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Nr. 10 Ministerrat, Wien, 8. August 1914

RS.; P. Ehrhart; VS. Stürgkh; BdE. und anw. (Stürgkh 8. 8.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

KZ. 56 – MRZ. 39

Protokoll des zu Wien am 8. August 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.

I. Schaffung eines Ehrenzeichens für Verdienste um das Rote Kreuz

I. ℹ️ Der Ministerpräsident teilt dem Ministerrate die Schaffung eines Ehrenzeichens für Verdienste um das Rote Kreuz mit.

Aufgrund eines au. Vortrages des Protektorstellvertreters der Gesellschaft vom Roten Kreuze, Sr. k. u. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Franz Salvator haben Se. k. u. k. apost. Majestät die Stiftung einer Dekoration für Verdienste um das Rote Kreuz im Prinzipe Ag. zu genehmigen und den Minister des Äußern zu beauftragen geruht, die erforderlichen Detailanträge zu unterbreiten1. Der Minister des Äußern habe nunmehr den Entwurf der Statuten für diese Dekoration dem k. k. Ministerpräsidenten und dem kgl. ung. Ministerpräsidenten zur Äußerung übermittelt2. Nach diesem Entwurf solle die Dekoration den Namen „Ehrenzeichen für Verdienste um das Rote Kreuz“ führen und fünf Grade umfassen, von welchen die zwei höheren (Verdienststern und Ehrenzeichen I. Klasse) von Sr. Majestät, die drei unteren (Ehrenzeichen II. Klasse, silberne und bronzene Ehrenmedaille) vom Protektor-Stellvertreter verliehen werden. Der Zweck der neuen Dekoration bestehe in erster Linie darin, dem „Roten Kreuz“ größere finanzielle Zuflüsse zu schaffen, doch werde ein ziffernmäßig bestimmter Beitrag nur für die erwähnten drei unteren Klassen in Aussicht genommen3. In allen Fällen solle bezüglich der persönlichen Würdigkeit der zu Dekorierenden das Einvernehmen mit der kompetenten Regierungsstelle gepflogen werden. Betreffs der äußeren Ausstattung der Dekoration werde darauf Bedacht genommen, eine Ähnlichkeit mit den Sternen der bestehenden Orden zu vermeiden. Als Tag der Stiftung der neuen Dekoration sei der 22. August d. J. – Tag des 50-jährigen Bestandes der Genfer Konvention – in Aussicht genommen.

Der Ministerpräsident erbittet und erhält sohin die Ermächtigung des Ministerrates, den vorerwähnten Anträgen des Auswärtigen Amtes zuzustimmen4.

II. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Zuständigkeit des Gerichtes des Aufenthaltes zur Führung von vormundschafts- oder kuratelbehördlichen Geschäften

II. ℹ️ Der Justizminister erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 141, über die Zuständigkeit des Gerichtes des Aufenthaltortesa zur Besorgung von vormundschafts- oder kuratelbehördlichen Geschäften.

Nach der geltenden Jurisdiktionsnorm5 richte sich die Zuständigkeit zur Bestellung eines Vormundes oder Kurators oder sonst zur Besorgung von Pflegschaftsgeschäften nach dem Wohnsitze des Vaters oder der unehelichen Mutter des Pflegebefohlenen. Zur Feststellung dieses sogenannten abgeleiteten Gerichtsstandes seien oft zeitraubende und umständliche Erhebungen notwendig. Dieser schon bis jetzt empfundene Übelstand erfahre durch den Kriegsfall eine besondere Verschärfung, da zur Geltendmachung des Unterhaltsanspruches der Angehörigen von Mobilisierten oder sonst zu dringlichen Verfügungen aus Anlass des Krieges, z. B. Ehebewilligungen, Vormünder oder Kuratoren zu bestellen sein werden. Um nun das Einsetzen einer intensiven Fürsorgetätigkeit in dieser Richtung zu ermöglichen, erscheine es notwendig, hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit Erleichterungen eintreten zu lassen. Zu diesem Zwecke soll durch die vorerwähnte kaiserliche Verordnung nach § 109 der Jurisdiktionsnorm ein § 109 a mit folgendem Wortlaute eingeschaltet werden:

