Nr. 30 Ministerrat, Wien, 7. Dezember 1914
RS.Reinschrift; P. Ehrhart; VS.Vorsitz Stürgkh; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Stürgkh, 7. 12.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.
- I. Erlassung einer kaiserlichen Verordnung über die Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung.
- II. Erwirkung der Würde eines Geheimen Rates für Rudolf Freiherrn v. Slatin Pascha.
Protokoll des zu Wien am 7. Dezember 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.
I. Erlassung einer kaiserlichen Verordnung über die Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung
I. ℹ️ Der Justizminister erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 Staatsgrundgesetz über die Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung.
Nach den im Laufe von mehr als vier Dezennien gesammelten Erfahrungen habe sich die Reformbedürftigkeit des Konkursrechtes in steigendem Maße herausgestellt1. Das Justizministerium sei daher schon seit längerer Zeit bestrebt gewesen, eine Novellierung der einschlägigen Bestimmungen in die Wege zu leiten. Nach eingehenden Studien sei es zur Verfassung von Entwürfen gekommen, die zunächst intern auf das Eingehendste geprüft, dann aber auch der Begutachtung von berufenen Vertretern der wirtschaftlichen Kreise, insbesondere der Handels- und Gewerbekammern, unterzogen worden seien. Der sprechende Minister sei in der Lage, zu konstatieren, dass das nunmehr endgiltig festgestellte Elaborat ein vollkommen reifes und wohldurchdachtes Werk darstelle, das, den zwischenzeitig gesammelten Erfahrungen und den bewährten Vorbildern in anderen Staaten Rechnung tragend, auch den berechtigten Wünschen der Öffentlichkeit vollkommen Genüge tue, sodass im Falle seiner Gesetzwerdung auf allgemeine Zustimmung gerechnet werden dürfe. Auf den Inhalt der Vorlage übergehend, möchte der sprechende Minister zunächst betonen, dass es sich darum handeln würde, ein sogenanntes Mantelgesetz zu schaffen, durch welches eine neue Konkursordnung, Ausgleichsordnung und Anfechtungsordnung in Kraft gesetzt werden. Im Übrigen hätte das Mantelgesetz insbesondere gewisse Übergangs- und Spezialbestimmungen, ferner strafrechtliche und gebührenrechtliche Normen zu enthalten. Die neue Konkursordnung sei bestrebt, insbesondere drei Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen:
1. Die möglichste Schonung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners. Auf diesen Gesichtspunkt sei im geltenden Konkursrechte nicht genügend Bedacht genommen; das Konkursverfahren führe gegenwärtig vielfach zur wirtschaftlichen Vernichtung des Schuldners, ohne dass den Interessen der Gläubiger tatsächlich gedient wäre. Eine wesentliche Bestimmung der neuen Konkursordnung gehe in dieser Richtung dahin, dass die bisher auf protokollierte Kaufleute beschränkte Institution des Zwangsausgleiches künftighin allen Schuldnern grundsätzlich werde zugutekommen können.
2. Die Steigerung des Einflusses der Gerichte auf die Abwicklung des Konkursverfahrens. Das heutige Konkursrecht stehe nämlich auf dem Standpunkte, bei Verwaltung und Verwertung der Masse die Autonomie der Gläubiger, beziehungsweise der Gläubigerversammlung uneingeschränkt walten zu lassen, während der staatlich bestellte Konkurskommissär lediglich auf den formalen Gang des Verfahrens eine Ingerenz auszuüben in der Lage sei. Ähnlich wie dies im neuen Zivilprozess und in der neuen Exekutionsordnung2 bereits mit dem besten Erfolge versucht worden sei, solle nun auch hier die Gerechtsame der staatlichen Rechtspflege erweitert werden, was den verschiedenen im Konkurs infrage kommenden Interessen eine gleichmäßigere und zweckentsprechendere Berücksichtigung sichern werde.
