Nr. 97 Ministerrat, Wien, 20. Juli 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Rechberg 20. 7., Mecséry, Schmerling, Degenfeld, Lasser, Plener, Wickenburg, Pratobevera, Forgách, Esterházy, Lichtenfels; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Rechberg 3. 8.
MRZ. 889 – KZ. 2447 –
- I. Wahrung der österreichischen Lehenshoheit über die Lausitz
- II. Artikel für die „Donau-Zeitung“ wegen Baron Vay und Graf Szécsen
- III. Bittschrift des kroatischen Landtags wegen Aufhebung der Militärgrenze; Verhalten zweier pensionierter Offiziere im Landtag
- IV. Kundmachung des Auslieferungsvertrags mit Spanien im Armeeverordnungsblatt
- V. Zweites Begünstigungsjahr für die disponiblen Beamten der schlesischen Regierung und der mährischen Kreisämter
Protokoll des zu Wien am 20. Juli 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer
I. Wahrung der österreichischen Lehenshoheit über die Lausitz
Der Minister des Äußern machte darauf aufmerksam, daß es notwendig sei, bei der eben anhängigen Verhandlung über das Lehensallodialisierungsgesetz im Reichsrate1 die Oberlehensherrlichkeit der österreichischen Krone über die Lausitz durch eine besondere Bestimmung zu wahren. Nach dem vom Minister vorgelesenen Exposé2 ist nämlich dieses Land im Jahre 1635 dem Kurfürsten von Sachsen, dem es bereits früher verpfändet war, als ein königlich böhmisches Kronlehen verliehen worden. Nach Errichtung des Rheinbundes sagte sich Sachsen von dem bezüglichen Lehensbande los, und nachdem die Nieder- und ein Teil der Oberlausitz durch Art. 18 der Wiener Kongreßakte ohne Lehensband an Preußen bis zum Erlöschen der herrschenden Dynastie abgetreten worden, behauptete auch Sachsen die Befreiung vom Lehensbande bezüglich des in seinem Besitze verbliebenen Teils der Oberlausitz. Die k. k. Regierung hat dagegen immer, und zuletzt im Jahre 1845, ihren Anspruch namentlich in Beziehung auf das Heimfallsrecht geltend gemacht. Letzteres dürfte vielleicht bald zur Anwendung kommen, da die Lausitz als Mannslehen verliehen worden und der König von Sachsen keine männliche Deszendenz hat. Es wäre also durch eine entsprechende Klausel in dem Lehensallodialisierungsgesetze hierwegen Vorsorge zu treffen. Dies ist, versicherte Minister Ritter v. Lasser , bereits geschehen, indem mit seiner Zustimmung im Reichsratsausschusse die Bestimmung in den Entwurf aufgenommen ward, daß durch dieses Gesetz die außerhalb Österreichs gelegenen Lehen nicht berührt werden. Hiermit erklärte sich sofort der Minister des Äußern für befriedigt, sobald jene Klausel durchgeht3.
|| S. 240 PDF || Auch die übrigen Stimmführer fanden dagegen nichts zu erinnern, und bemerkte übrigens der Staatsratspräsident nur, daß der Heimfall der Lausitz nicht so nahe bevorstehen dürfte, weil sie nach dem Lehensbriefe nicht nur auf die weibliche Deszendenz der gegenwärtig herrschenden Linie, sondern nach deren Erlöschen auch auf die Sachsen-Altenburgsche Linie überzugehen hat.
II. Artikel für die „Donau-Zeitung“ wegen Baron Vay und Graf Szécsen
Der Polizeiminister las den Aufsatz eines für die „Donau-Zeitung“ bestimmten Artikels als Entgegnung auf den beleidigenden Ausfall der „Presse“ wider den abgetretenen ungrischen Hofkanzler Baron Vay und den Minister Grafen Szécsen, wogegen nichts erinnert wurde4.
