Nr. 106 Ministerrat, Wien, 11. August 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 12. 8.), Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Forgách, Esterházy, Lichtenfels, Mažuranić 19. 8.; abw.abwesend Erzherzog Rainer, Pratobevera; BdR.Bestätigung des Rückempfangs fehlt.
MRZ. 900 – KZ. 2678 –
Protokoll des zu Wien am 11. August 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers
I. Verfügungen über die zweite Adresse des ungarischen Landtags
Se. k. k. apost. Majestät geruhten, als den ersten Gegenstand der Beratung die Verfügungen zu bezeichnen, welche über die demnächst zu überreichende zweite Adresse des ungarischen Landtages zu treffen wären1.
Der ungarische Hofkanzler äußerte, daß nach dem Inhalte der Adresse, und da der Landtag selbst in den Schlußworten den Faden einer Verständigung abgerissen hat, vom Standpunkte der k. k. Regierung nichts anderes erübrige, als den Landtag aufzulösen. Das Ah. Auflösungsreskript dürfte die Gründe berühren, welche die Auflösung zur Notwendigkeit machen und den Ah. Vorbehalt einer Wiedereinberufung des Landtages aussprechen. Eine ungnädige Fassung dürfte zu vermeiden sein und im Stile eine ruhige Würde behauptet werden. Das Ah. Reskript wäre zwei bis drei Tage nach dem Einlangen der Adresse zu erlassen. Die Minister Graf Esterházy, Graf Rechberg, Ritter v. Schmerling, Ritter v. Lasser und Baron Mecséry erklärten || S. 276 PDF || sich mit diesen Anträgen im wesentlichen einverstanden, doch beantragte der letztere weiters unter Zustimmung seiner Kollegen, daß gleichzeitig mit dem Reskript auch eine Ansprache Sr. Majestät an die Kronländer erlassen werde, in welcher der kaiserliche Beschluß umständlich und auf eine Art motiviert würde, daß dieser Schritt auch ganz Europa gegenüber in seinem wahren Licht erscheine. Der Kriegsminister war des Erachtens, daß das Reskript möglichst kurz — allenfalls in einem Artikel — zu fassen und die Motivierung ganz in das Manifest zu verlegen wäre. Der Finanzminister stimmte dieser Meinung vollkommen bei, ebenso der Handelsminister , welcher die Frage vorbrachte, ob es denn notwendig sei, daß Se. Majestät der Kaiser eine dergestalt geartete Adresse Allerhöchstselbst entgegenzunehmen geruhen, und ob nicht vielmehr der Hofkanzler zur Übernahme Ah. anzuweisen wäre. Der Hofkanzler erwiderte, bis jetzt sei ihm nicht bekannt, daß in Pest ein Beschluß über die Art gefaßt wurde, wie die Adresse zu überreichen komme. Wahrscheinlich werden die beiden Präsidenten beauftragt werden, dieselbe unmittelbar Allerhöchstenorts zu unterbreiten. Der Inhalt der Adresse scheine kein Grund, die Allerhöchstpersönliche Entgegennahme zu verweigern, da es an Präzedenzien nicht fehlt, daß sehr herbe Repräsentationen von den Königen Ungarns angenommen wurden. Was die Übernahme der Adresse durch den Hofkanzler betrifft, müsse Graf Forgách erinnern, daß seine Stellung zu dem jetzt tagenden Landtage eine sehr unklare ist, nachdem der letztere nach dem 1848er Gesetze zusammengesetzt wurde, während die Hofkanzlei ein Institut früherer Zeit ist, welches 1848 aufgehoben wurde. Der Staatsratspräsident stimmte in Absicht auf die Form des Reskripts und Manifestes mit dem Kriegsminister und glaubte ferner, daß bei der Auflösung auch die dermalige staatsrechtliche Stellung ins klare zu bringen sei. Das Ah. Diplom vom 20. Oktober war ein Ausfluß der kaiserlichen Gnade — einer Gnade, die das Land jetzt ablehnt. Es dürfte daher ausgesprochen werden, daß Se. Majestät Allerhöchstsich durch den 20. Oktober Ungarn gegenüber nicht mehr gebunden halten.