„Insoweit dies zur Wahrung der Interessen von Minderjährigen oder Pflegebefohlenen dient oder sonst im öffentlichen Interesse liegt, kann der Justizminister durch Verordnung bestimmen, dass zur Bestellung eines Vormundes oder Kurators und zur Besorgung von Geschäften, die der Vormundschafts- oder Kuratelsbehörde obliegen, das Bezirksgericht zuständig ist, in dessen Sprengel der Minderjährige oder Pflegebefohlene seinen ständigen oder mangels eines solchen seinen letzten Aufenthalt hat. Wenn an dem Amtssitze einer Berufsvormundschaft mehrere Bezirksgerichte bestellt sind, kann der Justizminister für Vormundschaften und Kuratelen, die die Berufsvormundschaft übernimmt, ein Bezirksgericht an diesem Orte allgemein als zuständig erklären.“6

III. Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom galizischen Landtag beschlossenen Gesetzentwurf betreffend die Vereinigung der kgl. Freistadt Podgórze mit der kgl. Hauptstadt Krakau, die Ausscheidung dieser Stadt aus dem Sprengel der Bezirksvertretung in Wiliczka sowie betreffend die Abänderung des Statutes der kgl. Hauptstadt Krakau

III. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom galizischen Landtage beschlossenen Entwurf eines Gesetzes betreffend die Vereinigung der kgl. Freistadt Podgórze mit der kgl. Hauptstadt Krakau, die Ausscheidung dieser Stadt aus dem Sprengel der Bezirksvertretung in Wieliczka sowie betreffend die Abänderung §§ 18, 42, 48, 49, 53, 54, 62, 67, 85 und 99 des Statutes der kgl. Hauptstadt Krakau7.

IV. Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom mährischen Landtag beschlossenen Gesetzentwurf betreffend die Abänderung des Punktes 3 des § 27 des geltenden Gemeindestatutes für die kgl. Stadt Znaim

IV. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom mährischen Landtage beschlossenen Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abänderung des Punktes 3 des § 27 des geltenden Gemeindestatutes für die königliche Stadt Znaim8.

V. Erwirkung der Erlassung einer kaiserlichen Verordnung wegen Bewilligung von Ausnahmen von den Vorschriften über die Sonntagsruhe und die Lohnzahlung beim Bergbau während der Dauer der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse

V. ℹ️ Der Minister für öffentliche Arbeiten erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 Staatsgrundgesetz wegen Bewilligung von Ausnahmen von den Vorschriften über die Sonntagsruhe und die Lohnzahlung beim Bergbau während der Dauer der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse.

Durch die allgemeine Mobilisierung sei dem Bergbau ein großer Teil des Beamten-, Aufseher- und Arbeiterpersonales entzogen und damit die weitere Aufrechterhaltung des Betriebes sehr erschwert worden. Diese letztere sei aber sowohl aus militärischen Gründen wie im Interesse der Bevölkerung in möglichst weitem Maße anzustreben. Zu diesem Zwecke müsse der sprechende Minister in die Lage versetzt werden, die Bestimmungen über die Sonntagsruhe zu modifizieren und ebenso Änderungen hinsichtlich der gesetzlich festgesetzten Termine für die Lohnabrechnung und Lohnzahlung eintreten zu lassen. Die Lohnzahlung erfolge nämlich nach dem bisherigen Stande der Gesetzgebung alle 14 Tage. Mit dem reduzierten Beamtenpersonale werde es nun nicht möglich sein, innerhalb der betreffenden Fristen immer eine vollständige Abrechnung vorzunehmen. Den Bedürfnissen der Arbeiterschaft würde aber auch bei längeren Abrechnungsterminen durch vorschussweise Lohnzahlungen Genüge geschehen. Der sprechende Minister wolle nur aufmerksam machen, dass die beabsichtigte provisorische Regelung, welche sich vielleicht auf den ersten Blick als eine Einschränkung der den Arbeitern gewährten sozialpolitischen Begünstigungen darstellte, in Wahrheit im höchsten Interesse der Arbeiterschaft selbst gelegen sei, weil sie die Aufrechterhaltung des Betriebes und damit die Sicherung der Arbeitsgelegenheit bezwecke9.

