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Nr. 26 Ministerrat, Wien, 3. Mai 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • Abschrift; P. fehlt; VS. Ficquelmont; anw. Pillersdorf, Sommaruga, Krauß, Latour; BdE. fehlt.

MRZ. 611 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 3. Mai 1848 unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten Grafen v. Ficquelmont.

I. Abberufung Erherzog Rainers als Vizekönig von Lombardo-Venetien

Der provisorische Ministerpräsident übergab mit Beziehung auf den unterm 30. April 1848 gefaßten vorläufigen Beschluß zur Abberufung Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzog Vizekönigs des lombardisch-venezianischen Königreiches1 den hierauf bezüglichen Vortrag vom 3. Mai 1848, KZ. 16072, wogegen nichts zu erinnern und nur die Bemerkung anzufügen gefunden wurde, daß in Ansehung der sonach aufzulösenden vizeköniglichen Kanzlei dem mit dem Pazifikationsakte des Königreiches beauftragten Grafen v. Hartig überlassen werden dürfte, eines oder das andere Individuum dieser Kanzlei zur Verwendung für die Zwecke seiner Mission in Anspruch zu nehmen3.

II. Behandlung der Beamten und Diener der aufgelösten geheimen Ziffernkanzlei

Der Ministerpräsident erstattete weiters seinen Vortrag vom heutigen Tage, KZ. 2824, über die Behandlung der Beamten und Diener der aufgelösten Geheimen Zifferkanzlei5.

Hierbei ergab sich das Bedenken, ob die Verhältnisse des Geheimen Kabinetts Ew. Majestät es gestatten, mehrere der noch dienstfähigen Beamten dieser Zifferkanzlei aufzunehmen, dann aber wurde vom Finanzminister Freiherrn v. Krauß bemerkt, daß der Antrag, sämtliche Beamte und Diener dieser Kanzlei ohne Rücksicht auf Dienstjahre mit dem ganzen Gehalte in Disponibilitätsstand zu setzen, eine zu bedeutende Ausnahme von den bestehenden Direktiven in Anspruch nehme, welche er, Finanzminister, aus demselben Grunde nicht geraten fände, aus welchem sich schon im Vortrage gegen die allsogleiche Aufnahme einiger dieser Individuen in die Staatskanzlei ausgesprochen worden ist.

|| S. 147 PDF || In den bisher besonders in der Finanzbranche vorgekommenen Fällen, wo Beamte durch Auflösung ihrer Stellen im administrativen Wege dienstlos geworden sind, hat die Ah. Gnade Ew. Majestät denselben ein sogenanntes Begünstigungsjahr zuzugestehen geruht6, währenddessen die in Reduktion verfallenen Beamten ihre Bezüge behielten, und, wenn sie im Laufe dieses Jahres irgendeine Wiederanstellung erhielten, diese Bezüge auf neuen, wenn auch geringer dotierten Posten übertrugen. War das Jahr abgelaufen, ohne daß der Beamte eine Wiederanstellung erhalten hätte, dann trat dessen normalmäßige Behandlung, nämlich dessen Versetzung in den Quieszentenstand mit der ihm nach seinen Dienstjahren gebührenden Quote seines Aktivitätsgehaltes ein.

Diese Behandlung hat die doppelte Rücksicht für sich, einmal, daß der Beamte für die erste Zeit seiner Dienstlosigkeit der Sorge um seine Existenz überhoben ist, dann aber, daß die nach einem Jahre bevorstehende normalmäßige Behandlung ihn anspornt, sich nur umso eifriger um Wiederanstellung selbst zu bewerben, wogegen in dem Falle, wenn den reduzierten Beamten der Genuß des ganzen Gehaltes ohne Einschränkung für die Dauer der Disponibilität zugesichert werden wollte, kaum zu erwarten sein dürfte, daß einer sich um eine Wiederanstellung ernstlich bewerben würde. Nach diesem Grundsatze dürften daher auch die Beamten der Zifferkanzlei, die weder sogleich in Ruhestand versetzt, noch anderwärts untergebracht werden können, zu behandeln sein, das ihnen zu gewährende Begünstigungsjahr aber aus Rücksichten der Billigkeit statt vom Zeitpunkte der Auflösung des Amtes von einem späteren Termine, allenfalls vom 1. Juni 1848 an, zu laufen habe.

