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Nr. 62 Ministerrat, Wien, 5. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; abw. Doblhoff, Lebzeltern; BdE. Pillersdorf (5. 6.), Franz Karl (10. 6.).

MRZ. 971 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 5. Juni 1848 unter dem Vorsitze des Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Absendung der Ministerratsprotokolle und Weisungen an Doblhoff

Über das Schreiben des am Ah. Hoflager befindlichen Ministers Baron Doblhoff vom 1. Juni1, worin eines Verstosses mit den Protokollen des Ministerrates erwähnt wird, und welches die Bemühungen des Ministers anzeigt, den Ah. Hof zu bestimmen, sich Wien zu nähern, wurde beschlossen, 1. die Ministerratsprotokolle künftig an Baron Doblhoff zu adressieren und die Einleitung zu treffen, daß die Protokolle womöglich noch am Tage der Sitzung selbst ausgefertigt und abgesendet werden; 2. in einem Schreiben an den Minister aus Anlaß der erfolgten Einberufung einiger Staatskanzleibeamten zum Ah. Hoflager2, was auf die Absicht einer längeren Abwesenheit des Ah. Hofes von Wien schließen läßt, zu ersuchen, daß er einer solchen Absicht entschieden entgegentrete, die Annäherung des Ah. Hofes gegen Wien, die Abhaltung des Reichstages allda und die Konstituierung des neuen Ministeriums oder die Entfernung des bisherigen von Wien, dessen Stellung, da ihm die Pläne des Ah. Hofes unbekannt sind, immer unhaltbarer wird, nachdrücklichst betreiben und dabei vorstelle, welche nachteiligen Folgen die längere Entfernung Ew. Majestät von Wien bringe, indem man in den Provinzen die Wirksamkeit des Ministeriums bezweifle, in Prag sie bereits für nicht mehr bestehend anerkenne3, der Verdacht gegen Reaktion und eine geheime Regierung rege werde, und die Anhänglichkeit an die Dynastie erschüttere4.

II. Geplante Deputation der Rada narodowa an das kaiserliche Hoflager

Schreiben des Grafen Stadion von Lemberg vom 1. Juni 1848 5, worin er anzeigt, daß drei Mitglieder der galizischen Rada narodowa6 mit einer Vorstellung gegen die Ministerialentscheidung vom 19. Mai auf die Petition der galizischen Deputation vom 26. April7 nach Innsbruck abgehen werden, um diese Vorstellung Ew. Majestät persönlich zu überreichen.

|| S. 377 PDF || Graf Stadion rät, diese Deputation, welche über Wien reisen will, hier zurückzuhalten und sie von ihrem Vorhaben abzubringen, weil die Rada narodowa keinen öffentlichen gesetzlichen Charakter hat, mithin auch zur Absendung einer Deputation nicht befugt sei.

Allein, nach der Bemerkung des Ministers des Inneren gibt es kein gesetzliches Mittel, diese Individuen von der Reise an das Ah. Hoflager abzuhalten; es erübrigt daher nur, Ew. Majestät dieses Vorhaben derselben vorläufig mittelst dieses Protokolls zur Ah. Kenntnis zu bringen und zu bitten, Allerhöchstdieselben geruhen, die zu überreichende Vorstellung dem Ministerium zuzusenden8.

III. Verhandlungsangebot Scottis; Verbleib Graf Hartigs als Pazifikator; Schreiben Pompeo Littas an August Artaria

Der Minister des Inneren teilte eine Eingabe des Ingenieurs Scotti mit, welcher sich zu Unterhandlungen in Mailand, wo er Verbindungen hat, und zwar unentgeltlich anbietet, und nur im Falle eines günstigen Erfolgs seinen Lohn der Großmut der Regierung überläßt9.

Da der jetzige Zeitpunkt, wo das Glück die österreichischen Waffen begünstigt10, einer Unterhandlung ein geneigters Ohr von Seite der Mailänder zu versprechen scheint, so gedenkt der Minister des Inneren dem Proponenten die erforderliche Autorisation dazu zu erteilen und den Grafen Hartig davon zu verständigen11.

Der Finanzminister glaubte bei dieser Gelegenheit die Frage stellen zu sollen, ob nicht Graf Hartig dermal, wo er zum Stellvertreter Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzog Vizekönigs im lombardisch-venezianischen Königreiche ernannt worden, aufzufordern wäre, die hiermit nicht wohl vereinbarliche Stellung als Pazifikator aufzugeben. Allein, der Minister des Inneren entgegnete, daß die Entfernung des Grafen Hartig von dieser Stelle dermal untunlich wäre, weil jemand bestellt bleiben muß, der förmlich als Bevollmächtigter der Regierung autorisiert ist, und weil zu einer Veränderung in der Person desselben jedenfalls die Mitwirkung des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten erforderlich wäre.

