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Nr. 22 Ministerrat, Wien, 29. April 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Ficquelmont; anw. Pillersdorf, Krauß, Sommaruga, Zanini; BdE. Ficquelmont (30. 4.), Franz Karl (30. 4.).

MRZ. 544–545 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 29. April 1848.

I. Tägliche Ministerratssitzungen

Der Ministerpräsident eröffnete die Sitzung mit dem Vorschlage, daß der Ministerrat sich bei der gegenwärtigen, so ereignisreichen Zeit täglich zu versammeln hätte, um sich über die Sachenlage und die derselben entsprechenden Verfügungen im kürzesten Wege verständigen zu können. Diesem Vorschlage wurde allseitig beigestimmt.

II. Absendung Franz Graf Schliks zu Bassano und Weißkirchen nach Krakau

FML. Zanini eröffnete, daß er sich durch die Verwundung des Grafen Castiglione bei den jüngsten Krakauer Ereignissen1 bestimmt gefunden habe, den FML. Grafen Schlick aus Prag hierher zu berufen2 und ihn nach Krakau sofort, und zwar am 30. April morgens, abzusenden, damit er, im Falle der Verhinderung des FML. Grafen Castiglione das Amt eines bevollmächtigten Hofkommissärs daselbst unter der Leitung Castigliones provisorisch übernehme3. Diese Verfügung sowohl als die diesfälligen vom Kriegsminister vorgelesenen Erlässe an die FML. Schlick und Castiglione, dann den GM. Baron Moltke4 wurden allseitig gebilligt.

III. Zustände in Krakau

Der Minister des Inneren verlas ein Schreiben des galizischen Landesgouverneurs über die Zustände in Krakau, welche er noch für bedenklicher hält als jene || S. 121 PDF || in Posen5. Graf Stadion erklärt sich außerstande, einen geeigneten Beamten zur Geschäftsleitung in Krakau abzusenden, und findet, daß ein höherer Militär noch am ersten in der Lage sei, diese verwickelten Verhältnisse durch entschiedenes, mit gehöriger Militärmacht unterstütztes Auftreten zu beherrschen. Der Gouverneur findet die Schwierigkeiten und Umtriebe, welche sich von Krakau aus über Galizien verbreiten, so gefährlich, daß er sich für die Aufgebung dieses Gebietes ausspricht, zumal man sich gegen einen im Auslande gelegenen Revolutionsherd besser schützen könne, als gegen Machinationen, welche von einem Teile des Inlandes ausgehen, in welchem die Regierung ‘beinah‘ gar keine Macht mehr besitzt.

Der Minister des Inneren erklärte, er müsse seinerseits ebenfalls die Lostrennung Krakaus von der Monarchie für wünschenswert betrachten, so wie auch die Erwerbung dieses Gebietes der Ursprung des Übels gewesen sei6.

Der Ministerpräsident entgegnete hierauf, unter Zustimmung der übrigen Minister, daß das Übel schon zur Zeit, als Krakau noch Freistaat war, in einem sehr ausgedehnten Maße vorhanden gewesen sei; diese Stadt bildete schon lange, mit Warschau und Posen, den Zentralpunkt der revolutionären Bewegungen, und darin ist auch der Grund, warum sowohl Preußen als Rußland sich mit der Inkorporierung des Freistaats einverstanden erklärten. Krakau, von uns geräumt, würde allsobald von den Russen besetzt werden, und wenn dies gleich dem revolutionären Treiben daselbst wohl großenteils ein Ende machen dürfte, so hätte es dagegen wieder den überwiegenden Nachteil, daß eine so wichtige militärische Stellung in die Hände unseres übermächtigen Nachbars gelegt wäre, der von dort aus mit Leichtigkeit und fast ohne Hindernis in das Herz der Monarchie operieren könnte. Andererseits sei es beruhigend, aus den neuesten Krakauer Berichten zu entnehmen, daß ein Teil der dortigen Bevölkerung seine Sympathien für Österreich offen ausspricht. Preußen habe auch bereits die Zusicherung erteilt, daß es das weitere Zuströmen polnischer Revolutionärs aus Frankreich und Deutschland nach Krakau verhindern werde7.