Mit diesem Antrage haben sich nicht nur die übrigen Minister, sondern auch der Ministerpräsident umso mehr einverstanden erklärt, als es nach der Versicherung des Freiherrn v. Krauß der Ah. Gnade, gleichwie in früheren Fällen so auch hier, vorbehalten bleibt, die im Laufe des ersten Jahres nicht untergebrachten Beamten durch Verlängerung des Begünstigungsjahres zu berücksichtigen7.

III. Pensionierung des Freiherrn Johann Talatzko v. Gestietitz

Der Minister des Inneren übergab den beiliegenden Vortrag vom 3. Mai 1848, KZ. 16088, wegen Versetzung des nö. Regierungspräsidenten Baron Talatzko in den Ruhestand. Die schon längere Zeit, besonders seit den letzten Ereignissen bemerkte Abnahme der Tatkraft dieses Präsidenten (wovon auch ein mitgeteiltes Schreiben eines Schätzungskommissärs aus Niederösterreich einen weiteren Beleg liefert, welcher versichert, daß im ganzen Lande keine Spur eines Einschreitens der Kreisämter und der Regierung wahrzunehmen sei) – verbunden mit der Schwäche, die der Präsident bei dem im Vortrage dargestellten Vorfalle an den Tag gelegt hat9, lassen sämtliche Glieder die unbedingte Notwendigkeit der Enthebung desselben vom Amte erkennen.

|| S. 148 PDF || Der Minister des Inneren setzte noch hinzu, daß auch die am Schlusse seines Vortrages eingelangte, in einer Note von ihm nur kurz berührte Rechtfertigungsschrift des Präsidenten über den Vorfall vom 2. dieses10, nicht geeignet sei, das Benehmen des Präsidenten bei diesem Vorfalle in einem milderen Lichte erscheinen zu lassen. Denn hätte derselbe, wie er sollte, die zu ihm eingedrungenen Menschen gehörig aufzuklären versucht, oder nötigenfalls dieselben in das Kloster der Redemptoristen geleiten lassen, so würden sie sich überzeugt haben, daß dasselbe bereits zu Büros eingerichtet und von allen Geistlichen verlassen sei. Statt dessen wies er sie an ihn, den Minister, dem es nur nach vielem Zureden gelungen, die Leute mit der Versicherung zu beruhigen, daß ihm von dem Wiederauftreten der Redemptoristen nichts bekannt sei.

Was insbesondere die in den Händen dieser Leute befindlich gewesenen, die Redemptoristen betreffenden Aktenstücke anbelangt, so sichert zwar der Präsident die Anzeige des Resultates der Untersuchung zu, welche er über die Erfolgung derselben aus der Registratur eingeleitet zu haben berichtet. Allein, es war jedenfalls gefehlt, die Leute mit denselben abgehen zu lassen, und er, der Minister, habe sich nicht berufen gefühlt, diese Akten zu übernehmen, sondern nur für seine Pflicht gehalten, die Vorzeiger derselben mit Ernst aufzufordern, selbe dorthin wieder abzuliefern, woher sie sie erhalten.

Wenn endlich der Regierungspräsident versichert, seinen Präsidialsekretär mit den eingedrungenen Personen zum Minister abgeordnet zu haben, so muß dieser die Angabe dahin berichtigen, daß der Präsidialsekretär zwar im Büro des Ministers sich gezeigt haben, und als er diesen nicht daselbst traf, sogleich wieder verschwunden sein soll, ihm, Minister, aber selbst gar nicht zu Gesichte gekommen ist11.

IV. Krawalle beim fürsterzbischöflichen Palais

Die in der Nacht vom 2. auf den 3. dieses stattgehabten Tumulte und Charivaris beim fürsterzbischöflichen Palais und anderen Orten waren die Folgen jener Vorgänge12. Hierüber teilte der Minister einen Bericht des hiesigen Polizeioberdirektors mit13, aus welchem zu ersehen, daß zwar die Nationalgarde gegen die Tumultuanten aufgeboten, an einem wirksamen Einschreiten aber teils durch die verhältnismäßig große Zahl der versammelten Volksmenge, teils durch den Umstand gehindert worden ist, daß unter der Volksmasse selbst viele Nationalgarden sich befanden und gröbere Exzesse nicht vorfielen. Militärgewalt anzuwenden, schien dem Polizeidirektor nicht ratsam.

