Nr. 514 Ministerrat, Wien, 18. Juni 1851 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 19. 6.), P. Krauß 20. 6., Bach 20. 6., Thinnfeld 20. 6., Thun, Csorich, K. Krauß, Baumgartner 20. 6.; abw.abwesend Stadion, Kulmer.
MRZ. 2079 – KZ. 2004 –
- I. Berufung zeitlicher Teilnehmer zur Beratung des revidierten Strafgesetzbuches im Reichsrate
- II. Unterdrückung der Zeitung Slovan und ähnlicher Zeitschriften
- III. Auszeichnung für Paul Barczak
- IV. Auszeichnung für Joseph Dolnitscher
- V. Auszeichnung für Paul Mairhoffer
- VI. Gnadengabe für Maria Ludowika Romanovicz
- VII. Behandlung der im Jahre 1848 desertierten und in piemontesische Dienste getretenen österreichischen Offiziere
- VIII. Verbesserung der Valutaverhältnisse
- IX. Einführung der Vorschriften über das Personenrecht, die Vormundschaften und Kuratelen in Ungarn, Siebenbürgen etc
- X. Auszeichnung für Paul Abram
- XI. Todesurteil
- XII. Todesurteil
Protokoll der am 18. Juni 1851 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Berufung zeitlicher Teilnehmer zur Beratung des revidierten Strafgesetzbuches im Reichsrate
Der Ministerpräsident eröffnete die Sitzung mit der Mitteilung einer ihm zugekommenen Note des Reichsratspräsidenten Freiherrn v. Kübeck, worin dieser mit Beziehung auf das dem Reichsrate zur Begutachtung mitgeteilte revidierte Strafgesetzbuch, die Einführung des Reichsgerichtes etc. bemerkt, daß unter den dermaligen Mitgliedern des Reichsrates sich nur ein einziges Individuum vom eigentlichen praktischen Rechtsfache befinde, welches, wenngleich vorzügliches und ausgezeichnetes Individuum, der gegenwärtigen Aufgabe allein zu genügen nicht im Stande wäre. Wenn hiernach auch eine Vermehrung der Reichsratsmitglieder vom Justizfache als wünschenswert erschiene, so will Baron Kübeck doch nicht die Ernennung neuer Mitglieder Se. Majestät vorschlagen, zumal für solche Fälle durch den § 16 des Reichsratsstatuts vorgesehen ist und durch die Einberufung zeitlicher Teilnehmer zum Reichsrate Abhilfe gewährt werden kann. Der Reichsratspräsident beabsichtiget demnach, von Sr. Majestät die Bewilligung zeitlicher Teilnehmer für das Strafgesetzbuch etc. zu erbitten, und ersucht, um Sr. Majestät einen diesfälligen Vorschlag erstatten zu können, den Justizminister einzuladen, einige der vorzüglichsten Rechtskundigen zu dem gedachten Zwecke namhaft zu machen, wobei aber auf die verschiedenen Kronländer (Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen) und, der Ersparung der Kosten wegen, auf die bereits in Wien befindlichen Rechtsgelehrten besondere Rücksicht zu nehmen wäre1.
|| S. 36 PDF || Der Justizminister wird dieser an ihn ergangenen Einladung ohne Verzug entsprechen2.
II. Unterdrückung der Zeitung Slovan und ähnlicher Zeitschriften
Der Minister des Inneren Dr. Bach besprach hierauf einen ihm von dem Kriegsminister mitgeteilten Bericht des Militärkommandos in Böhmen, worin beachtenswerte Betrachtungen über die Haltung und die gefährliche Tendenz der Zeitung Slovan vorkommen und die Ansicht ausgesprochen wird, daß es bedenklich sei, dieses Blatt wegen seiner bösen Wirkung auf die unteren Volksklassen ferner bestehen zu lassen3.