IV. Rücktritt Graf Johann Ernst Hoyos-Sprinzensteins vom Oberkommando der Nationalgarde; Bestellung von FML. Heinrich Ritter v. Hess zu seinem Nachfolger

Der Minister des Inneren legt das an Se. Majestät gerichtete Gesuch des Oberkommandanten der Nationalgarde Grafen Hoyos vor, worin er um Enthebung von dieser Stelle bittet8. Baron Pillersdorf, obgleich den Rücktritt des Grafen Hoyos sehr bedauernd, vermöge gegen die für diesen Entschluß angeführten Gründe keine Erinnerung zu erheben.

Soferne Se. Majestät dem Gesuche des Grafen Hoyos Ag. zu willfahren geruhen, und es sich also um die Wiederbesetzung des Postens handle, glaubte Baron Pillersdorf auf den FML. v. Hess9 hindeuten zu sollen, welcher ihm alle dazu nötigen Eigenschaften zu besitzen scheine, wie auch Graf Hoyos mündlich sich gegen ihn geäußert hat.

Die übrigen Minister teilten gleichfalls die Ansicht von der vorzüglichen Eignung des FML. Hess zum Oberkommandanten der Nationalgarde; da jedoch von verschiedenen Seiten in Zweifel gezogen wurde, ob derselbe auch diese Bestimmung wünsche und sie mit seinen Geschäften als Chef des Quartiermeisterstabes ohne übermäßige Anstrengung werde vereinigen können, so wurde beschlossen, daß Baron Pillersdorf vor allem mit FML. Hess über diesen Punkt Rücksprache pflegen werde. In zweiter Linie fanden alle Stimmen den auch vom Grafen Hoyos bezeichneten FML. Wocher10 in jeder Beziehung für den fraglichen Posten ganz geeignet11.

V. Ernennung des Carl Freiherrn v. Mecséry de Tsóor zum Gubernialvizepräsidenten in Böhmen

Der Minister des Inneren verlas hierauf seinen Vortrag vom 28. April 1848 12 wegen Ah. Ernennung des Kreishauptmannes Baron Mecséry13 zum Vizepräsidenten des böhmischen Guberniums nach der Bitte des Gubernialpräsidenten Grafen Leo Thun.

Diesem Antrage wurde einhellig beigepflichtet14.

VI. Bezüge Graf Leo Thuns

Hierauf legte Baron Pillersdorf seinen Vortrag vom 28. April 1848 15 vor, worin die Anträge wegen Bemessung der Bezüge für den Gubernialpräsidenten Grafen Thun16 || S. 123 PDF || der Ah. Schlußfassung unterzogen werden. Diese Anträge, wonach Graf Leo Thun einen jährlichen Gehalt von 12.000 fl., dann 4.000 fl. an Tafelgeldern zu beziehen und für die erste Einrichtung 5.000 fl. zu erhalten hätte, wurden vom Finanzminister und den übrigen Ministern als das wirkliche Bedürfnis keineswegs überschreitend anerkannt, so daß sie zur Ah. Genehmigung völlig geeignet erscheinen17.

VII. Beschwerden bei den Wahlen für das deutsche Parlament aus Böhmen und Mähren

Der Minister des Inneren berichtete über die Angelegenheit der Wahlen für das Deutsche Parlament von Seite Mährens und Böhmens18.

Bei dem mährischen Landtage am 26. l. M. haben sich sehr viele Stimmen gegen die Vornahme der Wahlen wegen der zu befürchtenden Aufregung erklärt und schließlich wurde dabei beschlossen, die Entscheidung über diese Frage bis zu jenem Zeitpunkte zu vertagen, wo auch die Landbevölkerung beim Landtage vollständig vertreten sein wird (d. i. eine Vertagung von wenigstens sechs Wochen)19. Auch Graf Lažanzky erklärte, nach Vernehmung der Kreisämter, es sei vorzuziehen, daß die Wahlen gänzlich unterbleiben20.

