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Nr. 427 Ministerrat, Wien, 30. November 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 1. 12.), Krauß 4. 12., Bach 4. 12., Schmerling 4. 12., Bruck, Thinnfeld 2. 12., Thun, Csorich 4. 12., Kulmer 2. 12.; abw. Stadion.

MRZ. – KZ. 4122 –

Protokoll der am 30. November 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Resultat der Konferenz in Olmütz

Der Ministerpräsident teilte dem Ministerrate das Resultat der vertraulichen Besprechungen mit, welche er die letzten Tage mit dem interimistischen preußischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten v. Manteuffel in Olmütz gehabt hat1.

Es sind hiebei folgende Propositionen gemacht und im wesentlichen nachstehende Verabredungen getroffen worden2:

1. die Regierungen von Österreich und Preußen wollen die kurhessischen und holsteinischen Angelegenheiten in gemeinschaftlicher Mitwirkung aller deutschen Regierungen, sowohl der in Frankfurt vertretenen als der mit Preußen verbündeten zur Ausgleichung bringen.

2. Um die Kooperation der in Frankfurt vertretenen und der übrigen deutschen Regierungen möglich zu machen, soll in kürzester Frist sowohl den in Frankfurt vertretenen als den mit Preußen verbündeten eröffnet werden, daß Österreich und Preußen jedes einen Kommissär zu dem Ende bestellen werden, um in Kurhessen und in Holstein den so sehr wünschenswerten Zustand der Ordnung und Ruhe wieder herzustellen und daß die näheren Verhandlungen nachfolgen werden.

Es wurde folgendes festgestellt: a) in Kurhessen wird Preußen den Truppen, die vom Kurfürsten herbeigerufen wurden, kein Hindernis in den Weg legen und ihnen den Durchgang durch die Etappenstraßen gestatten. Die beiden Regierungen Österreich und Preußen werden im Einverständnisse mit ihren Verbündeten Se. Königliche Hoheit den Kurfürsten auffordern, seine Zustimmung dazu zu geben, daß ein Bataillon Preußen in Kassel verbleibe, um Ruhe und Ordnung zu erhalten3. b) Nach Holstein werden Österreich und Preußen nach gepflogener Rücksprache mit ihren Verbündeten gemeinschaftlich Kommissäre zu dem Ende absenden, um die Einstellung der Feindseligkeiten und Reduzierung der Truppen auf ein Dritteil unter Androhung der Exekution zu fordern; dagegen werden Österreich und Preußen auf die dänische Regierung einwirken, in Schleswig|| S. 105 PDF || nicht mehr Truppen zu halten, als zur Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung nötig ist. c) Die Ministerialkonferenzen sollen ohne Verzug in Dresden stattfinden und die Einladungen hiezu von Österreich und Preußen gemeinschaftlich ausgehen. Die Eröffnung dieser Konferenzen soll spätestens um die Mitte Dezember geschehen4.

Es ist hierbei auch die Entwaffnung besprochen worden5, rücksichtlich welcher verabredet wurde, daß, nachdem die heutige Konferenz die Besorgnisse behoben hat, warum die Rüstungen geschehen sind, die beiderseitigen verbündeten Höfe wechselseitig aufgefordert werden sollen, die Entwaffnung vorzunehmen, der König von Preußen die Mobilmachung der Armee mit Festsetzung eines bestimmten Tages rückgängig zu machen, sämtliche Kriegsrüstungen einzustellen usw. Am gleichen Tage würde Österreich die Landwehren und 4. Bataillons entlassen und die Truppen von den Grenzen zurückziehen.

Der Ministerpräsident fügte bei, daß er den 29. November nach Frankfurt telegraphieren ließ, die Bundestruppen hätten am Dienstage (3. Dezember d. J.) vorzurücken. Gelangt der Kurfürst vor ihnen nach Kassel, so hätten sie seine Anordnungen abzuwarten und bis dahin in Kassel nicht einzurücken. Wenn Preußen Gewalt entgegenstellen sollte, so sei der Krieg eröffnet6.