Der Minister Dr. Bach teilte diese Ansicht vollkommen, bemerkt aber, daß dieses Blatt eines derjenigen sei, denen auf dem normalen Wege nicht beizukommen sein wird. Wollte man ihm den Prozeß machen, so würde man bei der tschechischen Richtung des Blattes und bei der Popularität des Redaktors desselben (Havlíček) in Kuttenberg kaum Geschworne sich versprechen können, welche im Sinne der Regierung entscheiden würden4. Nachdem jedoch die Unterdrückung des Blattes notwendig erscheine und sie nicht in gehöriger Form geschehen könne, so müsse sie im Wege einer diskretionären Maßregel und zwar ohne Verzug ausgeführt werden. Der Regierung müsse im allgemeinen das Recht vorbehalten sein, Zeitungen, welche beharrlich destruktive Maßregeln verfolgen, einzustellen. Dieser allgemeine Grundsatz sei in aden Entwurf des neuen Preßgesetzesa übergegangen5. Da jedoch die Entscheidung dieses Gesetzes noch längere Zeit auf sich warten lasen dürfte, die Einstellung des Slovan aber dringend wünschenswert ist, so meint der Minister Dr. Bach, daß der Ministerrat schon dermalb von der im Preßgesetze vorgesehenen diskretionärenc Befugnis Gebrauch machen dürfte, derzufolge der Minister des Inneren an den Statthalter von Böhmen die Weisung zu erlassen hätte, den Slovan sogleich einzustellen.
Dagegen fand der Justizminister zu bemerken, daß kein positives Gesetz bestehe, wornach dem Ministerrate gestattet wäre, ein solches Verbot zu erlassen. Auch zweifelt der Minister, daß diese Maßregel von Erfolg wäre, weil der Slovan, heute unterdrückt, morgen unter einer andern Gestalt erscheinen könnte und man auf diese Art immerfort den kleinen Krieg mit demselben führen müßte. Ferner erinnerte der Justizminister, daß jede diskretionäre Gewalt von einem positiven Gesetze ausgehen müsse; dieses habe man gefühlt und daher die oberwähnte Vorsehung in dden Entwurf des Preßgesetzesd || S. 37 PDF || aufgenommen. Man würde sich auch der Anklage über Willkür aussetzen, und die Unsicherheit der Vorschriften und der bürgerlichen Tätigkeit befördern helfen.
Nach der Ansicht des Justizministers wären Se. Majestät um die Erlassung einer kaiserlichen Verordnung zu bitten, durch welche der Minister des Inneren zu ermächtigen wäre, bis ein neues Preßgesetz erlassen werden kann, solche gemeinschädliche periodische Blätter ohne weiters zu unterdrücken. Hierdurch würde die legislative, über jeden Tadel erhabene Macht in Tätigkeit gesetzt und von dem Ministerium der gehässige Vorwurf der Willkür ferne gehalten.
Diese Ansicht wurde von den übrigen Stimmführern geteilt, welcher auch der Minister des Inneren , jedoch mit der Bemerkung beitrat, daß in dieser kaiserlichen Verordnung dem Ministerium des Inneren auch hinsichtlich eines zweiten, ebenso wichtigen und dringenden Gegenstandes, nämlich hinsichtlich des Verbotes von gefährlichen ausländischen Druckschriften im Inlande, gleichzeitig das Befugnis eingeräumt werden dürfte, wie es im Preßgesetze gleichfalls vorgesehen ist, womit sich der Ministerrat einverstanden erklärte.
Der Minister Dr. Bach wird in diesem Sinne den au. Vortrag an Se. Majestät erstatten6.
III. Auszeichnung für Paul Barczak
Dem Antrage des Ministers Dr. Bach auf Auszeichnung des Gendarmen Barczak in Ungarn, der sich bei verschiedenen Anlässen besonders hervorgetan hat, mit dem silbernen Verdienstkreuze7;
IV. Auszeichnung für Joseph Dolnitscher
des Medizinaldoktors und Stadtphysikus in Triest Dolnitscher wegen seiner langen und ausgezeichneten Dienste mit dem goldenen Verdienstkreuze8, und
V. Auszeichnung für Paul Mairhoffer
des von dem Finanzminister empfohlenen Stiftskasseeinnehmers in Prag Mairhoffer, welcher 82 Jahre alt nun nach 64jähriger, sehr belobter Dienstleistung in den Pensionsstand treten will, mit dem goldenen Verdienstkreuze wurde allseitig beigestimmt9.
