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Nr. 34 Ministerrat, Wien, 21. März 1861 — Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 21. 3.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Vay, Lasser 26. 3., Szécsen 25. 3., Plener 26. 3., Wickenburg 26. 3., Pratobevera 27. 3., Lichtenfels 27. 3., FML. Schmerling 27. 3., Szög yény; BdR. Erzherzog Rainer 1. 4.

MRZ. – KZ. 1000 –

Protokoll [II] der zu Wien am 21. März 1861 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Anträge des Judex Curiae zur Reorganisierung der Gerichtspflege in Ungarn

Gegenstand der Beratung waren die Vorlage der unter dem Vorsitze des Judex Curiae beratenen Anträge über die einstweilige Wiederherstellung der früheren Gerichtsverfassung und Justizgesetze in Ungern und bzw. die von Sr. k. k. Hoheit gestellte Vorfrage, ob diese Anträge als ein Provisorium bis zur definitiven Regelung im verfassungsmäßigen Wege von Sr. Majestät erlassen oder ob der Judex Curiae von Allerhöchstdemselben bloß ermächtigt werden soll, dieses Provisorium im eigenen Namen zu erlassen.

Da die beiden ungrischen Hofkanzler beim Beginn der Beratung noch nicht anwesend waren, so gab Minister Graf Szécsen einige vorläufige Aufklärungen über Veranlassung und Zweck dieser Anträge. Nach den Ah. Erlässen vom 20. Oktober 1860 hatten die bis dahin in Ungern bestandenen Justizgesetze und Gerichte bis zu deren Abänderung im verfassungsmäßigen Wege aufrechtzubleiben1. Damals war die Absicht, den ungrischen Landtag je eher einzuberufen. Sie wurde nicht erreicht, und mittlerweile [wurden] die Gesetze und Gerichte von den Komitaten faktisch umgestoßen, so daß ein Juristitium eintrat, welchem ein Ende gemacht werden muß. Dies soll durch das angetragene Provisorium erzielt werden, welches unter der Leitung des Judex Curiae und der bedeutendsten Justizkapazitäten des Landes unter Beachtung der Wünsche und Bedürfnisse des letzteren ausgearbeitet und von denselben einhellig zur Ah. Genehmigung empfohlen wurde. Daß deren Einführung dringend sei, ergibt sich aus dem Zustande, in welchem die Gerichtspflege im Lande sich befindet, von selbst: Die bestehenden Gerichte haben keine Autorität und Wirksamkeit mehr, und die neuen Gerichte und Gesetze entbehren zur Zeit noch der gesetzlichen Weihe. Eben diese Dringlichkeit macht aber ein Eingehen in das Meritum der Vorschläge zur Unmöglichkeit. Es erscheint daher der Antrag, sie in Bausch und Bogen anzunehmen, gerechtfertigt, indem nur dadurch wieder ein einigermaßen geregelter Zustand in der Justizverwaltung hergestellt werden kann. Weil nun die definitive Regelung der Gerichtsverfassung nur nach Vernehmung des Landtages von Sr. Majestät ausgesprochen werden kann, die Verhandlung hierüber auf dem nächsten Landtage aber nicht sogleich begonnen wird und jedenfalls lange Zeit in Anspruch nehmen wird [und] auch zu erwarten steht, daß der Landtag viele Bestimmungen dieses || S. 201 PDF || Provisoriums abändern werde, so dürfte dasselbe nicht von Sr. Majestät unmittelbar, sondern von dem Judex Curiae zu erlassen sein, indem dann die Würde Sr. Majestät nicht darunter leidet, wenn derlei Änderungen beantragt werden.