Se. k. k. apost. Majestät geruhten, den Hofkanzler und den Staatsminister Ah. zu beauftragen, daß ohne Verzug von dem ersteren der Reskripts-, von dem letzteren der Manifestentwurf ausgearbeitet werde2. Graf Forgách bemerkte in bezug auf die von mehreren Stimmen gewünschte Kürze des Reskripts, daß man sich bei dessen Textierung den Gewohnheiten des langatmigen ungarischen Kurialstils nicht werde entziehen können.
II. Maßregeln nach Auflösung des ungarischen Landtags
Se. Majestät der Kaiser geruhten, die Maßregeln zur Sprache zu bringen, die nach Auflösung des ungarischen Landtages zu ergreifen sein werden, um zu geregelten administrativen Zuständen zurückzukehren und Ausschreitungen der || S. 277 PDF || Komitate zurückzuweisen. Es sei die Ah. Absicht, daß man sich dabei so lang als möglich der in Ungarn gesetzlichen Mittel bediene.
Der ungarische Hofkanzler äußerte, daß dieser hochwichtige Gegenstand eine reifliche Erwägung erheische und er daher au. bitten müsse, zu gestatten, daß seine diesfälligen au. Anträge einer vorläufigen Beratung in der Ministerkonferenz unterzogen werden. Einstweilen erlaubte sich Graf Forgách, anzudeuten, daß eine organische Änderung der höchsten Dikasterien wohl unvermeidlich sei und die schleppenden Gremialberatungen werden beschränkt werden müssen. Wenn die Verwaltungsgeschäfte in Ungarn unter eigene Sektionen: des Kultus, des Unterrichts, der Kommunikationen usw. — jede unter einem besonderen Chef — geteilt werden, dürfte die Regierung an Kraft wesentlich gewinnen. Da diese Einrichtungen den Gesetzen von 1848 wenigstens zum Teil entsprächen, würden sich auch geeignete Männer zur Leitung der Sektionen bereit finden lassen. Von Sektionen der Finanzen, des Krieges und des Äußern könne selbstverständlich keine Rede sein. Über die von Sr. Majestät Ah. gestellte Frage, ob die Regierung durch eine solche Bezugnahme auf die Basis von 1848 nicht mit sich selbst in Widerspruch gerate, äußerte der ungarische Hofkanzler, daß die 1848er Gesetze nicht insgesamt verworfen wurden, sondern nur deren Revision vorbehalten worden sei. Sollten Komitate unzulässige Beschlüsse fassen oder gar eine revolutionäre Haltung annehmen, so würde man sogleich königliche Kommissäre dahin absenden, so wie deren bereits einige in Tätigkeit sind.
Der Polizeiminister erkennt es als das Dringendste, in Ungarn eine Regierung wiederherzustellen. Die Statthalterei sei gegenwärtig kein nützliches, sondern ein paralysierendes Element für die Regierungsgewalt, und daher fände Baron Mecséry gegen die vorgeschlagene Bildung von Sektionen, oder wie man diese Behörden nennen will, nichts zu erinnern. In den Komitaten handle es sich jetzt nicht um Untersuchung und Bestrafung des Geschehenen, sondern um Reorganisierung der Administration, Wiederherstellung der Auktorität und Brechung des Terrorismus, der alles zum passiven Widerstand treibt. Der Finanzminister erklärt es für die dringendste Notwendigkeit, Ordnung im Lande herzustellen, und aus diesem Gesichtspunkte müsse sich der Minister heute, so wie schon bei früheren Anlässen, für die vom Hofkanzler angedeuteten organisatorischen Maßregeln erklären. Die dermalige Komitatswirtschaft sollte man aber sofort beseitigen, ohne erst weitere Ausschreitungen der Munizipien abzuwarten. Das bereits Geschehene biete hiezu überreichen Anlaß. Der Kriegsminister hegt die Überzeugung, daß man zu einer Pazifizierung erst dann gelangen werde, wenn die Ungarn einsehen, daß die Renitenz im Innern des Landes nichts nützt und daß sie vom Ausland keine Unterstützung zu erwarten haben. Transaktionen mit den Parteien, Nachgiebigkeit und allzu schmiegsame Formen schaden nur, statt zu nützen, wie die Erfahrung gezeigt hat. Der Präsident Baron Lichtenfels erkennt gleichfalls die Dringlichkeit der Rückkehr zu geordneten administrativen Zuständen, und zur Erreichung dieses Zweckes werde man wohl autokratisch zu Werke gehen müssen. Durch die Publikation der Judexkurialkonferenzbeschlüsse sei die Gesetzgebung in ein Chaos hineingeraten, || S. 278 PDF || so daß man gedrängt wird, baldigst zu entscheiden, was denn nach [den] Gesetzen sei.
