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Nr. 55 Ministerrat, Wien, 26. April 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS. (ursprünglich als Prot. I., siehe MRProt. v. 26. 4. und 4. 5. 1861) ; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 28. 4.), Rechberg, Mecséry, Vay, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera 4. 5., Lichtenfels 4. 5., Kemény 5. 5.; BdR. Erzherzog Rainer 6. 5.

MRZ. 834 – KZ. 1408 –

Protokoll des zu Wien am 26. April 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Vertretung Siebenbürgens beim Reichsrat

Der Präsident der siebenbürgischen Hofkanzlei referierte über die Frage der Vertretung Siebenbürgens bei dem Reichsrate und las den diesfälligen au. Vortrag der Hofkanzlei vom 18. April d. J., Z. 11781, worin das Gutachten dahin erstattet wird, daß die Hofkanzlei die Vornahme der Wahlen nach dem die ungarischen Länder nicht betreffenden § 7 des Statuts für die Reichsvertretung2 als praktisch nicht wohl ausführbar und zu gefährlichen Reibungen unter den Nationalitäten führend nicht anempfehlen könne, sondern daß die Vertretung Siebenbürgens im Reichsrate vielmehr dem nächstens einzuberufenden Landtage als eine regia propositio zur Verhandlung zuzuweisen wäre. Es sei nämlich durch das Ah. Diplom und die Handschreiben vom 20. Oktober und 26. Februar3 bereits entschieden, daß Siebenbürgen bei dem Reichsrate nur durch vom Landtage gesendete Abgeordnete vertreten werden könne. Auch seien die Steuerleistung und die Heeresergänzung Gegenstände, die nur durch den gesetzlichen Einfluß des Landtages geregelt werden können und die mit der konstitutionellen Stellung Siebenbürgens im engsten Zusammenhange stehen.

Der ungarische Hofkanzler erklärte, daß er sich mit den Anträgen des Barons Kemény nur vereinigen könne. Die Einberufung des siebenbürgischen Landtages auf Grundlage des § 7 würde jetzt in Siebenbürgen so wie in Ungarn den schlimmsten Eindruck hervorbringen und doch bloß einen relativ sehr geringen Erfolg haben. Denn wenn auch wirklich auf diesem Wege einige walachische und sächsische Abgeordnete im Reichsrate erscheinen, so könne deren Gegenwart von keinem moralischen Gewichte für diese Versammlung sein. Minister Graf Szécsen stimmte gleichfalls dem Präsidenten Baron Kemény bei. Es entspreche dem Grundsatze der Schonung der politischen Individualität der einzelnen Länder, daß man Siebenbürgen das Recht, die Abgeordneten || S. 301 PDF || auf dem Landtage zu wählen, nicht vorenthalte. Daß dieser Landtag erst später zusammentritt, sei nicht die Schuld des Landes, welches mithin eine Strafe unschuldig erleiden würde. In diesem Augenblicke sei die Stellung Ungarns zum Reichsrate noch nicht klar. Der Versuch einer tatsächlichen Durchführung des § 7 in Siebenbürgen würde nicht nur nichts nützen, sondern wesentlich schaden. Der Staatsminister setzte in einem längeren Vortrage die dringende Notwendigkeit auseinander, daß der Reichsrat seine Wirksamkeit für die Gesamtmonarchie ohne Verzug beginne und daß zu diesem Behufe seine Kompetenz formell außer Zweifel gesetzt werde.

Jedes Land habe das Recht, von der Regierung zu fordern, daß Vorkehrungen zu dessen Vertretung im Reichsrate getroffen werden. Dies ist nun überall mit Ausnahme von Siebenbürgen geschehen. Der kroatische Landtag hat diesfalls auch bereits eine bestimmte Aufforderung von Sr. Majestät erhalten. In der Eröffnungsrede an den ungarischen Landtag ist allerdings nicht explizit auf die Beschickung des Reichsrates hingewiesen worden4. Allein eine bestimmtere Aufforderung durch ein königliches Reskript kann sofort erfolgen. In Siebenbürgen ist leider aber keine Aussicht, daß der Landtag sich vor drei Monaten versammle, und das Heil der Monarchie gestattet es nicht, die Beratung der wichtigsten Fragen für den Gesamtstaat bis dahin auszusetzen. Nach dem Grundsatze „salus publica suprema lex esto“ bleibt nichts übrig, als im gegenwärtigen außerordentlichen Übergangszustande von der strikten Form abzugehen und das im § 7 vorgesehene letzte Auskunftsmittel zu ergreifen, selbst auf die Gefahr hin, daß es gar keine Wahlen zur Folge hätte. Allein der Staatsminister glaubt, dies nicht besorgen zu müssen, sondern hofft vielmehr, daß die Sachsen und zum Teil auch die Romanen wählen werden. Von den 26 Vertretern Siebenbürgens dürften 10 auf die Ungarn, 10 auf die Romanen und 6 auf die Sachsen repartiert werden. Bedauerlich bleibe es immerhin, daß die Anträge wegen Vertretung Siebenbürgens, welche Se. Majestät am 26. Februar abgefordert haben, erst volle zwei Monate später zur Beratung kommen. Der Minister des Äußern schließt sich vollkommen den Anträgen des Staatsministers an.

