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Nr. 28 Ministerrat, Wien, 18. Jänner 1872 – Protokoll II

RS. und bA.; P. Stransky; VS. Auersperg; BdE. und anw. (Auersperg 18.1.); Lasser (bei II–VIII) 22. 1., Banhans 24. 1., Stremayr, Glaser 27. 1., Unger 21. 1., Chlumecký 28. 1., Pretis 30. 1.; außerdem anw. Wehli (bei I).

KZ. 94 – MRZ. 13

|| || Protokoll II des zu Wien am 18. Jänner 1872 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Durchlaucht des Herrn Ministerpräsidenten Fürsten Auersperg.

I. Die beim Reichsgerichte anhängige Klage des Joseph Strasser und Konsorten in Mistelbach, überreicht durch Dr. Granitsch, wegen Verletzung des gewährleisteten politischen Rechtes einen Verein zu bilden

I. ℹ️ Der Minister des Innern lässt durch den Sektionschef Freiherrn von Wehli1 die Angelegenheit wegen des Vereines für konstitutionellen Fortschritt in Mistelbach zum Vortrag || || bringen.a

Der Sektionschef Freiherr von Wehli erörtert nun diese Angelegenheit in der Weise, wie sie in dem Protokolle des Ministerrates vom 31. Juli 1871 bereits vorkommt2 und schildert den weiteren Verlauf dahin, dass nach der Entscheidung des Reichsgerichtes die Statthalterei und beziehungsweise im Rekurswege des Ministeriums des Innern erkannt haben, dass die Statuten des Vereines für konstitutionellen Fortschritt in Mistelbach „wegen seiner Einrichtung“ als staatsgefährlich nicht genehmigt werden. Gegen diese Statthalterei- beziehungsweise Ministerialentscheidung hat Dr. Granitsch3 namens der Proponenten des Vereines eine neuerliche Klage beim Reichsgerichte überreicht, welche vom Reichsgerichte dem Ministerium des Innern mitgeteilt wurde. Freiherr von Wehli erachtet daher, dass hier die || || [] [Fragen] zur Lösung zu [gelangen] hätten: Ob das gegenwärtige Ministerium gewillt ist, dem beim Reichsgerichte wieder anhängig gemachten Prozess freien Lauf zu lassen, oder [] von der Entscheidung des Ministeriums zurückzutreten. Er bemerkt dabei, dass das Beharren bei dem früheren Erkenntnis des Ministeriums des Innern nur in dem Falle angezeigt sein dürfte, wenn vorauszusehen wäre, dass das Reichsgericht seine Entscheidung in der Art erlassen würde, dass dadurch das Ministerium nicht kompromittiert sein würde.

