Nr. 65 Ministerrat, Wien, 12. Mai 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 23. 5.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Degenfeld, Szécsen, Plener, Wickenburg (bei IV abw.abwesend), Pratobevera, Lichtenfels ; abw.abwesend Vay, Lasser (bei IV anw.anwesend); BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 23. 5.
MRZ. 845 – KZ. 1562 –
Protokoll des zu Wien am 12. Mai 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer
I. Interpellation über die Konfinierungen
Nach Zeitungsnachrichten soll im Hause der Abgeordneten eine Interpellation beabsichtigt werden des Inhalts: 1. ob es wahr sei, daß die unter dem vorigen Ministerium verfügten Konfinierungen aufrechterhalten werden, 2. ob gewählte Landtagsabgeordnete durch ihre Konfinierung gehindert wurden, ihr Mandat zu erfüllen, 3. auf welches Gesetz sich die Konfinierung gründe1. Der Polizeiminister hält es für notwendig, diese Interpellation, falls sie gestellt werden sollte, aausnahmsweise und abweichend von dem Konferenzbeschlusse über das bei Interpellationen im allgemeinen zu beobachtende Verfahrena, 2, unverweilt zu beantworten, damit dieselbe ein für allemal abgetan und nicht zum Anlasse weiterer Verhandlungen und Anträge genommen werde3. Er brachte daher zu diesem Ende die Angelegenheit in Vortrag, damit der Ministerrat sich über die zu erteilende Antwort einige. Das faktische Verhältnis ist folgendes: Als in den Jahren 1859 und 1860 Agitationen und Demonstrationen in einigen Ländern, namentlich im Venezianischen und in Südtirol, überhandnahmen, wurden die Länderchefs von Sr. Majestät ermächtigt, die Urheber oder hervorragenden Teilnehmer an derlei Kundgebungen, gegen welche strafgerichtlich nicht eingeschritten werden konnte, deren Verweilen in ihrer Heimat aber für die öffentliche Ruhe gefährlich war, zwangsweise von dort zu entfernen und ihnen einen bestimmten Ort, nach Umständen eine Festung, in einer anderen Provinz zum Aufenthalte mit mehr oder weniger Einschränkung anzuweisen4. Auf diese Art || S. 39 PDF || sind im ganzen 153 Personen (darunter jedoch etwa 50, welche nicht politisch kompromittiert, sondern in anderer Weise der öffentlichen Sicherheit gefährlich waren) konfiniert, von den politisch Kompromittierten seither 75 entlassen worden, so daß gegenwärtig nur etliche 20 der letzteren Kategorie konfiniert sind. Auch rücksichtlich dieser wird die Behebung der Konfinierung in Aussicht gestellt, wenn für deren ruhiges Verhalten in der Heimat Garantie gegeben wird.
Mit Rücksicht auf diesen Sachverhalt würde sich die Antwort ad 1. und 3. dahin erteilen lassen, daß die k. k. Regierung — wie jede andere Regierung im gleichen Falle — zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung genötigt war, mit dieser Maßregel gegen einzelne besonders gefährliche Individuen vorzugehen, um nicht mit strengeren Repressivverfügungen, wie z. B. Belagerungszustand im allgemeinen über einen Ort oder eine ganze Provinz, auftreten zu müssen. Sie habe, wie die Entlassung von 75 Personen beweise, das mögliche getan zur Behebung jeder mit der öffentlichen Sicherheit nicht unverträglichen Einschränkung der persönlichen Freiheit, und sie werde sich glücklich schätzen, dies auch bezüglich der wenigen noch von der Maßregel Betroffenen tun zu können. Ad 2. sei der einzige Konfinierte de Pretis in den Tiroler Landtag gewählt, von der Regierung bin der Konfinierung kein gesetzlicher Grund zur Versagung des Wahlzertifikats erkannt und zu diesem Ende seiner Abreise nach Innsbruck kein Hindernis in den Weg gelegt worden. Wenn derselbe übrigens in Innsbruck am Landtag nicht erschienen sei, sondern es vorgezogen habe, in seiner Heimat seine Privatangelegenheiten zu besorgen, statt seinem Mandate zu folgen, so sei wenigstens nicht ein Verbot der Regierung daran schuldb, 5.
Im allgemeinen war der Ministerrat mit diesen Anträgen einverstanden. Der Minister des Äußern glaubte dabei, daß zur Begründung der Notwendigkeit || S. 40 PDF || der Maßregel vorzüglich die Zustände im Venezianischen und in Südtirol hervorgehoben werden sollten, was jedoch der Polizeiminister widerriet, weil nicht bloß Personen aus diesen Provinzen, sondern auch aus anderen davon getroffen worden sind; dagegen nahm er keinen Anstand, der Bemerkung des Kriegsministers beizutreten, daß hervorzuheben sei, wie 1859 und 1860 der Ausbruch der Revolution so nahe war, daß die Verhängung des Belagerungszustandes bereits angetragen war, die Regierung aber sich mit der milderen Maßregel der Konfinierung einzelner begnügte. Einem weiteren Antrage des Ministers Freiherrn v. Pratobevera , die Gesetzmäßigkeit der Maßregel durch Berufung auf die Ah. Entschließung über einen diesfälligen Vortrag des Ministers des Inneren von 1851 zu rechtfertigen6, glaubte der Polizeiminister die Bemerkung entgegensetzen zu sollen, daß hier der Ah. Name Sr. Majestät nicht berufen, sondern im allgemeinen bloß darauf hingewiesen werden sollte, daß jede Regierung unter den obwaltenden Verhältnissen sich zu einer ähnlichen Maßregel gezwungen gesehen hätte. Ebensowenig hielt er die Andeutung desselben Ministers wegen künftiger gesetzlicher Einführung der Stellung von Individuen unter Polizeiaufsicht durch die Gerichte bei diesem Anlasse für angezeigt, weil dies viel weiter geht als die nur gegen politisch Kompromittierte verhängte Konfinierung und weil, wie der Staatsratspräsident bemerkte, für eine Stellung entlassener Verbrecher unter Polizeiaufsicht ohnehin die bestehenden Gesetze vorgesehen haben7.