In derselben Angelegenheit war dem Baron Pillersdorf ein Schreiben des Mailänder Kriegsministers Pompeo Litta an Artaria durch letztern mitgeteilt worden12, worin Litta die Geneigtheit zu erkennen gibt zu einer Aussöhnung mit Österreich mit den Worten „Salva la nazionalità tutto si concilia“. Baron Pillersdorf gedenkt den Artaria vertraulich zu ermächtigen, daß er dem Litta antworte, wienach auch die Regierung – mit Vorbehalt der dynastischen Interessen – geneigt sei, auf Grundlage dieser Bedingung in Pazifikationsvorschläge einzugehen13.

IV. Vertreter des Sicherheitsausschusses beim Verfahren gegen Anton Hye

Der Justizminister trug vor: eine Anfrage des Wiener Kriminalgerichtspräses, ob dem Begehren des hiesigen Sicherheitsausschusses zu willfahren sei, welcher verlangte, der Beratung des Kriminalgerichts, welche über die Einleitung eines kriminalgerichtlichen Verfahrens wider den ihm angezeigten Dr. Hye wegen Schuldtragung an den Ereignissen des 26. Mai zu pflegen sein wird, durch zwölf Deputierte beiwohnen zu dürfen14.

Der Sicherheitsausschuß begründet das Begehren mit dem Ministerialerlasse vom 27. Mai15, Punkt 4, und mit seiner Bekanntmachung vom 2. Juni sub 2, worin es heißt, daß die an jenen Ereignissen Schuldtragenden vor ein öffentliches Gericht gestellt und eine öffentliche Untersuchung wider sie werde eingeleitet werden. Aber eben in dieser Zusicherung bloß der Untersuchung als öffentlichen Akt und im Wesen des mündlichen und öffentlichen Gerichtsverfahrens bei allen konstitutionellen Staaten liegt es, daß die Instruktion des Prozesses und die Beratung der Richter zur Wahrung der Freiheit ihrer Stimmen nicht öffentlich gepflogen werde. Darum würde das Begehren des Sicherheitsausschusses lediglich zur Zurückweisung geeignet sein. Nur in der Rücksicht, daß die Sache ohnehin schon durch die Prozedur des Sicherheitsausschusses zur Publizität gekommen ist, gedenkt der Justizminister ausnahmsweise und auf Verlangen des Finanzministers, mit der Beschränkung auf diesen besondern Fall, die Anwesenheit von 12 Deputierten des Ausschusses bei der Hyeschen Voruntersuchung gegen dem zu gestatten, daß auch der provisorische Staatsanwalt beigezogen werde16.

V. Union Siebenbürgens mit Ungarn

Der Finanzminister fand sich durch die soeben erhaltene Nachricht von dem Beschlusse des siebenbürgischen Landtags, wornach die Stände sich für die allsogleiche und unbedingte Union Siebenbürgens mit Ungarn ausgesprochen17 und ihre Repräsentation in größter Eile und auf eine ungewöhnliche Art nach Innsbruck gesendet haben18, zu folgenden Bemerkungen und Vorschlägen verpflichtet: Nach der jetzigen gesetzlichen Lage ist dem Finanzminister, dem Minister der öffentlichen Arbeiten (als Leiter des Montanwesens) und dem Kriegsminister der Einfluß über Siebenbürgen || S. 379 PDF || zuständig und gesichert. Diese drei Ministerien haben daher die Pflicht, dort, wo Schaden für die Gesamtmonarchie und insbesondre für den deutschen Länderkomplex droht, ihre verwahrenden Betrachtungen und Einwendungen gegen ein Zugeständnis zu erheben, welches die Macht des ungrischen Ministerii bedeutend erhöhen, ja ihm selbst durch den Zuwachs von zwei Millionen Menschen, reichen Finanz- und Militärmitteln ein Übergewicht verschaffen dürfte.