Der Ministerpräsident bemerkt hiebei, dass während den Vereinen für konstitutionellen Fortschritt die Abhaltung von Wanderversammlungen verwehrt wurde, die sogenannte katholischen Kasinos4 Wanderversammlungen abhielten [und] hiebei gegen die Staatsgrundgesetze und Volksschul|| || gesetze förmlich agitiert haben. Hierauf erklärt der Minister Dr. Unger, der als Mitglied des Reichsgerichtes in dieser Angelegenheit daselbst intervenierte, dass das Reichsgericht über die erste Klage die Entscheidung des Ministeriums des Innern, welches die Wanderversammlungen als gesetzwidrig erklärte, und deshalb die bezüglichen Statuten nicht genehmigte, als im Gesetze nicht begründet gefunden hat. Dieser Entscheidung des Reichsgerichtes müsse er auch heute noch beipflichten, da kein positives Gesetz solche Wanderversammlungen als unzulässig bezeichnet, der § 4 des Gesetzes über das Vereinsrecht den Sitz des Vereines an einen bestimmten Ort bindet, ohne demselben zu untersagen, einzelne Wanderversammlungen auch an einem anderen Orte abzuhalten, zumal dadurch, dass || || [] in Wanderversammlungen abhält, an dem eigentlichen Sitze desselben noch [keine] Veränderung eintritt und weil eine solche an einem anderen Orte abgehaltene Versammlung keineswegs als ein Zweigverein angesehen und somit auch nicht unter dem § 33 des bezogenen Gesetzes subsumiert werden kann.5 Über die zweite Klage gegen die Entscheidung des Ministeriums des Innern, nach welcher dieser Verein als staatsgefährlich „wegen der innern Einrichtung desselben“ erklärt wurde, hat sich das Reichsgericht ebenfalls für kompetent erklärt und es lässt sich gegen diese Kompetenzerklärung füglich nichts sagen, weil diese Staatsgefährlichkeit der inneren Einrichtung gerade in den zur Sprache gebrachten Wanderversammlungen befunden wurde, worüber bereits das Reichsgericht entschieden habe. Ein anderer Fall || || wäre, wenn das Ministerium des Innern den Verein in concreto als staatsgefährlich erkannt hätte, weil dann, wie Votant versichern zu können glaubt, das Reichsgericht die Klage ganz gewiss verworfen hätte. Die obige Ansicht, dass die Entscheidung über die wiederholte Klage in die Kompetenz des Reichsgerichtes einschlägt haben fast alle Mitglieder desselben und selbst Freiherr von Krauß6, der nicht als allzu liberal in seinen Gesinnungen bekannt ist, geteilt. Es bleibt daher zu erwägen, ob es im Interesse der öffentlichen Autorität liegt, die Sache auf sich beruhen und sich durch das Reichsgericht komtumazieren zu lassen oder die Entscheidung des Ministeriums des Innern zurückzunehmen und auf diese Weise einer Kompromittierung des Ministeriums durch eine sicher zu erwartende gegenteilige Entschei|| || dung des Reichsgerichtes vor[zubeugen].

Der Minister Dr. Unger [stellt] mit Hinblick auf das [Vor]angeschickte den Antrag, [die] Entscheidung des Ministeriums des Innern zurückzunehmen. Diesem Antrage sind sämtliche Mitglieder des Ministerrates beigetreten. Der Handelsminister stimmt dem Antrage des Ministers Dr. Unger, und zwar in voller Übereinstimmung mit der von demselben vorgebrachten Motivierung zu. Der Justizminister findet den Ausspruch des Reichsgerichtes rücksichtlich der Kompetenzerklärung in der vorliegenden Klage ganz korrekt und bemerkt noch dabei, dass das frühere Ministerium durch Erlassung der zweiten Entscheidung sich über das Erkenntnis des Reichsgerichtes offen[bar] hinaussetzen wollte, indem || || es die Begründung durch die Staatsgefährlichkeit „seiner Einrichtung wegen“ nur als ein Hinterpförtchen ansah, durch welches dasselbe seine frühere Entscheidung gegen den Ausspruch des Reichsgerichtes aufrecht erhalten wollte, was aber mit der Würde einer Zentralstelle nicht vereinbarlich erscheint.

Der Ackerbauminister hält die Frage, ob die politischen Wanderversammlungen überhaupt zu gestatten seien für wichtig und sehr diskutierbar und kann nicht verhehlen, dass solche Wanderversammlungen häufig staatsgefährlich sein könnten. Er wäre der Ansicht, dass zu erwägen wäre, ob nicht in dieser Hinsicht die Erlassung einer Verfügung im legislativen Wege anzubahnen wäre. Mit Hinblick auf die bestehenden Gesetze erscheint die fragliche Ministerialentscheidung durchaus unhaltbar, wobei er in Bezug || || [auf] [] [das] bereits vom Minister Glaser Vorgebrachte wiederholen müsse. Der Minister für Kultus und Unterricht stimmt dem Antrage des Ministers Dr. Unger zu. Er schildert hiebei aber die häufigen nachteiligen Wirkungen der Wanderversammlungen und bedauert, dass bei Erlassung des Vereinsgesetzes nicht darauf vorbedacht wurde. Der Finanzminister stimmt dem Antrage des Dr. Unger gleichfalls bei, er kann sich aber hiebei dem nachteiligen Einflusse, den die Wanderversammlung sehr häufig ausüben nicht verschließen, daher er es dankenswert anerkennen müsste, wenn der Minister des Innern den künftighin diesfalls einzuschlagenden Vorgang in Erwägung ziehen wollte.

