Nr. 412 Ministerrat, Wien, 5. November 1863 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 7. 11.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Forgách (16. 11.), Esterházy (17. 11.), Burger, Hein; abw.abwesend Nádasdy; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 20. 11.
MRZ. 1216 – KZ. 3646 –
Protokoll des zu Wien am 5. November 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Rainer.
I. Maßregeln zur Herstellung der Ordnung in Galizien: a) kaiserliches Manifest; b) Genehmigung desselben; c) Ministerialverordnung über die Ausnahmsmaßregeln
Der Staatsminister referierte, daß Se. Majestät der Kaiser bei der dringenden Notwendigkeit, in Galizien der herrschenden Aufregung und den gefährlichen Übergriffen der geheimen Regierung ein Ziel zu setzen1, die Ergreifung folgender außerordentlicher Maßregeln vorläufig im Grundsatze zu genehmigen geruht haben2: 1. die Überweisung der Untersuchungen über Mord, Hochverrat etc. an die Militärgerichte; 2. die Suspension des Gesetzes über die persönliche Freiheit und 3. die Einräumung einer diskretionären Gewalt an den galizischen Landeschef in derselben Art, wie sie den Statthaltern in der Lombardei und Venetien eingeräumt wurde3; 4. endlich die Erlassung eines Ah. Manifests an die Bewohner Galiziens, in welchem die Motive der Verfügungen 1, 2 und 3 dargelegt und zur Berichtigung der herrschenden Begriffsverwirrung der Ah. Wille ausgesprochen würde, die Verbindung Galiziens mit der Gesamtmonarchie aufrechtzuerhalten.
a) Die Fassung dieses Manifests habe der Staatsminister mit den Ministern Baron Mecséry und Ritter v. Lasser besprochen und es seien hiernach zwei Entwürfe zustande gekommen, wovon zuerst der Entwurf des Staatsministers verlesen wurde. Hierauf kam der Entwurf der beiden anderen Minister zur Vorlesung, der sich von dem ersteren nicht dem Wesen nach, sondern nur durch eine kürzere Fassung des Einganges und die bestimmte Hinweisung auf die fremde, geheim wirkende Macht unterscheidet. Minister Ritter v. Schmerling selbst fand diese letztere Hinweisung am Platz, und die Stimmenmehrheit gab dem zweiten Entwurfe den Vorzug, während sich bloß der Kriegs- und der Finanzminister für den ersten Entwurf erklärten. Bei der Spezialprüfung jedes Satzes im Entwurf der beiden Minister wurde beschlossen, der Tatsache ausdrücklich zu erwähnen, daß die geheime Regierung Steuern ausschreibt, weil dies eine flagrante Usurpation von Regierungsrechten begründet, ferner zu erwähnen, daß Se. Majestät die außerordentlichen Maßregeln „eingedenk Allerhöchstihrer Regentenpflicht“ getroffen haben. Über Antrag des Polizeiministers beschloß man weiters, von einer „Suspension verfassungsmäßiger Garantien“ nicht zu sprechen, da dieser grelle Ausdruck unnötigerweise die Kritik herausfordert, sondern die Verordnungen beiläufig „als Ausnahmsmaßregeln, geeignet, die Ordnung herzustellen“ zu bezeichnen. Der Schlußsatz gab in zweifacher Beziehung zu Beanständungen Anlaß: einmal durch die || S. 68 PDF || Worte, welche sich auf die äußere Politik Polens gegenüber beziehen. Der Staatsminister äußerte, er habe von der äußeren Politik und dem Festhalten an der bisherigen Politik deshalb sprechen zu sollen geglaubt, weil man bei der Vorberatung am l. d. M. rätlich fand, den Kaiser der Franzosen durch den Inhalt des Manifests selbst darüber zu beruhigen, daß Österreich keine Schwenkung in seiner politischen Richtung mache.
Der Minister des Äußern wünschte diesen Passus, wenn er nicht absolut nötig ist, lieber weggelassen zu sehen. Graf Forgách und Graf Esterházy stimmten unbedingt für die Weglassung dieser hier unnotwendigen und immerhin vagen Erklärung, zumal man den Pariser Hof auch auf einem anderen Wege als durch den Text des Manifestes beruhigen kann. Der den Vorsitz führende durchlauchtigste Herr Erzherzog forderte den Minister des Äußern und den Staatsminister auf, sich über eine anstandslose Fassung dieses Passus auf kurzem Weg zu verständigen. Ein weiterer Anstand ergab sich von Seite des Finanzministers gegen die Schlußworte, worin der Ah. Wille, die Verbindung Galiziens mit der Monarchie aufrechtzuerhalten, in einer nicht bloß entschiedenen, sondern so feierlichen Weise ausgesprochen wird, daß man sich fragen muß, ist denn der Besitz Galiziens schon so sehr gefährdet, daß Se. Majestät Allerhöchstsich in solcher Weise auszusprechen veranlaßt sehen? Solche Phrasen wären nur beim Ausbruch eines Krieges am Platz. Der Minister stimmte daher für die Streichung der Worte „aus allen Kräften“ und „mit Gottes Hülfe“. Die Majorität trat diesem Antrage bei.