Der Minister des Äußern hob die Schwierigkeiten hervor, sich darüber auszusprechen, ob ein solches Provisorium, sei es auch nur vom Judex Curiae, erlassen werden solle, wenn der meritorische Inhalt desselben, welcher notwendig auf alle Rechtsverhältnisse von tiefgreifendem Einflusse sein muß, der Konferenzberatung entrückt ist. Er bezweifelte ferner die Notwendigkeit einer solchen Maßregel in einem Momente, wo der Landtag binnen wenigen Tagen wird beisammen sein und sich damit selbst wird beschäftigen können. Er würde also glauben, daß dem Landtage selbst diese Aufgabe vorbehalten werden sollte. Der Polizeiminister bemerkte: Bei dem anarchischen Zustande, in welchem die Rechtspflege in Ungern faktisch sich befindet und welcher bis zur definitiven Regelung derselben im verfassungsmäßigen Wege schlechterdings nicht belassen werden kann, hätte er gegen die Erlassung des Provisoriums durch den Judex Curiae nichts zu erinnern, wenn er über den Zeitpunkt, binnen welchem dasselbe durchgeführt sein kann, und darüber volle Beruhigung hätte, daß die Verhandlungen des Landtages keine solche Wendung nehmen werden, welche die Regierung zur Anwendung außerordentlicher Maßregeln nötige. In beiden Beziehungen ist keine Bürgschaft gegeben. Die Regierung würde daher, falls sie dann zu solchen außerordentlichen Maßnahmen schreiten müßte, während der Umstaltung der Mithilfe der ihr ergebenen Organe beraubt und von den neuen, aus nationalen Elementen zusammengesetzten Behörden im Stiche gelassen werden. Er trüge daher Bedenken, schon gegenwärtig sich für das Provisorium auszusprechen. Auch der Staatsminister erklärte: Es bestände an und für sich kein Bedenken, dem Lande ein Provisorium zu gewähren, das — wie versichert wird — dessen Wünschen entspricht. Allein im Interesse der übrigen Provinzen des Reiches, deren Institute und Bewohner im guten Glauben an den Bestand der österreichischen Gesetze und Gerichte in Ungern ihr Geld dahin gegeben haben, müsse er sich gegen die Annahme eines Provisoriums, das, nach dem gewöhnlichen Gange landtäglicher Verhandlungen über eine definitive Gesetzgebung so umfassender Natur, gewiß ein sehr langes, vielleicht Jahre dauerndes sein wird, verwahren, wenn nicht durch nähere Prüfung seines meritorischen Inhalts die Überzeugung gewonnen wird, daß die wohlerworbenen Rechte der Parteien gesichert sind, die ihr Vermögen im Verkehr mit Ungern verwendet haben. Minister v. Lasser bemerkte: Nach allem, was über das vorliegende Operat verlautet, handelt es sich dabei um eine sehr wesentliche Abweichung von den Bestimmungen des 20. Oktober, welche bis zur verfassungsmäßigen Änderung die bestehenden Gesetze und Gerichte aufrechthalten. Dieser Standpunkt könne nicht aufgegeben werden. Als Hauptmotiv, ihn zu verlassen, wurde der eingetretene Rechtsstillstand angeführt. Allein awer könne verbürgen, ob ein Provisorium, welches weder ganz die frühern Einrichtungen zurückführt noch die dermaligen Gesetze aufrechthält und daher keinem der beiderseitigen Standpunkte gerecht wird, dem Rechtsstillstand wirklich ein Ende machen werde? Wie oft habe man sich schon in solchen Erwartungen getäuscht! So war es auch mit der Septemviraltafel selbst der Fall. Anfang Februar hob man die richterliche Aktion des Obersten Gerichtshofes für Ungern auf, Mitte Februar sollte die Septemviraltafel in Ungern mit dem Rechtsprechen über zahlreiche an sie überwiesene Prozesse beginnen, und statt als Richterkollegium hat sie bisher nur als Gesetzgebungskommission fungiert, folglich den Rechtsstillstand selbst gefördert. Hätte man einstweilen den Obersten Gerichtshof noch fortan fungieren lassen, wäre man doch einer großen Zahl der rechtsuchenden Parteien gerecht geworden. Der Antrag, daß die materiellen Rechtsgesetze jetzt provisorisch durch Judexcurialgesetze abgelöst werden sollen, scheine sehr bedenklich. Statt des Rechtsstillstandes dürftea wer könne verbürgen, ob ein Provisorium, welches weder ganz || S. 202 PDF || die frühern Einrichtungen zurückführt noch die dermaligen Gesetze aufrechthält und daher keinem der beiderseitigen Standpunkte gerecht wird, dem Rechtsstillstand wirklich ein Ende machen werde? Wie oft habe man sich schon in solchen Erwartungen getäuscht! So war es auch mit der Septemviraltafel selbst der Fall. Anfang Februar hob man die richterliche Aktion des Obersten Gerichtshofes für Ungern auf2, Mitte Februar sollte die