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Nr. 253 Ministerrat, Wien, 29. Juli 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. [Klaps]; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 29. 7.), Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Forgách, Esterházy; außerdem anw. Lichtenfels; abw. Degenfeld, Wickenburg, Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 11. 8.

MRZ. 1058 – KZ. 2352 –

[Tagesordnungspunkte]

Protokoll des zu Wien am 29. Juli 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze des Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Rechberg.

I. Vertagung des Reichsrates

Der Staatsminister referierte, daß nach dem Ergebnisse einer vertraulichen Sitzung, welche gestern im Abgeordnetenhause stattfand, die Absicht bestehe, nach Erledigung der wenigen noch ausständigen Teile des 1862er Budgets, wozu höchstens noch etwa zwei Sitzungen benötigt würden, die Plenarsitzungen des Hauses erst wieder am 15. September beginnen zu lassen, von wann an der neue Finanzausschuß das 1863er Budget in Beratung nehmen, gleichzeitig aber auch der alte Finanzausschuß die Bankakte, die Steuererhöhung, die Katasterrevision etc. finalisieren sollte. Gegen dieses Vorhaben lasse sich in Anbetracht der unbesiegbaren Ermüdung des Hauses dermalen nichts erinnern. Allein von einigen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses werde beabsichtiget, auch noch das ganze Finanzgesetz pro 1862 in der letzten Sitzung vor der Vertagung votieren zu lassen. Die in der gestrigen vertraulichen Sitzung anwesenden Minister hatten dagegen eingewendet, daß ein so wichtiges Gesetz nicht so kurzweg in der letzten Stunde von einem gewiß ganz unaufmerksamen Hause behandelt und daß damit überhaupt zugewartet werden solle, bis die einzelnen Teile wieder vom Herrenhause zurückgelangt || S. 151 PDF || seien. Die Schlußfassung darüber sei nun zwar auf eine heute nachmittags um 1/2 4 Uhr stattfindende Sitzung des Finanzausschusses verschoben worden. Mittlerweile habe man aber in den von Dr. Taschek verfaßten Entwurf des fraglichen Finanzgesetzes Einsicht genommen und daraus ersehen, daß dieser Entwurf nicht nur der Form nach unbrauchbar sei, indem er bloß eine Kompilation der zahlreichen Einzelbeschlüsse des Abgeordnetenhauses und keine für ein Gesetz passende Redaktion enthalte, sondern daß er auch den gegründetsten meritalen Einwendungen unterliege, indem darin von Bedingungen bei einzelnen Bugdetposten, von Steuerbewilligung und dgl. die Rede sei1. Da nun der Verdacht naheliege, man wolle im Überrumpelungswege ein höchst bedenkliches Gesetz durchbringen, so müsse dagegen seitens der Regierung ernstlich Vorsorge getroffen werden. Das sicherste Mittel liege darin, von Sr. Majestät die Ermächtigung zu erwirken, eine Vertagung des Reichsrates bis Mitte September anordnen zu dürfen, von welcher Ermächtigung aber nur eventuell dann Gebrauch zu machen wäre, wenn es nicht gelänge, oben erwähnte Absicht in der heutigen Ausschußsitzung, welcher Votant samt den Ministern v. Lasser und v. Plener beiwohnen werde, erfolgreich zu bekämpfen und zu vereiteln.

Über diesen Antrag ergab sich eine längere Diskussion, in welcher die Gründe für und wider eingehend geprüft wurden. Der Polizeiminister hob hervor, daß eine solche Maßregel die Stimmung des Abgeordnetenhauses verschlimmern und die Arbeiten des gleichzeitig zu vertagenden Herrenhauses unliebsam unterbrechen würde, er meinte daher, daß dazu nur im Notfalle, wenn nämlich auf keine andere Art die übereilte Annahme des Finanzgesetzes sich verhindern lassen sollte, zu schreiten wäre. Der ungarische Hofkanzler betonte die Notwendigkeit, sich die Haltung der Regierung dem Reichsrate gegenüber, auch über den jetzigen Moment hinaus, klar vorzuzeichnen. Er besorgte, daß, wenn der Reichsrat jetzt auf sechs Wochen die Arbeiten unterbreche, das Ende der Session in eine unberechenbare Ferne gerückt erscheine, worauf Minister v. Lasser unter Zustimmung des Staatsministers bemerkte, das Haus sei in voller Kenntnis, daß im November die Landtage zusammenkommen müssen, und es wäre jedenfalls zu empfehlen, diese Einberufung im Laufe des Oktobers Allerhöchstenortes auszusprechen, damit der Reichsrat sehe, daß er zu Ende kommen müsse. Als Minister Graf Nádasdy sein Votum von der Vorfrage abhängig machte, ob und welchen Wert der Finanzminister im Interesse des Staatskredits auf die fernere Wirksamkeit des Reichsrates lege, erklärte der Finanzminister , obwohl ihm persönlich vom Abgeordnetenhause sehr viel Unannehmlichkeiten bereitet wurden und dasselbe, so fruchtbar es an Negationen, Kritiken und tausenderlei Vorwürfen sich gezeigt habe, doch für positive Ratschläge ganz unproduktiv geblieben sei, so müsse er doch zugeben, daß der Bestand dieser repräsentativen Körperschaft und die Tatsache der von ihr || S. 152 PDF || unternommenen Beratung der finanziellen Zustände sehr viel zu einer hoffnungsvolleren Beurteilung dieser Zustände im Publikum beigetragen und namentlich im Auslande wesentlich die Befestigung des Staatskredits und dessen Hebung unterstützt habe. Auch gebe er die Hoffnung auf eine allmählich sich bessernde Einsicht des Abgeordnetenhauses nicht auf. Die Erfahrung mit der Bankakte gebe den Beweis dafür, bezüglich welcher, nachdem die anfänglichen extravagantesten Ansichten beseitigt seien, endlich sich eine ruhigere praktischere Meinung Bahn gebrochen habe.

Schließlich vereinigten sich alle Stimmführer mit dem Antrage des Staatsministers , der wiederholt erklärte, von der zu erbittenden Ah. Vertagungsanordnung nur im Notfalle Gebrauch machen zu wollen2.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 10. August 1862. Empfangen 11. August 1862. Erzherzog Rainer.