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Nr. 144 Ministerrat, Wien, 1. November 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 2. 11.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Forgách, Esterházy; außerdem anw. Coronini, Liechtenstein, Pálffy ; BdR. Erzherzog Rainer 10. 11.

MRZ. 948 – KZ. 3490 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 1. November 1861 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers

I. Maßregeln in Ungarn: Textierung der Ah. Handschreiben, der Verordnung über die Kompetenz der Militärgerichte in Zivilstrafsachen und des Schemas der Militärgerichte

Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu eröffnen, daß Allerhöchstdieselben, um den anarchischen Zuständen in Ungarn ein Ziel zu setzen, die nachfolgenden Maßregeln Ah. beschlossen haben: 1. Die zeitweilige Außerkraftsetzung der konstitutionellen Stellung der ungarischen Statthalterei, welche ihre Wirksamkeit auf die ihr von dem Statthalter FML. Grafen Moriz Pálffy instruktionsgemäß zuzuweisenden Geschäfte zu beschränken und dieselben nach den vom Statthalter ergehenden Weisungen zu behandeln haben wird. 2. Die Aufhebung der Munizipien in den Komitaten, königlichen Freistädten und freien Distrikten. 3. Die Änderung in der Oberleitung der Komitate etc. 4. Die Zuweisung der Untersuchung und Aburteilung gewisser Straffälle an die Militärgerichte nach Maßgabe des Militärstrafgesetzbuches. 5. Die Ermächtigung des Statthalters zur eventuellen Verhängung von Geldstrafen bis 500 fl. für gewisse Verbotsübertretungen. Se. Majestät der Kaiser geruhten, den ungarischen Hofkanzler zu beauftragen, daß er diese Maßregeln beleuchte und die Entwürfe der bezüglichen Erlässe vorlese1.

Graf Forgách ging vorerst in eine nähere Erörterung und Motivierung der Maßregeln ein und las hierauf den Entwurf eines an ihn zu richtenden Ah. Handschreibens, wobei er bemerkte, er bitte um Ah. Entscheidung, ob in diesem kaiserlichen Erlasse die Ernennung des Grafen Pálffy zum Statthalter auszusprechen oder darüber ein besonderes Ah. Handschreiben zu erlassen wäre. Im Laufe der über diese Frage gepflogenen längeren Erörterung äußerte FML. Graf Pálffy , er habe den Gegenstand bei dem Hofkanzler in Anregung gebracht, weil er glaube, daß seine gedeihliche Wirksamkeit als Statthalter erleichtert werden würde, wenn sein Name mit den neuen Maßregeln nicht in der unmittelbarsten Verbindung erscheint, so wie er auch tatsächlich bisher an den Beratungen darüber keinen Anteil genommen hat. Graf Pálffy werde aber darum nicht minder || S. 470 PDF || diese Maßregeln mit aller Energie und Hingebung in Vollzug bringen. Er scheue auch keineswegs die aus der ihm ungesucht zuteil gewordenen Aufgabe erwachsende Verantwortlichkeit oder selbst persönliche Gefahren. Denn er sei ja mit Freuden bereit, sein Leben allenthalben in die Schanze zu schlagen, wo es der Ah. Dienst erfordern wird. Wegen seiner bekannten politischen Gesinnung sei seine Person bei der tonangebenden Partei in Ungarn durchaus nicht populär. Ebendeswegen aber scheine es dem Grafen Pálffy aus Opportunitätsrücksichten um so rätlicher, durch die abgesondert erfolgende Ah. Ernennung vielleicht zu erreichen, daß seiner Wirksamkeit anfänglich weniger Schwierigkeiten begegnen. Sollte aber dieser Erfolg nicht zu hoffen sein oder gar die öffentliche Meinung durch die abgesonderte Ernennung in einen nachteiligen Irrtum versetzt werden können, so würde FML. Graf Pálffy seinen au. Antrag sofort zurücknehmen, da demselben, wie gesagt, durchaus keine persönlichen Rücksichten zum Grunde liegen. Der Kriegsminister besorgte, daß die abgesonderte Ah. Ernennung des Statthalters im Lande mißdeutet werden wird, während die Ernennung desselben im organischen Handschreiben als Beweis gelten dürfte, daß Graf Pálffy das dermalige Regierungssystem aus voller Überzeugung teilt. Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer bemerkten, daß es viele Präzedenzfälle gibt, in welchen die Ernennung des zur Durchführung neuer Einrichtungen Berufenen mittels abgesonderten Ah. Handschreibens erfolgte. Der Staatsminister fand es logisch begründet, daß die organischen und die gerichtlichen Maßregeln getrennt von den Personalbestellungen festgesetzt werden, da die ersteren ja nicht durch die letzteren bedingt sind und möglicherweise auch eine Personaländerung unbeschadet der getroffenen Einrichtungen Platz greifen kann. Wenn die Ah. Ernennung des Statthalters unter dem gleichen Datum wie das Statut erfolgt und publiziert wird, kann im Publikum vernünftigerweise kein Zweifel mehr bestehen, daß der Statthalter das neue System gekannt und vollkommen adoptiert habe. Der Staatsminister — mit dem sich der Polizeiminister vereinigte — beantragte daher, daß die Ernennung des FML. Grafen Pálffy mittels eigenen Ah. Handschreibens erfolgen und in dem organischen Handschreiben statt des bezüglichen Passus gesetzt werde: „Mein Statthalter in Ungarn, dessen Ernennung gleichzeitig erfolgt etc.“ Dieser au. Antrag erhielt die Ah. Genehmigung2.

