Nr. 151 Ministerrat, Wien, 14. November 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 17. 11.), Mecséry, Nádasdy 18. 11., Schmerling, Plener 19. 11., Forgách 21. 11., Esterházy; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 23. 11.
MRZ. 955 – KZ. 3664 –
Protokoll der Ministerkonferenz am 14. November 1861 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Beschlüsse der Judexkurialkonferenz über die Wiedereinführung der Taxen im Wechselgerichtsverfahren und über die Priorität der Steuerrückstände im Konkursprozeß
Der königlich ungarische Hofkanzler referierte über die Anstände, welche von Seite des Finanzministers gegen gewisse, sein Department berührende Bestimmungen der Ah. genehmigten Beschlüsse der Judexkurialkonferenz erhoben worden sind1.
Von dem Kapitel VII „in Bergwerksangelegenheiten“ werde er heute noch nicht sprechen, weil noch vorläufig eine genaue Berechnung über die finanziellen Resultate der Bestimmungen dieses Kapitels zustande gebracht werden muß2. Graf Forgách werde daher für jetzt sein Referat auf die Reaktivierung der Taxeinhebung im Wechselgerichtsverfahren (Kapitel III, § 6, a und b)3, dann auf die Priorität der || S. 22 PDF || bloß ein- statt dreijährigen Steuerrückstände im Konkursprozesse (Kapitel IV, § 9, 4)4, endlich auf die vier Gesuchspunkte der vom Grafen Apponyi neuerlich bei der Curia zusammengesetzten Kommission beschränken5. Diese Punkte betreffen: 1. die Aufrechterhaltung der Judexkurialkonferenzbeschlüsse; 2. die Enthebung der Gerichte von allen ihnen nicht ex lege hungarica obliegenden Geschäften; 3. die Einführung eines neuen Taxnormals für die Zivilgerichte zur Deckung der Gerichtskosten, welche Sporteln die Gerichte mit Beseitigung der Stempel einzuheben hätten; 4. die direkte Einhebung der unmittelbaren Gebühren durch die Finanzbehörden, ohne irgendeine Mitwirkung der Gerichte. Der Finanzminister, mit welchem über diese Gegenstände Rücksprache gepflogen wurde6, habe sich ausschließend auf den konstitutionellen Standpunkt gesetzt, wonach aus den Judexkurialkonferenzbeschlüssen alles zu beseitigen wäre, was den am 20. Oktober 1860 bestandenen Finanzgesetzen derogiert, und auch die obigen vier Gesuchspunkte im selben Sinne zu erledigen sein würden. Der Hofkanzler könne sich mit diesem Antrage keineswegs vereinigen, und zwar hätte es
a) bei der Wiedereinführung der wechselgerichtlichen Taxen, wie sie im ungarischen Wechselgesetze, dann in den §§ 25 und 26 Ges. Art. VI von 1844 festgesetzt wurden, statt dem Gebrauch der Stempel zu verbleiben. Graf Forgách schickt voraus, daß er für seine Person die Einführung der Stempel statt der Taxen im Gerichtsverfahren überhaupt als einen wesentlichen Vorteil für das Ärar, die Parteien und die Behörden anerkenne und daher die dem Stempelgesetze vom 9. Februar 1850 7 derogierenden Bestimmungen ad a) nicht aus inneren Gründen, sondern aus politischen Rücksichten namentlich deswegen bevorworte, um die Judexkurialkonferenzbeschlüsse, wo es tunlich ist, intakt zu erhalten, zumal wenn — wie im vorliegenden Fall — die Finanzen bei der Höhe der einlaufenden Taxen in Vergleich mit dem Stempel keine Einbuße erleiden.
b) Die Ausarbeitung eines neuen Taxnormals, wonach die Stempel auch im Zivilprozesse beseitigt und statt derselben Sporteln zur Bestreitung des Aufwandes für die Gerichte durch diese letzteren selbst eingehoben würden, glaube Graf Forgách beantragen zu sollen. Doch müßten diese Taxen dergestalt bemessen werden, daß hiebei das Ärar nichts verliere, und es würden nebstbei auch jedenfalls die Umschreibungsgebühren von den unbeweglichen Gütern zu bezahlen sein. Für diese Einrichtung sprächen die obigen politischen Rücksichten, die Analogie mit der Taxabnahme im Wechselverfahren, das uralte Herkommen und der ausgesprochene Wunsch der ungarischen Gerichte. Durch die Einhebung pro aerario und nicht pro judice würde den größten Übelständen abgeholfen. Die Sache sei aber dringend, da eine große Zahl bereits revidierter Prozesse in Ermangelung eines Taxnormals bei den Gerichten unerledigt liegen bleiben.
c) Die Beschränkung der Priorität der Steuerrückstände bei der Klassifikation im Konkurse von drei auf ein Jahr sei an sich keine prinzipiell bedenkliche oder sonst || S. 23 PDF || wesentliche Änderung, und die finanziellen Folgen davon dürften kaum fühlbar sein, sodaß darüber wohl leicht hinausgegangen werden kann.