Das sogenannte böhmische Nationalkomitee21 hat in einer durch Deputierte bei Sr. Majestät überreichten Eingabe gegen die Vornahme der fraglichen Wahlen protestiert22. Andererseits hat eine Deputation von Deutschböhmen um Schutz bei den Wahlen gebeten und erklärt, daß diese Wahlen von ihnen, selbst ohne förmliche Aufforderung von Seite der Landesstelle, jedenfalls würden vorgenommen werden23.

Der hierüber auf kurzem Wege vernommene Graf Leo Thun habe gegen den Minister des Inneren konfidentiell geäußert, daß, so wie die Sachen in Böhmen stehen, eine || S. 124 PDF || Aufregung unvermeidlich sei, man möge nun die Wahlen ausschreiben oder nicht24. Unter diesen Umständen sei es geraten, daß die Regierung auf ihrem einmal gefaßten Beschlusse der Ausschreibung bestehe, um keine Schwäche zu zeigen, und man die Sache ihrem weiteren natürlichen Gange überlasse, ohne jemanden weder zur Wahl noch zur Annahme der auf ihn gefallenen Wahl zu zwingen. Graf Thun habe jedoch gebeten, daß der Beschluß des Ministerrates über diesen Punkt als ein motu proprio und nicht als das Resultat seiner Einvernehmung erscheine.

Baron Pillersdorf erklärte, er sei mit dem Antrage des Grafen Thun umso mehr einverstanden, als die österreichische Regierung bezüglich der Beschickung des Parlaments in Frankfurt sowohl dem Deutschen Bunde als ihren eigenen deutschen Untertanen gegenüber Verpflichtungen habe, welcher sie sich nicht entschlagen könne. Es wurde sofort vom Ministerrate beschlossen, dem böhmischen Gubernium ohne Verzug in dem oben angedeuteten Sinn eine Weisung mit dem ausdrücklichen Beisatze zu geben, daß sich die österreichische Regierung auf jeden Fall die Ratifikation der Frankfurter Parlamentsbeschlüsse vorbehalte25.

VIII. Auflösung des Wiener galizischen Komitees

Graf Franz Stadion hat in einer an den Minister des Inneren gerichteten Zuschrift26 gebeten, daß das in Wien bestehende galizische Komitee27, welches die Agitation im Lande nährt und leitet, aufgehoben und dessen Mitgliedern von Wien entfernt würden. Insbesondere sei es dringend notwendig, sich der Person eines Individuums namens Dobrzánski28 zu versichern, welcher die hochverräterischen Pläne des vom Grafen Stadion soeben in Lemberg aufgelösten Komitees29 als Zeitungsredakteur und in anderen Wegen auf das tätigste befördert habe.

Baron Pillersdorf erklärte, daß er in Ermangelung konstitutioneller Veranlassung und gerichtlicher Inzichten es nicht für rätlich halte, gegen das hiesige Komitee und Dobrzánski in der angedeuteten Weise einzuschreiten und daher den Grafen Stadion auffordern wolle, womöglich gesetzliche Anhaltspunkte zum Verfahren zu liefern. Der Wiener Polizeidirektor sei gleichfalls zu geschärfter Aufmerksamkeit angewiesen30.

IX. Bestellung Anton Hyes zum Generalsekretär des Justizministeriums

Der Justizminister trug aus den in dem vorgelegten au. Vortrage vom 29. d. M.31 entwickelten Gründen darauf an, daß Professor Anton Hye32 dem Ministerium || S. 125 PDF || der Justiz als Generalsekretär zugewiesen werde. Hye würde sein Lehramt an der Wiener Universität beibehalten und zu seinen dermaligen Bezügen per 2500fl. nur noch eine Funktionszulage von 1500 fl. erhalten, damit sein gesamter Dienstgehalt auf 4000 fl. gebracht werde. Quartiergeld und Diäten wären ihm nach dem Maße, welches der Kategorie der Hofräte gebührt, zu bemessen.

Diese in jeder Beziehung völlig gerechtfertigten Anträge wurden einstimmig der Ah. Sanktion unterzogen33.