3. Die Vereinfachung und Verbilligung des Verfahrens. Die bisherigen Konkursvorschriften lassen eine zu weitgehende Inanspruchnahme des Massenvermögens für das Konkursverfahren selbst zu – betragen doch die Kosten des Verfahrens durchschnittlich 16%, in Wien sogar 30% des gesamten Erlöses – was ebenso wenig den Interessen des Schuldners als denen der Gläubiger entspreche. Die geplante Ausgleichsordnung sei bestimmt, die Grundlage für eine neue Einrichtung zu bilden. Heute bleibe dem in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Schuldner kein anderer Ausweg offen als der Konkurs. Es lasse sich aber nicht leugnen, dass die Konkurseröffnung wertzerstörend wirke, und diese Wirkung werde umso fühlbarer, je weitere Kreise von den wirtschaftlichen Erschütterungen betroffen seien. Um nun solchen Schuldnern, deren wirtschaftliche Kraft überhaupt erhalten werden könne und der Erhaltung würdig erscheine, ein Mittel an die Hand zu geben, sich durch eine Bereinigung der zwischen ihnen und den Gläubigern bestehenden Forderungsverhältnisse wirtschaftlich zu retten, solle die Möglichkeit geschaffen werden, außerhalb des Konkurses und eben anstelle desselben über Antrag des Schuldners ein gerichtliches Ausgleichsverfahren einzuleiten, welches die wertzerstörenden Wirkungen des Konkurses vermeide. In diesem Ausgleichsverfahren hätte grundsätzlich keine Realisierung des Vermögens stattzufinden, das Geschäft solle unter Aufsicht eines Ausgleichsverwalters fortgeführt werden, der Schuldner werde nicht wie der Gemeinschuldner verfügungsunfähig, sondern nur in seiner Verfügungsfähigkeit beschränkt. Das Ziel des Ausgleichsverfahrens sei, zum Abschlusse eines Ausgleiches mit den Gläubigern zu gelangen, der die Wirkungen eines Zwangsausgleiches besitze und damit dem Schuldner die Rückkehr zu geordneter wirtschaftlicher Tätigkeit ermögliche.
Was die neue Anfechtungsordnung anbelangt, so knüpfe sie an das einschlägige Gesetz vom Jahre 1884 an3. Dieses Gesetz habe sich bekanntlich auf den ganzen Komplex des Anfechtungsrechtes, sei es nun, dass die vom Schuldner zum Nachteile der Gläubiger unternommenen Rechtshandlungen innerhalb des Konkurses oder außerhalb desselben angefochten werden, bezogen. Nach den jetzt vorliegenden Entwürfen sollen die Normen über die Anfechtung, insoferne sie im Konkurse erfolgt, in die Konkursordnung aufgenommen, der übrige Teil der Materie aber, insoweit nämlich die Anfechtung von Rechtshandlungen außerhalb des Konkurses infrage kommt, in einer besonderen Anfechtungsordnung geregelt werden. Inhaltlich sei der betreffende Teil des Anfechtungsrechtes der neuen Gestaltung in der Konkursordnung angepasst, im Übrigen aber im Wesentlichen der gegenwärtige Rechtszustand übernommen. Der sprechende Minister möchte nun auf die Frage übergehen, ob es angemessen sei, die bezüglichen Entwürfe, deren meritorischen Inhalt er im Vorstehenden kurz gekennzeichnet habe und gegen den Bedenken kaum erhoben werden könnten, im Wege des Notverordnungsrechtes in Kraft zu setzen. Im Allgemeinen sei die Notwendigkeit und Dringlichkeit, mit einer Reform des Konkursrechtes und der verwandten Bestimmungen vorzugehen, durchaus unbestritten, sie entspreche einem allgemein gefühlten und anerkannten Bedürfnisse. Es liege aber hier noch ein besonderes Moment der Dringlichkeit vor, welches gerade in den gegenwärtigen Verhältnissen seinen Ursprung habe. Die allgemeine Wirtschaftsstockung, die durch den Krieg eingetreten und trotz mancher erfreulicherweise zu konstatierenden Erleichterung noch nicht behoben sei4, sowie eine Reihe von besonderen Maßnahmen, die aus Anlass der kriegerischen Verwicklungen ergriffen wurden, so die verschiedenen Stundungsanordnungen5, die Zahlungsverbote im Auslande und gegenüber dem Auslande6, weiters die teilweise Störung und Behinderung des Verkehres7, endlich die Schwierigkeiten für die Realisierbarkeit und insbesondere