Da auf heute Nacht ähnlicher Unfug besorgt wird, so ist bereits die Einleitung getroffen worden, daß durch Bereithaltung größerer Abteilungen der Nationalgarde und zahlreicherer Patrouillen für Aufrechthaltung der Ordnung gesorgt werde.

Während des Vortrages erhielt der Minister ein Schreiben von Dr. Lerch, Dekan der medizinischen Fakultät14, worin ersterer dringend aufgefordert wird, den Ministerrat || S. 149 PDF || zur sogleichen Veranlassung einer Kundmachung wegen gänzlicher Abschaffung der Redemptoristen zu vermögen, indem sonst bei der noch fortwährenden Aufregung für den morgigen Tag ernstliche Exzesse zu besorgen seien.

Nicht sowohl diese Drohung (da Spuren einer besonderen Aufregung nicht bemerkbar waren) als vielmehr die Überzeugung von der Unhaltbarkeit der in den letzten Dezenien der Monarchie aufgedrungenen geistlichen Orden, welche, weit entfernt, den Zwecken, die man mit ihrer Einführung erreichen wollte, zu entsprechen, nur Uneinigkeit gestiftet, Erbitterung erzeugt und selbst nach dem Urteile der Verständigeren unter dem Volke den Keim zu den jetzigen Übeln gelegt haben, bestimmte den Ministerrat zu der Ansicht, daß es wünschenswert und dringend sei, in einem Zeitungsartikel erklären zu lassen, der Ministerrat habe beschlossen, nicht nur den Orden der Redemptoristen, sondern auch jenen der Jesuiten im Umfange der ganzen Monarchie aufzuheben.

Baron Krauß machte zwar bemerklich, daß die Jesuiten doch mehr Sympathien im Volke haben dürften, und namentlich in Galizien, wo sie die nationale Partei ergriffen haben. Aber dies letztere, bemerkte Baron Pillersdorf, wäre gerade ein Motiv mehr, sie aufzuheben, und da sie in den anderen Provinzen gewiß nicht beliebt, in Gratz sogar tatsächlich vertrieben15, und selbst in Rom vom Oberhaupte der Kirche aufgehoben worden sind16, so ist es besser, die Aufhebung ihres Ordens, die denn doch früher oder später unausbleiblich erfolgen müßte, gleich jetzt bei diesem Anlasse und mit einem Male auszusprechen.

Der Ministerrat, dem ohnehin in den Tagesblättern unaufhörlich der Vorwurf der Langsamkeit und Unentschlossenheit gemacht wird, würde durch eine solche gewiß willkommene Erklärung wenigstens diesen einen so oft ausgebeuteten Vorwand zur Unzufriedenheit beseitigen17.

V. Beruhigung der akademischen Jugend; Agitation des polnischen Komitees in Wien

Es ist ferner gewiß, daß in der zahlreichen akademischen Jugend, die von aufreizenden Einwirkungen Fremder und Einheimischer so leicht entflammt wird, ein bedeutendes Element der Gärung vorhanden ist. Es kann nur wünschenswert sein, sie sobald als möglich zu zerstreuen, weshalb der Minister des Inneren den provisorischen Unterrichtsminister auffordern zu müssen erachtete, die Einleitung treffen zu wollen, daß den Studierenden bei den Prüfungen alle möglichen Erleichterungen verschafft und sie sodann bestimmt werden mögen, von dem bedeutend früheren Eintritte der Ferien zur Entfernung von Wien Gebrauch zu machen. Reisen gleich nicht alle und bleiben auch die Hauptagitatoren, als welche die Doktoren bezeichnet werden, zurück, so wird doch wenigstens die Masse des zündbaren Stoffes verringert und ist dann in ihrem Wirken nach außen leichter zu beschränken18.