Septemviraltafel in Ungern mit dem Rechtsprechen über zahlreiche an sie überwiesene Prozesse beginnen, und statt als Richterkollegium hat sie bisher nur als Gesetzgebungskommission fungiert, folglich den Rechtsstillstand selbst gefördert. Hätte man einstweilen den Obersten Gerichtshof noch fortan fungieren lassen, wäre man doch einer großen Zahl der rechtsuchenden Parteien gerecht geworden. Der Antrag, daß die materiellen Rechtsgesetze jetzt provisorisch durch Judexcurialgesetze abgelöst werden sollen, scheine sehr bedenklich. Statt des Rechtsstillstandes dürfte eine wirkliche Rechtsverwirrung eintreten, wenn zugegeben werden wollte, daß die vom Kaiser für die ganze Monarchie gegebenen Gesetze und bestellten Gerichte in Ungern durch andere, vom Judex Curiae erlassene und bestellte sollten ersetzt werden können. Auch erscheint die Sache nicht so dringend, um für die wenigen Tage bis zur Einberufung des Landtages ein Provisorium zu treffen, das der Landtag selbst, wenn er es nötig findet, veranlassen und bei Sr. Majestät in Antrag bringen kann. Der Finanzminister vermöchte die Annahme eines Vorschlages, dessen Inhalt man nicht kennt, nicht zu befürworten, insbesondere eines solchen, der auf die Vermögens- und Kreditverhältnisse der Monarchie, der Nationalbank, der Eisenbahngesellschaften und so vieler Privaten von entscheidender Rückwirkung ist. Auch sonst erscheint der Vorschlag nicht opportun im Moment der Berufung des Landtages. Ist das Bedürfnis einer Änderung so laut und dringend, wie angegeben wurde, so möge der Landtag die provisorische Abhilfe beantragen. Am wenigsten aber könnte das Provisorium von Sr. Majestät erlassen werden, denn es unterläge — nach der in anderen Beziehungen gemachten Erfahrung wenigstens — dem Einwande, daß es einseitig von der Krone ausgegangen. Aber auch die Erlassung eines solchen Provisoriums durch den Judex Curiae wäre ein beispielloser und verfassungswidriger Vorgang. Der Finanzminister stimmte daher für die Verweisung der Vorlage an den Landtag. Der Handelsminister bemerkte, daß, wenn ein Gerichtsstillstand eingetreten ist und die Regierung ihre Ohnmacht bekennt, mit ihren Organen denselben zu bewältigen, allerdings nichts anderes als die Treffung eines Provisoriums erübrige, daß sich jedoch dieses nur auf die Gerichtsorgane, nicht aber auf die Gesetze zu erstrecken habe, damit nicht der Standpunkt des 20. Oktober gänzlich aufgegeben werde. Minister Freiherr v. Pratobevera stimmte für die Verweisung der Vorlage an den Landtag, indem jeder andere Vorgang von den bedenklichsten Folgen sein würde, wenn die Regierung selbst den Standpunkt des 20. Oktober verlassen und einen faktischen Zustand legalisieren wollte, der mit dem gesetzlichen in offenbarem Widerspruch steht. Der Präsident des Staatsrates äußerte: Es handle sich hier nicht bloß || S. 203 PDF || um die Form, in welcher das Provisorium zu erlassen, sondern darum, ob Sr. Majestät überhaupt anzuraten sei, es anzunehmen. Diese Frage müsse er verneinen. Es wäre gegen seine Überzeugung, ein Gutachten über ein Gesetz abzugeben, ohne dessen Inhalt zu kennen und zu prüfen. Abgesehen davon müsse er bemerken, daß der Zustand in Ungern der eines faktischen Widerstands gegen das Gesetz sei. Dieser werde nicht gebrochen durch ein anderes Gesetz und andere Behörden, sondern damit, daß man die Autorität der bestehenden kräftige. Der neue Vorschlag möge von den tüchtigsten und bewährtesten Männern ausgearbeitet sein. Es liegt darin aber keine Bürgschaft, daß man im Lande den darin enthaltenen Bestimmungen Folge leisten werde. Vielmehr sei zu besorgen, daß damit nur ein Schritt weiter auf dem bisher betretenen Wege getan werde, der von Konzession zu Konzession, statt zur Pazifizierung des Landes zur Anarchie geführt hat und schließlich, wenn die letzte Stütze der Regierung gefallen, zur Revolution führen wird. Die Überzeugung endlich, daß das Umstürzen der bestehenden Rechtsgesetzgebung und der Gerichte die vollständige Erschütterung des Kredits im Land selbst sowohl als auch den übrigen Kronländern und dem Auslande gegenüber zur Folge haben und der Regierung mit der Entfernung der bestehenden Strafgerichte das letzte Mittel zur Erhaltung der Ruhe im Lande entziehen würde, bestimmte den Votanten, sich gegen den Vorschlag zu einem solchen Provisorium auszusprechen. Der Kriegsministerstellvertreter schloß sich der Ansicht des Finanzministers an.