Im Laufe der hierüber gepflogenen längeren Erörterung äußerte der Finanzminister, daß, wenn auch die Wiedereinführung der Taxabnahme im wechselgerichtlichen Verfahren aus den ad a) geltend gemachten Gründen aufrechtzuerhalten rätlich scheint8, dies zu gar keiner Folgerung in Absicht auf die Einführung eines ganz neuen Taxnormals (b) mit Beseitigung der Stempel in den übrigen zivilgerichtlichen Geschäften berechtige, nachdem hievon in den Ah. genehmigten Judexkurialkonferenzbeschlüssen nirgends Erwähnung geschieht. Faktisch haben zwar die Komitate statt der Stempel die Abnahme der Taxen eingeführt, aber dies war eine Eigenmächtigkeit, und es könne eine solche tiefeingreifendea Änderung der Finanzgesetze nur auf verfassungsmäßigem Wege Platz greifen. Der Finanzminister würde sich nicht ermächtigt halten, dieselbe auf einem anderen Wege durchzuführen. Die Schwierigkeiten und Plackereien, welchen die ungarischen Gerichte bei Handhabung der Stempelgesetze zu begegnen fürchten, seien tatsächlich nicht vorhanden, und es genüge, daß ein Beamter bei jeder Behörde sich mit den einschlägigen Vorschriften vertraut mache und dieselben auf die Einläufe anwende. Verantwortung erwachse dadurch nicht, und die ohnehin selten vorkommenden Stempelrevisionen würden auch nicht besonders streng gehandhabt werden. Allein, von jeder weiteren Ingerenz in Gebührenangelegenheiten könnten die Gerichte schon deswegen nicht enthoben werden, weil die Finanzbehörden doch nur mittels der Gerichte von den stattgefundenen Vermögensübertragungen fortlaufende und genaue Kenntnis erhalten können und es ihnen an Mitteln fehlt, die Fälle von Gebührenpflichtigkeit in anderen Wegen gehörig zu überwachen. Die Anträge der Kurialkommission 2., 3. und 4. tragen überhaupt das Gepräge einer bloß launenhaften Abneigung gegen das Stempelwesen, und deren Genehmigung — wenn sie überhaupt dermal möglich wäre — erschiene daher als eine Konzession der Schwäche. Was endlich (ad c) die Beschränkung der Priorität der Steuerrückstände in Konkursfällen betrifft, so cglaubt der Finanzminister, daß die Frage wegen Aufrechthaltung oder Aufhebung der diesfälligen Bestimmung in den Judexkurialkonferenzbeschlüssen heute nicht auf der Tagesordnung stehe und daß es sich heute bloß um die Stempelfrage handle, und daß auch in betreff dieser, soferne es sich um die statt desselben [d. h. den Stempel] bei Wechselgerichten vertretende Taxe handle, eine abermalige Bestätigung der diesfälligen Bestimmung der Judexkurialkonferenzbeschlüsse nicht notwendig [sei], sondern bei diesem Status quo zu belassen wäre, und lediglich in betreff der Stempelanwendung bei den übrigen Gerichten die entsprechende Weisung zu erlassen wäreb glaubt der Finanzminister, daß die Frage wegen Aufrechthaltung oder Aufhebung der diesfälligen Bestimmung in den Judexkurialkonferenzbeschlüssen heute nicht auf der Tagesordnung stehe9 und daß es sich heute bloß um die Stempelfrage handle, und daß auch in betreff dieser, soferne es sich um die statt desselben [d. h. den Stempel] bei Wechselgerichten vertretende Taxe handle, || S. 24 PDF || eine abermalige Bestätigung der diesfälligen Bestimmung der Judexkurialkonferenzbeschlüsse nicht notwendig [sei], sondern bei diesem Status quo zu belassen wäre, und lediglich in betreff der Stempelanwendung bei den übrigen Gerichten die entsprechende Weisung zu erlassen wäre. Auf die vom Hofkanzler vorgebrachte Einwendung, daß die Ah. Entschließung, wodurch die Judexkurialkonferenzbeschlüsse genehmigt wurden, von der Aufrechterhaltung der Stempel- und Gebührengesetze keine Erwähnung mache, erwiderte der Finanzminister , daß diese Erwähnung mit Hinblick auf das Ah. Handschreiben vom 20. Oktober v. J. gar nicht nötig war10, daß ferner bei der ministeriellen Vorbereitung über die Judexkurialkonferenzbeschlüsse der Fortbestand dieser Gesetze in Ungarn