VI. Zollfreie Einfuhr von Getreide

VI. ℹ️ Der Handelsminister teilt mit, es sei bisher zum Zwecke der Erleichterung der Getreideeinfuhr im Einvernehmen mit Ungarn festgesetzt worden, dass die Kriegsverwaltung Getreide zollfrei einführen dürfe, wobei sie sich verpflichtet habe, entsprechende Quoten des eingeführten Getreides für die Approvisionierung notleidender Gegenden zur Verfügung zu stellen10.

Nach der inzwischen erfolgten Ausbreitung des Krieges müsse auch mit kriegerischen Ereignissen auf dem Meere gerechnet werden. In dieser Beziehung komme nun in Betracht, dass Bestellungen der Kriegsverwaltung an Getreide unter allen Umständen als Kriegskonterbande betrachtet werden würden. Es wäre daher notwendig, auch anderen Faktoren als der Kriegsverwaltung die Möglichkeit zur zollfreien Einfuhr von Getreide zu geben beziehungsweise die zollfreie Einfuhr ganz allgemein zu gestatten. In dieser Beziehung wären sofort Verhandlungen mit Ungarn im kürzesten Wege einzuleiten.

Der Ministerrat stimmt dieser Anregung zu11.

VII. Organisierung des Arbeitsnachweises

VII. ℹ️ Der Ackerbauminister teilt mit, dass er in Ergänzung der aufgrund einer kaiserlichen Verordnung eingeleiteten Maßnahmen zur Sicherung der Ernte und Feldbestellungsarbeiten eine Organisation betreffend den Arbeiternachweis im großen Stile eingeleitet habe. Diese Organisation umfasse Bezirksstellen, Landesstellen und eine Zentralstelle in Wien. In den Bezirken werde auf die freiwillige Unterstützung der Aktion durch notable Persönlichkeiten, in den Ländern auf die Mitwirkung der Landesausschüsse reflektiert.

Der Ministerrat nimmt diese Mitteilung genehmigend zur Kenntnis12.

VIII. Maßnahmen zur Beseitigung des Hartgeldmangels

VIII. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums verweist auf den in der Öffentlichkeit zutage getretenen Mangel an Hartgeld.

Diese Erscheinung beruhe zum Teil auf dem tatsächlich gesteigerten Bedürfnisse, insbesondere infolge der den Einzelnen durch die Mobilisierung erwachsenen namhaften und dringenden Auslagen, anderseits auf dem ziemlich verbreiteten Bestreben innerhalb der Bevölkerung, Hartgeld zu thesaurieren, ein Bestreben, welches ganz unvernünftig sei, da es auf einer vollkommen unrichtigen Einschätzung des effektiven Wertes der Scheidemünze beruhe. Sowohl die Oesterreichisch-ungarische Bank als die Staatsverwaltung trachten, erstere durch möglichst bereitwillige Geldverwechslung, letztere durch Forcierung der Ausprägung neuer Scheidemünzen, dem Mangel abzuhelfen. In beiden Richtungen könne jedoch über eine gewisse Grenze nicht hinausgegangen werden, und zwar bei der Geldverwechslung über die Grenze der schon ziemlich stark erschöpften Vorräte, bei der Ausprägung über die technische Möglichkeit. In der Folge sei allerdings bei eintretender Beruhigung auf ein Wiederzumvorscheinkommen der thesaurierten Hartgeldstücke sowie darauf zu rechnen, dass die jetzt von den Privaten aus tatsächlichem Bedürfnisse in Anspruch genommenen Münzsorten naturgemäß in die Zirkulation zurückkehren. Bis dahin müsse man aber mit einer möglicherweise steigenden Kalamität rechnen, der, wie gesagt, auch durch die Ausprägung einstweilen nicht abgeholfen werden könne. Der sprechende Minister möchte nun dem Ministerrat jene Möglichkeiten andeuten, welche vorhanden sind, um schon jetzt der Hartgeldkalamität wirksam zu begegnen. In dieser Beziehung kommen in Betracht:

1.) Die Aufstellung einer Strafsanktion für das Ansammeln von Hartgeld zu Thesaurierungszwecken. Diese Strafsanktion würde nur aufgrund einer kaiserlichen Verordnung aufgestellt werden können. Weniger von ihrer tatsächlichen Handhabung als von ihrer Ankündigung sei ein Nachlassen der Thesaurierungsbestrebungen zu erhoffen.