Mittlerweile waren die beiden ungrischen Hofkanzler in der Sitzung erschienen. Der zweite ungrische Hofkanzler stellte die Grundzüge des Antrags des Judex Curiae dar3. Nach demselben würden das alte ungrische Privatrecht mit Ausnahme der Bestimmungen über das Erbfolgerecht, welche nach dem österreichischen Zivilrechte modifiziert werden, das ungrische Strafgesetz und Prozeßverfahren, Konkurs- und Wechselrecht wiederhergestellt, das bestehende Avitizitäts-, Montan-, Urbarial-, Grundbuchs-, Stempel- und Gebührengesetz aber beibehalten werden. Er las aus dem diesfalls an Se. Majestät zu erstattenden Vortrage der ungrischen Hofkanzlei die Begründung zur Annahme dieser Anträge vor und hob heraus, daß, wenngleich dieselben vom Standpunkte des 20. Oktober abweichen und in materieller Beziehung eine strenge juridische Kritik nicht bestehen möchten, doch ihre unverzügliche Ausführung eine Forderung der Zeit und des Landes sei, nachdem nur hierdurch bei der Untätigkeit der bisherigen k. k. Gerichte und dem faktischen Vorgehen der Komitate ein einigermaßen gesicherter gleichmäßiger Gang der Gerichtspflege erzielt werden könne. Für die Auflösung der bestehenden k. k. Gerichte würde ein angemessener Termin festgesetzt werden. Endlich sei zu erwähnen, daß infolge der angetragenen Gerichtsorganisierung || S. 204 PDF || gegen den bisherigen Aufwand für die Gerichtspflege eine Ersparung von 529.000 fr. sich ergäbe. Der erste ungrische Hofkanzler bezog sich auf den Inhalt dieses Vortrags, und Minister Graf Szécsen setzte bei: Zur Beurteilung der Frage über die Opportunität der Maßregel sei auch die Berücksichtigung der Stellung des Judex Curiae nötig. Unter seinem Einflusse müsse der Gang der Landtagsverhandlungen geleitet werden. Weise man seine vorliegenden, auf der genauen Kenntnis der Forderungen des Landes gegründeten Anträge zurück, so werde seine Stellung am Landtage unhaltbar, was um so mehr zu beklagen wäre, je geringer die Anzahl der Männer höherer Stellung im Lande ist, welche im Interesse der Regierung zu wirken geeignet und geneigt sind. Unter diesen Verhältnissen könne er nur wieder auf die schon wiederholt beantwortete Frage zurückkommen, ob die Regierung den Versuch, auf tatsächlichem Wege zur Verständigung mit dem Lande zu gelangen, aufgeben oder noch weiter darauf vorgehen wolle. Er müsse sich im Interesse des Landes und der Monarchie unter der gegenwärtigen Lage Europas für die weitere Verfolgung dieser Versuche aussprechen, in welchem Fall dann, wenn Se. Majestät dieses gutheißen, die Beurteilung der Wirksamkeit der zu diesem Zwecke dienlichen Maßregeln mit Beruhigung denjenigen überlassen werden könne, in deren Hände die Leitung der Landesangelegenheiten gelegt ist.

