Nr. 37 Ministerrat, Wien, 23. März 1861 — Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 25. 3.), Rechberg, Mecséry, Vay, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg 29. 3., Pratobevera 29. 3., Lichtenfels 29. 3.; abw.abwesend Szécsen; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 31. 3.
MRZ. 811 – KZ. 986 –
- I. Anträge auf Ernennung von Staatsräten
- II. Öffentlichkeit der Sitzungen von Gemeindeausschüssen
- III. Maßregeln, um die Steuereinzahlungen in Ungarn wieder in Gang zu bringen
- IV. Nachsicht der Kommunalhaftung für die venezianischen Rekrutierungsflüchtlinge
- V. Reise des Handelsministers zur Eröffnung der französischen Ostbahn
Protokoll II des zu Wien am 23. März 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Anträge auf Ernennung von Staatsräten
Der Minister des Äußern brachte in Anregung, daß der Ministerrat von den Vorschlägen, auf Grundlage welcher soeben die Ah. Ernennung der Staatsräte stattgefunden hat1, keine Kenntnis erhielt und somit nicht in der Lage war, Sr. k. k. apost. Majestät ein Gutachten darüber au. zu erstatten. Gleichwohl wäre dies anicht nur aus dem höheren politischen Gesichtspunkt des einverständlichen Zusammenwirkens dieser beiden höchsten Behörden, sondern aus dem wünschenswert gewesena, um es Sr. Majestät au. gegenwärtig zu halten, wenn einer der vorgeschlagenen Funktionäre für den Ah. Dienst in einem Ministerium unentbehrlich schien.
Der Staatsminister erinnerte, man sei bei der Vorberatung des § 3 des Staatsratsstatuts in der Ministerkonferenzb von der ausdrücklichen Voraussetzung ausgegangen, daß diese Vorschläge des Staatsratspräsidenten im Einvernehmen mit dem Ministerrate zu erstatten sein würden2. Präsident Baron Lichtenfels erwiderte, daß ihm von den fraglichen Vorberatungen, an welchen er keinen Anteil nahm, nichts bekanntgeworden sei und er also sich darauf beschränken mußte, den Ah. Auftrag zu erfüllen, der einfach dahin lautete, seine Anträge über die Organisierung des Staatsratesc unmittelbar an Ah. Se. Majestät zu erstatten3, so wie auch das Statut des Staatsrates durchaus nichts von einer Unterordnung des Staatsrates oder von einem Einvernehmen mit der Ministerkonferenz enthalte. Die Minister Baron Mecséry, Baron Pratobevera und Edler v. Plener || S. 220 PDF || traten dem Minister des Äußern bei, letzterer mit dem Bemerken, daß, wenn die Vorschläge zur Besetzung der Posten eines Finanzlandes- dund Polizeidirektorsd, Oberlandesgerichtspräsidenten usw. im Ministerrate zu beraten sind, dies wohl um so mehr von den ungleich wichtigeren Vorschlägen zu Staatsräten zu gelten habe.
Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer eerklärten es für wünschenswert, wenn in künftigen Ernennungsfällen der Ministerrat auf irgendeine Weise rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werdee . Präsident Baron Lichtenfels erklärte, er sei zur Beobachtung aller Anordnungen vollkommen bereit, welche ihm mit Ah. Auftrag in dieser Hinsicht zugehen werden.
II. Öffentlichkeit der Sitzungen von Gemeindeausschüssen
Der Staatsminister referierte über seinen Allerhöchstenorts au. zu stellenden Antrag, daß die Öffentlichkeit der Gemeindeausschußsitzungen als Regel — mit Vorbehalt des Rechts der Abhaltung von geheimen Sitzungen — ausgesprochen werde. Von vielen Gemeinden in verschiedenen Kronländern sind bereits Gesuche um Gestattung der Öffentlichkeit dieser Sitzungen eingelangt. Noch mehrere werden bald folgen, und nachdem das Prinzip der Öffentlichkeit selbst bei den Reichsrats- und Landtagssitzungen angenommen worden ist, so scheint kein Grund mehr vorhanden, die Öffentlichkeit bei den Sitzungen der Gemeinderäte auszuschließen, sondern es erscheint vielmehr nur konsequent, daß die Regierung das unter anderen Verhältnissen erlassene diesfällige Verbot nunmehr aufhebe.
Sämtliche Konferenzglieder waren mit diesem Antrage einverstanden4.
III. Maßregeln, um die Steuereinzahlungen in Ungarn wieder in Gang zu bringen
Der Finanzminister referierte über den bisherigen Stand der Steuereinzahlungen in Ungarn, fwonach die Rückständef im Jänner 90% der direkten und 75% der indirekten Steuergebühr betragen haben, so daß, ungeachtet des Ah. Reskripts, die Einzahlungen an direkten Steuern im Februar wohl ganz versiegt sein werden. Nach eingehender Darstellung der zur Erwirkung besserer Steuereinzahlungen in neuester Zeit mit der ungarischen Hofkanzlei und dem Tavernikus gepflogenen Verhandlungen, welche jedoch zu keinem praktischen Resultate geführt haben, gindem der Tavernikus die ihm aufgetragene entsprechende Publikation an die Bevölkerung noch immer nicht erlassen hatg, erörterte der Finanzminister zwei zur Erreichung des angedeuteten Zwecks vorgeschlagene Maßregeln: 1. Die Übertragung der Steuereinhebung an die Finanzorgane, worüber eine Kundmachung und entsprechende Verständigung der Munizipien von Seite der Statthalterei zu erlassen wäre. Die Finanzorgane hätten nach dem in der gewesenen Woiwodschaft eben jetzt eingeführten Vorgang ihre Bezirke nach || S. 221 PDF || und nach zu bereisen und gemeindeweise die direkten Steuern hund die Rückstände an indirekten Abgaben (Rechtsgebühren etc.)h einzufordern und einzuheben. Zur Sicherheit der Gefällskasse wären denselben Gendarmen oder Militär mitzugeben. Nur dort, wo wirkliche Renitenz einträte, wäre Militär zur Exekutionsdurchführung zu berufen. Überhaupt würde den Finanzorganen zur Pflicht gemacht, mit aller Schonung vorzugehen.
