Nr. 212 Ministerrat, Wien, 14. März 1862 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 15. 3.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách (BdR.Bestätigung des Rückempfangs fehlt), Esterházy, Mažuranić 22. 3. (nur bei I anw.anwesend); abw.abwesend Pratobevera; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 1. 4.
MRZ. 1015 – KZ. 850 –
- I. Interpellation über den Titel „kroatisch-slawonisch-dalmatinische Hofkanzlei“
- II. Interpellation über den Gebrauch der slowenischen Sprache bei den Gerichten
- III. Interpellation über den Sanitätshafen in Triest
- IV. Instruktion für die im Adriatischen Meer aufgestellte Flottenabteilung
- V. Ah. Handschreiben über die Nichteinberufung des ungarischen Landtags
Protokoll des zu Wien am 14. März 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Interpellation über den Titel „kroatisch-slawonisch-dalmatinische Hofkanzlei“
Se. k. k. Hoheit der Vorsitzende durchlauchtigste Herr Erzherzog eröffnete dem Minsterrate den Inhalt einer vom Präsidium des Abgeordnetenhauses erhaltenen Interpellation von Giskra und Genossen, deren Gegenstand sich in der Schlußfrage ausspricht: Warum, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite führt die an die Stelle des provisorischen kroatisch-slawonischen Hofdikasteriums getretene Hofkanzlei auch den Titel einer dalmatinischen?1
Der kroatisch-slawonisch-dalmatinische Hofkanzler äußerte, das Recht zur Führung des Titels „kroatisch-slawonisch-dalmatinische Hofkanzlei“ sei formal durch die diesfällige Ah. Bestimmung bei Bildung dieser Zentralbehörde begründet. Die historisch-diplomatische Begründung des Anspruchs auf diesen Titel aber ergebe sich einfach daraus, daß die der Autorität des Ban unterstehenden Länder seit Jahrhunderten den Namen des dreieinigen dalmatinisch-kroatisch-slawonischen Königreichs führen, so wie auch die Banaltafel die Benennung einer dalmatinischen führte und noch führt. Daß diese Benennung des Landes und seiner Behörden auf die administrativen und politischen Verhältnisse Dalmatiens faktisch keinen Einfluß äußert, wird von den Interpellanten anerkannt. Es ist eben nur ein Titel, auf den man aber in Kroatien einen Wert legt und der selbst in jenen Zeiten unbeanstandet gebraucht wurde, als Dalmatien unter venezianischer und später unter französischer Herrschaft stand. Von einer politischen und administrativen Tragweite kann also keine Rede sein. Daß das Hofdikasterium bloß die Benennung eines kroatisch-slawonischen erhielt, dürfte lediglich darin seinen Grund haben, daß man sich damals in den maßgebenden Kreisen die diplomatische Gepflogenheit nicht gegenwärtig hielt. In den Reskripten Sr. k. k. apost. Majestät an den Landtag wurde dagegen stets des „dreieinigen kroatisch-slawonisch-dalmatinischen Königreiches“ gedacht. Nachdem der Ministerrat diese vom kroatisch-slawonischen Hofkanzler entwickelten Ansichten teilte, ersuchte der Staatsminister denselben, einen Entwurf der Beantwortung der Interpellation in diesem || S. 341 PDF || Sinne recht bald an ihn gelangen zu lassen, damit Ritter v. Schmerling in der Lage sei, die Beantwortung schon in der am 17. d. M. stattfindenden Sitzung des Abgeordnetenhauses zu verlesen, wo die Interpellation vor das Haus gebracht werden wird. Der Umstand, daß letztere vom Präsidium vorläufig mitgeteilt worden ist, motiviere eine Ausnahme von dem Grundsatze, Interpellationen niemals ex tempore zu beantwortena .