2.) Die Ausgabe von Noten zu zwei Kronen durch die Oesterreichisch-ungarische Bank. Diese Maßnahme sei währungspolitisch unbedenklich, könne aber bei den naturgemäß mangelnden technischen Vorbereitungen größeren Stiles auch nur in einem beschränkten Ausmaße erfolgen und daher an sich auch nicht der Kalamität abhelfen.

3.) Die beschränkte Zulassung von Postwertzeichen als Zahlungsmittel. Die Erzeugung von Postmarken sei technisch sehr einfach und könne in dem Bedarf genügenden Mengen erfolgen. Es wäre daher möglich, Marken mit einer derartigen Verstärkung ihrer äußern Ausstattung, dass sie dem Verderb weniger ausgesetzt wären, in Blättern mit dem Gesamtwerte von 1 Krone beziehungsweise 50 Hellern herzustellen, diese bei Einwechslung von Banknoten an Private in Zirkulation zu setzen und sie in den Staatskassen als Zahlungsmittel anzunehmen.

Über die vom Leiter des Finanzministeriums gekennzeichneten Eventualitäten entwickelt sich eine eingehende Diskussion, an der alle Konferenzmitglieder teilnehmen. Was speziell die Verwendung von Postmarken anbelangt, so erhebt der Handelsminister ressortmäßige und volkswirtschaftliche Bedenken. Die Postmarke sei an sich kein Zahlungsmittel, sondern lediglich die Verpflichtungsurkunde des Staates über eine bestimmte Leistung, nämlich die Postbeförderung einer Sendung. Sie sei überdies eine international registrierte Einrichtung, was ihre Verwendung für andere Zwecke sehr misslich erscheinen lasse. Die einfache Herstellung der Postmarke ermögliche die Fälschung im größten Maße, eine Möglichkeit, von der natürlich, insolange die Marke nur als Postwertzeichen dient, schon mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der Inzirkulationsetzung kaum Gebrauch gemacht werde, während in dem Falle, wo die Postwertzeichen als Zahlungsmittel anerkannt würden, die Fälschung auf breitester Basis einsetzen und den Staat, da der Nachweis sehr schwer gelingen würde, in unabsehbare Zahlungsverpflichtungen stürzen könnte. Auch würde dieses Zahlungsmittel ja nur zwischen den Parteien und dem Staat Geltung haben und daher dem Mangel an Hartgeld in der Bevölkerung nicht wesentlich abhelfen. Schließlich wolle der Handelsminister nicht unerwähnt lassen, dass man sich damit auf das Gebiet der Emission von Staatspapiergeld begebe. Was die Androhung von Strafmaßnahmen gegen die Thesaurierung betrifft, so tritt die Ansicht zutage, dass die erwünschte Wirkung auch ausbleiben und gerade die Strafandrohung die irrige Auffassung von dem höheren Wert des Metallgeldes nur noch verstärken könnte. Dagegen findet die Idee der Emission von Banknoten zu zwei Kronen allgemeine Zustimmung und es wird die Anregung gegeben, auch solche Noten zu 1 K in Verkehr setzen zu lassen.

Der Leiter des Finanzministeriums gibt zu, dass die verschiedenen geäußerten Bedenken sehr beachtenswert seien. Immerhin habe er es für notwendig gehalten, die vorerwähnten Projekte der Beratung des Ministerrates zu unterziehen, wenn anders gegen die Hartgeldkalamität mit sofort wirksamen Mitteln vorgegangen werden solle. Er sei jedoch bereit, sich vorläufig auf das Projekt der Emission von Banknoten zu 2 K beziehungsweise eventuell auch zu 1 K zu beschränken, in dieser Beziehung die Verhandlungen mit der Oesterreichisch-ungarischen Bank zum Abschlusse zu bringen und im Übrigen sich je nach Gestaltung der Verhältnisse eine spätere Antragstellung im Ministerrate vorzubehalten.

Der Ministerrat nimmt diese Intention genehmigend zur Kenntnis13.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 19. Oktober 1914. Franz Joseph.