VI. Gnadengabe für Maria Ludowika Romanovicz
Ebenso hat der Ministerrat dem weiteren Antrage des Ministers des Inneren seine Zustimmung erteilt, daß der Erziehungsbeitrag von 12 f. 30 Kreuzer für die Kreiskanzlistentochter Romanovicz in Sambor statt vom Tage der Ah. Entschließung, wie das Finanzministerium meinte, von dem Tage an, wo der Erziehungsbeitrag nach erreichtem Normalalter einzustellen wäre, ohne Unterbrechung als Gnadengabe bis zum erreichten 24. Lebensjahre bewilliget beziehungsweise erwirkt werde10.
VII. Behandlung der im Jahre 1848 desertierten und in piemontesische Dienste getretenen österreichischen Offiziere
Der Kriegsminister Freiherr v. Csorich referierte hierauf über die vom Feldmarschall Grafen Radetzky zur Sprache gebrachten Vorschläge, wie die kaiserlichen Offiziere, welche im Jahre 1848 desertiert und in piemontesische Dienste getreten sind, zu behandeln seien.
Nach der Ansicht des Feldmarschalls sollen diese Offiziere, sie mögen im aktiven Dienste gestanden oder pensioniert gewesen oder mit Charakter ausgetreten sein, als Deserteure behandelt werden11.
Der Kriegsminister Freiherr v. Csorich meint dagegen, daß nur die im aktiven Dienste gestandenen kaiserlichen Offiziere als Deserteure zu behandeln und ihr Vermögen der Sequestration (da die Vermögenskonfiskation in Desertionsfällen im Jahre 1842 aufgehoben wurde12) zu unterziehen wäre. Auf solche Offiziere habe die Amnestie oder der Generalpardon keinen Bezug, die Straflosigkeit derselben wäre eine Inkonsequenz und das Zugeständnis der freien Rückkehr eine Schmach für die treue kaiserliche Armee.
Die pensionierten oder die mit Beibehaltung des Charakters ausgetretenen kaiserlichen Offiziere, welche in den piemontesischen Dienst getreten sind, wären dagegen nicht als Deserteurs, sondern nach den gewöhnlichen Gesetzen wie jene Beamte zu behandeln, welche treulos geworden sind. Der Eintritt in die kaiserlichen Staaten wäre ihnen nicht ungehindert zu gestatten, und sie wären im Betretungsfalle an die piemontesische Grenze zurückzubringen.
Der Minister des Inneren bemerkte hinsichtlich der Militärs im allgemeinen, daß dieselben ohne Ausnahme nach den Militärgesetzen behandelt werden sollten, weil sie sich die Folgen der Desertion oder Absentierung selbst zugezogen haben. Der österreichischen Mission in Sardinien wären übrigens die Namen dieser Personen zu dem Ende mitzuteilen, damit sie darin eine Kontrolle für vorkommende Paßvidierungen habe. Wenn ein in diese Kategorie gehöriges Individuum hierlandes vorkommt, wäre es zurückzuschieben, weil alle, welche aufgefordert zurückzukehren, nicht erscheinen, als Auswanderer zu betrachten sind, und ihre Wiederaufnahme in Österreich nur auf dem Grunde eines neuen Einbürgerungsgesuches geschehen könnte13.
VIII. Verbesserung der Valutaverhältnisse
Der Finanzminister Freiherr v. Krauß bemerkte, der Minister des Inneren Dr. Bach habe sich hinsichtlich der Finanzoperation zur Verbesserung unserer Valutaverhältnisse zu zwei Bemerkungen veranlaßt gefunden14.
|| S. 39 PDF || Die eine betraf die Einziehung der 1 und 2 f. Banknoten, welche Einziehung nach seiner Meinung nicht bloß auszusprechen, sondern auch ein Termin festzusetzen wäre, bis zu welchem diese Einziehung zu geschehen habe.
