Nr. 605 Ministerrat, Wien, 24. Dezember 1851 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Schwarzenberg keine BdE.
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg, BdE.Bestätigung der Einsicht fehlt), P. Krauß (BdE.Bestätigung der Einsicht fehlt), Baumgartner, Bach 5. 1., Thinnfeld 5. 1., Thun, Csorich, K. Krauß; abw.abwesend Stadion, Kulmer.
MRZ. 4348 – KZ. 61/1852 –
Protokoll der am 24. Dezember 1851 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Fürsten Felix von Schwarzenberg.
I. Einkommensteuer des Ärars und der öffentlichen Fonds
Der Finanzminister Freiherr v. Krauß brachte die Frage zur Sprache, ob und inwiefern das Ärar und die öffentlichen Fonds der Einkommensteuer zu unterliegen haben1.
Nach seiner Ansicht hätte hier der Grundsatz zu gelten, daß das Ärar und die öffentlichen Fonds in Ansehung der Steuern gleich den Privaten zu behandeln wären und daß sonach von den in Staatshänden befindlichen Realitäten und von den Gewerben, insofern sie ein Einkommen abwerfen, die Einkommensteuer wie von den Privaten entrichtet werde.
Bei den Gewerben sei dies um so notwendiger, als sonst die Privatgewerbsleute die nicht ungegründete Einwendung vorbringen könnten, daß sie mit dem Staate die Konkurrenz nicht aushalten können.
Der Ministerrat erklärte sich mit dieser Ansicht umso mehr einverstanden, als in Österreich immer darnach vorgegangen wurde und sie in der österreichischen Gesetzgebung gegründet ist, dann auch, weil ein solcher Vorgang zur Evidenzhaltung des wahren Staatseinkommens notwendig erscheint2.
II. Niederschlagung des Preßprozesses gegen Karl Havlíček und den Buchhändler Franz Procházka
Der Justizminister Ritter v. Krauß brachte zur Kenntnis des Ministerrates, daß gegen den nach Brixen relegierten Redakteur des Slovan, Havlíček3, und gegen den mit ihm in Verbindung gestandenen Buchhändler [Franz Procházka] ein Preßprozeß im Zuge und das Verweisungserkenntnis (vor die nächsten Februarassisen in Kuttenberg) bereits|| S. 445 PDF || gefällt worden sei4. Die dem Havlíček zur Last gelegten Punkte sind im Wesentlichen: daß der Staat nun eine ganz deutsche Politik verfolge, daß die vormärzlichen Zustände besser waren als die gegenwärtigen, daß der Staat nur pro forma den Schein des früheren Systems retten wolle, daß die Geistlichkeit und die Bischöfe ihre Schuldigkeit nicht tun, u. dergl.
Würde man dem Prozesse gegen Havlíček Folge geben, so müßte derselbe von Brixen wieder nach Böhmen gestellt werden, was ohne Unzukömmlichkeiten nicht wohl abgehen würde.
Der Justizminister würde es daher unter diesen Umständen für das angemessenste halten, den Prozeß gegen Havlíček und den mit ihm verbundenen Buchhändler ganz niederzuschlagen und zu diesem Ende den Staatsanwalt anzuweisen, seine Anklage zurückzuziehen.
Der Ministerrat erklärte sich damit vollkommen einverstanden, wornach nun der Justizminister das Nötige erlassen und hinsichtlich der als Folge dieses Beschlusses erforderlichen Verfügungen (Aufhebung der Beschlagnahme der inkriminierten Schrift, ihres allenfälligen Aufkaufs etc.) dem Minister des Inneren die Mitteilung machen wird5.
III. Gnadengabe für Karoline Liebhart
Derselbe Minister trug aus Anlaß eines Ah. bezeichneten Gesuches der Witwe des Kanzlisten [Liebhart], welcher 2½ Jahre im k. k. Militär gedient hat, dann als Kanzlist in den Staatsdienst aufgenommen und als solcher beeidet wurde, aber bald darauf gestorben ist, auf die Erwirkung einer Gnadengabe von 100 f. jährlich für dieselbe an, weil diese Witwe sich in äußerst dürftigen Umständen befindet, sehr kränklich ist, für zwei unmündige Kinder zu sorgen hat, und Se. Majestät ihr Gesuch wiederholt Ah. zu bezeichnen geruhet haben, woraus auf die Ah. Geneigtheit, das Schicksal dieser Witwe einigermaßen zu mildern, geschlossen werden dürfe.
Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden6.
IV. Ah. Zufriedenheitsbezeigung für Friedrich Krzisch
Der ak. k. Fondsgutsarzta Dr. Krzisch in Holitsch hat im Jahre 1848 und 1849 den kaiserlichen Truppen unentgeltliche ärztliche Hilfe geleistet, hat ein Militärspital, in welchem ansteckende Krankheiten herrschten, unentgeltlich besorgt und außerdem viele Offiziere behandelt. Es wird dies von den von ihm behandelten Offizieren, von dem Bataillonskommando, dem Militärkommando in Preßburg, dann dem Landesmilitärkommando und dem 3. Armeekommando bestätigt.