II. Interpellation über den Gebrauch der slowenischen Sprache bei den Gerichten
Minister Ritter v. Lasser referierte, er gedenke in derselben Sitzung des Abgeordnetenhauses die am 9. September v. J. von Černe und Genossen eingebrachte2 und erst jüngst erneuerte Interpellation3 betreffend die Einführung der slowenischen Sprache den slowenischen Parteien gegenüber in den Oberlandesgerichtssprengeln von Graz und Triest zu beantworten. Diese Antwort werde im wesentlichen dahin gehen, daß die slowenische Volkssprache nicht ausgebildet und reich genug ist, um in derselben bin der Ausdehnung, wie es der Herr Justizminister Baron Pratobevera für Mähren angeordnet habeb, Geschäfte schriftlich zu behandeln. Im mündlichen Verkehre mit slowenischen Parteien bedienten sich aber die Gerichte ohnehin bereits dieser Sprache cund das Justizministerium habe in neuester Zeit auch für eine teilweise Einführung der slowenischen Sprache bei den Gerichten Verfügungen nach Triest, Graz und Zara im administrativen Wege erlassenc .
Der Ministerrat fand dagegen nichts zu erinnern4.
III. Interpellation über den Sanitätshafen in Triest
Minister Graf Wickenburg ergriff diesen Anlaß, um zu erwähnen, daß er noch immer nicht in der Lage sei, die an ihn als Handelsminister gerichtete Interpellation über die Verwendung des Triester Lazaretts zu Zwecken der Kriegsmarine zu beantworten. Der Minister müsse sich aber diesfalls vorerst Ah. Weisungen au. erbitten5.
IV. Instruktion für die im Adriatischen Meer aufgestellte Flottenabteilung
Minister Graf Wickenburg las den vom Marinekommando vorgelegten Entwurf einer Instruktion, welche dem Kommandanten der im Adriatischen Meere gegen revolutionäre Aggressionen aufgestellten Flottenabteilung zu erteilen wäre6. Da jedoch diese Instruktion mehrere Bestimmungen enthält, welche dem positiven Völkerrechte zuwiderlaufen und weit über die Aufgabe der kreuzenden Kriegsschiffe hinausgehen, ersuchte der Minister des Äußern um deren vorläufige || S. 342 PDF || Mitteilung im schriftlichen Wege, was Minister Graf Wickenburg sofort zusagte7.
V. Ah. Handschreiben über die Nichteinberufung des ungarischen Landtags
Der ungarische Hofkanzler referierte im Nachhange zu den Vorberatungen am 7. und 11. März 1862 über die Textierung des Ah. Handschreibens wegen Nichteinberufung des ungarischen Landtages.
In der Beilage sind zusammengestellt: 1. der vom Grafen Forgách im Ministerrate vom 11. März vorgeschlagene Text, 2. der nach den Anträgen des Staatsministers rektifizierte Entwurf und 3. ein neuer Entwurf, den der Hofkanzler deswegen verfassen zu sollen glaubte, weil er besorgt, daß der Text 2 im Lande keinen guten Eindruck machen werde. Aus dem Entwurfe 3 sei alles beseitigt worden, was eine nutzlose Aufregung hervorzubringen geeignet istd, 8. Referent halte übrigens dafür, es sei besser, gar nichts zu sagen, als abermals „zu sticheln“.
Der Staatsminister sieht nicht ein, was darin Aufregendes liege, wenn die Regierung Ungarn gegenüber in schonendster Weise erklärt, daß sie bei den gefaßten Beschlüssen beharre. Man soll den Mut haben, sich über das Durchzuführende zu äußern, damit keine Illusionen genährt werden und das Land nicht glaube, daß der Standpunkt der Regierung seit der Auflösung des Landtages geändert worden sei. Ritter v. Schmerling würde es vorziehen, gar nichts zu sagen, also so wenig wie der Entwurf 3. Minister Graf Nádasdy bemerkte, der Inhalt des Ungarn betreffenden Ah. Handschreibens sei auch wegen der Rückwirkung auf Siebenbürgen von hoher Wichtigkeit. Aus diesem Grunde habe er ebenfalls einen Entwurf 4e dazu verfaßt und unterziehe denselben der Beratung9. Graf Nádasdy motivierte die einzelnen Sätze des vorgelesenen Entwurfs, in welchem jeder Anschein einer Entschuldigung von Seite Ah. Sr. Majestät vermieden ist. Von königlichen Propositionen geschehe darin keine Erwähnung, damit man nicht etwa glaube, daß die Basis verändert sei. Dagegen halte der Minister es