Der ungarische Hofkanzler erklärte sich mit dieser Maßregel einverstanden. Man könne der Steuerverweigerung nicht länger iund bis zur völligen Austragung der Steuerfrage auf dem Landtagi untätig zusehen. Die Nachteile seien zu groß. Es wird daher von der ungarischen Hofkanzlei demnächst der Auftrag an die Statthalterei wegen der fraglichen Kundmachung erlassen werden und, obgleich einiges Schreien im Landtage darüber vorauszusehen ist, habe Baron Vay doch nichts dagegen, daß j mit der Steuereinhebung in der vorgeschlagenen Weise begonnen werde, sobald die dazu erforderlichen behördlichen Einleitungen getroffen sein werden. Die übrigen Konferenzglieder fanden gleichfalls gegen die Durchführung der beantragten Maßregel nichts zu erinnern — kwelche übrigens dem Handelsminister nur als ein verspäteter Versuch von problematischem Erfolge erscheintk welche übrigens dem Handelsminister nur als ein verspäteter Versuch von problematischem Erfolge erscheint, 5. Die zweite, vom lFinanzministerl Finanzminister angedeutete Maßregel || S. 222 PDF || wäre, vom Landtage eine Aufforderung der Munizipien zur Steuerzahlung zu provozieren, jedoch nur als provisorische Maßregel, mit Vermeidung alles dessen, was die Anerkennung eines Steuerbewilligungsrechtes für den Landtag enthalten würde. Namentlich würde sich diese Aufforderung bloß auf die bereits Ah. ausgeschriebenen lf. Steuern zu beschränken haben. Der Finanzminister verspricht sich von dieser mit der gehörigen Vorsicht einzuleitenden Maßregel einen guten Erfolg für die Steuereinzahlung, weil dadurch die dermal dagegen bestehenden oder vorgeschützten Hindernisse beseitigt werden würden und man dann die Erledigung der prinzipiellen Steuerfrage ruhiger abwarten könnte.
Minister Baron Pratobevera vereinigte sich mit den Anträgen der Vorstimme, mmachte jedoch ausdrücklich aufmerksam, daß vom Landtage nur eine Anordnung über die Modalitäten der Eintreibung der Steuerrückstände, nicht eine Anerkennung oder Bewilligung der Steuerausschreibung ausgehen könnem . Die übrigen Stimmführer fanden jedoch, daß ein solcher Schritt bei dem ungarischen Landtage, seiner Konsequenzen wegen und um nicht das Prinzip der Steuerbewilligung implicite aufzugeben, die äußerste Vorsicht sowohl in merito als in der Form der Einbringung und Durchführung des Antrages erheische. Da nun dies alles wesentlich von der Wendung abhängen wird, welche die landtäglichen Angelegenheiten überhaupt nehmen werden, wurde über Antrag des ungarischen Hofkanzlers beschlossen, die Konferenzberatung über die Opportunität und Modalität der zweiten Maßregel bis zu dem geeigneten, von Baron Vay wahrzunehmenden Zeitpunkte auszusetzen6.
IV. Nachsicht der Kommunalhaftung für die venezianischen Rekrutierungsflüchtlinge
Minister Ritter v. Lasser referierte seine au. Anträge über die Frage der Einbringung der Taxen für 927 geflüchtete Militärpflichtige in Venezien von den dortigen Kommunen. Referent ist der Meinung, daß, wenn man die Haftungspflicht überhaupt als ein wirksames Koerzitivmittel gegen das Entweichen der Stellungspflichtigen beibehalten will, eine völlige Nachsicht in den vorliegenden Fällen bei der letzten Rekrutierung nicht Platz greifen dürfte. Doch würde der Minister für zwei vom Statthalter Ritter v. Toggenburg vorgeschlagene Erleichterungen stimmen, nämlich die Annahme der Taxen in Banknoten und die Nachhilfe für die mittellosen Gemeinden aus dem venezianischen Territorialfonds.
Die Konferenz war mit diesen Anträgen einverstanden7.
V. Reise des Handelsministers zur Eröffnung der französischen Ostbahn
Der Handelsminister referierte, es sei ihm eine Einladung zugekommen, der am 6. April stattfindenden feierlichen Eröffnung der französischen Ostbahnverbindung mit Kehl beizuwohnen. Dem Vernehmen nach wird der Kaiser der Franzosen dabei zugegen sein. Graf Wickenburg stellt die Anfrage, ob es angezeigt sei, diese Einladung anzunehmen.
Der Minister des Äußern erwiderte, es scheine ihm angezeigt, das Vorgehen der übrigen süddeutschen Regierungen bei diesem Anlasse nicht unberücksichtigt zu lassen, und er behalte sich hierüber — nach auf telegraphischem Wege eingeholten Auskünften — weitere Mitteilung an den Handelsminister vor. Graf Wickenburg äußerte, dieser Eröffnung zu seiner Richtschnur entgegenzusehen8.
Wien, am 25. März 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 30. März 1861. Empfangen 31. März 1861. Erzherzog Rainer.