X. Manipulation bei den Zivilprozeß- und Kriminalsachen zweiter und dritter Instanz

Der Justizminister überreichte ferner einen Vortrag vom 29. l. M. 34, worin er bittet, daß die Referenten zweiter und dritter Instanz in Zivilprozeß- und Kriminalsachen von der Verfassung eigener Extrakte aus den Akten enthoben und ermächtigt würden, ihren Anträgen die Aktenauszüge der ersten Instanz – mit den nötigen Ergänzungen oder Berichtigungen – zum Grunde zu legen.

Dieser, eine wesentliche Erleichterung der ohnehin mit Arbeiten überhäuften Räte der höheren Instanzen und eine Verminderung der unnützen Schreibereien bezweckende Antrag wurde vom Ministerrate einstimmig der Ah. Genehmigung unterzogen35.

XI. Erlaubnis für böhmische Justizbeamte, sich gegen Presseangriffe zu wehren

Der Justizminister eröffnete, daß die böhmischen Justizbeamten die Erlaubnis angesucht hätten, sich gegen verleumderische Angriffe der Presse über ihre Gestion auf demselben Wege zu verteidigen36. Es wurde hierüber beschlossen, diese Ermächtigung unter Kontrolle der Präsidien bezüglich der zu veröffentlichenden faktischen Verhältnisse und mit dem Vorbehalte zu erteilen, daß eine solche öffentliche Polemik nicht pendente lite zum Nachteil der Parteien geführt werde37.

XII. Bezüge der Minister

Schließlich kamen die Anträge des Finanzministers wegen Bestimmung der Amtsbezüge und Emolumente der Portefeuilleminister in Beratung. Diese im Vortrage vom 24. April 1848 38 entwickelten Anträge gehen im wesentlichen dahin: a) daß jeder Portefeuilleminister einen Dienstgehalt von 8000 fl. erhalte; b) daß die mit keinem Naturalquartier beteilten Minister ein Quartiergeld von 2000 fl. genießen sollen; c) daß die zur Führung eines offenen Hauses verpflichteten Minister 8000 fl., die übrigen aber 4000 fl. als Funktionszulage beziehen. Für den Minister des Äußern und des Hauses wären 16.000 fl. als Funktionszulage festzusetzen; d) daß die Minister beim Antritte ihres Amts mit einem Einrichtungspauschale von 4000 fl. zu beteilen wären. e) Den Ministern, welche freie Wohnung genießen, wäre das bisherige Deputat von 181 Klafter Holz künftig nicht mehr zuzuweisen. f) Der dem jeweiligen Hofkammerpräsidenten || S. 126 PDF || unter ganz anderen Verhältnissen bewilligte Genuß eines Mautäquivalents per 1000 fl. hätte künftig ganz zu entfallen. g) Dem Kriegsminister wären die mit seiner Militärcharge verbundenen Bezüge in der Art belassen, daß, wenn der Dienstgehalt per 8000 fl. dieselben überstiege, der Mehrbetrag dem Minister besonders zu erfolgen wäre. h) Insofern die jetzigen Minister durch diese Reglung der Gehalte und Funktionszulagen an ihren dermaligen Bezügen eine Einbuße erleiden, denselben der Entgang in Form einer Personalzulage für die Zeit ihrer aktiven Dienstleistung gewährt werde.

Der Ministerrat stimmte den dem Interesse des Staatsschatzes völlig entsprechenden Anträgen des Finanzministers in allen Punkten bei und glaubte, Ew. Majestät au. vorschlagen zu sollen, daß nebst dem Minister des Äußern und des Hauses noch der Minister des Inneren und jener der Finanzen zur Führung eines offenen Hauses zu verpflichten seien39.

Der diesen au. Anträgen wegen Bemessung der Ministergehalte entsprechende Resolutionsentwurf wird Ew. Majestät abgesondert unter KZ. 1510/1848, MR. 372, ehrerbietigst unterzogen. Die übrigen Resolutionsentwürfe, welche den zu Nr. V, VI, IX und X gefaßten Beschlüssen des Ministerrates entsprechen, folgen hier auf der Nebenspalte.

Am 30. April 1848. Ficquelmont. Ges. 30. April. Franz Karl. Vidi. Ferdinand. Wien, den 1. Mai 1848.