II. Vertretung Istriens im Reichsrat
Se. Majestät haben die Auflösung des Istrianer Landtags und die Vornahme direkter Wahlen in Istrien zum Reichsrate anzuordnen geruht8. Gegen die Ausführung der letzteren ist jedoch dem Staatsminister das Bedenken aufgestoßen, daß gegenwärtig, wo der Reichsrat bereits versammelt ist, die Wahlordnung zur Vornahme der direkten Wahl nicht mehr im Verordnungswege erlassen werden könnte. Sie müßte als ein Gesetz der verfassungsmäßigen Mitwirkung im Reichsrate unterzogen werden und würde, itzt vor denselben gebracht, große prinzipielle Fragen hervorrufen, welche vorderhand ruhen sollten. Und da Istrien nur zwei Abgeordnete in den Reichsrat zu senden hat, ihr Ausbleiben also von minderer Bedeutung für diesen [und] überdies nicht durch die || S. 41 PDF || Schuld der Regierung, sondern durch die Schuld des eigenen Landtags herbeigeführt worden ist, so glaubte der Staatsminister, den Antrag stellen zu sollen, daß mit der Einbringung des diesfälligen Wahlgesetzs noch einige Zeit innegehalten und für itzt von der Vornahme der direkten Wahlen für Istrien abgegangen werden möge.
Die Konferenz war mit diesem Antrage einverstanden, wobei nur der Handelsminister bemerkte, daß das Abgeordnetenhaus wahrscheinlich selbst auf die Vornahme der direkten Wahl dringen werde, wozu die Regierung seines Erachtens durch den 3. Absatz des § 7 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung ermächtigt ist9.
III. Maßregeln wegen der von ungarischen Behörden verhafteten Finanzwachen
In betreff der Ausführung der in der Konferenz vom 7. d. M. (MRZ. 844) beschlossenen Maßregel zur Befreiung der drei von einer ungrischen Gerichtsbehörde in Verhaft genommenen Finanzwachen brachte der Finanzminister zur Kenntnis der Konferenz, daß er glaube, vorderhand davon absehen und die Vermittlung der ungrischen Hofkanzlei zur gütlichen Begleichung in Anspruch nehmen zu sollen, weil die ungrischen Gerichte nun einmal konstituiert sind und es sich herausgestellt hat, daß die Verhaftung der drei Finanzwachen wegen vermeintlicher Renitenz, dem Gerichte Auskunft über ihre Amtshandlung zu geben, erfolgt ist10. Um nun jedem Vorwurfe eines ungesetzlichen Vorgangs zu entgehen, würde der Finanzminister vorziehen, diese Sache auf dem gesetzlichen Wege durch Appellation zur Austragung zu bringen.
Die Mehrheit der Konferenz war hiermit einverstanden. Der Kriegsminister, Freiherr v. Pratobevera und der Staatsratspräsident glaubten dagegen, daß diese Angelegenheit in Verbindung zu bringen sei mit der Ah. Erledigung über den Antrag, die Finanzbeamten unter die Jurisdiktion der Militärgerichte in Ungern zu stellen, indem, wenn diese erfolgt sein wird, die Kompetenz der ungrischen Gerichte über diese Beamten von selbst entfällt. Der Handelsminister bedauerte, daß der Konferenzbeschluß vom 7. d. M. nicht zur Ausführung gelangen soll. Entgegen bemerkte der Staatsminister , daß, solange die Ah. Entschließung über jenen Antrag nicht erfolgt ist11, der Kriegsminister in dem vorliegenden konkreten Falle nichts veranlassen könne, daher vorderhand || S. 42 PDF || nichts erübrige, als dem auch vom Minister Grafen Szécsen vollkommen geteilten Antrage des Finanzministers beizutreten.
IV. Interpellation oder Petition wegen Rehabilitierung politisch Verurteilter
c Minister Freiherr v. Pratobevera stellte den Antrag, sich über die Antwort zu einigen, welche das Ministerium auf eine im Abgeordnetenhause zu erwartende Interpellation oder Petition um Rehabilitierung der wegen politischer Vergehen etc. Abgeurteilten zu erteilen hätte.
Der Staatsminister meinte, es sei vorerst abzuwarten, ob und wie diese Interpellation oder Petition werde gestellt werden. Alsdann sei es an der Zeit, sich über die hierauf zu erteilende Antwort zu beraten, nachdem grundsätzlich beschlossen worden, die Antwort niemals unmittelbar auf die Frage etc. folgen zu lassen. Hiermit war die Konferenz einverstanden; nur verlangte der Kriegsminister , der übrigens sich schon jetzt gegen jede derlei Amnestie aussprach, daß ihm die Tagesordnung der Häuser regelmäßig mitgeteilt werde, um auf etwaige ihn betreffende Anfragen gefaßt zu sein, was der Staatsminister zu vermitteln sofort zusagte12.
Wien, am 12. Mai 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 22. Mai 1861. Empfangen 23. Mai 1861. Erzherzog Rainer.