Der Ministerpräsident teilte weiter mit, daß der kaiserlich russische Gesandte am hiesigen Hofe zu den oberwähnten Besprechungen beigezogen wurde7, um Zeuge der friedlichen Gesinnungen Österreichs zu sein, und daß die kaiserlich russischen Truppen in Polen auf ihrem Rückmarsche den Befehl erhalten haben, anzuhalten.

Ferner eröffnete der Ministerpräsident, daß ihm aus Paris sehr günstige Nachrichten zugekommen seien, nach welchen das französische Volk friedlich und österreichisch gesinnt ist. Die Franzosen wollen sich in nichts mischen, kommt es aber zum Kriege, so wollen sie es mit Österreich halten. Der französische Gesandte in Piemont habe sehr gute Instruktionen erhalten. Der König solle sich, wenn ihn eine Lust zum Kampfe gegen Österreich anwandeln sollte, nicht schmeicheln, französische Beihilfe zu erhalten8.

II. Privatkorrespondenz mittelst des Telegraphen

Über die vom Ministerpräsidenten angeregte Frage, ob es nicht unter den gegenwärtigen Verhältnissen angemessen wäre, die Privatkorrespondenz durch den Telegraphen ganz zu untersagen, wie es Preußen getan, fand der Handelsminister Freiherr v. Bruck sich zu der Bemerkung veranlaßt, daß nach dem ihm genau bekannten Stande alles, was von Privaten telegraphiert wird, sich bloß auf Geschäfte beziehe, und da der Telegraph ohnehin meistens mit Regierungsdepeschen beschäftigt ist und somit für Privatkorrespondenzen wenig Zeit erübrigt, kein Grund vorhanden sein dürfte, gegenwärtig in dieser Beziehung eine Änderung vorzunehmen9.

III. Bauholzausfuhr nach Preußen

Dem Finanzminister Freiherr v. Krauß ist gestern eine telegraphische Depesche von dem Statthalter in Böhmen mit der Meldung zugekommen, daß viel Bauholz durch Sachsen nach Preußen ausgeführt werde, wobei zugleich die Anfrage gestellt wurde, ob nicht diese Ausfuhr zu verbieten und nicht auch auf Fleisch und Haber auszudehnen wäre10.

Der Finanzminister bemerkt, darüber mit dem Handelsminister Einvernehmen gepflogen und geantwortet zu haben, gegenwärtig und bis auf weitere Weisung ein solches Verbot, welches nur Beunruhigung verursachen würde, nicht zu erlassen; womit sich der Ministerrat umso mehr einverstanden erklärte, als durch ein solches Verbot auch Sachsen getroffen würde und noch keine offizielle Meldung vorgekommen ist, daß die königlich preußischen Behörden ein feindseliges Benehmen gegen uns angenommen hätten11.

IV. Einstellung des Eisenbahnverkehrs nach Prag

Der Handelsminister Freiherr v. Bruck eröffnete, daß der Herr Erzherzog Albrecht aden Eisenbahn­verkehr außer den Postzügen nunmehr auch diesseitsa nach Prag eingestellt habe, wozu kein Grund vorhanden sei und uns ungeheure Konfusionen bdieser für mehrere Tage nicht mehr abwendbaren Unregelmäßigkeiten im Truppen-, Material- und Provianttransportb verursache12.

Aus diesem Anlasse wurde der Kriegsminister Freiherr v. Csorich angegangen, an die Korps­kommandanten den Auftrag ergehen zu lassen, sie hätten, wenn sie eine solche Maßregel treffen wollen, hievon jederzeit früher die Anzeige hierher zu erstatten, wozu ihnen das Mittel des Telegraphen zu Gebote stehe, und eine Antwort hierüber würde ihnen auf demselben Wege ohne Zeitverlust zukommen13.