|| || Der Ministerpräsident konstatiert, dass der Beschluss nach dem Antrage des Ministers Dr. Unger einhellig gefasst wurde und dass die Konferenz sich dahin ausgesprochen hat, dass es in Erwägung zu ziehen wäre, ob nicht eine Revision des Vereins- und Versammlungsrechtes im legislativen Wege vorzunehmen wäre.7

II. Gesetzentwurf, mit welchem der § 3 des Gesetzes vom 26. März 1869, RGBl. Nr. 40, Landesschulinspektoren betreffend abgeändert wird

II.b ℹ️ Der Minister für Kultus und Unterricht bringt den Gesetzentwurf mit welchem der § 3 des Gesetzes vom 26. März 1869, RGBl. Nr. 40,8 betreffend die Zahl, Diätenklasse und Bezüge der Landesschulinspektoren abgeändert wird, zur Sprache.

Die Konferenz ersucht den Minister für Kultus und Unterricht über diesen Gesetzentwurf noch früher mit den Ministern Freiherrn von Lasser und Dr. Glaser das || || [Einvernehmen] zu pflegen [und] dann diesen Gegenstand im Ministerrate in Vortrag zu bringen.9

III. Zwei Gesetzentwürfe wegen Änderung einzelner Landtags- und Reichsratswahlgebiete in Böhmen

III. ℹ️ Der Minister des Innern bringt den von ihm entworfenen au. [Vor]trag zur Verlesung, mit welchem Se. Majestät au. gebeten werden, dem vom Reichsrate über Antrag des böhmischen Landtages beschlossenen Entwurfe eines Gesetzes, wodurch der Umfang der Wahlgebiete für das Abgeordnetenhaus des Reichsrates Nr. 18 und 23 des Anhanges zur Landesordnung des Königreiches Böhmen vom 26. Februar 1861 abgeändert wird und dem vom böhmischen Landtage beschlossenen Entwurfe eines Gesetzes, betreffend die Abänderung der Punkte 16, 19 und 53 des § 7 der Landtagswahlordnung für Böhmen die || || Ah. Sanktion zu erteilen.10

Der Minister des Innern erhält die Zustimmung der Konferenz zur Erstattung des bezüglichen au. Vortrages.11

IV. Der vom steiermärkischen Landtag beschlossene Gesetzentwurf, betreffend die Auflassung der steiermärkischen Findelanstalt

IV. ℹ️ Die Konferenz erteilt dem Minister des Innern die Ermächtigung für den vom steiermärkischen Landtage beschlossenen Gesetzentwurf, betreffend die Auflassung der steiermärkischen Landesfindelanstalt in Graz die Ah. Sanktion zu erbitten, wobei der Handelsminister bemerkt, dass es sehr zu wünschen wäre, dass ja nicht die Notwendigkeit eintrete, eine solche Findelanstalt wieder ins Leben zu rufen.12

V. Der vom steiermärkischen Landtage beschlossene Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung des § 87 der Bauordnung für Steiermark mit Ausschluss der Landeshauptstadt Graz

V. ℹ️ Der Minister des Innern || || [erhält die] Zustimmung der Konferenz, den vom steiermärkischen Landtag beschlossenen Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung des § 87 der Bauordnung für das Herzogtum Steiermark mit Ausschluss der Landeshauptstadt Graz13; ferner

VI. Gesetzentwürfe betreffend: a) die Veränderung der Grenze zwischen der Stadtgemeinde Graz und der Ortsgemeinde Eggenberg; b) die Kompetenz zur Bewilligung von Änderungen des Gemeindegebietes von Graz überhaupt