Bei der Finalabstimmung haben sich alle übrigen Votanten für die Verweisung der Anträge des Judex Curiae als Regierungsvorlage an den ungrischen Landtag ausgesprochen, Minister v. Lasser, der Finanzminister und der Staatsratspräsident noch mit dem Beisatze, daß wenigstens die Grundzüge derselben in merito einer vorläufigen Prüfung im Gesamtministerrate unterzogen werden müßten. Insbesondere aber bemerkte der Minister des Äußern : Es sei vom höheren politischen Standpunkte beklagenswert, daß man, indem man der ungrischen Verfassung gegenüber soviel Wert auf Legalität lege, doch andererseits den legalen Boden der Bestimmungen vom 20. Oktober verlassen zu müssen glaube. Es erscheine aber auch vom Standpunkte der ungrischen Verfassung als nicht legal, wenn die Regierung einseitig in den alten Gesetzen so wesentliche Änderungen wie die hinsichtlich der Erbfolge, Urbarium, Grundbuch etc. vornehmen und dem Lande aufoktroyieren wollte, wie dies hier beabsichtigt wird. Zur Begründung eines solchen Vorgehens werden zwar das Drängen des Landes, die Unwirksamkeit der bestehenden Gerichte und das faktische Verhältnis der Komitatsbehörden geltend gemacht. Allein nicht jedem Drängen und Verlangen des Landes kann und darf die Regierung nachgeben, wenn sie dessen Verderblichkeit erkennt. Ist die Wirksamkeit der von ihr eingesetzten Gerichte gelähmt, so muß sie dieselben stützen und nicht ganz fallenlassen. Das faktische Vorgehen der Komitate aber ist gänzlich unberechtigt und sollte überall eingestellt werden. Wenn endlich noch die Ersparungsrücksicht geltend gemacht wird, bso sei wohl in Erwägung zu ziehen, daß eine gute Rechtspflege und durch dieselbe gesicherte Rechtszustände der sicherste Hebel seien zu Hebung der Blüte und der Wohlfahrt eines Landes. Es könne daher auf eine Ersparnis von einer halben Million und mehr nicht ankommen, wenn man bedenke, daß durch eine zwar billigere, aber schlechte Rechtspflege der Wohlstand des Landes vernichtet und dessen Steuerkraft gelähmt werdeb so sei wohl in Erwägung zu ziehen, daß eine gute Rechtspflege und durch dieselbe gesicherte Rechtszustände der || S. 205 PDF || sicherste Hebel seien zu Hebung der Blüte und der Wohlfahrt eines Landes. Es könne daher auf eine Ersparnis von einer halben Million und mehr nicht ankommen, wenn man bedenke, daß durch eine zwar billigere, aber schlechte Rechtspflege der Wohlstand des Landes vernichtet und dessen Steuerkraft gelähmt werde. Der Polizeiminister bemerkte: Ohne sich in eine Beurteilung, ob die alte oder die neue Justizverfassung besser sei, einzulassen, beschränke er sich hier bloß auf die Beleuchtung der Opportunitätsfrage. Man will, wie es bisher geschehen, auch hiermit wieder einen Versuch machen, das Land durch eine neue Konzession zu gewinnen. Wäre davon die Verwirklichung der Bestimmungen des 20. Oktober in Ungern zu erwarten, so würde er dafür stimmen. Allein dazu sei keine Aussicht vorhanden. Auch dem persönlichen Einflusse der der Regierung ergebenen Männer höherer Stellung dürfte es nicht gelingen. Es bleibe sonach nur der Nachteil, daß Gesetze und ein Organismus zerstört werden, auf welche — wie er schon oben bemerkte — in dem Falle allein gerechnet werden könnte, wenn außerordentliche Maßregeln in Ungern notwendig werden sollten. Der Staatsminister bemerkte: Sowohl nach den Bestimmungen vom 20. Oktober als nach der ungrischen Verfassung können Gesetze nur unter Mitwirkung des Landtages gegeben werden. Was durch den Antrag des Judex Curiae geschehen soll, ist ein Akt der Gesetzgebung, gehört also vor den Landtag. Durch