V. Gebietsverletzung in Dalmatien seitens der Türken

Der Minister des Inneren Dr. Bach teilte hierauf mit, daß wegen des Vorganges mit den türkischen Landungstruppen in der Suttorina die von Sr. Majestät brevi manu genehmigte Weisung an die dalmatinischen Behörden bereits abgegangen sei, welche dahin ging, künftig keine solche Landung zu gestatten und erforderlichen Falles Gewalt mit Gewalt zurückzutreiben14.|| S. 107 PDF ||

Der Minister bemerkte weiter, daß ihm heute ein Bericht mit der Meldung zugekommen sei, daß sich ein gleicher Fall auch in dem Kanal von Narenta bei Klek ergeben habe15. Nachdem mittlerweile den Behörden aus Anlaß des früheren Falles die Weisung für ihr Benehmen zugekommen sein wird, welche Weisung auch für diesen neuen Fall ihre Anwendung findet, so fand man eine neue Weisung zu erlassen nicht für notwendig. Nur der Kriegsminister hätte es für wünschenswert gehalten, aus Anlaß dieses neuen, noch grelleren Falles als des ersten, strengere spezielle Verhaltungsbefehle den Behörden zukommen zu machen16.

An den Besprechungen über die vorstehenden fünf Gegenstände haben die Minister Ritter v. Thinnfeld und Freiherr v. Kulmer keinen Teil genommen.

VI. Organisierung der Wiener Polizeibehörde

Derselbe Minister brachte weiter die Organisierung der hiesigen Polizeibehörde und zwar vorderhand nur die Bestellung ihres Vorstandes zur Sprache17.

Nach seiner Meinung wäre auf diesen Posten, für welchen der gegenwärtige Stadthauptmann Noe v. Nordberg18 nicht paßt, und den der Minister Dr. Bach zur Dienstleistung in sein Ministerium nehmen würde, ein energischer und tüchtiger Mann zu stellen, welcher der hiesigen Stadthauptmannschaft und ihren Beamten fremd ist, nämlich der Regierungsrat Weiss v. Starkenfels19. Derselbe habe sich in der schwierigsten Epoche durch eineinhalb Jahre in Siebenbürgen bewährt, seine Tätigkeit sei vollkommen befriedigend und er habe in Anerkennung seiner Dienstleistung bereits einen Orden erhalten.

Mit diesem Antrage erklärte sich der Justizminister Ritter v. Schmerling nicht einverstanden. Er bemerkte, daß v. Weiß, dessen Tüchtigkeit als Beamter er übrigens nicht nahetreten wolle, aus keiner Provinz, wo er bisher verwendet wurde, weggekommen sei, ohne einen ungünstigen Ruf zurückzulassen und als ein unbeliebter Mann zu erscheinen. So seien in Krakau und in Ried Klagen wegen seiner Übergriffe vorgekommen, und niemand habe mit ihm verkehren wollen. Von Ried sei er, um ihn nicht weiter selbständig zu lassen, nach Linz ins Gremium versetzt worden. Da alles dieses noch nicht vergessen sei, so würde seine Anstellung in Wien jedenfalls eine unangenehme Sensation verursachen. Der Minister Ritter v. Schmerling glaubte ferner nicht verschweigen zu sollen, daß ihm vorgestern eine Beschwerde aus Siebenbürgen zugekommen sei, welche, wenn sie gegründet gefunden wird, eine Untersuchung gegen Weiss zur Folge haben könnte. Nach derselben hat Weiss vom Pronotär zum Nachteile der Gegenpartei und im Interesse seiner Frau und ihrer Verwandten die Herausgabe von Originalakten erwirkt, worüber die Gegenpartei sich sehr beschwert.|| S. 108 PDF ||

Dagegen glaubte der Minister des Inneren bemerken zu sollen, daß vielleicht eine zu große Dienstbeflissenheit in Krakau und Ried dem v. Weiss eine Unannehmlichkeit zugezogen habe, und daß manche seiner früheren Verfügungen zu rasch und zu energisch gewesen sein mag, er sei aber älter und besonnener geworden, und seine Antezedentien und die frühere Unbeliebtheit dürften kein Grund sein, ihm die Anstellung hier zu versagen.