Der Finanzminister konnte dem derzeit ihm noch unterstehenden Thesaurar Grafen Miko nicht einmal dahin bringen, daß er pflichtmäßig zum Landtage nach Klausenburg gegangen wäre19 und sich des Anschlusses an die nach Innsbruck ziehende Deputation enthalten hätte. Die Vorstellung der siebenbürgischen Landstände bezielt nun vollends in aller Hast, ohne Beobachtung der gewöhnlichen Geschäftsform und ohne alle Vorkehrung für die Gesamtinteressen der Monarchie, ja nicht einmal in einer für das Großfürstentum Siebenbürgen selbst schützenden Weise die allsogleiche unbedingte Union, bei welcher die Nationalität der Sachsen und Walachen auf keine Art gesichert wäre. Die Walachen sind in Verbindung mit der Bukowina für die deutschen Länder umso wichtiger, als sie die Gründung eines dakisch-romanischen Reiches anstreben. Die Sachsen samt der Militärgrenze sind der Schlußstein der kaiserlichen Macht gegen Osten und erheischen eine Berücksichtigung, wie sie vom ungrischen Ministerium schwer zu erlangen sein wird, wenn nicht vor dem Zugeständnisse der Union die Bedingungen genau ausgesprochen würden.

Bei genauer Erwägung wäre der Beschluß des Landtags selbst in formeller Beziehung anzufechten, indem derselbe durch tumultuarisches Andrängen ohne Abstimmung und Anhörung der Sachsen gefaßt worden ist. Die Schwierigkeiten, eine neue landtägliche Verhandlung in Klausenburg anzuordnen, dürften jedoch zu groß erscheinen, als daß Ew. Majestät diesen Weg einzuschlagen fänden, daher der Ministerrat wesentlich nur die Bedingungen besprechen kann, ohne deren Festsetzung die Union für die Gesamtmonarchie von den verderblichsten Folgen begleitet sein würde.

Der Ministerrat hat die nachteiligen Wirkungen jener Beschlüsse, die Ungern mit einem eigenen verantwortlichen Ministerium beteilt und hiebei die Verhältnisse des Königreichs zur Militärgrenze als einem für die ganze Monarchie eingesetzten Militärinstitute und zu den übrigen Ländern des Kaiserreichs nicht hinlänglich berücksichtigt haben, jetzt schon tief gefühlt und bei mehreren Anlässen bemerkt, welche Zerrüttungen der Finanzen aus dem Unberührtlassen der Gesamtstaatsschuld20 und welche Schwächung der Militärmacht aus dem Einflusse des ungrischen Kriegsministers drohend bevorstehe21, daher dem jetzt, wo der Ministerrat seine Pflicht geltend machen kann, wo noch die Frage der Union offensteht, Ew. Majestät die Notwendigkeit au. gegenwärtig gehalten wird, die Vorstellung der siebenbürgischen Stände nur mit dem Beschlusse zu || S. 380 PDF || erledigen, daß die Ah. Genehmigung nur unter folgenden Bedingungen erteilt werden könne, daß a) alle Kassabestände und anderen Materialvorräte, die in den Ämtern, Kassen, Berg- und Hüttenwerken zu der Zeit, wo die Einverleibung Siebenbürgens mit Ungern stattfinden soll, vorhanden sein werden, der selbsteigenen freien Verfügung Ew. Majestät und der bisher bestandenen Behörden vorbehalten zu bleiben und nicht an die ungrische oder neue siebenbürgische Verwaltung überzugehen haben; daß b) Ungern und Siebenbürgen einen verhältnismäßigen Teil der Gesamtstaatsschuld der österreichischen Monarchie zu übernehmen haben; daß c) die Militärgrenze in ihrem bisherigen Zustande zu verbleiben und das Generalkommando in Siebenbürgen als auch die Militärgrenze unter dem Befehle des Kriegsministeriums in Wien zu stehen haben; d) die bisherige Verpflichtung Siebenbürgens zur Ergänzung des für dasselbe bestimmten Truppenstandes soll fortan ungeschmälert bleiben; e) für den Ah. Hofstaat, die Diplomatie und militärischen Nebenkorps soll Siebenbürgen einen jährlichen Beitrag an die Finanzen des Gesamtstaates leisten; endlich soll f) für die Beamten, welche bisher bei der allgemeinen Hofkammer, dann bei der Hofkammer im Münz- und Bergwesen zur Besorgung der siebenbürgischen Geschäfte bestellt waren, eine gleiche Vorsehung wie für die Mitglieder der siebenbürgischen Hofkanzlei getroffen werden22.

Ges. 10. Juni. Franz Karl. Vidi. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Wissenschaft. Ferdinand. Innsbruck, den 11. Juni 1848.