Der Finanzminister erinnerte diesfalls, daß die 1 und 2 f. Banknoten teils gegen Reichsschatzscheine zu 1 und 2 f. vom Staate, teils durch höhere Banknoten von der Bank umgewechselt werden sollen. Der Reichsrat erklärte sich damit einverstanden und hat nur die Worte „der Staat übernimmt sie“ für überflüssig gehalten, welche auch der Finanzminister weggelassen habe. Die weitere Ausgabe der 1 und 2 f. Banknoten werde sogleich verfügt werden; ein Termin über die Einziehung dieser Noten lasse sich aber nicht bestimmen, weil man nicht weiß, wie viel Zeit es brauchen wird, um dieselben teils im Wege der Steuern, teils im Wege der Umwechslung bei der Bank ganz hereinzubringen.
Der Minister des Inneren fand sich mit dieser Aufklärung befriedigt.
Der zweite Punkt betraf die Bemerkung des Ministers Dr. Bach, daß durch die vorhabende Kreditsopereration eine gleiche Summe des Staatspapiergeldes eingezogen werden sollte und dieses auszusprechen wäre. Dieser Bemerkung wird bei dem Umstande, daß sich die Größe des Anlehens jetzt noch nicht genau bestimmen läßt, durch die Aufnahme des allgemeinen Satzes Genüge geschehen: „durch eine Kreditsoperation wird das im Umlaufe befindliche Staatspapiergeld eingezogen werden“, wogegen der Minister des Inneren nichts weiter zu erinnern fand15.
IX. Einführung der Vorschriften über das Personenrecht, die Vormundschaften und Kuratelen in Ungarn, Siebenbürgen etc
Der Justizminister Ritter v. Krauß hat hierauf bei der anerkannten Notwendigkeit, für Ungarn, Kroatien, Slawonien, Siebenbürgen, die serbische Woiwodschaft und das Temescher Banat zweckmäßige, mit dem in den übrigen Kronländern geltenden allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche übereinstimmende Vorschriften über das Personenrecht im allgemeinen, über das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern und über Vormundschaften und Kuratelen zu erlassen, das angeschlossene Einführungspatent über die erwähnten drei Hauptstücke des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, dann die gleichfalls beiliegende Instruktione über die innere Organisierung der Waisen- und Kuratelsbehörden und über das Verfahren in Vormundschafts- und Kuratelsangelegenheiten in den genannten Ländern in allgemeinen Umrissen vorgetragen, wogegen sich keine Erinnerung ergab. Dieser Gegenstand wird nun im Wege des Ministerpräsidenten an den Reichsrat geleitet werden16.
X. Auszeichnung für Paul Abram
Dem Antrage desselben Ministers, für den Präsidenten des Kriminalgerichtes zu Venedig, Paul Abram, bei seinem Übertritte in den Ruhestand nebst seinem ganzen Gehalte die taxfreie Verleihung des Ritterkreuzes des österreichisch-kaiserlichen Leopoldordens von der ah. Gnade Sr. Majestät zu erwirken, wurde allseitig beigestimmt. Abram ist 72 Jahre alt, dient, obgleich mit Unterbrechung, im Militär und Zivile über 40 Jahre, wurde beim Ausbruche der Revolution seines Amtes entsetzt, ihm aber die Entfernung aus dem Lande gestattet, und er kehrte nach der Einnahme Venedigs durch die k. k. Truppen sogleich wieder auf seinen Dienstposten zurück. Der Präsident des Venediger Appellationsgerichtes hat ihn sehr warm empfohlen17.
XI. Todesurteil
Gegen den weiteren Antrag des Justizministers auf Nachsicht der Todesstrafe für den Vatermörder Molnár aus Ungarn, welcher diese Tat im berauschten, daher nicht ganz zurechnungsfähigen Zustande begangen, sonst immer ganz friedlich mit seinem Vater gelebt und sich gut betragen hat (wofür der Oberste Gerichtshof einstimmig eine zeitliche Strafe von zwölf Jahren substituieren will)18, sowie gegen dessen Antrag,
XII. Todesurteil
gegen den Mörder Keglevits, gleichfalls aus Ungarn, welcher drei Personen (Mann, Frau und Dienstmagd) in einer Nacht gemordet hat und von allen Instanzen der Ah. Gnade unwürdig erkannt wird, den Obersten Gerichtshof sein oberstrichterliches Amt handeln zu lassen, hat sich keine Erinnerung ergeben19.
Wien, am 19. Juni 1851. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 21. Juni 1851.