VI. ℹ️ die vom steiermärkischen Landtage beschlossenen Landesgesetzentwürfe betreffend: a) die Veränderung der Grenze zwischen der Stadtgemeinde Graz und der Ortsgemeinde Eggenberg; b) die Kompetenz zur Bewilligung von Änderungen des Gemeindegebietes von Graz überhaupt14; und

VII. Steiermärkischer Landesgesetzentwurf betreffend die Verlängerung bestehender Straßen- und Brückenmaut|| || privilegien auf nicht ärarischen öffentlichen Straßen und Wegen

VII. ℹ️ den vom steiermärkischen Landtage beschlossenen Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Verlängerung bestehender Straßen- und Brückenmautprivilegien auf nicht ärarischen öffentlichen Straßen und Wegen mit dem Antrage auf Ah. Sanktionierung zu unterbreiten.15

VIII. Beschluss des dalmatinischen Landtages, womit den Gemeindefraktionen Kučine, Sitno und Srinjine die Einhebung von Zuschlägen zu den direkten Steuern für das Jahr 1871 bewilligt wird

VIII. ℹ️ Der Minister des Innern trägt vor: Der dalmatinische Landtag hat in der 17. Sitzung am 14. Oktober 1871 aus Anlass der Beratung über den Voranschlag der Ortsgemeinde Spalato für das Jahr 1871 den Beschluss gefasst, den zur genannten Ortsgemeinde gehörigen Fraktionen Kučine, Sitno und Srinjine die Einhebung eines Zuschlages von 85, 86 beziehungsweise 78% zu den direkten Steuern zur Deckung der Bedürfnisse jener Gemeindefraktionen für das Jahr 1871 zu bewilligen und den Landesausschuss beauftragt, die Ah. Genehmigung dieses Beschlusses zu erwirken.

|| || [Der] Statthalter für Dalmatien [spricht] sich jedoch in Übereinstimmung mit der k. k. [Finanz]landesdirektion Zara dahin aus, dass mit Rücksicht auf die verspätete Inanspruchnahme der fraglichen Zuschläge die Bemessung und Einhebung derselben für das Jahr 1871 derzeit unter allen Umständen nicht mehr tunlich sei, weil infolge einer vom Landesausschusse mit der Finanzlandesdirektion getroffenen Vereinbarung die Zuschläge für sämtliche Gemeinden für das Jahr 1871 längst schon entweder aufgrund er für dieses Jahr rechtzeitig festgesetzten Perzentualsätze oder in Ermanglung genehmigter Voranschläge in demselben Ausmaße wie für das Jahr 1870 vorgeschrieben und zum größten Teile schon eingehoben und verrechnet worden sind. Ferner weil die bezüglichen Verbuchungen keine Änderung mehr erleiden [können] und Exekutionen zur || || nachträglichen Hereinbringung sehr kleiner Beträge, welche einzelne Steuerkontribuenten mit Rücksicht auf die geringe Steuervorschreibung der genannten Gemeindefraktionen zur Erreichung der nunmehr beschlossenen Höhe der Zuschläge zu leisten hätten, ebenso ungerechtfertigt wären. Bei dieser Sachlage und da die Umlegung von Zuschlägen auf die Steuergebühr abgelaufener Jahre im Hinblick auf die damit verbundenen Unzukömmlichkeiten und Schwierigkeit ihrer Einhebung, welche häufig bei eingetretener Abschreibung der Steuerpflichtigen geradezu untunlich ist, möglichst vermieden werden soll, beabsichtigt der Minister des Innern mittelst au. Vortrages den Antrag dahin zu stellen, dass Se. Majestät dem besagten Beschlusse des dalmatinischen Landtages die Ah. Geneh|| || migung nicht zu erteilen [geruhen].

Die Konferenz stimmt dem Minister des Innern zu.16

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Innsbruck, 7. Februar 1872. Franz Joseph.