Der Minister des Äußern fände es nicht rätlich, im Ah. Handschreiben von dem „dermaligen verfassungsmäßigen Wirkungskreise der Behörden“ zu sprechen, denn der Wirkungskreis der meisten Behörden in Ungarn sei leider kein verfassungsmäßiger, sondern ein usurpierter im Sinne der Gesetze von 1848. Wenn Se. Majestät Allerhöchstselbst den angemaßten Wirkungskreis einen „verfassungsmäßigen“ nennen, so ist dies eine Ah. Sanktion. Der ungarische Hofkanzler bemerkte, daß er an eine solche Ah. Sanktion keineswegs gedacht habe. Übrigens bleibe es mißlich, jetzt die Zusammensetzung von Behörden zu verwerfen, || S. 471 PDF || deren Gebaren die ungarische Hofkanzlei beinah ein Jahr lang zugesehen hat. FML. Graf Pálffy schlug vor, zu sagen „die gegen das Diplom vom 20. Oktober konstituierten Munizipien“. Schließlich geruhten Se. Majestät nach dem Antrage der Minister des Äußern und der Polizei Ah. zu befehlen, daß das Wort „verfassungsmäßigen“ in dem fraglichen Satze des Entwurfs gestrichen werde.

Gegen den Inhalt des hierauf verlesenen Entwurfs eines Ah. Handschreibens an den Kriegsminister — welches zur Veröffentlichung nicht bestimmt ist — ergab sich kein Anstand3.

Der Hofkanzler las hierauf den Entwurf der Verordnung über die Kompetenz der Kriegsgerichte zur Entscheidung über Zivilstraffälle4. Bei dem Art. 3 wurde von den Ministern des Äußern und des Krieges , dann von den Landeskommandierenden in Ungarn und im Banat der Wunsch ausgesprochen, daß hier durch einen Zusatz dem häufig vorkommenden Unfuge gesteuert werde, daß Stuhlrichter etc. Militärurlauber vor ihr strafgerichtliches Forum ziehen. Der Hofkanzler erwiderte, daß diese Verordnung, welche nur transitorische Ausnahmsregeln enthalten soll, nicht der geeignete Ort zu einer solchen bleibenden Anordnung über die Militärjurisdiktion für die Urlauber sein würde. Der diesfällige Ah. Ausspruch dürfte vielmehr bei der nahbevorstehenden Revision der Judexkurialkonferenzbeschlüsse5 in allgemein verbindlicher Weise erfolgen6. Se. Majestät geruhten, diesen Antrag zu genehmigen. Der Staatsminister beanständete, daß im Art. 4 unter den Strafen auch ausdrücklich der körperlichen Züchtigung gedacht werde, was mit dem bei der letzten Beratung Ah. genehmigten Beschlusse im Widerspruch steht. Se. Majestät der Kaiser geruhten, die Weglassung dieser Aufzählung anzuordnen. Im Art. 6 wurde auf Ah. Befehl statt „Landeskommandierenden“ gesetzt „der landeskommandierende General“. Die übrigen Artikel boten zu einer Modifikation keinen Anlaß, und FZM. Graf Coronini bemerkte nur schließlich, es werde nötig sein, den Militärgerichten in Ungarn baldigst ergiebige Aushilfen durch Zuweisung von disponiblen Gerichtsbeamten zu gewähren, was der Kriegsminister auch sofort zusicherte. FML. Fürst Friedrich Liechtenstein brachte zur Sprache, daß der Begriff der Falschwerbung als „Werbung für fremde Kriegsmächte“ im Militärstrafgesetze zu eng definiert sei und die Auditore sich daher nicht gesetzlich ermächtigt ansehen, Werbungen für Garibaldi, weil er keine Kriegsmacht sei, unter dieses Verbrechen zu subsumieren. Se. Majestät geruhten zu bemerken, daß, wofern es nicht gelingt, diese falsche Ansicht der Auditore zu berichtigen, nichts erübrigen werde, als eine Verordnung hinauszugeben, wonach die Werbung für revolutionäre Führer oder Armeen wie Falschwerberei zu behandeln sei.