Der Kriegsminister fand sich daher bestimmt, für diesen Arzt auf die Ah. Auszeichnung mit dem goldenen Verdienstkreuze anzutragen.|| S. 446 PDF ||
Der Finanzminister machte auf einen, vor kurzer Zeit vorgekommenen analogen Fall aufmerksam, wo dem Arzte in Zistersdorf, der durch eine lange Reihe von Jahren die dortige Finanz- und Grenzwache unentgeltlich behandelt hatte, nicht das angetragene goldene Verdienstkreuz, sondern bloße Ah. Zufriedenheitsbezeugung zugedacht wurde7.
Dieses Praecedens, und, wie der Minister des Inneren bemerkte, die adoptierte Richtung, die bfernere Verleihung vonb Auszeichnungen vom Jahre 1848 möglichst zu reduzieren und nur auf besonders rücksichtswürdige Fälle zu beschränken, veranlaßte die Stimmenmehrheit des Ministerrates, nur für eine Zufriedenheitsbezeugung für den Doktor Krzisch zu stimmen.
Mit dem Antrage des Kriegsministers vereinigten sich nur der Justizminister und der Minister der Landeskultur, der erstere mit der Bemerkung, daß man verdienstvolle Handlungen aus den Jahren 1848 und 1849 nach ihrem anerkannten Verdienste, ohne eine besondere Strenge, ebenso belohnen sollte, als man strafbare Handlungen aus jener Zeit bestraft. Doktor Krzisch habe nach den angeführten Zeugnissen viel für das Militär getan, sich der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt, und schiene daher eines sichtbaren Zeichens der Ah. Anerkennung nicht unwürdig8.
V. Verfassungsrevision (6. Beratung)
Sechste Besprechung über die nachweisende Zusammenstellung der Hauptergebnisse der Beratungen der zum Behufe der Verfassungsrevision aufgestellten Kommission, wobei man von g, Seite 15, bis cc, Seite 23, vorgeschritten ist9.
Zu g, hinsichtlich der Benennung der Vorstände in den Landgemeinden als Bürgermeister und Gemeinderäte fand der Minister des Inneren zu bemerken, daß wegen Wiederaufnahme der vormals landesüblichen Benennungen bereits eine spezielle Bestimmung erflossen ist10.
Zu h bemerkte der Minister des Inneren, daß hier zwischen den Stadt- und Landgemeinden, welche wesentlich voneinander abweichen, unterschieden werden müsse. Den Stadtgemeinden werden zur Besorgung für den Staat mehrere Geschäfte übertragen werden können als den Landgemeinden. Bei städtischen Gemeinden, für welche Gemeindeordnungen bestehen, ist der Umfang ihrer Pflichten und des übertragenen Wirkungskreises schon aus diesem zu entnehmen und eine Beschränkung darin umso weniger angedeutet, als sie mit sonst vermeidlichen finanziellen Nachteilen verbunden sein würde.
In der zweiten Zeile dieses Absatzes wäre daher statt des Wortes „der Gemeinden“ das Wort „der Landgemeinden“ zu gebrauchen.
Der Finanzminister würde ein Gewicht darauf legen, wenn die Verpflichtung der Gemeinden zur unentgeltlichen Besorgung aller jener Geschäfte ausdrücklich ausgesprochen|| S. 447 PDF || würde, welche ihre eigenen Gemeindeangelegenheiten betreffen oder die ihnen von der Regierung übertragen werden dürften. Von einem Wirkungskreise derselben wäre nicht zu sprechen, sondern bloß von der erwähnten Verpflichtung.
Der Justizminister findet gleichfalls den Ausdruck „natürlicher und übertragener Wirkungskreis“ anstößig, indem die Gemeinden jederzeit verpflichtet sind, nicht bloß ihre eigenen, sondern auch die ihnen anvertrauten Regierungsangelegenheiten pünktlich zu besorgen.
In der 2. Zeile von unten (Seite 15) ist demnach, statt „die Vorstände der Gemeinden“, zu setzen: „die Gemeinden sind verpflichtet, der vorgesetzten landesfürstlichen Behörde“, und weiter, statt „in allen Staats- und Landesangelegenheiten“, in allen öffentlichen Angelegenheiten etc. in Anspruch genommene Mitwirkung zu leisten, weil auch die Bezirksangelegenheiten nicht ausgeschlossen sein sollen.
Der Minister Graf Thun fand sich wiederholt veranlaßt, zu bemerken, daß dem großen Grundbesitze und seinen Trägern ein angemessener öffentlicher Wirkungskreis anvertraut werden möge. Der Richter, früher ein Untergebener des Herrschaftsbesitzers, werde künftig eine öffentliche Autorität sein, während sein früherer Herr aller öffentlichen Macht entkleidet sein soll.
