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Nr. 19 Ministerrat, Wien, 15. September 1914

RS.; P. Ehrhart; VS. Stürgkh; BdE. und anw. (Stürgkh 15. 9.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

KZ. 72 – MRZ. 48

Protokoll des zu Wien am 15. September 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.

I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Einführung einer Geschäftsaufsicht

I. ℹ️ Der Justizminister erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Einführung einer Geschäftsaufsicht.

Aus den Kreisen der Industrie und des Handels sei nachdrücklich der Wunsch geäußert worden, es möge den Schwierigkeiten, in die eine Reihe von Unternehmungen durch die allgemeine Stundung und den dadurch hervorgerufenen Mangel an Zahlungsmitteln geraten seien, in ähnlicher Weise begegnet werden, wie dies im Deutschen Reiche durch Anordnung einer Geschäftsaufsicht geschehen ist1. Ein spezieller konkreter Anlass für eine solche Maßnahme habe sich durch die Situation der Königgrätzer Kreditvorschussanstalt ergeben, welche in Zahlungsschwierigkeiten gelangt sei und deren Zusammenbruch sehr weittragende schädliche Wirkungen auf volkswirtschaftlichem Gebiete auslösen müsste2. Gegenwärtig fehle die gesetzliche Grundlage, um in der angedeuteten Richtung erfolgreich eingreifen zu können. Der sprechende Minister habe daher einen Entwurf ausgearbeitet, der für die Dauer der außerordentlichen Verhältnisse die Möglichkeit schafft, die geschäftliche Tätigkeit von Schuldnern unter die Aufsicht sachkundiger Personen zu stellen, die vom Gericht ernannt und damit betraut werden, den Schuldner bei seiner Geschäftsführung zu überwachen, allenfalls auch die Geschäftsführung selbst in die Hand zu nehmen oder geeignete Vertreter hiefür zu bestellen. Während der Zeit der Geschäftsaufsicht solle der Schuldner vor Exekutionen und dem Konkurse bewahrt bleiben, wobei seine Befugnis zur selbstständigen Vornahme von Rechtsgeschäften beschränkt werde. Die Aufsichtsperson habe weiter dafür zu sorgen, dass von den Eingängen die zur Fortführung des Geschäftes notwendigen Auslagen bestritten und dass dem Schuldner Beträge zur Verfügung gestellt werden, die zu einer bescheidenen Lebensführung erforderlich seien. Allfällige Überschüsse seien zur Befriedigung der Gläubiger zu verwenden. Zur Stellung eines Ansuchens um Geschäftsaufsicht sei sowohl der durch die Kriegsereignisse zahlungsunfähig gewordene Schuldner als auch ein Gläubiger berechtigt, wenn die Geschäftsgebarung des Schuldners eine Schädigung der Gläubiger befürchten lasse3.

II. Erlassung einer Verordnung des Gesamtministeriums betreffend Ausnahmsbestimmungen für das Verfahren und die Fristen in Angelegenheiten des öffentlichen Rechtes zugunsten von Militärpersonen

II. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erlassung einer Verordnung des Gesamtministeriums betreffend Ausnahmsbestimmungen für das Verfahren und die Fristen in Angelegenheiten des öffentlichen Rechtes zugunsten von Militärpersonen4.

Der sprechende Minister habe bereits in der Sitzung des Ministerrates vom 17. August d. J. die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung in der angedeuteten Richtung erhalten5. Inzwischen sei aber mit kaiserlicher Verordnung vom 29. August 1914, Nr. 227 RGBl., die Regierung generell ermächtigt worden, den Einfluss der kriegerischen Ereignisse auf Fristen, Termine und das Verfahren durch Verordnung zu regeln, so zwar dass, wie dies in der Sitzung vom 27. August d. J. konstatiert worden sei, die Erwirkung der ersterwähnten kaiserlichen Verordnung gegenstandslos werde und die Regelung im Wege einer bloßen Gesamtministerialverordnung erfolgen könne. Der Text dieser nunmehr entworfenen Gesamtministerialverordnung stimme im Allgemeinen mit der in der Sitzung vom 17. August erörterten kaiserlichen Verordnung überein. Die wesentlichste Abänderung bestehe in Folgendem: Der Kreis von Personen, die den Militärpersonen gleichgestellt werden, hat eine Erweiterung dahin erfahren, dass den Militärpersonen nunmehr auch Kinder und Pflegebefohlene überhaupt gleichgestellt werden, die eine Militärperson zum gesetzlichen Vertreter haben. Eine solche Ergänzung erweise sich als unerlässlich, um diese schutzbedürftigen Personen während der Abwesenheit ihres gesetzlichen Vertreters Rechtsverlusten nicht auszusetzen6.

III. Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom Tiroler Landtage beschlossenen Gesetzentwurf betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Verwaltung und Verwendung des Seidenraupensamenfonds

III. ℹ️ Der Ackerbauminister erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom Tiroler Landtage beschlossenen Gesetzentwurf betreffend die Abänderung des Gesetzes vom 11. August 1883, LGBl. Nr. 27, über die Verwaltung und Verwendung des Seidenraupensamenfonds7.

IV. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Ermächtigung der Regierung, aus Anlass der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse Verfügungen bezüglich des Warenverkehres mit dem Auslande zu treffen

IV. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Ermächtigung der Regierung, aus Anlass der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse Verfügungen bezüglich des Warenverkehres mit dem Auslande zu treffen8.

Infolge des Eintrittes des Kriegszustandes mit einer Reihe von Staaten sollen die Boden- und Gewerbserzeugnisse dieser Staaten nicht mehr nach den Sätzen der bestehenden Handelsverträge, sondern nach jenen des autonomen Zolltarifes verzollt werden. Es würden aber hiedurch auch jene Provenienzen aus verbündeten und neutralen Staaten der bisherigen Zollbegünstigungen verlustig, denen diese Zollbegünstigungen aufgrund der Meistbegünstigung zukamen. Hiedurch ergebe sich indirekt eine unbeabsichtigte Schädigung der mit uns verbündeten und der neutralen Staaten sowie eine Verschlechterung der ohnehin schwierigen Lage des heimischen Konsums. Um Abhilfe zu schaffen, solle aufgrund einer zu erwirkenden kaiserlichen Verordnung verfügt werden, dass die Provenienzen aus meistbegünstigten Staaten auch weiterhin wie bisher zu behandeln sind; die kaiserliche Verordnung solle aber zugleich die Grundlage bieten, um auch in anderen Beziehungen wirtschaftliche Schädigungen hinsichtlich des Warenverkehres mit dem Auslande hintanhalten zu können (z. B. Suspendierung der Getreidezölle9). Die ungarische Regierung besitze die Ermächtigung zu der ersterwähnten Verfügung bereits durch Gesetzartikel II vom Jahre 191410.

V. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Errichtung einer Kriegsdarlehenskasse

V. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums teilt mit, es habe sich nach den gemachten Erfahrungen als wünschenswert herausgestellt, das Institut der Kriegsdarlehenskassen, welches in Deutschland bereits in früheren Kriegen sowie auch jetzt geschaffen worden sei und sich vollkommen bewährt habe, auch in Österreich ins Leben zu rufen.

Zweck einer solchen Einrichtung sei, die Befriedigung der durch den Kriegszustand bedingten vermehrten Kreditbedürfnisse, insbesondere der Handels- und Gewerbetreibenden, durch Gewährung von Darlehen gegen Pfänder zu erleichtern. Der Leiter des Finanzministeriums beabsichtige daher eine kaiserliche Verordnung zu erwirken, welche die Grundlage für eine einschlägige Aktion zu bilden hätte. Geplant sei die Schaffung einer einheitlichen Organisation durch Errichtung einer Kriegsdarlehenskasse mit den erforderlichen Nebenstellen, deren Betrieb für Rechnung des Staates geführt wird. Die Kriegsdarlehenskasse soll für den Betrag der zugezählten Darlehen unverzinsliche Kassenscheine ausgeben, deren Gesamtbetrag 500 Millionen Kronen nicht zu überschreiten hätte. Die Kontrolle hinsichtlich der Höhe des Umlaufes werde der Staatsschuldenkontrollkommission des Reichsrates übertragen, ohne dass jedoch eine Kontrasignierung der einschlägigen Kassenscheine stattzufinden hätte. Die für das Darlehen zu bietende Sicherheit könne bestehen:

1. in der Verpfändung von dem Verderben nicht ausgesetzten Waren, Boden-, Bergwerks- und gewerblichen Erzeugnissen, welche im Gebiete der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder lagern. Gegen Verpfändung solcher Sachen können Darlehen bis zur Hälfte, ausnahmsweise bis zu zwei Dritteln des Schätzwertes – je nach Verschiedenheit der Gegenstände und ihrer Verkäuflichkeit – gegeben werden;

2. in der Verpfändung inländischer, vom Staate oder mit staatlicher Genehmigung ausgegebener Wertpapiere;

3. in der Verpfändung anderer Werte, welche die Direktion der Kriegsdarlehenskasse über Anforderung oder mit Genehmigung des Finanzministers für zulässig erklärt.