für nötig, von der Aufrechthaltung der selbständigen Verwaltung im Sinne des 20. Oktober (nicht im vormärzlichen Sinne) zu sprechen. Die Wiederherstellung der Munizipien werde darin auf eine Art in Aussicht gestellt, welche eine regierungsfreundlichere Tätigkeit derselben herbeiführen soll. Der ungarische Hofkanzler glaubte sich, abgesehen vom weiteren Inhalte dieses Entwurfes, gegen die Idee einer nahen Wiedereinführung || S. 343 PDF || der Munizipien in Ungarn entschieden verwahren zu sollen. Es sei ein folgenschwerer Irrtum seines Amtsvorfahrers gewesen, den in diesem Land nur zu häufigen Schreiern auf einmal so viele Rednerbühnen zu eröffnen. Neue regierungsfeindliche und leidenschaftliche Elemente haben sich in die vormärzlichen Munizipalversammlungen gedrängt und die ruhigen Diskussionen unmöglich gemacht. Die Folge war, daß inmitten einer serbischen, ruthenischen, slowakischen oder romanischen Bevölkerung doch nur Beschlüsse im ultramagyarischen Sinne gefaßt wurden, deren Folgen bekannt sind. Solchen Gefahren darf man sich nicht wieder aussetzen, und die einzig mögliche Politik ist, in Ungarn durch königliche Beamte zu administrieren, unter ihrem Einflusse günstige Landtagswahlen zu bewirken und zu den Munizipien erst nach deren durch den Landtag geregelten Reform zurückzukehren. In Siebenbürgen scheinen allerdings die Verhältnisse einer Munizipaladministration günstiger zu sein. Der Minister des Äußern , mit dem vom Grafen Nádasdy proponierten Eingange einverstanden, teilte die Meinung des Hofkanzlers, daß man von der noch für lange unmöglichen Wiederherstellung der Munizipien gar nichts sagen sollte. Der Polizeiminister , in letzterer Beziehung einverstanden, kam nach kritischer Beleuchtung der vorliegenden Entwürfe, von denen der dritte ihm noch am meisten zusagen würde, zu dem Schluß, daß es, nachdem keine drängende Notwendigkeit für eine Ah. Kundgebung spricht, am besten wäre, wenn über die Nichteinberufung des Landtages vom Ah. Throne aus gar nichts gesagt würde. Die Minister des Krieges und Graf Esterházy schlossen sich aus voller Überzeugung dieser Meinung an. Ebenso der Minister Ritter v. Lasser , da die vier Texte im Grunde mit mehr oder weniger Worten doch nur das sagen, was ohnehin jedermann weiß. Auch der Finanzminister hält es für angezeigt, nichts zu sagen — zumal nichts, was einer Ah. Entschuldigung gleichsähe. Der Handelsminister spricht sich im selben Sinne aus und findet die Aufstellung eines Programms aus dem gegenwärtigen Anlaß nicht nötig, wegen der Aufregung aber bedenklich. Der Präsident des Staatsrates stimmt auch in erster Linie gegen die Erlassung einer Ah. Kundgebung. Sollte aber eine solche platzgreifen, so müßte selbe möglichst klar gefaßt sein. Daß im Land Ungewißheit herrsche, kann nicht geleugnet werden, und wenn man vor unnötigen Wiederholungen über den Standpunkt der Regierung warnt, so müsse Freiherr v. Lichtenfels aufmerksam machen, daß seit der neuen Oberleitung der ungarischen Angelegenheiten an maßgebender Stelle noch nicht einmal vom Festhalten am 26. Februar gesprochen worden sei. Der politische Standpunkt der Regierung erscheine im Entwurfe des Ministers Grafen Nádasdy am deutlichsten formuliert, dagegen könne er die dort enthaltene Hinweisung auf die Wiederherstellung der Munizipien nicht für angezeigt halten.
Schließlich geruhten Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog als Beschluß der Majorität den au. Antrag auszusprechen, die Erlassung einer Ah. Kundgebung über die Nichteinberufung des ungarischen Landtags habe auf sich zu beruhen10.
|| S. 344 PDF || Über die Beratung in betreff der Erleichterungen für die Militärgrenze wird ein besonderes Protokoll aufgenommen11.
Wien, 15. März 1862. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Die im Punkt IV besprochene Instruktion ist mir vor deren Erlassung zu unterlegen. Franz Joseph. Venedig, den 30. März 1862. Empfangen 1. April 1862. Erzherzog Rainer.