Der ungarische Hofkanzler hält es nicht für rätlich, in diesem Augenblicke auf die Vornahme der Wahlen in Siebenbürgen zu drängen. Bei den zerstreuten Wohnsitzen der drei Nationen des Landes könne leicht ein Bürgerkrieg mit Wiederholung der Greuel von 1848 ausbrechen. Baron Vay verkenne keineswegs die dringende Notwendigkeit der Reichsratsbeschlüsse über die Finanzfragen. Dieselben würden aber jedenfalls allgemein verbindlich sein, mögen nun einige sächsische und romanische Deputierte mitstimmen oder nicht. Minister Graf Szécsen wies wie bei früheren Beratungen auf die Gefahren hin, die darin liegen, daß die Stellung der Romanen nicht bloß eine politische, sondern auch eine soziale Frage ist. Der Präsident der siebenbürgischen Hofkanzlei teilte die vom ungarischen Hofkanzler geäußerte Besorgnis über die Folgen der Anordnung direkter Wahlen in jenem Lande und erklärt, seinen Antrag festhalten zu müssen. Übrigens verwahrt sich Baron Kemény gegen den Vorwurf, als ob die siebenbürgische || S. 302 PDF || Hofkanzlei an der Verzögerung des Landtages Schuld trage. Diese war vielmehr eine notwendige Konsequenz davon, daß die Entscheidung über seine Organisierungsanträge bis nach Beendigung der Karlsburger Konferenz vertagt wurde und erst am 31. v. M. erfolgte. Der Polizeiminister vereinigte sich mit den Anträgen des Staatsministers, da er keinen anderen Ausweg absieht, um die formelle Kompetenz des Reichsrates zu erzielen. Dies sei eine dringende Lebensfrage. Minister v. Lasser verwahrt sich dagegen, daß er an der Verzögerung des siebenbürgischen Landtages Schuld trage. Übrigens sei nach der Haltung, welche, anach Zeitungsnachrichten zu schließen, welche, wie es seinerzeit in Ungarn geschah, vom Festhalten des 1848er Standpunktes und der Union, vom Ignorieren der für die Komitate erlassenen Instruktion, von Illegalbetrachtung der siebenbürgischen Hofkanzlei etc. berichtena, das Land selbst gegenüber der siebenbürgischen Hofkanzlei angenommen hat, leicht zu erraten, was von einem dortigen Landtage zu erwarten ist. Vor allem handelt es sich aber jetzt darum, den Reichsrat bmit voller formeller Kompetenzb zusammenzubringen und dazu in Siebenbürgen in Ermangelung eines Landtages den § 7 anzuwenden. Die Behauptung, daß derselbe auf die Länder der ungarischen Krone keine Anwendung finde, muß Ritter v. Lasser entschieden in Abrede stellen. Es sei dies nirgends ausgesprochen. Wenn die übrigen Kronländer der ungarischen Negation des Reichsrates gegenüber cund bei der bisherigen passiven Haltung, in der sie keine Steuern zahlen und die Staatsbedürfnisse in Ungarn durch Geld aus den Ländern diesseits der Leitha bestritten werden müssenc, nicht den kürzeren ziehen [sollen] und die Monarchie der größten Gefahr preisgegeben werden soll, muß die formelle Kompetenz dieses Körpers hergestellt werden. Aus diesem Grunde stimme dieser Minister im Prinzipe mit dem Staatsminister. Minister Graf Szécsen protestiert gegen die Ansicht der Vorstimme über die Allgemeingültigkeit des § 7, welche vielmehr durch die gleichzeitig erlassenen Handschreiben an Baron Vay, Baron Kemény und Präsidenten Mažuranić elidiert worden sei. Nur unter dieser Voraussetzung habe Graf Szécsen das Patent vom 26. Februar unterschrieben. Der Finanzminister äußerte, man werde im Wiener Reichsrate sowie im Pester Landtage nach Siebenbürgen fragen, und die Regierung müsse sich daher korrekt nach dem Gesetze benehmen, wenn sie nicht schwere Verantwortung auf sich laden will. Das Reich gelte ihm mehr als Ungarn und Siebenbürgen. Überdies scheine ihm die Wiederkehr blutiger Szenen keineswegs unvermeidlich, dwenn jeder der dortigen Nationen ihr Wille und ihre eigene Selbstbestimmung in bezug auf die Wahl gelassen werdend . Der Kriegs- und der Handelsminister pflichteten ebenfalls dem Staatsminister bei, so auch Baron Pratobevera , welcher bemerkte, die Besorgnis vom Bürgerkriege stehe mit der behaupteten Einstimmigkeit des Landes über die Unionsfrage im Widerspruche. Der Staatsratspräsident fügte bei, die Greuelszenen vom Jahre 1848 seien aus der Unterdrückung der Walachen hervorgegangen. Dieser Grund aber falle jetzt weg. Durch die Furcht, „daß es in || S. 303 PDF || Ungarn jetzt losgehen werde“, dürfe man sich nicht abhalten lassen, dringend notwendige Maßregeln zu treffen, sondern es sei vielmehr erwünscht, einmal zu wissen, woran man in diesem Lande ist. Was die Allgemeingültigkeit des § 7 betrifft, so wurde dieselbe durch die gleichzeitig erlassenen Ah. Handschreiben keineswegs beschränkt, sondern diese Handschreiben hatten nur den Zweck, womöglich im Wege der Landtage zur Beschickung des Reichsrates zu gelangen, vorbehaltlich in Ermangelung anderer Mittel den § 7 in Vollzug zu bringen.

Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer behielten Höchstsich vor, in dieser Angelegenheit die Ah. Entscheidung einzuholen.

II. Aufforderung Ungarns zur Beschickung des Reichsrates

Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer geruhten hierauf, die Frage besonders zur Beratung zu bringen, ob die Aufforderung Ungarns zur Beschickung des Reichsrates bisher schon als formell geschehen betrachtet werden könne? Hierüber müsse man im reinen sein, weil diesfalls schon bald Interpellationen im Reichsrate erfolgen dürften.

Der Staatsminister erinnerte, er habe bei der unter dem Ah. Vorsitze am 30. v. M. abgehaltenen Beratung beantragt5, der ungarische Landtag sei in der Eröffnungsrede des Grafen Apponyi aufzufordern: 1. einen Wahlmodus wegen definitiver Beschickung des Reichsrates in Beratung zu ziehen und 2. einen Vorschlag zu erstatten, wie der Landtag sich provisorisch bei den am 29. April beginnenden Beratungen des Reichsrates über gemeinschaftliche Angelegenheiten beteiligen könne. Die Stimmenmehrheit sei diesen Anträgen beigetreten, und der ungarische Hofkanzler habe, laut Protokoll, zugesichert, den Text der Rede des Judex Curiae hiernach zu rektifizieren. Dessenungeachtet enthielt die Rede des Grafen Apponyi am 2. April nur eine äußerst vage Andeutung über den Reichsrat. Ritter v. Schmerling müsse daher beantragen, daß dasjenige, was damals aus ihm unbekannten Gründen unterlassen wurde, jetzt durch ein Ah. Reskript nachgetragen werde, möge dasselbe auch vielleicht ohne weitere Folge ad acta gelegt werden. Die Hauptsache ist, daß die Ah. Aufforderung, und zwar baldigst, erfolge. Der ungarische Hofkanzler erwiderte, daß der Fall der Erlassung eines Ah. Reskriptes hierüber noch nicht vorhanden sei und er vorerst das Eintreffen der Antwortsadresse des Landtages abwarten wolle, welche einen Anlaß zu dem Reskripte bieten werde, da man die Absicht der Reichsratsbeschickung im Lande wohl verstanden habe. Hierauf äußerte der Staatsminister , daß er sich vorderhand damit begnügen würde, eine schriftliche Erklärung von Seite des ungarischen Hofkanzlers zu erhalten, „daß die Eröffnungsrede des Grafen Apponyi als eine formelle Aufforderung zur Beteiligung am Reichsrate gelten könne“. Baron Vay versicherte, daß die Adresse aus Pest bald heraufkommen und er auf dieselbe mit der gewünschten Aufforderung antworten werde6, e .

III. Revision des Grundsteuerkatasters in Niederösterreich und Tirol

Der Finanzminister referierte, daß Se. Majestät mit Ah. Entschließung vom 7. Februar 1861 zu befehlen geruht haben, der Grundertragskataster von Niesei || S. 304 PDF || nach den Verbesserungsanträgen der Immediatkommission, der in Tirol bestehende Wertkataster jedoch nach den vom Finanzminister beantragten fund von der Immediatkommission verbessertenf Grundsätzen der Revision zu unterziehen, die in beiden Richtungen zu verfassenden Revisionsinstruktionen den betreffenden Landesvertretungen mitzuteilen und deren Anträge der Ah. Schlußfassung zu unterziehen7. Die Entwürfe der fraglichen Instruktionen sind gegenwärtig vollendet, und Minister v. Plener müsse daher beantragen, daß selbe, bevor man sie an die Landtage leitet, der Beratung im Staatsrate unterzogen werden.

Nachdem sämtliche Stimmführer sich diesem Antrage anschlossen, wird der Finanzminister den Entwurf brevi manu an den Präsidenten des Staatsrates leiten8.

IV. Ernennung des Präsidenten und der Vizepräsidenten im Herrenhaus

Der Staatsminister referierte über seinen au. Antrag wegen Ah. Ernennung Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Albrecht zum Präsidenten des Herrenhauses, dann des Fürsten Karl Auersperg und des Philipp Freiherrn v. Krauß zu Vizepräsidenten desselben Hauses. Diese Ah. Ernennungen dürften aus Zweckmäßigkeitsgründen so wie in mehreren deutschen Staaten bloß für die nächste Session des Reichsrates erfolgen.

Über diese Anträge wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben9.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 6. Mai 1861. Empfangen am 6. Mai 1861. Erzherzog Rainer.