Der Zinsenertrag der Darlehenskassen soll nach Abzug der Verwaltungskosten zunächst zur Deckung etwaiger Ausfälle und auch zur Wiedereinlösung der Darlehenskassenscheine verwendet werden. Nach Aufhören des Kriegszustandes sei die Auflösung der Kriegsdarlehenskasse und unter Festsetzung einer Präklusivfrist die Einberufung der Kassenscheine vom Finanzminister spätestens ein Jahr nach Friedensschluss zu verfügen und öffentlich bekannt zu machen. Mit der Verwaltung der Kriegsdarlehenskasse und ihrer Geschäftsstellen für Rechnung der Staatsverwaltung werde die Oesterreichisch-ungarische Bank betraut. Nach Herablangen der kaiserlichen Verordnung werde der Leiter des Finanzministeriums im Gegenstande ein Übereinkommen mit der kgl. ung. Regierung und mit der Oesterreichisch-ungarischen Bank abschließen. In der sich an diesen Vortrag knüpfenden längeren Diskussion, an welcher sich insbesondere der Ministerpräsident, der Handelsminister, der Eisenbahnminister und der Ackerbauminister sowie der Leiter des Finanzministeriums beteiligen, findet das Projekt im Allgemeinen volle Billigung. Im Einzelnen wird es als wünschenswert bezeichnet, die Zirkulation der Kassenscheine als Zahlungsmittel im Verkehre zu vermeiden. Ferner wird die Frage aufgeworfen, inwieweit eine entsprechende Ingerenz der Staatsverwaltung auf die Führung der Kasse durch die Bank bestehe und ob auch den legitimen Bedürfnissen der Landwirtschaft Rechnung getragen werden könne. Der Leiter des Finanzministeriums erklärt sich bereit, bei den weiteren Verhandlungen auf die möglichste Eindämmung der Zirkulation Bedacht zu nehmen. Die Ingerenz des Staates werde, insoweit sie nicht selbst schon in der kaiserlichen Verordnung vorgesehen sei, im Übereinkommen mit der Bank ausreichend sichergestellt werden; die Bedürfnisse der Landwirtschaft würden Berücksichtigung finden.

Der Ministerrat erteilt sohin dem Leiter des Finanzministeriums die Ermächtigung zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Errichtung einer Kriegsdarlehenskasse, wobei ihm die Feststellung von Einzelheiten im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten überlassen wird11.

VI. Erwirkung der IV. Rangsklasse ad personam für den Rat des Verwaltungsgerichtshofes Dr. Anton Schimm

VI. ℹ️ Der Ministerpräsident erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der IV. Rangsklasse ad personam für den Rat des Verwaltungsgerichtshofes Dr. Anton Schimm. Im Jahre 1911 sei prinzipiell in Aussicht genommen worden, für jene Räte des Verwaltungsgerichtshofes, die eine 10-jährige Dienstzeit bei diesem Gerichtshofe zurückgelegt haben und wegen ihrer vorzüglichen Dienstleistung einer besonderen Begünstigung für würdig befunden werden, die Verleihung der IV. Rangsklasse mit einer Funktionszulage von 3.000 K au. in Antrag zu bringen. Diese Voraussetzungen treffen bei Hofrat Schimm zu, der am 20. September 1904 zum Rate des Verwaltungsgerichtshofes extra statum ernannt wurde und nach dem Zeugnisse des Ersten Präsidenten dieses Gerichtshofes eine besonders eifrige und erfolgreiche Tätigkeit entfaltet12.

VII. Erwirkung des Ordens der Eisernen Krone III. Klasse für den Oberpolizeirat der Polizeidirektion in Wien Regierungsrat Mathias Krottenthaler

VII. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung des Ordens der Eisernen Krone III. Klasse für den Oberpolizeirat der Polizeidirektion in Wien Regierungsrat Mathias Krottenthaler. Der Genannte wird nach einer 33-jährigen sehr anerkennenswerten Dienstleistung über sein eigenes Ansuchen in den Ruhestand versetzt13.

VIII. Erwirkung des Ritterkreuzes des Leopoldordens für den Hofrat bei der Statthalterei in Brünn Johann Prokesch

VIII. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung des Ritterkreuzes des Leopoldordens für den Hofrat bei der Statthalterei in Brünn Johann Prokesch. Der Genannte scheidet nach einer nahezu 41-jährigen Dienstleistung, während deren er sich in den verschiedenen Stellungen stets auf das beste bewährte, aus dem Staatsdienste14.

IX. Erwirkung des Komturkreuzes des Franz Joseph-Ordens für den ordentlichen Professor der Kirchengeschichte an der theologischen Fakultät der böhmischen Universität in Prag, Hofrat Dr. Franz Kryštufek

IX. ℹ️ Der Minister für Kultus und Unterricht erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung des Komturkreuzes des Franz Joseph-Ordens für den ordentlichen Professor der Kirchengeschichte an der theologischen Fakultät der böhmischen Universität in Prag, Hofrat Dr. Franz Kryštufek. Der Genannte hat sich durch eine erfolgreiche, von patriotischem Geiste getragene lehramtliche Wirksamkeit ausgezeichnet, weist vorzügliche wissenschaftliche Leistungen auf und findet allgemeine Anerkennung als hervorragender Gelehrter15.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 18. Dezember 1914. Franz Joseph.