allseitig anerkannt worden sei11. Der Hofkanzler bestätigte hierauf, daß dieses im Vortrage des Baron Vay ausdrücklich hervorgehoben wurde12. Minister Graf Nádasdy — im übrigen mit dem Finanzminister einverstanden — äußerte, daß, nachdem Se. Majestät der Kaiser die Stempelgesetze für Ungarn bis jetzt noch nicht außer Kraft gesetzt haben, strenggenommen im Wechselverfahren, nebst den Taxen nach Kapitel III, § 6 der Judexkurialkonferenzbeschlüsse auch noch der Gebrauch der Stempel gefordert werden könnte. dVay, Apponyi, Szécsen, Szőgyény scheinen diesen Paragraph der Judexkurialkonferenz auch so verstanden zu haben, da sie wiederholt erklärt haben, „das Stempel- und Gebührengesetz werde aufrecht erhalten“c . Der Staatsminister fand, daß diese Forderung doch nur bezüglich des Beilagenstempels gerechtfertigt wäre, nachdem die wiedereingeführten Taxen offenbar ein Surrogat für die Stempel der Satzschriften etc. bilden. Im übrigen teilt der Staatsminister zu a), b) und c) die Meinung des Finanzministers, und was speziell die vom Judex Curiae und seiner Kommission beantragte Einführung der Taxen im ganzen Zivilprozesse betrifft, so wäre es sehr bedauerlich, wenn durch eine solche Maßregel die Gerichtsbehörden wieder in eine schiefe Stellung zu den Parteien gebracht und ihnen neue Schreib-, Rechnungs- und Kassageschäfte aufgeladen würden, statt daß die Stempelrevision bei jedem Gerichte von einem Protokollsbeamtend nebenbei schnell, leicht und — wegen der Emolumente — gern besorgt werden wird. Die Stempelvorschriften erhielten in Ungarn noch vor Einführung des ABGB. Gesetzeskraft, und es besteht daher keine Inkompatibilität derselben mit dem alten ungarischen Zivilrechte. Die Minister Baron Mécsery und Graf Esterházy stimmten gleichfalls zu a) und c) mit dem Hofkanzler und dem Finanzminister, zu b) aber mit dem Finanzminister.
Nachdem Se. k. k. apost. Majestät die au. Anträge der Stimmenmehrheit Ag. zu genehmigen geruht hatten13, äußerte der Hofkanzler , er werde hiernach sofort || S. 25 PDF || die erforderliche Weisung an die Curia, an die Obergespäne aber erst nach deren erfolgter Epurierung erlassen14. Der Finanzminister setzte voraus, daß hiebei — mit Hinblick auf die noch in suspenso bleibenden Punkte von einer allgemeinen Bestätigung der Judexkurialkonferenzbeschlüsse keine Rede sein werde. Auf die Bemerkung des Hofkanzlers , daß der am 31. Oktober bereits abgelaufene Termin, bis zu welchem die Verantwortung der Gerichte für die Anwendung der Stempel aufgehoben wurde, bis Ende Jänner erweitert werden dürfte, entgegnete der Finanzminister , daß diese Verfügung die Gültigkeit der Stempelgesetze in den Augen des Publikums aufs neue in Frage stellen würde. Man sage daher lieber in den demnächst ergehenden Erlässen an die Gerichte, daß über das bisher gegen die Vorschrift der Stempelgesetze Geschehene keine Notionierungen eintreten werden. Weiter zu gehen, sei ganz überflüssig15.
II. Gesetz zum Schutz des Brief- und Schriftengeheimnisses
Se. Majestät der Kaiser geruhten zu eröffnen, daß Allerhöchstdieselben es sehr bedenklich fänden, wenn das Gesetz über die Wahrung des Briefgeheimnisses16 von den beiden Häusern des Reichsrates angenommen würde, indem vorauszusehen ist, daß das Wohl des Staates noch in vielen Fällen die Eröffnung von Briefen gebieterisch erheischen wird und Se. Majestät ein Gesetz nicht Ah. sanktionieren könnten, welches von den Regierungsorganen notwendigerweise übertreten werden müßte. Der Staatsminister brachte zur Ah. Kenntnis, er habe in Anerkennung dieser Komplikation bereits mit einem Reichsratsabgeordneten Rücksprache gepflogen, welcher die Bekämpfung des Gesetzvorschlages im Sinne der Regierung auf sich nehmen wird17.
Wien, 17. November 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 22. November 1861. Empfangen 23. November 1861. Erzherzog Rainer.