Sollte es inkompatibel sein, dem Gutsherrn den Wirkungskreis der Gemeinde zu übertragen, so würde sich Graf Thun selbst dafür erklären, dem großen Grundbesitze den Wirkungskreis des Bezirksgerichtes oder Bezirksamtes zu geben.
Da die Bezirksämter nicht alles auf sich nehmen können, was man den Gemeinden übertragen wollte, und auch die Notwendigkeit und Angemessenheit nicht vorliegt, die Gemeinden lediglich auf ihre Gemeindeangelegenheiten zu beschränken und von allem andern loszuzählen, so wurde beschlossen, den vorgreifenden zweiten Absatz, Seite 16, ganz zu streichen.
Seite 16, 2. Absatz, wäre den Worten „in den inneren Angelegenheiten“ das Wort „der Vermögensverwaltung“, und weiter unten (4. Absatz, 4. Zeile) dem Worte „Verpachtungen“ die Worte „auf längere Dauer“ beizusetzen, weil nur solche Verpachtungen hier gemeint sein können, da Verpachtungen auf kurze Zeit immer den Gemeinden erlaubt waren.
Seite 17, 3. Absatz, 5. Zeile, ist statt „des Abschlusses“ „des Rechnungsabschlusses“ zu setzen.
Seite 21, Zeile 9, ist das Wort „vorwaltende“ wegzulassen, weil es genügen dürfte, wenn die beglaubigte richterliche Befähigung nachgewiesen ist.
Der Minister Graf Thun würde sich, einverständlich mit dem Reichsrate v. Salvotti, für eine vorwaltend politische Verwaltung erklären, weil bei einer kombinierten Verwaltung die politische immer den Vorzug hat und man unter dem Worte „Amt, Amtmann“ ein politisches Amt und einen politischen Beamten versteht.
Die Minister des Inneren und der Finanzen sprachen sich in ähnlicher Weise aus, der erstere mit dem Bemerken, daß die Disziplinargewalt über die sämtlichen Angestellten der Bezirksämter der politischen Verwaltung vorbehalten bleiben müßte, bis etwa auf die äußersten, den Justizbehörden zu überlassenden Fälle der Bestrafung, wie Dienstesentlassung etc.
Der Finanzminister bemerkte, daß die ersten Instanzen, wenn dabei eine Ersparung erzielt werden soll, nicht so zahlreich und so klein sein werden, daß nicht mehrere Beamte|| S. 448 PDF || bei denselben, einer für das politische, ein anderer für das Justizfach etc. angestellt werden sollten. Ist das der Fall, so wird dann jeder Beamte in seiner Sphäre genug zu tun haben und nur mit seinem speziellen Fache beschäftiget werden können. Die Leitung des Amtes könne aber nur einem und zwar dem politischen Amtmann übertragen werden, welcher übrigens keinen Einfluß auf die Entscheidungen des Justizbeamten zu üben hätte. Der Justizbeamte soll, wenn es Zeit und Umstände erlauben, auch mit anderen als streng judiziellen Geschäften in Anspruch genommen werden können, worüber die Instruktion das Nähere bestimmen müßte. Die Disziplinargewalt wäre, bis auf die den Justizbehörden vorzubehaltenden Straffälle, den politischen Behörden zu überlassen.
Gegen diese Ansicht hat sich der Justizminister entschieden ausgesprochen. Nach seiner Ansicht hätte die Vereinigung der ersten Instanzen in einem Amte nur die Folge, daß sie die Hilfsämterc gemeinschaftlich hätten und daß die Justiz- und die politische Verwaltung in einem Orte, einem Hause nebeneinander sein könnten. Eine Disziplinargewalt über die Justizbeamten und selbst ein Einfluß auf ihre Beschäftigung könne den politischen Behörden nicht anvertraut werden und müsse den Justizbehörden, welche ihre Beamten aus ihren Leistungen und den Arbeitsausweisen kennen, unbedingt und allgemein vorbehalten bleiben, wie es auch früher bei den Justitiären der Fall war.
Der Justizminister fände ferner eine Einleitung nach der oberwähnten Andeutung auch inkonsequent. Bei Kollegialgerichten wären die zweiten Instanzen der Justizbehörden auch Disziplinarbehörden, während sie es bei den Einzelnrichtern nicht wären und über sie keine genügende Gewalt hätten. Bei einer solchen Einrichtung würde, nach der Überzeugung des Justizministers, die Justizverwaltung in den ersten Instanzen ganz verkümmern und nach und nach zu Grunde gehen.
Seite 23, 2. Absatz, 2. Zeile von unten, wären nach der Bemerkung des Finanzministers die Worte „und die Schuld“ zu streichen, weil bei dem betreffenden Antrage die Absicht nur dahin ging, daß durch das von dem Angeklagten abgelegte und mit den erhobenen Tatbeständen übereinstimmende Geständnis oder das Zeugnis zweier qualifizierter Zeugen für die Tat nicht zugleich auch dafür, ob ihm die Schuld zuzurechnen sei, als voller Beweis zu gelten hätte11.
Wien, am 26. Dezember 1851.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 7. Jänner 1852.