Der Ministerpräsident hielt wohl noch ernstere Maßregeln zur Unterdrückung des überhandnehmenden Unfuges der Straßentumulte, der steten Aufwiegelung durch || S. 150 PDF || Fremde und Einheimische mittelst öffentlicher Reden, Maueranschlägen, Versammlungen etc. für notwendig (in welcher Beziehung auch Baron Krauß auf Wegweisung der polnischen Deputierten19 hindeutete). Graf Ficquelmont meinte, daß solche Exzesse nach den noch immer geltenden Gesetzen geahndet, und daß, falls dieselben unzureichend wären, neue gegeben werden sollten, um dem bisherigen gesetzlosen Treiben mit allem Nachdrucke zu begegnen. Insbesondere wird er durch die wiederholten Berichte des Gouverneurs von Galizien an den Minister des Inneren auf die Schädlichkeit des Treibens des in Wien befindlichen geheimen Polenkomitees20 aufmerksam gemacht, von dessen Bekämpfung nicht bloß die Ruhe der Residenz, sondern auch die Kraft der Regierung in Galizien gewinnen könnte.

Baron Pillersdorf erklärte aber, daß er bei der Behutsamkeit und Klugheit, mit welcher die Agitatoren ihr Werk betreiben, bei der Unzulänglichkeit der in ihrem Wirken gelähmten Polizeiorgane und bei dem Widerstreben der Nationalgarde, sich an deren Stelle gebrauchen zu lassen, nicht imstande sei, in dieser Beziehung präventiv mit Erfolg einzuschreiten, daß er insbesondere die Abschaffung der mit regelmäßigen Pässen versehenen Mitglieder der polnischen Deputation nicht veranlassen könne, und bezüglich der Erledigung ihrer Petition (wie er schon im Ministerrate vom 26. April bemerkte21) die noch immer aushaftende Äußerung des Grafen Stadion abwarten müsse22.

Noch eines Umstandes ward erwähnt, der fortan eine Bewegung erhält. Es ist das Gerücht, als würde ein Teil der öffentlichen Geschäfte noch immer in der früheren Art mit Intervenierung des aus dem Ministerrate getretenen Grafen Kolowrat besorgt, was zu verschiedenen Deutungen und Übertreibungen Anlaß gibt.

Es wäre sonach, wie Baron Sommaruga vermeinte, vielleicht vom guten Erfolge, wenn jene hohen Personen, welche mit dem erwähnten Gerüchte in Verbindung stehen, durch Änderung ihres Aufenthaltsortes jeden Vorwand zu unbegründeten Gerüchten beseitigen wollten.

VI. Lage in Krakau

Baron Pillersdorf teilte einen Bericht des GM. Baron Moltke aus Krakau vom 29. April mit, wonach daselbst Ruhe, wenngleich große Spannung der Gemüter herrscht23.

VII. Rücktrittsgesuch Grödels

Von ebenda kam ein Bericht des Polizeikommissärs Grödl vor, welcher bittet, von dem Amte als provisorischer Polizeidirektor, dem er sich nicht gewachsen fühle, enthoben zu werden. Er empfiehlt zu seinem Nachfolger den Syndikus von Podgorze Seemann24. Allein dieser soll keinen guten Ruf haben, auch der galizische Landesreferent || S. 151 PDF || bei der vereinigten Hofkanzlei wußte außer dem Senator Kopp, der zur Zeit des Freistaates die Polizei leitete und noch am meisten Gewicht haben dürfte, niemand zu bezeichnen.

Baron Krauß deutete auf den sehr tüchtigen Hofsekretär Baron Päumann, der lange in Galizien diente.

Der Minister des Inneren wird aber vorläufig hierwegen von dem, nun schon in Krakau angekommenen FML. Grafen Schlik25 eine bestimmte Auskunft abverlangen und bis dahin keine entscheidende Verfügung treffen26.

Die Erledigungsentwürfe ad I. wegen Abberufung Sr. kaiserlichen Hoheit des Herrn Erzherzog Vizekönigs befinden sich auf dem diesfälligen Votantenbogen zur KZ. 1607, MR. 493/1848.

Ferdinand. Wien, den 6. Mai 1848.