Se. k. k. apost. Majestät geruhten, den Hofkanzler zu beauftragen, seine fraglichen Anträge bald zur Beratung zu bringen, doch dürfe das Einschreiten gegen renitierende Komitate nicht bis zur Schlußfassung über diese Anträge aufgeschoben bleiben3.
III. Maßregeln gegenüber dem kroatischen Landtag
Se. Majestät der Kaiser geruhten, die Maßregeln zur Sprache zu bringen, welche angesichts der im kroatischen Landtag sich vorbereitenden Adresse und der schlechten Tendenz dieses Körpers zu ergreifen wären4.
Der Präsident des Hofdikasteriums äußerte, daß, wenngleich die Haltung des kroatischen Landtages eine sehr schlechte geworden sei und er gegenwärtig mit der größten Überstürzung ganz unzulässige Beschlüsse faßt, es doch nicht angezeigt erscheine, denselben jetzt schon aufzulösen, sondern es sei vielmehr rätlich, das Einlangen der Adresse abzuwarten und dieselbe nach Würdigung der Gründe zu beantworten. Sei doch auch in Istrien der Landtag trotz der Weigerung, in den Reichsrat zu wählen, nicht sofort, sondern erst nach einer wiederholten Ah. Ermahnung aufgelöst worden5. Bei Beurteilung der kroatischen Zustände müsse man die Rückwirkung der ungarischen wohl berücksichtigen. Das politische Leben in Kroatien sei vorzugsweise ein ungarisches. Alle seit dem 20. Oktober eingerissenen administrativen Übel Ungarns haben sich auch nach Kroatien, wenngleich bis jetzt noch in milderer Form, verpflanzt. Es zeigt sich auch bereits das Bestreben, die Beschlüsse der Judexkurialkonferenz in Kroatien zur Geltung zu bringen6. Wenn daher in Ungarn die gesetzliche Ordnung wiederhergestellt ist, wird sich Kroatien ohne Schwierigkeit regulieren lassen. Solang aber in Ungarn Anarchie herrscht, wird man auch in Kroatien nicht viel erreichen können und das Land durch verfrühte Zwangsmaßregeln nur um so mehr ins ungarische Lager treiben. Um in den kroatisch-slawonischen Komitaten die Ordnung wiederherzustellen, müßten einige Änderungen in den Personen der Obergespäne vorgenommen und die Komitatsausschüsse reduziert || S. 279 PDF || werden. Man könnte allenfalls auch die Justizpflege von den Komitaten trennen7.