In Absicht auf die früheren gegen Weiss geführten Untersuchungen in Krakau und Ried, bemerkte der Finanzminister Freiherr v. Krauß, daß diese Untersuchungen nichts Nachteiliges für den Weiss herausgestellt haben. Er sei ein ehrlicher, sehr eifriger Beamter, der seine Schuldigkeit rücksichtslos tut und in der Ausübung seiner Amtspflicht bis an die äußerste Grenze geht. Ob es aber wünschenswert sei, denselben als eine unliebsame Persönlichkeit hier anzustellen, glaubte der Finanzminister bezweifeln zu sollen.

Der Minister Graf Thun würde die Unbeliebtheit des v. Weiss nicht als ein Hindernis seiner Anstellung hier erkennen, weil ein Beamter, je energischer er ist, desto leichter unbeliebt werden kann; bemerken müsse er jedoch, daß, solange die Angelegenheit nicht ausgetragen ist, die jetzt aus Siebenbürgen gegen Weiss anhängig wurde, es jedenfalls angemessener schiene, mit dessen Ernennung beziehungsweise Vorschlage innezuhalten. Zeigt es sich, daß die Klage ungegründet war, dann könne man sich für den Weiss aussprechen.

Ein Beschluß wurde nicht gefaßt, indem sich der Minister Dr. Bach vorbehielt, diese Angelegenheit noch weiter zu überlegen und selbe später wieder zum Vortrage zu bringen20.

VII. Ergänzung des Preßgesetzes

Hierauf besprach der Minister des Inneren das Preßgesetz21. Diesfalls sollen im Einvernehmen mit dem Justizminister nur mittlerweilige Bestimmungen getroffen werden, indem aus der gegenwärtigen Preßvorschrift alles, was Strafbestimmungen enthält, cweggelassen und die letzterenc die nähere Normierung in dem revidierten Strafgesetze erhalten würden22. Die Preßvorschrift, die hiernach nur kurz ausfallen würde, hätte sich nur auf die polizeiliche Tätigkeit wie Bezüge von auswärtigen Zeitungen u. dgl. zu beschränken.

Da der Ministerrat dieser Ansicht im Prinzipe beistimmte, so wird der Minister Dr. Bach den Justizminister angehen, hiernach die nötigen Bestimmungen in das revidierte Strafgesetz aufzunehmen.|| S. 109 PDF ||

Was die Preßvorschrift selbst anbelangt, bemerkte der Minister Dr. Bach vorläufig, daß dabei als Grundsatz angenommen werden will, die Herausgabe von Zeitschriften als einen Gewerbsbetrieb zu betrachten und sie von einer Verleihung einer widerruflichen Konzession abhängig zu machen.

Diese Ansicht teilten einige Stimmführer, während andere (die Minister Ritter v. Schmerling, Freiherr v. Krauß und Graf Thun und Thinnfeld) sich gegen die Erteilung von Konzessionen und für das diskretionäre Recht der Unterdrückung nach zweimaliger Verwarnung erklärten. Nach ihrer Ansicht besteht in der Kaution eine hinlängliche Garantie, und es ist ein Bedürfnis für die Minister, oppositionelle Journale zu haben, aus welchen sie oft die Wahrheit erfahren. Ferner wurde bemerkt, daß die Beschlagnahme wirksamer ist als die Konzession, daß in Italien jedes Gewerbe frei ist und wegen der Presse dort etwas Neues eingeführt werden müßte, daß die Konzession eine Präventivmaßregel und gegen die Verfassung wäre, welche bei der Presse alle Präventivmaßregeln ausschließt u. dgl.

Auch hierüber wurde kein Beschuß gefaßt, und der Minister Dr. Bach behielt sich vor, darüber noch Zusammentretungen zu halten und den Gegenstand neuerdings vorzubringen23.

VIII. Organisierung der Polizeibehörden in Ungarn

Schließlich erbat sich der Minister Dr. Bach die sofort erteilte Ermächtigung, zur Organisierung der Polizeibehörden in Ungarn zu schreiten, wornach in Pest, Ofen, Preßburg, Oedenburg, Kaschau und Großwardein Polizeidirektionen und in Schemnitz, Teplitz, Kaschau, Füred, Bartfeld, Käsmark und Arad Polizeiexposituren zu bestehen hätten24.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 5. Dezember 1850.