die Verweisung der Sache vor diesen kann die Stellung des Judex Curiae nicht beeinträchtigt werden. Denn entspricht sein Antrag wirklich dem Wunsche des Landes, so wird er vom Landtage gerne akzeptiert werden, im entgegengesetzten Falle aber würde seine Stellung zum Landtage noch schlimmer sein, wenn man ihm sagt, er hätte jenen Antrag auf dem verfassungsmäßigen Wege einbringen oder die ungrischen Gesetze ganz und nicht mit jenen Abänderungen wiederherstellen sollen, die ihren Ursprung der Gesetzgebung der letzten zehn Jahre verdanken. Minister v. Lasser und der Finanzminister kamen ebenfalls auf ihre frühere Ansicht zurück, daß die Sache vor den Landtag gehöre und früher aber auch in merito vom Ministerrate geprüft werden müsse, damit — wie der letztere insbesondere hervorhob — die Tragweite der einzelnen Bestimmungen der Anträge in Beziehung auf das Reich ermessen werden könne, indem — um nur ein Beispiel anzuführen — die Zusicherung der Aufrechterhaltung des Stempel- und Gebührengesetzes zwar gegeben, aber nicht aufgeklärt ist, ob und inwieweit es, das sich wesentlich an die Bestimmungen des ABGB. anknüpft, bei dem geänderten bürgerlichen Rechte in Ungern sich werde durchführen lassen. Der Handelsminister Freiherr v. Pratobevera und FML. Ritter v. Schmerling stimmten ebenfalls für die Verweisung an den Landtag, und der Präsident des Staatsrates setzte mit Beziehung auf sein schon früher abgegebenes Gutachten noch hinzu: Eine Umwälzung der Gesetze am Vorabend des Landtages wäre nicht zu verantworten. Die Anträge des Judex Curiae, deren Grundzüge man eben vernommen, enthalten eine Mischung des österreichischen und des alten ungrischen Rechtes. Gehen sie nun ohne Zustimmung des Landtages hinaus, selbst als Provisorium, wer bürgt dafür, daß der Landtag nicht eine andere Mischung belieben oder daß die Gerichte die Beschränkungen anerkennen werden, die in den alten ungrischen Gesetzen vorgenommen wurden? In dem vorgelesenen || S. 206 PDF || Gutachten der ungrischen Hofkanzlei wird selbst zugestanden, daß einzelne Zweige der Gesetzgebung eine strenge juridische Kritik nicht aushalten. Hiermit ist also diesen Zweigen wenigstens der Stab gebrochen. Ob das ungrische Kriminalrecht, das von drei Jahrhunderten her datiert, besser sei als ein im 19. Jahrhundert zustandegebrachtes systematisches Gesetz muß billig bezweifelt werden. Die neuesten Erfahrungen, daß Willkür und Mißhandlungen auf Rechnung jenes alten Strafrechtes geübt werden, zeigen nur zu deutlich, was erst geschehen wird, wenn jenes Gesetz von der Regierung selbst wieder in Kraft [gesetzt] werden sollte. Vom ungrischen Handels- und Wechselrechte hat der einheimische Handelsstand selbst erkannt, daß es den Kredit gefährde. Wie könnte die Regierung auf dasselbe zurückgehen in dem Moment, wo sie sich über ein allgemeines deutsches Handelsrecht mit den Bundesstaaten geeiniget hat, mit denen Österreich und durch es Ungern in so lebhaften und wichtigen Verkehrsverhältnissen steht? Man will einzelne Zweige der österreichischen Gesetzgebung neben den alten ungrischen Gesetzen bestehen lassen. Allein es [sei] nicht wohl abzusehen, wie z. B. die Grundbuchsordnung, die auf dem ABGB. basiert, ohne dieses sollte zur Anwendung kommen können. In vielen Rechtssachen wird in Ungern bloß nach dem Rechtsgebrauche entschieden, und ein solches Recht, gemischt aus den verschiedenartigsten Gesetzen und Rechtsgewohnheiten, sollte das Land beglücken? In der Tat kann die Unzufriedenheit mit den österreichischen Einrichtungen nicht so groß gewesen sein. Die Eile, mit welcher