Der Hofkanzler glaubte, den FML. Grafen Pálffy aufmerksam machen zu sollen, || S. 472 PDF || daß die jetzt Ah. beschlossenen Maßregeln und darunter wesentlich auch die Ausdehnung der Kompetenz der Militärgerichte als politische Maßregeln zu betrachten und durchzuführen kommen. Es handelt sich darum, einen heilsamen Schrekken zu verbreiten, damit die Autorität der Regierung endlich wiederhergestellt werde. Der Terrorismus, den die Revolutionspartei bis jetzt übt, muß durch den Terrorismus der Regierungsorgane überwunden werden, sollten auch darunter hie und da einige Unschuldige leiden. Bei Niederschlagung einer Revolution darf man nicht die kräftige und schnelle Handhabung der Gerechtigkeit durch ängstliche Berücksichtigung aller möglichen Ausnahmen hemmen lassen. Dies wäre das größere Übel.

Auf die Bemerkung des FML. Grafen Pálffy , es sei vorauszusehen, daß die Regierungsorgane nach geschehenem Umschwung — so wie 1849/50 — durch rachsüchtige, falsche Denunzianten werden getäuscht werden, erwiderte FML. Fürst Liechtenstein , daß es hiefür kein anderes Mittel gebe als strengste Bestrafung der ans Licht tretenden Fälle von Verleumdung.

Das hierauf verlesene Schema der Gerichte und Gerichtsherren7 gab zu folgenden formellen Berichtigungen Anlaß: Statt des Ausdruckes „Stations- und Truppenkommando“ wurde die richtigere Bezeichnung „Stationskommandant“ gewählt und hiebei vom Kriegsminister bemerkt, daß, wenn ein abmarschierender Stationskommandant nicht sofort durch einen einrückenden ersetzt wird, auf anderweitigen Ersatz fürzudenken sei. Statt „Festungskommando in Arad“ wurde gesetzt „Stationskommando in Alt-Arad“, weil die Festung Arad einem anderen Sprengel angehört.

Se. Majestät der Kaiser geruhten zu befehlen, daß die Instruktionen für den Statthalter, die Obergespäne etc. mit aller Beschleunigung beraten werden sollen, damit Graf Pálffy mit Vermeidung jedes entbehrlichen Verzuges sein Amt antreten könne8, worauf der letztere erklärte, er sei bereit, sogleich auf seinen Posten abzugehen, bitte jedoch, für den Fall [daß] sein Wirkungskreis sich in praxi als zu eng erweisen sollte, um eine angemessene Erweiterung einschreiten zu dürfen.

Der Staatsminister und der Hofkanzler bemerkten, es sei sehr nötig, daß Graf Pálffy und Hofrat Privitzer zugleich in Ofen eintreffen, wobei Graf Forgách erwähnte, daß dem Privitzer während seiner Mission die doppelten Diäten, d. i. bei 500 fl. monatlich, anzuweisen sein würden9. Ferner behalte er sich vor, zugunsten des Obgenannten die Verleihung der geheimen Ratswürde au. zu beantragen, nachdem dies unumgänglich sei, um ihm die angemessene Rangstellung zu geben10.

Graf Forgách wird die Ah. Beschlüsse a) der Statthalterei mittels Hofkanzleidekrets zur sofortigen Publikation, auch in den Zeitungen, und b) den Obergespänen, Bürgermeistern und Distriktsvorständen mittels eigener Präsidialschreiben || S. 473 PDF || intimieren. Die „Wiener Zeitung“ publiziert erst nach erfolgter Kundmachung in Ofen11.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 10. November 1861. Empfangen 10. November 1861. Erzherzog Rainer.