b) Minister Ritter v. Lasser brachte hierauf die Form der Ausfertigung des Manifests zur Sprache, und zwar, ob dasselbe lediglich mit der Ah. Unterschrift zu versehen wäre. Der Staatsminister äußerte, das Präzedens des kaiserlichen Manifests im Jahre 18594 dürfte unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr maßgebend sein und es wäre daher nach seiner und des Polizeiministers Dafürhalten nebst der Unterschrift Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer noch die Beifügung der Gegenzeichnung des Ministers des Äußern und des Staatsministers angezeigt. Die des Ministers Grafen Rechberg insbesondere motiviere sich durch die Erwähnung der äußeren Politik im Manifeste. Der Minister des Äußern fand, daß, wenn unter bloßa zwei Gegenzeichnungen von Ministern die seinige erscheint, dies den Charakter des Manifests bals eines Aktes der inneren Verwaltung alteriere und ihm den einer Ansprache an das Auslandb verleihe. Ein Auskunftsmittel würde darin liegen, wenn das Manifest von sämtlichen Ministern kontrasigniert würde. Ritter v. Lasser und der Polizeiminister fanden, daß die Beifügung all dieser Unterschriften ein zu großes Operat für einen kaiserlichen Erlaß sei, der sich nur an ein Kronland richtet. Die Unterschriften der Träger der inneren und äußeren Politik dürften genügen. Der Staatsratspräsident teilte diese Meinung. Die Minister Baron Burger und Graf Esterházy stimmten gegen die Mitfertigung des Ministers des Äußern. || S. 69 PDF || Der ungarische Hofkanzler votierte für die Unterschriften des Gesamtministeriums, weil jede fehlende Unterschrift zu Glossen Anlaß gibt. Die Minister des Krieges und der Finanzen traten dieser Meinung bei, während Minister Ritter v. Hein glaubte, daß nebst Graf Rechberg und Ritter v. Schmerling auch die beim Vollzug der berufenen Ministerialverordnung beteiligten Minister (Baron Mecséry, Graf Degenfeld, v. Lasser und v. Hein) das Manifest mitzufertigen hätten. Die mehreren Stimmen – Graf Rechberg, Graf Forgách, Graf Degenfeld und Edler v. Plener – erklärten sich somit für die Gegenzeichnungen sämtlicher Minister5.
c) Minister Ritter v. Lasser verlas den Entwurf der Verordnung des Staats-, des Kriegs-, des Polizei- und des Justizministeriums über die in Galizien durchzuführenden Ausnahmsmaßregeln 1, 2 und 3. Der Staatsratspräsident äußerte, er sei von der Notwendigkeit solcher Maßregeln vollkommen überzeugt, allein es dränge sich ihm die Frage auf, wie man dieselben vor dem Reichsrate rechtfertigen wolle. Der Staatsminister erwiderte, die Rechtfertigung liege in der unabweisbaren Notwendigkeit zur Hintanhaltung sehr ernster Gefahren. Solchen Zuständen, wie sie jetzt in Galizien bestehen, und der geheimen Macht gegenüber käme man bei dem bestehenden Gesetz über die persönliche Freiheit nicht auf. Mag man 100.000 Mann in Galizien konzentrieren, sie nützen nichts, ohne Erweiterung der Befugnisse der Exekutivgewalt. Minister Ritter v. Hein wies auf die vorhandene Terrorisierung des Richterstandes – neuerlich in Przemysl durch einen Drohbrief6 – und der Staatsanwaltschaft – in Lemberg durch ein Todesurteil7 – vom Mord an Kuczyński zu geschweigen8. Bei den Militärgerichten, wo die Beisitzer stets wechseln, ist eine solche Terrorisierung schon aus diesem Grund nicht möglich. Man will die Regierung völlig entfernen, und sie muß um ihre Existenz kämpfen. Darin liegt die Verteidigung der Ministerialverordnung. Der Präsident des Staatsrates besorgt, daß man mit diesen Motiven im Abgeordnetenhause nicht durchdringen werde. Die Opposition wird geltend machen, daß die Regierung zu diesen Ausnahmen von bestehenden Gesetzen die vorläufige Ermächtigung des Reichsrates hätte erwirken sollen. Der § 13 finde nämlich hier keine Anwendung, weil er nur auf solche dringende Maßregeln paßt, die zu einer Zeit getroffen wurden, wo der Reichsrat nicht versammelt ist. Es wäre einfacher und leichter zu rechtfertigen, wenn man in Galizien den Belagerungszustand einführte. Man befände sich ja dort praktisch im Kriege mit der Revolution. Der Staatsminister antwortete, man habe Anstand genommen, sich für den Belagerungszustand zu entschließen, weil dies ein großes Hallo im In- und Auslande hervorrufen würde. Der Finanzminister stimmt zwar nicht gegen die beantragte Ausnahmsmaßregel, doch kann er sich den vom Staatsratspräsidenten erhobenen Bedenken nicht verschließen. Der ungarische Hofkanzler will ebenfalls nicht den Maßregeln entgegentreten, fände es aber doch sehr wünschenswert, wenn die Regierung die verfassungsmäßigen || S. 70 PDF || Grenzen einhalten könnte. Man denke an die leidenschaftlichen Verhandlungen, denen man – sei es in öffentlichen, sei es in geheimen Sitzungen – des Abgeordnetenhauses entgegengeht. Ließe sich nicht derselbe Zweck ohne legislativen Übergriff bloß auf faktischem Wege dadurch erreichen, wenn die galizischen Autoritäten in flagranten Fällen cund in Handhabung der Polizeigewaitc bloß nach der Opportunität vorgehen?
Von den übrigen Stimmen wurde gegen den Verordnungsentwurf keine Erinnerung erhoben9.
Wien, am 7. November 1863. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 20. November 1863. Empfangen 20. November 1863. Erzherzog Rainer.