die Parteien zur Entscheidung ihrer bei dem Obersten Gerichtshofe anhängigen Prozesse noch vor deren Übergabe an die ungrische Hofkanzlei drängten, gibt wohl das beste Zeugnis für die österreichischen Gesetze und Gerichtsverfassung ab. Diese Eile — erwiderte Minister Graf Szécsen — findet wohl nicht darin, sondern in dem sehr natürlichen Wunsche der Parteien ihre Erklärung, die schwebenden Rechtsangelegenheiten vor der mit jeder derlei organischen Veränderung notwendig verbundenen Verzögerung zu bewahren. Hofkanzler v. Szőgyény bemerkte schließlich: Es solle die Regierung allerdings nicht jedem Drängen des Landes nachgeben. Wohl aber müsse sie den durch berechtigte Organe ausgesprochenen allgemeinen Wunsch berücksichtigen, selbst wenn sie dessen Erfüllung nicht unbedingt als gedeihlich für das Land erkenne. So sei er nach seiner individuellen Anschauung für die Beibehaltung des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches. Dennoch getraue er sich nicht, dieselbe gegen den Antrag des Judex Curiae zu vertreten, nachdem 46 Komitate und Städte die Wiederherstellung des alten bürgerlichen Rechtes und Gerichtsverfahrens verlangt haben. Er müsse also dafür stimmen, daß, um dem gegenwärtigen Zustande ein Ende zu machen, sobald als möglich und noch vor dem Beginn des Landtages Einrichtungen getroffen werden, die den Wünschen und Bedürfnissen nach einer geordneten Rechtspflege im Lande angemessen sind. Würden die hierauf bezüglichen Anträge des Judex Curiae verworfen, so würde die Täuschung der allgemeinen Erwartung ihrer Genehmigung den Rücktritt desselben zur Folge haben und an dessen Stelle kein anderer Mann des Vertrauens gefunden werden können. Es würde ohne Herstellung der alten Rechtsgesetze keine königliche Kurie, kein Gerichtshof möglich sein. Wenn der Standpunkt des 20. Oktober auf der einen Seite festgehalten || S. 207 PDF || werden wolle, so sei zu berücksichtigen, daß man andererseits, nachdem das Wiederaufleben der ungrischen Landesverfassung Ag. zugestanden worden, auf dem legalen Boden der letzteren sich wohl nur für die Wiederherstellung der alten, d. i. der verfassungsmäßig zustandegekommenen Gesetze, bis deren Abänderung wieder im verfassungsmäßigen Wege bewirkt sein wird, erklären konnte. Wohl habe das Ah. Kabinettsschreiben vom 20. Oktober an den ungrischen Hofkanzler die einstweilige Aufrechterhaltung der bisherigen Justizgesetze und Einrichtungen angeordnet. Im kaiserlichen Diplom aber, dem eigentlichen Staatsgesetze selbst, stehe davon nichts, und es könne daher die oben belobte Anordnung von der Regierung zurückgenommen werden, ohne darum mit den Bestimmungen des kaiserlichen Diploms in Widerspruch zu geraten. Es sei auch die Erlassung der vom Judex Curiae beantragten Verfügungen nicht die Oktroyierung eines neuen Gesetzes, wozu die Mitwirkung des Landtages erforderlich wäre, sondern nichts als die Wiederherstellung der alten verfassungsmäßigen Gesetze mit denjenigen Ergänzungen und Änderungen, welche im Laufe der Zeit notwendig geworden sind und zu deren Vornahme die Septemviraltafel von jeher berechtigt gewesen. Unter diesen Verhältnissen und mit Rücksicht auf die schon wiederholt betonte dringende Notwendigkeit der Herstellung eines geordneten Justizdienstes im Lande, der auf einem anderen Wege nicht zu erzielen wäre, glaubte der Hofkanzler den Antrag auf Ah. Ermächtigung des Judex Curiae zur Ausführung seiner Anträge nochmals auf das wärmste empfehlen zu sollen4.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 30. März 1861. Empfangen 1. April 1861. Erzherzog Rainer.