III. Bittschrift des kroatischen Landtags wegen Aufhebung der Militärgrenze; Verhalten zweier pensionierter Offiziere im Landtag
Ungeachtet die zum kroatischen Landtage gewählten Deputierten der Militärgrenze der ihnen mit Ah. Genehmigung erteilten Instruktion zufolge sich nur an der Beratung über die schwebende staatsrechtliche Frage über die Stellung des Landes zu Ungern zu beteiligen und nach deren Abschluß den Landtag zu verlassen hatten5, haben sie dennoch eine Repräsentation an Se. Majestät beschlossen, worin unter Darstellung des angeblichen Druckes der Grenzbevölkerung um Auflösung des Militärgrenzinstituts und Vereinigung des Militärgrenzgebiets mit Zivilkroatien gebeten wird. Der Banus hat diese Repräsentation auf den Tisch des Hauses gelegt, sie wurde verlesen und vom Landtage deren Unterstützung und Überreichung an Se. Majestät durch eine Deputation einstimmig beschlossen6. Im Ah. Auftrage Sr. Majestät erbat sich der Kriegsminister die Wohlmeinung des Ministerrates darüber, ob diese Repräsentation von Sr. Majestät anzunehmen und die Deputation zu empfangen sei. Er seines Orts würde sich im Sinne der obigen Instruktion um so mehr gegen die Annahme der Repräsentation erklären, als eben jetzt auf seinen Befehl eine Verhandlung im Zuge ist, wodurch wirklich begründet befundenen Beschwerden über Gebrechen || S. 241 PDF || in der Grenzverwaltung abgeholfen werden soll7, und als, nach dem Inhalte eines zweiten Berichts des Banus, der frühere günstige Beschluß des kroatischen Landtags über die Unionsfrage eine der Regierung minder günstige Modifikation erfahren hat8.
Der zuerst zur Abgabe seiner Meinung aufgeforderte ungrische Hofkanzler erklärte sich, gestützt auf frühere Vorgänge in Ungern, zwar für die Annahme der Repräsentation, jedoch gegen deren Übergabe durch eine Deputation, weil Deputationen nur unnötige Kosten, Aufsehen und Ovationen veranlassen. Dagegen glaubte der Staatsminister , selbst die Annahme der Repräsentation widerraten und aus dem Grunde ablehnen zu können, weil der Landtagsbeschluß, sie zu unterstützen und vorzulegen, formell illegal war, indem er unter Mitwirkung der Deputierten der Militärgrenze zustande kam, welche sich nach der ausdrücklichen Ah. Bestimmung Sr. Majestät bloß an der Beschlußnahme über die Frage der staatsrechtlichen Stellung Kroatiens zu Ungern und sonst weiter an nichts mehr zu beteiligen hatten. In gleichem Sinne sprach sich auch der Minister des Äußern aus, hinzusetzend, daß die Verhältnisse der Militärgrenze gar nicht zur Kompetenz des kroatischen Landtags gehören, letzterer also durch jenen Beschluß offenbar seinen Wirkungskreis überschritten habe. Indessen schien es ihm doch wünschenswert, daß zur Vermeidung von Aufregung im Lande die Ablehnung unter Vermeidung der prinzipiellen Frage in möglichst schonender Form, etwa unter Hinweisung auf die vom Kriegsminister erwähnte Verhandlung wegen Abstellung von Beschwerden, die eben Gegenstand der Repräsentation seien, abgefaßt werden möge. Der Polizeiminister bemerkte dagegen: Die Zulassung der Grenzdeputierten zum Agramer Landtage gründet sich auf die teilweise Gewährung der von einer Landtagsdeputation Sr. || S. 242 PDF || Majestät überreichten Bitte9. Se. Majestät haben durch diese, wenn auch nur teilweise oder bedingnisweise Gewährung die Ingerenz des Landtags auf die Grenze gewissermaßen zugestanden. Es erschiene also nicht konsequent, die Annahme der Repräsentation aus dem Titel der Inkompetenz des Landtags abzulehnen. Der vom Staatsminister geltend gemachte Ablehnungsgrund bestünde wohl formell, würde aber kein anderes praktisches Resultat haben als die Wiederholung der Repräsentation außerhalb des Landtags, und dazu könnte auch der Staatsminister die Berechtigung den Petenten nicht absprechen. Der Polizeiminister stimmte daher für die Annahme der Repräsentation, bei deren Beantwortung der Formfehler gerügt werden könnte, jedoch gegen die Zulassung einer Deputation. Minister Ritter v. Lasser , vorstehende Ansicht teilend, setzte noch hinzu: Solange die Frage über die Vertretung der Militärgrenze noch ganz offen war, konnte man sagen, die Grenzer haben auf dem Landtage nichts zu tun, eben weil sie Grenzer sind. Nun aber, nachdem die Ausnahme einmal gemacht worden, ist dem Landtage wohl der Schluß a contrario erlaubt, zumal da damit die im Lande gewünschte Realisierung der Vereinigung der Grenze mit dem Provinziale angebahnt wird. Der