auch für die Bewertbarkeit außenstehender Forderungen haben den Einzelnen vielfach in eine beengte wirtschaftliche Lage gebracht. Der Kriegszustand bringe also naturgemäß eine Vermehrung jener Fälle mit sich, in denen das Verhältnis zwischen Schuldnern und Gläubigern unter gerichtlicher Intervention geregelt werden müsse und in denen nach dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung eben das alte Konkursrecht mit allen seinen nachteiligen Wirkungen Platz zu greifen hätte, Wirkungen, die gerade bei dem teilweise abnormen Zustande des Wirtschaftslebens besonders fühlbar und nachteilig sein müssen. Es sei keine Frage, dass man unter dieser Voraussetzung mit einer steigenden Anzahl von Konkursen und mit der Vernichtung wirtschaftlicher Existenzen in einem Maße zu rechnen hätte, welches nicht nur sozial sehr bedauerlich, sondern für den gesamten Verlauf des Wirtschaftslebens im Staate höchst abträglich wäre. Durch die neuen Vorschriften, welche im Konkurse selbst die wirtschaftlichen Interessen des Schuldners besser berücksichtigen und insbesondere auch durch die Schaffung des neuen Ausgleichsverfahrens dem Schuldner ein besonders günstiges und wertvolles Mittel zur Klärung seiner kritischen materiellen Lage bieten, würden aber die früher erwähnten ungünstigen Folgeerscheinungen wesentlich eingeschränkt und abgeschwächt. Wenn auch die geplanten Vorschriften ihrem Inhalte nach für eine längere Dauer bestimmt seien und mit dem Kriege selbst in keinem Zusammenhange stehen, so könne doch ihre beschleunigte Inkraftsetzung im gegenwärtigen Zeitpunkte geradezu als eine Art Kriegsmaßnahme aufgefasst werden.
Nach dem Vorangeschickten glaube der sprechende Minister mit voller Beruhigung konstatieren zu können, dass neben der allgemeinen Dringlichkeit auch das Moment der technischen Dringlichkeit, wie es für eine Handhabung des Notverordnungsrechtes verfassungs- und übungsgemäß verlangt werde, im eminenten Maße gegeben sei. In einer längeren Erörterung, an welcher sich außer dem sprechenden Minister insbesonders auch der Ministerpräsident, der Eisenbahnminister, der Handelsminister, der Ackerbauminister und der Finanzminister beteiligen, werden die Vorschläge des Justizministers prinzipiell gebilligt und den von ihm vorgelegten Entwürfen im Sinne der anverwahrten Textea einmütig die Zustimmung erteilt. Hinsichtlich einiger ungeordneter Detailpunkte wünschen der Eisenbahnminister und der Finanzminister die Herstellung eines weiteren Einvernehmens mit ihren Ressorts, was der Justizminister zusagt8.
Der Ministerrat erteilt sohin dem Justizminister die erbetene Zustimmung9.
II. Erwirkung der Würde eines Geheimen Rates für Rudolf Freiherrn v. Slatin Pascha
II. ℹ️ Der Ministerpräsident erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der Würde eines Geheimen Rates für Rudolf Freiherrn v. Slatin Pascha10. Der Genannte, 1857 in Wien geboren und dahin zuständig, bekleidete bei Ausbruch des Krieges die Stelle eines englischen Generals und Generalgouverneurs des Sudan. Als sich England in die Reihe unserer Feinde stellte, legte er diese Stelle sofort nieder und verzichtete dadurch auf alle Errungenschaften seiner glänzenden vieljährigen Laufbahn. Diese patriotische und loyale Handlungsweise habe den Minister des Äußern veranlasst, für Freiherrn v. Slatin die Erwirkung der Würde eines Geheimen Rates anzuregen, zumal es nicht ausgeschlossen erscheine, dass sich zu einem späteren Zeitpunkte die Möglichkeit ergeben könnte, ihn in einem seiner hervorragenden Begabung entsprechenden Wirkungskreis zu verwenden. Freiherr v. Slatin wurde 1895 durch die Verleihung des Komturkreuzes des Franz Joseph-Ordens mit dem Sterne, 1899 durch Verleihung des Ritterstandes und 1906 durch Verleihung des Freiherrnstandes ausgezeichnet11.
Wien, am 7. Dezember 1914. Stürgkh.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, am 8. Februar 1915. Franz Joseph.