Der ungarische Hofkanzler warnte vor dieser Maßregel, wodurch man auf die Bahn des Oktroyierens gebracht würde. Ordnung muß geschaffen werden, aber ohne doch das vor 1847 bestandene System ganz zu verlassen und ohne den Leuten fremde Gesetze und Einrichtungen — mögen sie auch besser sein — aufzudringen. Graf Forgách hält es durch das Interesse der Gesamtmonarchie für geboten, daß Kroatien mit Ungarn nicht ganz gleich behandelt werde. Wird daher der ungarische Landtag demnächst aufgelöst, so wäre darum noch nicht zur wohlverdienten Auflösung des kroatischen zu schreiten, sondern nur die Prorogation desselben zu verfügen. Die Minister des Äußern und der Polizei stimmten gleichfalls für eine verschiedene Behandlung der beiden Länder, Baron Mecséry brachte jedoch in Anregung, daß man die Landtagssitzungen in Agram bei der sich dort geltend machenden Exaltation unter irgendeinem Vorwande suspendieren sollte. Präsident Mažuranić bemerkte, daß man dies vielleicht durch den astatt des erkrankten Bansa jetzt fungierenden Vizepräsidenten8 bewirken oder auch einleiten könnte, daß die Zeit bder Sitzungenb durch Lückenbüßer ausgefüllt werde. Indessen sieht der Präsident auch keine Gefahr darin, wenn die Sitzungen wie bisher fortgesetzt und darin noch etwa ein paar exzentrische Beschlüsse gefaßt werden. Ohnehin fängt es schon an, an Stoff zu fehlen, und ohne Ah. Sanktion hat ja kein Beschluß Gültigkeit.
Se. Majestät der Kaiser geruhten zu bestimmen, daß die Fortsetzung der landtäglichen Debatten in Agram nicht gehindert werde. Doch habe der Präsident die Entwürfe vorzubereiten, um nötigenfalls sogleich mit einer Auflösung oder Vertagung des kroatischen Landtages vorgehen zu können9.
IV. Verwendung des Militärs zur Steuerexekution in Ungarn
Schließlich wurde noch die Verwendung des Militärs zur Steuerexekution in Ungarn besprochen, nachdem sich der Kriegsminister in einer neuestens an den Finanzminister erlassenen Zuschrift dagegen verwahrt hat10.
|| S. 280 PDF || Minister Edler v. Plener erklärt, daß unter den dermaligen Verhältnissen die Militärexekution zur Eintreibung der Steuern in jenem Lande durchaus nicht entbehrt werden könne. Durch deren Anwendung allein habe man binnen wenig Monaten sechs Millionen an Steuern eingebracht. Sollte diese Einnahmsquelle wieder versiegen, würde der Staatsschatz schon im Oktober insolvent werden, und die Krida wäre vorhanden. Der Kriegsminister äußerte, daß die Fortsetzung der Militärexekution in Ungarn allerdings nicht absolut unmöglich, wohl aber mit der Aufrechthaltung der militärischen Disziplin und des militärischen Geistes ganz unvereinbar sei. Aus diesem Grunde müsse der Feldzeugmeister von seinem Standpunkt gegen die Fortsetzung eines der Armee nachteiligen Systems protestieren. Der Finanzminister erwiderte, daß die drohende Vernichtung des Staatskredits ein so großes Übel wäre, daß die militärischen Nachteile dieses Systems wenigstens vorderhand als minder gefährlich in den Hintergrund treten müßten. In manchen Fällen komme es gar nicht zur Einlegung der Exekutionsmannschaft. Schon das bloße Erscheinen des Militärs im Orte bewirkt die Steuerzahlung. cDamit aber diese ausnahmsweise Steuereintreibungsart wieder behoben werden könne und um überhaupt Europa nicht die Anschauung zu bieten, daß man die Ordnung im eigenen Hause nicht herzustellen vermöge, tut eine Änderung der inneren Politik gegen Ungarn dringend [not], indem bei vorkommenden späteren europäischen Verwicklungen die Fortdauer der bisherigen ungarischen Zustände die höchste Gefahr für dessen Behauptung als Bestandteil der österreichischen Gesamtmonarchie und ein willkommener Anlaß zur Einmengung für die Feinde Österreichs bieten werdec, 11.
Wien, 12. August 1861. Rechberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 22. August 1861.