eigentlichen Anhaltspunkt finde, und es wäre daher notwendig, in dieser Beziehung einen Behandlungsmodus festzustellen10.

Se. Majestät der Kaiser geruhten sonach die Minister Ah. aufzufordern, sich mit dieser Sache zu beschäftigen und dann die au. Anträge zu erstatten11.

III. Maßregel wegen Abhilfe der zunehmenden Unsicherheit in der Umgebung Wiens

Se. k. k. apost. Majestät geruhten Ah. zu eröffnen, daß die Unsicherheit in der Umgebung Wiens in solcher Weise zunehme, daß man der Sache nicht mehr länger untätig zusehen könne. Eine Abhilfe würde in einer Vermehrung der Gendarmerie gefunden werden, und zwar werde vorderhand eine Vermehrung der Gendarmerieposten für die nächste Umgebung genügen. Allerhöchstdieselben erwarten daher, daß diesfalls das Erforderliche sogleich eingeleitet werde12.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, 18. Juli 1863. Empfangen 19. Juli 1863. Erzherzog Rainer.