Finanzminister stimmte ebenfalls für die Annahme der Repräsentation, da ihm die formellen Bedenken nicht gewichtig genug erscheinen, um sie von vornhinein abzuweisen, da ferner, wie aus der vom Kriegsminister selbst angeordneten Verhandlung zu schließen, ohne Zweifel Gebrechen in der Grenzverwaltung bestehen und da endlich die auf die Repräsentation zu erteilende Antwort noch Gegenstand der Beratung sein wird. Selbst gegen die Überreichung der Repräsentation durch eine Deputation hätte er kein Bedenken. Die Minister Graf Wickenburg und Baron Pratobevera teilten ganz die Ansicht des Polizeiministers, welcher [Ansicht] sich auch unter Beitritt des Ministers Grafen Esterházy der ungrische Hofkanzler mit der Bemerkung anschloß, daß Se. Majestät die vorzulegende Repräsentation dahin zu erledigen geruhen dürften, daß Allerhöchstdieselben sie dem Kriegsminister zur Vergutachtung zu überweisen, dem Landtage aber zu bemerken fänden, daß dessen Beschluß aus den vom Staatsminister geltend gemachten Gründen formell ungültig war. Der Staatsratspräsident endlich erklärte sich jedenfalls gegen die Annahme der Deputation und unter Anerkennung der Richtigkeit der Motive des Ministers des Äußern und des Staatsministers auch gegen die Annahme der Repräsentation, falls sie vom Landtage vorgelegt werden wollte. Dies wäre dem Landtage mit dem Beifügen zu eröffnen, daß die Regierung wegen Abstellung mehrerer Verwaltungsgebrechen in der Grenzverwaltung das Geeignete bereits eingeleitet habe. Es könnte aber auch diese Repräsentation, wie jene wegen Ausscheidung Zenggs aus dem Grenzverbande10, vorderhand unerledigt bleiben. a Sonach — konkludierten Se. k. k. Hoheit — war die Mehrheit der Stimmen für die Annahme der Repräsentation, jedoch gegen die Deputationa 11.
|| S. 243 PDF || Ein zweiter Gegenstand der Besprechung war die auf Ah. Befehl Sr. Majestät vom Kriegsminister gestellte Frage, ob gegen pensionierte k. k. Offiziere, wenn sie als Landesvertreter gegen die Regierung stimmen, wie dies FML. Draskovic und Oberst Kulmer auf dem kroatischen Landtag getan, mit einer Ahndung, Pensionsentziehung oder Anweisung derselben an einem anderen Orte etc. vorgegangen werden könne.
Der Staatsminister erklärte dies mit Rücksicht auf das Prinzip der Unverantwortlichkeit der Vertreter kaum für möglich, und der Polizeiminister bemerkte, daß [man], wenn man gleich einem wirklich Angestellten unter Androhung der Entsetzung vorschreiben könnte, wie er als Vertreter zu stimmen habe, doch gegen einen Pensionisten mit der Entziehung der Pension, welche für geleistete Dienste gezahlt wird, nicht vorzugehen vermöchte, wenn man ihn einmal zur Vertretung, und zwar hier wohl etwa mit der Voraussetzung, aber nicht mit der Verpflichtung, für die Regierung zu stimmen, zugelassen hat12. Der Minister des Äußern bemerkte, es liege bei der bestehenden Dienstpragmatik nicht in der Macht der Regierung, Beamte, die als Vertreter gegen die Regierung stimmen, zur Verantwortung zu ziehen13, und es bliebe — nach einer weiteren Bemerkung des ungrischen Hofkanzlers — nur eine indirekte Einwirkung auf solche Individuen zulässig, welche mit größter Vorsicht geübt werden müsse, um nicht, wenn sie bekannt würde, als eine gefährliche Waffe wider die Regierung selbst gekehrt zu werden.
IV. Kundmachung des Auslieferungsvertrags mit Spanien im Armeeverordnungsblatt
Eine Frage des Kriegsministers , ob der Staatsvertrag mit Spanien wegen Auslieferung der Verbrecher im Armeeverordnungsblatte ohne Mitwirkung des Reichsrates kundgemacht werden könne, wurde bejahend entschieden14.
V. Zweites Begünstigungsjahr für die disponiblen Beamten der schlesischen Regierung und der mährischen Kreisämter
Der Antrag des Staatsministers auf Verlängerung des Begünstigungsjahres für die disponiblen Beamten der schlesischen Landesregierung und der mährischen Kreisämter vom 1. August an auf ein weiteres Jahr (Mehraufwand gegen die normalmäßigen Gebühren 19.000 f.) fand aus Humanitätsrücksichten keinen Widerstand, weder von Seite des Finanzministers , bwelcher dem || S. 244 PDF || Herrn Staatsminister die möglichst baldige Unterbringung der disponiblen Beamten und die so unerläßliche Schonung des Staatschatzes bemerkbar machteb, noch der übrigen Stimmen15.
Wien, am 20. Juli 1861. In Vertretung Sr. kaiserlichen Hoheit. Rechberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 31. Juli 1861. Empfangen 3. August 1861. Rechberg.